01.07.2022

Wie digitales Lernen gelingen kann

Der Weg zum Examen

Wie digitales Lernen gelingen kann

Der Weg zum Examen

Wer das Ziel hat, ein gutes Examen zu schreiben, der muss eben genau dies trainieren. | © krerksak - stock.adobe.com
Wer das Ziel hat, ein gutes Examen zu schreiben, der muss eben genau dies trainieren. | © krerksak - stock.adobe.com

Spätestens seit den Maßnahmen infolge der Covid-19 Pandemie ist klar: Die Digitalisierung macht auch vor der juristischen Lehre nicht halt. Es liegt nahe, dass dies auch das Lernen beeinflusst. Doch wie kann das bereits vorhandene Lernangebot um digitale Inhalte sinnvoll ergänzt werden?

Lernpsychologische Grundlagen

Auskunft darüber, ob oder inwieweit digitale Lerninhalte ergänzend herangezogen werden sollten, kann der modernen Lern- und Gedächtnisforschung entnommen werden. Einmal gelernte Informationen unterliegen einem Vergessensprozess. Er beginnt bereits unmittelbar nach der Informationsaufnahme und nimmt zu Beginn sehr schnell und später langsam zu.[1] Um ihm entgegenzuwirken, sollte der Lernstoff mehrfach in bestimmten zeitlichen Abständen wiederholt werden.[2] Allerdings erscheint das mehrfache passive Lesen als eine sehr zeitaufwendige und wenig effektive Methode, um den Vergessensprozess aufzuhalten.

Effektivität durch Aktivität


Nur wenn aufgenommene Informationen aktiv reproduziert werden, können sie in das Langzeitgedächtnis übergehen und dem Gedächtnis erhalten bleiben.[3] Dies kann erreicht werden, indem zu einem bestimmten Abschnitt oder zu einer Sinneinheit Fragen selbst formuliert und später beantwortet werden, so dass ein innerer Dialog („eine Art schizophrenes Zwiegespräch“[4]) zustande kommt. Ferner ist der Erkenntnis Rechnung zu tragen, dass Vergessen selbst Teil des Lernprozesses ist. Als wirkungsvoll hat es sich herausgestellt, den Lernstoff nicht direkt nach dem ersten Lernen zu rekapitulieren, sondern erst nach einer Pause über das Gelernte erneut zu reflektieren.[5]

Besonderheiten des juristischen Lernens

Vieler Vorurteile zum Trotz geht es im Jurastudium nicht darum, Gesetzestexte oder bloße Definitionen auswendig zu lernen. Juristisches Lernen muss darauf ausgerichtet sein, Arbeitsweisen zu entwickeln, um Rechtsprobleme und die dahinter verborgenen Wertungen erkennen und sodann in ein systematisches Grundgerüst einfügen zu können.

Zu groß ist die Fülle an Rechtsgebieten, um jedes Spezialproblem auswendig zu lernen. Stattdessen ist es zielführend, Kompetenzen zu erwerben, um ein unbekanntes Problem primär anhand der Gesetzessystematik lösen zu können.

Prüfungen simulieren – Schreiben üben

Viele Examinierte werden zustimmen, dass sie sich selbst noch nach Jahren des Examenstermins an die meisten Klausursachverhalte erinnern können. Bereits dies deutet darauf hin, dass Informationen in der Klausursituation besonders gut aufgenommen werden können. Denn in der Klausursituation wird das vorhandene Wissen auf einen zuvor unbekannten Sachverhalt angewandt und damit aktiv rekapituliert.

Wer das Ziel hat, ein gutes Examen zu schreiben, der muss eben genau dies trainieren – das Klausurenschreiben. Dies bringt es mit sich, ausreichend Klausuren unter Examensbedingungen in der vorgegebenen Zeit zu üben und diese anschließend nachzubereiten.

Konsequenzen für das digitale Lernen

Vor dem Hintergrund der genannten lernpsychologischen Erkenntnisse bestehen diverse Ergänzungsmöglichkeiten durch digitale Lernelemente.

Digitale Lernmedien erstellen

Um den Lernstoff aktiv zu rekapitulieren, bietet sich das Erstellen eigenen Lernmaterials an. Als Format kommen bspw. digitale Karteikarten[6] oder digitale Skripten in Betracht. Karteikarten bieten hierbei den Vorteil, dass der Lernstoff automatisch in trennbare Sinneinheiten aufgeteilt und mit einer spezifischen Frage verknüpft wird.

Das Erstellen digitaler Lernmaterialien bietet gegenüber papierbasierten Lernmaterialien den Vorteil, dass diese auf dem Smartphone oder Tablet gespeichert und so stets verfügbar sind. Wartezeiten, beispielsweise bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, können so genutzt werden, um Karteikarten zu wiederholen.

