11.03.2024

Versammlungen auf Bundesautobahnen?

Zum Gesetz über Versammlungen und Aufzüge vom 24.07.1953

Versammlungen auf Bundesautobahnen?

Zum Gesetz über Versammlungen und Aufzüge vom 24.07.1953

Ein Beitrag aus »Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter« | © emmi - Fotolia / RBV

Nach § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW finden auf Bundesautobahnen keine Versammlungen statt. Dieser Beitrag untersucht die Frage, ob dem Land überhaupt die Gesetzgebungskompetenz für diese Regelung zusteht.

I. Einleitung

Ursprünglich bestand für das Versammlungsrecht nach Art. 74 Nr. 3 Alt. 2 GG a. F. eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz, von welcher der Bund durch das Versammlungsgesetz auch Gebrauch machte. Im Rahmen der Föderalismusreform I ging die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht gem. Art. 70 Abs. 1 GG auf die Länder über. Das Bundesversammlungsgesetz kann daher nach Art. 125 a Abs. 1 Satz 2 GG durch Landesrecht ersetzt werden.

Nordrhein-Westfalen hat sich nunmehr ein eigenes Versammlungsgesetz (VersG NRW) gegeben. Sein § 13 Abs. 1 Satz 3 bestimmt, dass auf Bundesautobahnen keine Versammlungen stattfinden. In der Literatur wird die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm diskutiert. Die Prüfung beschränkt sich allerdings auf ihre materielle Vereinbarkeit mit Art. 8 Abs. 1 GG. Ob dem Land überhaupt die Gesetzgebungskompetenz für diese Regelung zusteht, wurde bisher nicht erörtert.


II. Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht

Nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht zur Gesetzgebung, sofern das Grundgesetz dieses nicht dem Bund zuweist. Die Zuweisung der Gesetzgebungskompetenz an den Bund erfolgt entweder durch die Kataloge in Art. 73 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 GG, durch sonstige ausdrückliche Bestimmungen, wie z. B. in Art. 21 Abs. 5 GG, Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG oder durch ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen. Wie bereits in der Einleitung ausgeführt, bestand für das Versammlungsrecht nach Art. 74 Nr. 3 Alt. 2 GG a. F. zunächst eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz. Der kompetenzrechtliche Versammlungsbegriff wurde dabei inhaltsgleich mit dem grundrechtlichen Versammlungsbegriff in Art. 8 Abs. 1 GG verstanden. Versammlungen in diesem Sinne sind „örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung“. Weder aus dem Versammlungsbegriff noch aus der Versammlungsfreiheit folgen Aussagen über die Zulässigkeit bestimmter Versammlungsorte. Aus der Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht folgt damit keine allgemeine Kompetenz zur Öffnung oder zum Ausschluss konkreter Orte als Versammlungsorte. Daher verbleiben dem Bund punktuelle Regelungsbefugnisse mit versammlungsrechtlichem Bezug. Klassisches Beispiel hierfür ist die Bestimmung von Bannmeilen.

III. Gesetzgebungskompetenz für die Bundesautobahnverwaltung

Bundesautobahnen stehen nach Art. 90 Abs. 1 Satz 1 GG im Eigentum des Bundes und werden vom ihm (nunmehr) gemäß Art. 90 Abs. 2 Satz 1 GG selbst verwaltet. Die Verwaltungskompetenz des Bundes wird gem. Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG durch die Gesetzgebungskompetenz beschränkt. Demnach muss dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für das Bundesautobahnwesen zustehen. Der Begriff der Autobahnverwaltung umfasst alle verkehrswegebezogene Maßnahmen wie des Baus, des Betriebs sowie der Er- und Unterhaltung. Hinzu kommen die allgemeinen Eigentümer- und Widmungsbefugnisse für die Bundesautobahnen.

Ob § 1 Abs. 3 FStrG einer Versammlung auf Bundesautobahnen allgemein entgegensteht, braucht vorliegend nicht abschließend beantwortet zu werden. Denn die Widmung der Bundesautobahnen liegt nach Art. 90 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GG allein beim Bund. Die Länder können die Widmung weder beschränken noch erweitern. Daher kann der nordrhein-westfälische Gesetzgeber die Widmung hinsichtlich der Bundesautobahnen nicht regeln.

IV. Einschlägige Gesetzgebungskompetenz

Für § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW kommen demnach grundsätzlich zwei Gesetzgebungskompetenzen in Betracht: Während dem Land die Kompetenz für das Versammlungswesen nach Art. 70 Abs. 1 GG zukommt, wird nach Art. 90 Abs. 2 GG die Kompetenz des Bundes für das Autobahnwesen vorausgesetzt. Nach der Systematik der grundgesetzlichen Kompetenzordnung wird der Kompetenzbereich der Länder grundsätzlich durch die Reichweite der Bundeskompetenzen bestimmt, nicht umgekehrt (Subtraktionsmethode). Eine Zuständigkeitsvermutung der Länder folgt aus Art. 30, 70 Abs. 1 GG nicht, sodass eine länderfreundliche Auslegung und Anwendung der Bundeskompetenzen nicht angezeigt ist.

Die Zuordnung einer bestimmten Regelung zu einer Kompetenznorm geschieht anhand von unmittelbarem Regelungsgegenstand, Normzweck, Wirkung und Adressat der zuzuordnenden Norm sowie der Verfassungstradition. Die Wirkungen eines Gesetzes sind anhand seiner Rechtsfolgen zu bestimmen. Der Normzweck hingegen ergibt sich regelmäßig aus dem objektivierten Willen des Gesetzgebers.

