19.02.2024

Das „Oberprex“-Urteil des BVerwG und seine Folgen

Zur Reparaturbedürftigkeit des Vereinsverbotsverfahrens

Das „Oberprex“-Urteil des BVerwG und seine Folgen

Zur Reparaturbedürftigkeit des Vereinsverbotsverfahrens

Ein Beitrag aus »Bayerische Verwaltungsblätter« | © emmi - Fotolia / RBV
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Vereinsverbote gehören zu den wohl schlagkräftigsten Instrumenten der „wehrhaften Demokratie“, von denen die zuständigen Behörden in Bund und Ländern auch in gewisser Regelmäßigkeit Gebrauch machen. Der Gesetzessystematik des § 3 Abs. 1 Satz 2 VereinsG folgend werden Verbotsverfügungen üblicherweise mit einem Dreiklang an Verfügungen verbunden: Der Beschlagnahme und Einziehung des Vereinsvermögens (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VereinsG), von Forderungen Dritter gegen den Verein, wenn sie im Zusammenhang mit der Förderung der verfassungswidrigen Bestrebungen des Vereins stehen oder begründet wurden, um das Vermögen des Vereins zu mindern (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 i. V. m. § 12 Abs. 1 Satz 1 VereinsG), sowie von Sachen Dritter, soweit der Berechtigte durch die Überlassung der Sachen an den Verein dessen verfassungswidrige Bestrebungen vorsätzlich gefördert hat oder die Sachen zur Förderung dieser Bestrebungen bestimmt sind (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VereinsG). Darüber hinaus wird der Vollzug der Verbotsverfügung regelmäßig mit (weiteren) Ermittlungsmaßnahmen nach § 4 VereinsG verbunden, in deren Rahmen Gegenstände beschlagnahmt werden, die als Beweismittel von Bedeutung sein können (§ 4 Abs. 4 Satz 1 VereinsG). Je nach Rechtsgrundlage ist die Beschlagnahme oder Sicherstellung von Gegenständen an ganz unterschiedliche Anforderungen in tatsächlicher und verfahrensrechtlicher Hinsicht geknüpft (dazu I.). In einer aktuellen Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) nun erstmals Stellung zur schwierigen Abgrenzung des Begriffs des Vereinsvermögens in § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VereinsG vom Begriff der Sachen Dritter im Sinn des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VereinsG genommen (dazu II.). Dies wird für die Vollzugspraxis nicht ohne Folgen bleiben (dazu III.).

I. Voraussetzungen der Beschlagnahme von Gegenständen im Vereinsverbotsverfahren

1. Vermögensbeschlagnahme

Im Rahmen des Vollzugs eines Vereinsverbots aufgefundene Vermögensgegenstände mit Bezug zum verbotenen Verein unterliegen der Beschlagnahme und Einziehung nach § 3 Abs. 1 Satz 2 VereinsG, wenn es sich entweder um Vereinsvermögen (Nr. 1) oder um Sachen Dritter im Sinne der Nr. 3 handelt.

a) Vereinsvermögen


Zum Vereinsvermögen im Sinne von Nr. 1 gehören jedenfalls sämtliche (beweglichen oder unbeweglichen) Sachen im Eigentum des Vereins (zivilrechtliches Verständnis). Darüber hinaus wird in der Rechtsprechung überwiegend die Auffassung vertreten, dass unter den Begriff in einem weiten wirtschaftlichen Sinne auch alle Gegenstände gefasst werden können, deren sich der Verein während seines rechtlichen Bestehens zur Erreichung seiner Zwecke bedient hat oder bedienen wollte und deren Einsatz im Wesentlichen von seinem Willen oder dem Willen der Vereinsführung abhing.

b) Sachen Dritter

Durch die weite Auslegung des Vereinsvermögensbegriffs entstehen jedoch Abgrenzungsschwierigkeiten zum Begriff der Sachen Dritter im Sinne des § 3Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VereinsG: Denn seit der Neufassung des § 3 Abs. 1 Satz 2 VereinsG durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 ermöglicht auch § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VereinsG eine Beschlagnahme von Sachen, die nicht im Eigentum des Vereins, sondern eines Dritten stehen, wobei sich die Gesetzgebungsmaterialien nicht ausdrücklich dazu verhalten, ob „Dritter“ in diesem Sinn auch Vereinsmitglieder oder nur Nicht-Mitglieder der Vereinigung sein können.

