01.02.2024

Wehrhafte Demokratie

Bundesverfassungsgericht zum Ausschluss von der Parteienfinanzierung

Wehrhafte Demokratie

Bundesverfassungsgericht zum Ausschluss von der Parteienfinanzierung

Das BVerfG in Karlsruhe wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes und die Durchsetzung
der Grundrechte.
 | © Klaus Eppele - stock.adobe.com
Das BVerfG in Karlsruhe wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes und die Durchsetzung der Grundrechte.  | © Klaus Eppele - stock.adobe.com

Auf Antrag des Deutschen Bundestages, des Bundesrates und der Bundesregierung am 23. Januar 2024 (2 BvB 1/19) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, dass die Partei ‚Die Heimat‘ (vormals NPD) für die Dauer von sechs Jahren von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen ist.

Mit dieser Entscheidung entfallen nach Art. 21 III GG auch steuerliche Begünstigungen dieser Partei. Es ist einem unzweideutigen Hinweis des Verfassungsgerichts auf die Möglichkeiten des Art. 21 III GG im Rahmen des zweiten gescheiterten NPD-Verbotsverfahrens (Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13) zu verdanken, dass das Verfahren überhaupt in Gang gesetzt wurde.

Beim ersten Versuch, ein Parteiverbot gegen die NPD zu erwirken, erkannte das Verfassungsgericht, dass die NPD zwar die Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung betreibe, aber dermaßen stark mit Zuträgern für Geheimdienste und Strafverfolgungsorgane durchsetzt war, dass kaum unterschieden werden konnte, wer ein autonom handelndes Parteimitglied und wer ein extern gesteuerter „agent provocateur“ war.


Verbotsantrag im zweiten Anlauf – nach Abschalten der V-Leute

Beim zweiten Versuch machte man es besser und schaltete die alle V-Leute rechtzeitig ab, um den neuerlichen Verbotsantrag nicht zu gefährden. Das BVerfG honorierte dies und stellte u.a. fest:

„Der Antragsteller hat zur Überzeugung des Gerichts dargetan, dass alle V-Leute auf den Führungsebenen der NPD spätestens zum Zeitpunkt des Bekanntmachens der Absicht, einen Verbotsantrag zu stellen, abgeschaltet waren und eine informationsgewinnende Nachsorge unterblieben ist. Auch ist davon auszugehen, dass die Prozessstrategie der NPD nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln ausgespäht wurde und hinreichende Vorkehrungen getroffen worden sind, um im Rahmen der Beobachtung der NPD hierüber zufällig erlangte Erkenntnisse nicht zu deren Lasten zu verwenden‘.“

Verfassungswidrig, aber nicht verboten

In der Folgebegründung stellte das BVerfG dezidiert fest, dass es sich bei der NPD um eine verfassungswidrige Partei handelt.

Dennoch kam es nicht zu einem Parteiverbot.

Überraschend für viele urteilte das BVerfG, dass dem Tatbestandsmerkmal des ‚darauf Ausgehens‘ der Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung (Art. 21 II GG) notwendigerweise der Rechtsgedanke der sogenannten ‚Potentialität‘ zugrunde liege. Das bedeute, so das BVerfG, dass eine Partei die planvoll erstrebte Durchsetzung ihrer verfassungswidrigen Ziele auch wirklich erreichen können müsse. Organisationsstruktur, Kampagnenfähigkeit und Wirkkraft der Partei in der Gesamtgesellschaft müssten eine potenzielle Erreichung der verfassungswidrigen Ziele wenigstens möglich erscheinen lassen. Dies sei wegen der immer weiter sinkenden Bedeutung der NPD im parlamentarischen und außerparlamentarischen Willensbildungsprozess nicht gegeben. Ergo fehle es der verfassungswidrigen NPD am nötigen Potential zur Durchsetzung ihrer Ziele.

Das Verbotsverfahren war damit erneut gescheitert.

Das Urteil stieß nicht auf ungeteilte Zustimmung. Es schien, als sei dem qualitativen Aspekt der verfassungswidrigen Bestrebungen der quantitative Aspekt der Potentialität zur Seite gestellt worden, der ein Parteiverbot zusätzlich erschwert.


