09.08.2023

Wo die Kommunen der Schuh drückt

Forderungen des Bayerischen Städtetags

Wo die Kommunen der Schuh drückt

Forderungen des Bayerischen Städtetags

Kommunalverwaltungen versuchen auch unter widrigen Umständen, die Dinge am Laufen zu halten | © Björn Wylezich - stock.adobe.co
Kommunalverwaltungen versuchen auch unter widrigen Umständen, die Dinge am Laufen zu halten | © Björn Wylezich - stock.adobe.co

Der Chef des Bayerischen Städtetags, der Straubinger Oberbürgermeister Markus Pannermayr, ist überzeugt: Wir müssen uns gemeinsam auf das Wesentliche konzentrieren!

„Es wird schwerer, die Balance bei allen anstehenden Aufgaben zu halten“, umschreibt der Vorsitzende des Bayerischen Städtetags, der Straubinger Oberbürgermeister Markus Pannermayr, die hohen Herausforderungen für Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker. Sie versuchen auch unter widrigen Umständen die Dinge am Laufen zu halten, trotz steigender bürokratischer Anforderungen und trotz des steigenden Personalmangels in allen Bereichen der Rathaus-Arbeit. Bei der Vollversammlung des BAYERISCHEN STÄDTETAGS 2023 in Erlangen am 13. Juli konstatiert Pannermayr: „Die großen Veränderungen und Transformationsprozesse schlagen unheimlich schnell bei uns vor Ort auf.“

Rolle der Kommunen

Bürgermeisterinnen und Bürgermeister nutzen jede Gelegenheit, um für die Bürgerschaft ansprechbar und erreichbar zu sein. Sie sind am Abend und am Wochenende unterwegs, zeigen Wertschätzung bei Veranstaltungen, sie hören zu und integrieren. „Mit dem Wissen um das Machbare übersetzen wir die Komplexität des Alltags in die Lebenswirklichkeit der Menschen. Überall dort, wo plumpe und zu kurz gedachte Lösungsfallen aufgestellt werden, werden wir nicht müde, zu argumentieren“, so Pannermayr. „Plumper Populismus darf nicht zum Leitstern politischen Handelns werden“, fügt Pannermayr unter Beifall hinzu: „Auch wenn es zunehmend Kraft kostet, wirken wir den wachsenden Zentrifugalkräften entgegen. Wir haben uns aus Überzeugung für das kommunale Engagement entschieden.“


Die Gemeinden bilden laut Artikel 1 der Bayerischen Gemeindeordnung die Grundlage des Staates und des demokratischen Lebens. „Das trifft tatsächlich zu. Und so erfahren wir regelmäßig, dass unsere Arbeit Sinn stiftet“, so der Chef des Städtetags. Kommunalpolitiker sind keine Freunde des Konjunktivs: „,Man müsste‘, ,eigentlich müsste‘, ,man sollte‘ – das ist nicht unsere Sprache.“

Die Kommunalverwaltungen stünden bereit, bei Problemen anzupacken, führt Pannermayr weiter aus: „Die Kommunen können es, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Auf die Problemlösungskompetenz der Kommunen können Bund und Freistaat Bayern vertrauen.“ Zu klären ist, welche Rahmenbedingungen erforderlich sind, um das Gelingen zu ermöglichen.

Kommunen sind keine Bittsteller

Damit das Zusammenspiel mit Bund und Freistaat funktioniert, muss laut Pannermayr die kommunale Ebene rechtzeitig auf Augenhöhe als Gesprächspartner eingebunden sein. Die Dinge laufen besser, wenn die Kommune frühzeitig gehört und mit ihren Einschätzungen ernst genommen wird. Pannermayr zieht das Fazit: „Wir können den Blick aus der Praxis und für das vor Ort Machbare mitbringen, wissen aber auch um die Notwendigkeit von Kompromissen mit Freistaat und Bund. Zu diesen Kompromissen sind wir bereit.“