Ein weiterer Vorteil digitaler Karteikarten besteht in der Funktion mancher Anbieter, im Nachgang der Bearbeitung der Karteikarte den Schwierigkeitsgrad der beantworteten Frage bewerten zu können. In Abhängigkeit von dem empfundenen Schwierigkeitsgrad wird die Karteikarte anschließend einem spezifischen Wiederholungsintervall zugeordnet. In der Folge werden dem Benutzer die am jeweiligen Tag zu bearbeitenden Karteikarten automatisch auf dem Smartphone angezeigt. Ferner ermöglichen die Anbieter digitaler Karteikarten eine umfangreiche Statistikanalyse, die den eigenen Wissensstand und den Übungsbedarf erkennen lassen.

Digitale Lehrveranstaltungen

Informationen werden am besten durch eine Kombination verschiedener Sinne aufgenommen. So ist es effektiver, eine (Online-)Vorlesung zu besuchen, in der das Gesprochene („hören“) bspw. durch Powerpoint-Präsentationen („sehen“) untermalt werden und man gleichzeitig den vermittelten Stoff – zumindest in Stichworten – mitschreibt („tasten“).

Noch vor wenigen Jahren wurden rein online basierte Lehrveranstaltungen als zu aufwendig und damit praktisch kaum durchführbar bezeichnet.[7] Im Zuge der Covid-19 Pandemie ist es jedoch in der universitären Landschaft durchweg gelungen, Lehrveranstaltungen auf digitale Formate umzustellen. Universitäre Vorlesungen und Vorträge aus vielfältigen Rechtsgebieten finden sich zum Teil sogar auf frei zugänglichen Onlineplattformen.[8] Flankiert werden die universitären Lehrangebote von Lehrveranstaltungen privater Anbieter.[9]

Live-Veranstaltungen

Erstens sind hierbei sog. Live-Veranstaltungen auszumachen, an der Lehrende und Lernende zu einem bestimmten Termin, also zeitgleich über eine Videokonferenz-Plattform teilnehmen.

Der offensichtliche Nachteil eines solchen Formats besteht darin, dass zwischen Lehrenden und Lernenden kein unmittelbarer physischer Kontakt zustande kommt. Dies kann jedoch dadurch ausgeglichen werden, dass sich die Lernenden unter Freischaltung von Ton und Bild oder zumindest durch Beteiligung im Chat aktiv in die Live-Veranstaltung einbringen.

Ferner ist es möglich, die Veranstaltungen aufzuzeichnen. Dies ermöglicht zum einen eine Wiederholung der Veranstaltung. Zum anderen kann eine verpasste Veranstaltung flexibel an einem anderen Tag nachgeholt werden.

On-Demand-Veranstaltungen

Zweitens existieren Veranstaltungen, die bereits aufgezeichnet wurden und on-demand, also auf Abruf, verfügbar sind. Insoweit besteht aus lernpsychologischer Sicht allerdings die Gefahr, dass der Zuhörer in Passivität verharrt. Zumindest sollten die Veranstaltungen durch interaktive Elemente (bspw. Wissensfragen) angereichert werden, die den Lernenden aus seiner passiven Rolle herausbefördert.[10]

Vorteilhaft an dem Lernangebot privater Anbieter ist, dass diese auf ihre Veranstaltungen zugeschnittenes Lernmaterial (kostenpflichtig) zur Verfügung stellen, wodurch eine effektive und zeitnahe Nachbereitung der Veranstaltung möglich ist.

Private Lerngruppen über digitale Konferenzplattformen

Drittens haben sich private Lerngruppen und Arbeitsgemeinschaften als besonders lerneffektiv erwiesen.[11] Da sich die Gruppenmitglieder kennen, sinkt die Schwelle, sich aktiv zu beteiligen. Bei der Darstellung von Rechtsproblemen kann der Vortragende an der Reaktion der Gruppenmitglieder überprüfen, ob er das Problem selbst verstanden hat. Denn nur derjenige, der den Lernstoff selbst verinnerlicht hat, kann ihn anderen verständlich erklären.

Zudem trauen sich die Mitglieder einer privaten Lerngruppe erfahrungsgemäß eher als in einer gut besuchten Vorlesung, Verständnisfragen zu stellen. Solche Lerngruppen digital über Konferenzplattformen abzuhalten, hat praktische Vorteile: Lange An- und Abfahrtswege werden vermieden. Auch können Treffen flexibler vereinbart werden.

Übungsklausuren

Im Grundsatz sollten Klausuren in dem Format geübt werden, das auch abgeprüft wird. Muss eine E-Klausur bewältigt werden, sollte das Schreiben am PC trainiert werden. Handelt es sich um eine „analoge“ Klausur, sind Papier und Stift das Mittel erster Wahl.

Auch wenn die Universitäten im Zuge der Covid-19 Pandemie dazu übergegangen sind, E-Klausuren anzubieten, finden die Examensklausuren des ersten Staatsexamens ausschließlich analog statt. Studierende in der Examensvorbereitung sind also gehalten, Klausuren auf „analogem“ Wege zu lösen.

Diverse Anbieter[12] ermöglichen es heut-zutage, in Online-Klausurenkursen, eventuell mit einer nachfolgenden Besprechung im Videoformat sowohl analog geschriebene als auch digital verfasste Klausuren zu korrigieren. Einer zügigen Nacharbeit der Klausuren kommt zugute, dass die korrigierten Klausuren den Bearbeitern regelmäßig per E-Mail zugesandt werden. Dies verkürzt die Versanddauer.