Nach § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW finden auf Bundesautobahnen keine Versammlungen statt. Zwar befindet sich diese Aussage systematisch in § 13 VersG NRW, der sich nach seiner Überschrift und seinem Inhalt mit Beschränkungen, Verboten und Auflösungen einer Versammlung befasst. Entgegen der übrigen Literaturauffassung begründet die Norm gerade kein striktes „Totalverbot“ von Versammlungen auf Bundesautobahnen „ohne jede Abwägungsmöglichkeit im Einzelfall“. Eine solche Auslegung ergibt sich bereits nicht aus der Systematik. Das Verbot einer Versammlung ist in § 13 Abs. 2 VersG NRW geregelt, während der erste Absatz sich lediglich mit Versammlungsbeschränkungen befasst. Aber auch dem Normwortlaut lässt sich ein Verbot nicht entnehmen. Er enthält lediglich die deskriptive Beschreibung, dass auf Autobahnen keine Versammlungen stattfinden. Eine Rechtsfolge ordnet die Bestimmung dagegen nicht selbst an. Wortlaut und Systematik legen die Auslegung nahe, dass der Versammlungsort nach § 13 Abs. 1 Satz 2 VersG NRW zu beschränken ist, da auf Bundesautobahnen gem. § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW Versammlungen nicht stattfinden. Demnach ist § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW keine versammlungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage, sondern eine Widmungsnorm. Die Widmungsbefugnis der Autobahnen obliegt nach Art. 90 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GG allerdings allein dem Bund.

V. Verfassungskonforme Auslegung?

Denkbar ist, § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW verfassungskonform auszulegen. Die Aussage, dass auf Bundesautobahnen keine Versammlungen stattfinden, könnte dahingehend ausgelegt werden, dass auf Bundesautobahnen keine Versammlungen im Sinne des Versammlungsgesetzes stattfinden. Die Folge wäre, dass anstelle des § 13 VersG NRW das allgemeine Gefahrenabwehrrecht anwendbar wäre. Die Gefahrenabwehrbehörden könnten dann nach Maßgabe der Standardmaßnahmen oder der Generalklausel Maßnahmen gegenüber den Versammlungsteilnehmern ergreifen. Die Widmungsbefugnis für die Bundesautobahnen verbliebe dann beim Bund. Die Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts stünde dem nicht entgegen. Sie setzt eine abschließende Regelung des Ver sammlungsrechts voraus. Nimmt man mit § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW Versammlungen auf Bundesautobahnen vom Anwendungsbereich des Gesetzes aus, so wären diese Versammlungen nicht mehr spezialgesetzlich im Versammlungsrecht geregelt, sodass das allgemeine Gefahrenabwehrrecht zur Anwendung käme.

Eine verfassungskonforme Auslegung setzt voraus, dass die Norm mehrere Auslegungen zulässt, von denen mindestens eine verfassungswidrig und mindestens eine verfassungsmäßig und die verfassungsmäßige Auslegung methodisch vertretbar ist. Dabei darf die verfassungskonforme Auslegung dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht widersprechen. Wie oben ausgeführt, enthält der Wortlaut des § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW zwar keine unmittelbare Ermächtigungsgrundlage.

Wie sich aus der Systematik und der Entstehungsgeschichte ergibt, wollte der Gesetzgeber die Autobahnen allgemein als zulässigen Versammlungsort ausschließen. Die Gesetzesbegründung nimmt zu dem Streit Stellung, ob Versammlung auf Autobahnen zulässig sein können. Dort heißt es: „Die Inanspruchnahme der Autobahn für ein solches partikulares Interesse wäre ein übermäßiger Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit und in die negative Versammlungsfreiheit Nichtbetroffener und in die sehr gefahrengeneigte, hochkomplexe und anfällige staatliche Verkehrsinfrastruktur, welche Bestandteil der öffentlichen Sicherheit ist. Die Auffassung, in derartigen Fällen könne im Wege einer Ermessensreduzierung auf null ein Anspruch auf die Autobahn als Örtlichkeit einer Demonstration bestehen […], ist daher ausdrücklich zurückzuweisen.“

Dem Versammlungsgesetzgeber geht es darum, einen materiell- rechtlichen Streit zum Umfang und Grenzen der Autobahnwidmung nach § 1 Abs. 3 FStrG zu entscheiden. Dies bringt er bereits in den ersten Worten des Zitats zum Ausdruck, wo es um die Regelung der „Inanspruchnahme der Autobahn“ geht. Wortlaut, Systematik und die Entstehungsgeschichte ergeben ein klares Widmungsverständnis der Norm. Ihre Umdeutung in eine Konkretisierung des Anwendungsbereichs des Gesetzes durch eine verfassungskonforme Auslegung ist nicht möglich.

VI. Fazit

Die Widmungsbefugnis für die Bundesautobahnen liegt nach Art. 90 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GG allein beim Bund. Der in § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW angelegte Versammlungsausschluss auf Autobahnen unterliegt daher nicht mehr der Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungswesen und ist daher formell verfassungswidrig. Sollte die Norm dem nordrheinwestfälischen Verfassungsgerichtshof zur Prüfung vorgelegt werden, so nimmt er nach einer nicht unumstrittenen Rechtsprechung für sich in Anspruch, die Kompetenzverletzung selbst feststellen zu können.

[…]

Entnommen aus den Nordrhein-Westfälischen Verwaltungsblättern Heft 01/2024, S. 8 ff.

 

Robert Gmeiner (Ass. Jur.)

Wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Universität Bielefeld
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