15.10.2013

Whistleblowing – eine brisante Grauzone

Beamten setzt die verfassungsrechtliche Pflichtenbindung enge Grenzen

Whistleblowing – eine brisante Grauzone

Beamten setzt die verfassungsrechtliche Pflichtenbindung enge Grenzen

Bei begründetem Verdacht einer Korruptionsstraftat entfällt die beamtenrechtliche Verschwiegenheitspflicht. | © Superingo - Fotolia
Bei begründetem Verdacht einer Korruptionsstraftat entfällt die beamtenrechtliche Verschwiegenheitspflicht. | © Superingo - Fotolia

Whistleblowing – das Aufdecken von Missständen innerhalb von Organisationen – ist nach Enthüllungen zum Umfang der Überwachung des internationalen Datenverkehrs durch die US-amerikanische National Security Agency wieder in den öffentlichen Fokus gerückt. In Deutschland war zuletzt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21. 07. 2011 im Whistleblowing-Fall der Altenpflegerin Brigitte Heinisch weit über den arbeitsrechtlichen Diskurs hinaus mit großem Interesse aufgenommen worden.

Einleitung

Auch andere öffentlich bekanntgewordene Whistleblowing-Fälle zeigen, dass die Enthüllung von Missständen durch Bedienstete höchst brisant ist und Hinweisgeber bzw. Hinweisgeberinnen sich in Deutschland teilweise in rechtlichen Grauzonen bewegen. Während in der aktuellen rechtspolitischen Diskussion um Whistleblowing Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Fokus stehen, finden Beamte und Beamtinnen weniger Beachtung. Aufgrund ihrer starken verfassungsrechtlichen Pflichtenbindung erscheint deren Einbeziehung allerdings besonders relevant. Daneben bestehen beamtenspezifische Regelungen, die einen Bezug zu Whistleblowing aufweisen.

Phänomen Whistleblowing

Von Whistleblowing kann gesprochen werden, wenn aus dem Arbeitsumfeld einer Organisation ein Missstand (illegale oder illegitime Verhaltensweisen) von einem Mitglied der Organisation gegenüber Personen oder Stellen, die in der Lage sind, den Missstand abzustellen, aufgedeckt wird. Je nachdem, ob die Anzeige des Missstandes innerhalb der Organisation (z. B. interne Revision) oder außerhalb (z. B. Strafverfolgungsbehörden) bzw. gegenüber der Öffentlichkeit erfolgt, spricht man von internem bzw. externem Whistleblowing.


Ein typisches Merkmal des Whistleblowings ist es, dass neben den Interessen der Dienstherren und der Beamten auch Interessen des Gemeinwohls betroffen sind. So können Behörden von Hinweisgebern Kenntnis von gefährlichen, rechtswidrigen oder kriminellen Praktiken erlangen, an deren Bekämpfung ein starkes öffentliches Interesse besteht. Gerade bei Kontrolldelikten, wie z. B. Korruptionsstraftaten, sind oftmals Hinweise von Insidern für Ermittlungserfolge entscheidend.

Verfassungsrechtlicher Rahmen

Whistleblowing durch Beamte sowie gesetzliche Regelungen hierzu sind durch Art. 33 Abs. 5 GG einem verfassungsrechtlichen Rahmen unterworfen. Dabei sind einige Pflichten, die dem Kern der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums angehören, besonders relevant: die allgemeine Treuepflicht, welche die Verfassungstreuepflicht, die Gehorsamspflicht sowie die Neutralitätspflicht beinhaltet, das Dienstweggebot, die Verschwiegenheitspflicht sowie die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten.

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EU Whistleblowing-Richtlinie

Seitens der Grundrechte bilden insbesondere die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 GG und das Petitionsrecht nach Art. 17 GG den verfassungsrechtlichen Rahmen von Whistleblowing. Dabei erlaubt es das Sonderstatusverhältnis, in welchem sich Beamte und Beamtinnen befinden, diese Grundrechte zu begrenzen.

Die Meinungsfreiheit

So können sich Beamte bei dienstlichen Äußerungen bzw. Äußerungen in amtlicher Eigenschaft nicht auf die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG berufen. Außerhalb des Dienstes sind nur solche Äußerungen untersagt, die einen Angriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung darstellen oder die Mäßigungs- und Zurückhaltungspflicht verletzen. Im Zusammenhang mit Whistleblowing geht es um die Einschätzung privater Äußerungen „zum Dienst“, also die öffentliche Mitteilung dienstlicher Angelegenheiten und die Stellungnahme zu ihnen. Auch solche Äußerungen fallen grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Diesen setzt jedoch die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit außerordentlich enge Grenzen. Eine „Flucht in die Öffentlichkeit“ ist nur zur Aufdeckung besonders schwerwiegender Fehlentwicklungen in der öffentlichen Verwaltung zulässig.

„Öffentlichkeit“ meint dabei einen Bereich, in welchem die Weiterverbreitung der Äußerung nicht mehr von den Beamten oder dem Dienstherrn gesteuert werden kann. Zur „Öffentlichkeit“ gehören auch andere staatliche Stellen, die nicht berechtigt sind, ein durch die Verschwiegenheitspflicht geschütztes Geheimnis zu erfahren.