Folgewirkungen der Parteiverbotsurteile

Die extrem hohen Schwellen zu einem Parteiverbot haben in der jüngst aufgeflammten Debatte um ein mögliches Verbotsverfahren der AfD dazu geführt, dass Experten und Politiker unisono von einem solchen Verbotsantrag abraten. Zu groß erscheint die Gefahr des Scheiterns. Ein quasi ‚wasserdichtes‘ Verbotsverfahren weist einen Dschungel an Fallstricken auf, wie das BVerfG hinreichend bewiesen hat. Politische Diskurse sind von der verfassungsmäßigen Idee her mit den Mitteln der gesellschaftlichen Willensbildung und durch Wahlen zu führen. Parteiverbote gehören hingegen zum Werkzeugkasten der ultima ratio, wenn die Regularien des demokratischen Grundkonsenses von einer Partei aktiv bekämpft werden. Für eine solche kämpferisch antidemokratische Haltung müssen allerdings handfeste Kriterien vorliegen.

Im bisher einzigen Parteienfinanzierungsurteil sah das BVerfG kein Problem damit, die aktiv betriebene Verfassungswidrigkeit der Gesamtpartei festzustellen. Das Gericht griff auf die Argumentation aus dem letzten Parteiverbotsverfahren gegen die NPD zurück.

Ausschluss von der Finanzierung, keine Aushöhlung des Demokratieprinzips

Bei Art. 21 III GG (Finanzierungsausschlussverfahren) handele es sich nicht um verfassungswidriges Verfassungsrecht, weil der Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien aus der staatlichen Finanzierung keine Aushöhlung des Demokratieprinzips darstelle. Chancengleichheit der politischen Parteien sei nur Parteien zu gewähren, die ihrerseits demokratische Prinzipien anerkennen und diese nicht beseitigen wollen. Dies sei ein Wesensgrundsatz der wehrhaften Demokratie als Substanz des durch Art. 79 III GG garantierten Demokratieprinzips.

Das BVerfG argumentiert:

‚Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Ausschlusses einer Partei von staatlicher Finanzierung gem. Art. 21 III GG ist durch den weitgehenden Gleichlauf mit den materiellen Voraussetzungen des Parteiverbots gem. Art. 21 II GG geprägt. Sowohl das Parteiverbots- als auch das Finanzierungsausschlussverfahren verlangen eine Betroffenheit des Schutzguts der freiheitlich demokratischen Grundordnung, auf deren Beeinträchtigung oder Beseitigung eine Partei nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger entweder ausgeht (Art. 21 II GG) oder ausgerichtet sein (Art. 21 III GG) muss. Die Voraussetzungen des ‚darauf Ausgehens‘ und des ‚darauf Ausgerichtetseins‘ sind dabei nicht identisch. Ein ‚darauf Ausgerichtetsein‘ setzt ein qualifiziertes und planvolles Handeln zur Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung voraus, ohne dass es auf das Erfordernis der Potentialität ankommt‘.


Programm mit dem Grundsatz der Menschenwürde unvereinbar

In dieser Argumentation gibt das BVerfG wesentliche Entscheidungshilfen für potenzielle weitere Verfahren zum Parteiverbot und zum Ausschluss von der Parteienfinanzierung.

In Bezug auf NPD und die Nachfolgepartei ‚Die Heimat‘ verweist das BVerfG auf seine Kriterien zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Parteien aus seinem Urteil vom 17. Januar 2017. NPD und Nachfolgepartei verträten programmatisch unverändert das mit dem Grundsatz der Menschenwürde unvereinbare Konzept einer ethnisch reinen Volksgemeinschaft, dem Leugnen und Verwehren elementarer Rechtsgleichheit und der Diffamierung und Ausgrenzung Andersdenkender und Andersartiger, sowie deren Ausschluss von der Teilhabe an der politischen Willensbildung. Die Wesensverwandtschaft dieser Programmatik mit den Kernideen des Nationalsozialismus samt einer antisemitischen Grundhaltung sei deutlich vorhanden.

Die postulierte ‚Vier –Säulen-Strategie‘ der Partei (Kampf um die Köpfe, Kampf um die Straße, Kampf um die Parlamente und Kampf um den organisierten Willen) sei Beleg dafür, dass ‚Die Heimat‘ organisiert, aktiv und flächendeckend für die Umsetzung ihres verfassungsfeindlichen Konzeptes unter Überwindung und Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung tätig sei.

Damit sei die Schwelle des bloßen politischen Bekenntnisses zur Ablehnung demokratischer Grundprinzipien überschritten. Vielmehr sei die Kerntätigkeit der Partei auf die Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung ausgerichtet. Ein Ausschluss der staatlichen Finanzierung der Partei für die Dauer von sechs Jahren gem. Art. 21 III GG sei gerechtfertigt.


Die Lehren aus dem Parteienfinanzierungsurteil

Brisanz und Aktualität gewinnt das Urteil durch die jüngsten tagespolitischen Ereignisse.