„Wir müssen uns gemeinsam auf das Wesentliche konzentrieren. Es irritiert, mit welcher Leidenschaft manche Themen diskutiert werden, die eigentlich nicht auf der Agenda stehen,“ betont Pannermayr und richtet einen Appell an Bundes- und Landespolitik: „Reißen wir nicht jede Woche ein neues Thema an. Wir können nicht alles gleichzeitig machen. Und wir müssen vor allem wieder weniger an der zweiten oder dritten Stelle hinter dem Komma arbeiten, sondern dort, wo es darauf ankommt. Mehr Großzügigkeit und Freiheit im Detail und im Kleinen, Konzentration und Aufmerksamkeit für die wirklich entscheidenden Fragestellungen.“

Grundsätzlich zeigt sich, dass das Geschäftsmodell der wirtschaftlichen Erfolge von früher auf der Basis billiger Zulieferungen von Energie, von Rohstoffen oder Arzneimitteln aus Russland, China und Schwellenländern nicht mehr tragfähig ist. Pannermayr: „Wir müssen vom kurzfristigen ökonomischen Denken zum strategischen Ansatz für Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit kommen.“

In Stichpunkten zählt Pannermayr auf, „was über Jahre hinweg funktioniert hat“ für die Menschen, nun aber für alle spürbar unter Druck gerät: Bezahlbare Wohnungen fehlen, Kitaplätze fehlen, der Notarzt kommt nicht mehr so zuverlässig wie früher gewohnt. „Das macht etwas mit unserer Gesellschaft. Der Zusammenhalt wird schwieriger.“

Auskömmliche Finanzierung und tragfähige Rahmenbedingungen werden gebraucht

Für die wirklich entscheidenden Aufgaben brauchen die Kommunen eine auskömmliche Finanzierung und tragfähige Rahmenbedingungen, erläutert Pannermayr. Ein Beispiel sei der Klimaschutz. Die Maßnahmen sind ungenügend, da Finanzmittel und Personal fehlen, um Klimaschutz und Klimaanpassung voranzutreiben. Wenn Klimaschutz lediglich als freiwillige Leistung und nicht als Pflichtaufgabe eingestuft bleibt, ist die enorme Transformationsaufgabe auf kommunaler Ebene nicht zu stemmen.

Auch das Thema Kinderbetreuung beschäftige die Menschen sehr. Wenn Kitas ausgebaut werden sollen, fehlt jedoch in der Praxis die Finanzierung von Bau- und Betriebskosten; und es fehlt besonders das Personal – was sich zum Herbst spürbar auswirken wird. Nötig ist ein Nachdenken über Flexibilisierung und Vereinfachung, auch wenn Standards und Betreuungsschlüssel fachlich begründbar sind. Beim Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern wachse der „Zweifel, ob wir dem Anspruch Rechnung tragen können“. Die Schule muss laut Pannermayr eine klare Ansage bekommen, was sie zu liefern hat für die Betreuung am Freitagnachmittag und für die Ferienzeiten. Das System Schule müsse einen wesentlichen Teil der Leistungen für den Ganztagsanspruch erbringen. Pannermayr mahnt in Richtung Bund und Freistaat: „Seid vorsichtig mit weiteren Garantien und Versprechungen zu Lasten Dritter. Wir müssen uns ehrlich machen, denn das holt uns alle ein. Es genügt nicht, über das juristisch Abgesicherte bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs zu reden. Es geht am Schluss darum, den Menschen in die Augen sehen zu können.“

Darüber hinaus skizziert Pannermayr als Beispiel die akute Situation bei den Krankenhäusern: „Eine Gesellschaft ohne leistungsfähige Krankenhäuser ist nicht denkbar.“ Kommunen dürfen nicht zu Ausfallbürgen bei Krankenhäusern degradiert werden, die für hohe Defizite einstehen müssen.