Das Petitionsrecht

Das Petitionsrecht nach Art. 17 GG eröffnet prinzipiell einen weiten Spielraum für Whistleblowing, da die Petenten nicht individuell beschwert sein müssen und daher das Petitionsrecht im Allgemeininteresse ausgeübt werden kann. Petitionen können entweder an die Volksvertretung oder eine sonst „zuständige Stelle“ gerichtet werden. An Letztgenannte dürfen Petitionen in dienstlichen Angelegenheiten regelmäßig nur über den Dienstweg eingereicht werden. Hingegen sind Petitionen an die Volksvertretung nach der herrschenden Meinung vom Dienstwegvorbehalt nicht erfasst. Einschränkungen ergeben sich aber aus der Verschwiegenheitspflicht. Beamte und Beamtinnen dürfen amtlich erlangte Kenntnisse in Petitionen an die Volksvertretung nicht verwenden.

Beamtenspezifische Whistleblowing-Regelungen

Das allgemeine Petitionsrecht wird durch das Antrags- und Beschwerderecht (§ 125 BBG) für Beamte konkretisiert. Neben persönlichen Fragen kommen dabei auch whistleblowerrelevante Themen wie das Abstellen von Missständen in einer Behörde in Betracht, die den antragstellenden Beamten selbst nur mittelbar berührt. Bezüglich des Inhalts gelten die Wahrheits- und Mäßigungspflicht. Die Eingaben sind grundsätzlich über den Dienstweg einzubringen, also über die unmittelbaren Vorgesetzten, auch wenn die Entscheidung einer höheren Stelle begehrt wird. Beamte können sich nur dann direkt an den nächsthöheren Vorgesetzten wenden, wenn sich die Beschwerde gegen den unmittelbaren Vorgesetzten richtet. Da die Regelung die Art des Anliegens oder der Beschwerde nicht eingrenzt und zudem der Weg bis zur obersten Dienstbehörde offen steht, handelt es sich um eine weitgehende Regelung für internes Whistleblowing. Hinzu kommt, dass Beamte beim Beschreiten des Dienstwegs dienstliche Angelegenheiten mitteilen dürfen, um ihrem Anliegen Sinn zu geben.

Zur Umsetzung von Artikel 9 des Zivilrechtsübereinkommens über Korruption des Europarats vom 4. November 1999 wurde mit § 67 Abs. 2 Nr. 3 BBG bzw. § 37 Abs. 2 Nr. 3 BeamtStG für externes Whistleblowing eine Ausnahme von der Verschwiegenheitspflicht geschaffen. Die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit gilt demnach nicht, wenn Beamte und Beamtinnen einen durch Tatsachen begründeten Verdacht einer Korruptionsstraftat nach den §§ 331 bis 337 StGB gegenüber einer zuständigen Behörde/Stelle anzeigen.

Eine weitere beamtenspezifische Regelung, die Bezüge zum Whistleblowing aufweist, ist das Remonstrationsverfahren nach § 63 Abs. 2 BBG bzw. § 36 Satz 2 BeamtStG. Ausgangspunkt ist das Spannungsverhältnis, welches dadurch entstehen kann, dass Beamte auf der einen Seite Anordnungen von Vorgesetzten ausführen müssen (Gehorsamspflicht) und sie auf der anderen Seite für die Rechtmäßigkeit ihrer dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung tragen. Das Remonstrationsverfahren sieht vor, dass Beamte und Beamtinnen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit von Anordnungen gegenüber ihren Vorgesetzten geltend machen. Wird die Anordnung aufrechterhalten und die Bedenken bestehen fort, haben sich die Beamten an die nächsthöhere Stelle zu wenden. Wird die Anordnung auch hier bestätigt, müssen Beamte diese ausführen, sind aber von der eigenen Verantwortung befreit. Dies gilt jedoch nicht für Anordnungen, deren Ausführung die Würde des Menschen verletzen würde oder strafbar sowie ordnungswidrig wäre. Die Remonstration kann allerdings nur bedingt als Whistleblowing-Regelung angesehen werden, weil dabei regelmäßig nichts „enthüllt“, sondern lediglich eine andere rechtliche Bewertung bekannter Tatsachen dargelegt werden dürfte. Ferner können Beamte lediglich gegen Anordnungen, die ihnen aufgetragen wurden, remonstrieren. Somit können Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit von Handlungen der jeweiligen Behörde, welche Kollegen und Kolleginnen oder Vorgesetzte betreffen, nicht mithilfe des Remonstrationsverfahrens vorgebracht werden.

Rechtspolitische Bewertung

Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Whistleblowing durch Beamte können nach Auffassung des Verfassers noch nicht als vollständig befriedigend bezeichnet werden. Während für die Meldung von Missständen auf dem Dienstweg relativ weit gefasste Regelungen bestehen, bleibt die Möglichkeit für externes Whistleblowing auf einige Korruptionsstraftaten und besonders schwerwiegende Verfassungsverstöße beschränkt. Zumindest beim Aufdecken von Straftaten sollte der Gesetzgeber die Beamten und Beamtinnen nicht alleine lassen und ihnen über ein Anzeigerecht die Möglichkeit einräumen, sich an im Gesetz genannte externe Stellen wenden zu können.

Hinweis der Redaktion: Wer sich für vertiefende Ausführungen zu diesem Thema interessiert, findet diese in der Aufsatzfolge „Whistleblower – Denunzianten oder öffentliche Helden?“, „Möglichkeiten und Grenzen von Whistleblowing durch Beamtinnen und Beamte“ sowie „Rechtspolitische und rechtliche Überlegungen zur Gesetzesinitiative für ein Whistleblower-Schutzgesetz“ in der Zeitschrift Ausbildung/Prüfung/Fachpraxis (apf) 2013, BW 49 ff., 65 ff., 73 ff.

 

Jan Gutjahr

Diplomverwaltungswirt (FH)/Master of Arts Public Management, Stuttgart
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