Fassen wir schlaglichtartig zusammen: Der Verfassungsschutz stuft nach längeren Beobachtungen diverse Landesverbände der AfD als gesichert rechtsextrem ein. Die AfD und einige ihrer Unterorganisationen wird zum Verdachtsfall. Konservative und nationalkonservative Politiker treffen sich mit Rechtsextremen und fabulieren von der Remigration ganzer Bevölkerungsteile. Es kommt zu Massendemonstrationen gegen rechts und gegen die AfD, die im politischen Spektrum immer mehr erstarkt. Gerüchte, Befürchtungen und Parolen wabern durch die Republik. Das Ausland ist besorgt. Wohin driftet die Bundesrepublik Deutschland? Steht ein Dexit und ein flüchtlingsfreies ‚Deutschland zuerst‘ vor der Tür. Wenden wir uns von den USA ab und Russland zu? Gibt es einen ‚Aufstand der Anständigen?

Zeitlicher Kontext des Urteils

Das ist die Gemengelage, in die das Parteifinanzierungsurteil hinein öffentlich wurde.

Von einigen wird recht undifferenziert gefordert, ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD auf den Weg zu bringen. Wenigstens die gesichert rechtsextremen Landesverbände sollte man doch verbieten können. Hier ist Vorsicht geboten, da das BVerfG erneut und deutlich angemahnt hat, dass eine gesicherte Verfassungswidrigkeit einer Partei nachgewiesen werden muss, die es in ihrer Konzeption, Struktur, Ausrichtung und ihren Aktivitäten gezielt darauf anlegt, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beseitigen.

Eine Partei als unappetitlich, fehlgeleitet, inhuman, ewiggestrig oder wirtschaftsschädlich zu apostrophieren, könnte alleine für sich kein Parteiverbot rechtfertigen, selbst wenn alle Anwürfe beweisbar wären. Auch Querverbindungen zu rechtsextremen Kreisen und der Gebrauch der Sprache des Unmenschen durch Spitzenfunktionäre der Partei führen nicht zu einem automatischen Parteiverbot.

Vehement fordern Gegner der AfD, man müsse bestimmten prominenten Vertretern der Partei, wie dem thüringischen AfD-Landeschef Björn Höcke, nach dem bislang unerprobten Art. 18 GG eine Reihe grundlegender Grundrechte entziehen. Er habe sie verwirkt. Schließlich dürfe er im Rahmen der Ausübung der garantierten Meinungsfreiheit als ‚Nazi‘ bezeichnet werden.

Mit dem jüngsten Urteil des BVerfG scheint die Allianz gegen rechts neue Nahrung erhalten zu haben. Kann man nicht der AfD die staatliche Finanzierung entziehen? Verfassungsfeinde müssen nicht auch noch finanziert werden, sagt das BVerfG. Der bayerische Ministerpräsident Söder meldete sich umgehend zu Wort und regte eine Prüfung dieser Möglichkeit an. Schließlich handelt es sich mutmaßlich bei der Streichung der staatlichen Parteienfinanzierung um ein minder aufwändiges Verfahren, verglichen mit einem Parteiverbot.

Diese Auffassung ist allerdings trügerisch. Es muss weiterhin die Verfassungswidrigkeit einer Partei als solches geprüft und bewiesen werden. Abstriche werden nicht gemacht. Lediglich die Potentialität der Partei, diese verfassungswidrigen Ziele auch in der Realität umzusetzen, muss in einem Art. 21 III GG-Verfahren nicht vorliegen. Bezogen auf die AfD wäre diese Potentialität ohnehin zweifelsfrei gegeben.

Fazit: Keine Blaupause hinsichtlich der AfD

Die wirtschaftliche oder organisationsrechtliche ‚Unschädlichmachung‘ einer rechtsgerichteten Partei bleibt über die verfassungsrechtlichen Instrumente eines Verbotsverfahrens oder der Entziehung staatlicher Finanzierung gleichermaßen schwierig und mit hohen Hürden behaftet.

Das Parteienfinanzierungsurteil des BVerfG in Sachen ‚Die Heimat‘ ist keine Blaupause zur Disziplinierung der AfD auf der Überholspur. Im Falle von NPD/Die Heimat wurde die Verfassungswidrigkeit der Parteien mit jahrelangem Aufwand nachgewiesen. Dieser Prüfungsergebnisse hat sich das BVerfG bei seinem Urteil bedient.

Im Falle der AfD müsste aus einem Verdachtsfall erst ein Beweisfall ermittelt werden. Das dürfte Jahre dauern. Ergebnis: offen.

 

Professor Achim Albrecht

Westfälische Hochschule, Gelsenkirchen
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