Als Grundproblem markiert Pannermayr, dass zwar nominell die Haushalte einen Aufwuchs für kommunale Fördermittel verzeichnen, real aber wegen steigender Aufgaben und höherer Ausgaben, nicht zuletzt inflationsbedingter Kosten, weniger Mittel bei Kommunen verfügbar sind. „Geld muss in unserem Land unglaublich lange Wegstrecken zurücklegen. Und es bleibt ein erheblicher Teil auf diesem Weg liegen, bis es tatsächlich Wirkung entfalten kann.“ Die Förderwege sind zu kompliziert und zu lange. Lange Wege kosten Geld, das dann bei den eigentlichen Projekten fehlt. Man muss darüber sprechen, wie das Förderwesen zu verschlanken und zu vereinfachen ist. Nötig sei die Stärkung der allgemeinen kommunalen Steuerkraft, die Stärkung der Verbundmasse und der Schlüsselzuweisungen, meint Pannermayr: „Das Schlüsselwort ist Vertrauen, denn Vertrauen reduziert Komplexität.“

Stärkere Priorisierung notwendig

Dass der demographische Wandel rollt, illustriert Pannermayr: „In allen Branchen und Berufen, in der Bäckerei und im Rathaus, im Bauhof und der Schule, in der Kita und im Krankenhaus, in der Pflege und im Handwerk, im Notarztwagen und im Linienbus spüren wir alltäglich die Folgen des Arbeitskräftemangels. Das ist aber nur ein Vorbote dessen, was uns in den nächsten Jahren mit Wucht erfassen wird, wenn die Generation der ,Baby-Boomer‘ der 1960er und 1970er Jahre in den Ruhestand geht. Es werden weniger Köpfe, Herzen und Hände zur Verfügung stehen.“ Schuldzuweisungen helfen da nicht weiter. „Wir müssen diesen Prozess insgesamt verstehen und offener kommunizieren und erklären. Eine der möglichen Schlussfolgerungen ist schlicht und einfach, dass wir künftig sehr viel stärker priorisieren müssen, welche Aufgaben für eine Gesellschaft am Ende wirklich wichtig sind. Das ist nicht nur eine Frage an ,die Politik‘, sondern letztlich an die gesamte Gesellschaft. Wir werden manche Aufgaben künftig vielleicht gar nicht mehr bearbeiten, manche mit geringerer Intensität. Vielleicht müssen wir an der einen oder anderen Stelle unsere Liebe zur Einzelfallgerechtigkeit kritisch hinterfragen und auch mehr Freiheit wagen. Dazu gehören auch eine Weiterentwicklung unserer Fehlerkultur und das Hinterfragen von Standards. Das betrifft auch die Kommunen. Auch wir sind in Sachen Bürokratie immer wieder selbst Täter, häufiger jedoch Opfer.“

Für diesen Wandel müssen die Menschen gewonnen werden – mit Hilfe von Ehrlichkeit und Aufgabenkritik: „Auf diesen Weg wird sich unsere Gesellschaft aber nur begeben, wenn wir uns hier noch viel ehrlicher machen und nicht immer wieder die nicht nachhaltige Pauschallösung ,mehr Geld‘ in den Raum stellen.“ Kommunen sind bereit, daran mitzuwirken, Verantwortung zu übernehmen.

Das große Ganze müsse mehr in den Mittelpunkt rücken, anstatt ständig über kleinteilige Korrekturen nachzudenken, sagt Pannermayr: „Die kommunale Selbstverwaltung hat unserem Land gut getan. Sie war und ist ein Erfolgsmodell. Deshalb werden die Kommunen auch weiterhin eine wesentliche Rolle übernehmen dürfen. Wir sind dazu bereit, mitzuwirken und uns gemeinsam auf den Weg zu machen. Auf diesem Weg sollten wir vor allem die großen Wegmarken suchen und nicht täglich den Kurs ändern.

 

Dr. Achim Sing

Referent beim Bayer. Städtetag
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