Fazit

Letzten Endes bleibt es den Studierenden selbst überlassen, inwieweit sie sich auf digitale Lerninhalte einlassen möchten. Der Prozess des Lernens ist individuell und in einem solchen Ausmaß von persönlichen Erfahrungen geprägt, dass ein allgemeingültiges Patentrezept nicht ausgestellt werden kann. So sind auch Gefahren mit einer kompletten Umstellung auf digitale Lerninhalte – wie sie im Zuge der Covid-19 Pandemie erfolgte – verbunden.

Das Fehlen jeglicher Präsenzveranstaltungen kann zur Demotivation oder gar zur sozialen Isolation Lernender führen.

Der Studierende sieht sich in die Rolle des Einzelgängers gezwungen, der mangels Anwesenheit in der Bibliothek oder im juristischen Seminar weder einen festen Lernort hat noch soziale Kontakte zu anderen Studierenden pflegen kann.

Digitale Lernangebote dürften aus Sicht der meisten Lernenden folglich kein geeignetes Substitut für Präsenzlehre darstellen. Allerdings können sie das analoge Lehrangebot sinnvoll ergänzen und den Lernprozess abwechslungsreicher gestalten.

[1] Ebbinghaus, Über das Gedächtnis, 1885, § 29, S. 103 f.

[2] Ebbinghaus (Fn. 1), § 2, S. 5.

[3] Lammers, JuS 2015, 289, 290 m. w.N; Karpicke, Current Directions in Psychological Science, 2012, 157, 162 m. w. N.

[4] Lammers, JuS 2015, 289, 291.

[5] Karpicke/Bauernschmidt, Journal of Experimental Psychology Learning Memory and Cognition, 2011, 1250, 1253 ff.

[6] Z. B. repetico.de, zuletzt abgerufen am 20. 07. 2021; apps.ankiweb.net, zuletzt abgerufen am 20. 07. 2021; brainyoo.de/karteikarten-app, zuletzt abgerufen am  20.07. 2021.

[7] Zwickel, JA 2018, 881, 886.

[8] Aus dem Zivilrecht etwa: Stephan Lorenz, lorenz. userweb.mwn.de/podcastallg.htm, zuletzt abgerufen am 20. 07. 2021; Matthias Fervers, jura. uni-muenchen.de/personen/f/fervers_matthias/podcasts/index.html, zuletzt abgerufen am

20.07. 2021; Michael Beurskens, youtube.com/ c/MichaelBeurskens/videos, zuletzt abgerufen am 20. 07. 2021; Martin Fries, youtube.com/channel/UCC 1h-eGZ2i 7KjsZ 8Vt FUVHA, zuletzt abgerufen am 20.07. 2021; aus dem Strafrecht etwa: Jens Bülte, youtube.com/watch?v=cL20n5uD_fs, zuletzt abgerufen am 20. 07. 2021; Hans Kudlich, fau.tv/course/id/234, zuletzt abgerufen am 20. 07. 2021; aus dem öffentlichen Recht beispielsweise: Hubertus Gersdorf, youtube.com/channel/UCH HcX mzh5 ku2T kv8 WI7 xnuw/videos zuletzt abge-rufen am 20.07. 2021; Stephanie Schiedermair, youtube.com/ channel/UCR- zh241 3jfg BgLo DC4 AGhg/videos, zuletzt abgerufen am 20.07. 2021; Fabian Michl, youtube.com/channel/UCpyCW C7e_Oj l1 HART BkKh Ew/videos, zuletzt abgerufen am 20.07. 2021.

[9] lecturio.de, zuletzt abgerufen am 20. 07. 2021; juracademy.de, zuletzt abgerufen am 20.07.2021. Auch die Präsenzrepetitorien haben ihr Lehr-angebot in Zeiten der Covid-19 Pandemie auf Onlineveranstaltungen umgestellt, vgl. bspw. repetitorium-hemmer.de/?n=2256; alpmann-schmidt.de/repetitorium/kursorte.aspx, zuletzt abgerufen am 20. 07. 2021.

[10] So bei lecturio.de/jura/1-staatsexamen.kurs, zuletzt abgerufen am 20.07.2021.

[11] S. hierzu auch den Beitrag von Zwickel in dieser Ausgabe S. 11 ff.

[12] Z. B. juracademy.de/jura/klausurenkurs/comple-te/12/ohne-besonderes-verwr/I, zuletzt abgerufen am 20. 07. 2021; juraonline.de/blog/jura-online-klausurenkurs-1-examen/, zuletzt abgerufen am 20.07. 2021. Zum Vergleich zwischen den verschiedenen Anbietern, vgl. jurbutler.de/klausuren-kurs-jura-examen-vergleich/, zuletzt abgerufen am 20. 07. 2021.

 

Markus Ullmann

Rechtsreferendar, Konstanz
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