Während die Beschlagnahme von Vereinsvermögen nach dem Gesetzeswortlaut in tatbestandlicher Hinsicht keinen weiteren Voraussetzungen unterliegt, ist die Beschlagnahme von Sachen Dritter nur möglich, soweit der Berechtigte durch die Überlassung der Sache an den Verein dessen verfassungswidrige Bestrebungen vorsätzlich gefördert hat (Nr. 3 Alt. 1) oder die Sache zur Förderung dieser Bestrebungen bestimmt ist (Nr. 3 Alt. 2). Die Abgrenzung der beiden Fallgruppen richtet sich nach dem Gewahrsam an der zu beschlagnahmenden Sache: Während erstgenannte Alternative voraussetzt, dass dem Verein durch den Dritten der Gewahrsam an der Sache übertragen worden ist, umfasst die zweitgenannte Alternative auch Sachen Dritter in deren eigenem Gewahrsam, sofern diese zur Förderung der verfassungswidrigen Bestrebungen des Vereins bestimmt sind. Wann eine Sache zur Förderung der Vereinsbestrebungen „bestimmt“ ist, wird in der Literatur uneinheitlich beantwortet: Nach einer Ansicht ist die „Bestimmung“ der Sachen objektiv zu verstehen, was lediglich voraussetze, dass die Sache ihrem bestimmungsgemäßem Gebrauch nach – jedenfalls auch – der Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu dienen geeignet ist. Andere verlangen dagegen neben der objektiven Eignung auch eine subjektive Bestimmung der Sache zur Förderung der verfassungsfeindlichen Bestrebungen.

Noch schwerer ist die Frage zu beantworten, wann der Verein Gewahrsam an der zu beschlagnahmenden Sache hat: Versteht man den Begriff in einem strafrechtlichen Sinne, der maßgeblich auf die (von einem natürlichen Herrschaftswillen getragene) tatsächliche Sachherrschaft über die Sache abstellt, könnte eine Sache niemals im Vereinsgewahrsam stehen, weil Gewahrsam im strafrechtlichen Sinn nur natürliche Personen ausüben können. Rechtsprechung und Literatur stellen zwar (rechtssystematisch unsauber) ebenfalls auf das tatsächliche Herrschaftsverhältnis zur Sache ab, gehen jedoch gleichzeitig in Anlehnung an das zivilrechtliche Verständnis des Begriffs des „unmittelbaren Besitzes“ davon aus, dass nur Mitglieder des Vereinsvorstands, nicht aber einfache Vereinsmitglieder dem Verein den Gewahrsam an einer in ihrem Besitz befindlichen Sache vermitteln können. Der Gesetzgeber wollte dagegen unter Gegenständen im Vereinsgewahrsam vor allem solche verstanden wissen, die vom Verein angemietet oder gepachtet wurden, und stellte darüber hinaus fest, dass „die Organe des aufgelösten Vereins praktisch keinen Gewahrsam mehr ausüben können“.

c) Erfordernis eines Sicherstellungsbescheids

Ob eine Sache im Vereinsgewahrsam oder eines Dritten steht, ist aber nicht nur für die Unterscheidung der beiden Tatbestandsalternativen des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VereinsG von Bedeutung, sondern wird vor allem in verfahrensrechtlicher Hinsicht relevant: Denn anders als Sachen im Vereinsgewahrsam dürfen Sachen im Gewahrsam Dritter nach § 10 Abs. 2 Satz 1 VereinsG nur „aufgrund besonderer Anordnung“ (Sicherstellungsbescheid, vgl. § 4 Satz 1 VereinsG-Durchführungsverordnung (VereinsGDV)) sichergestellt werden. Dieser muss schriftlich abgefasst (§ 4 Satz 2 VereinsGDV), begründet (§ 4 Satz 3 VereinsGDV) und noch vor der tatsächlichen Sicherstellung der Sache bekannt gegeben werden. Nach der noch die alte Rechtslage repräsentierenden Formulierung des § 4 Satz 3 VereinsGDV ist in der schriftlichen Begründung darzulegen, dass die sichergestellte Sache zum Vereinsvermögen gehört. Dies kann allerdings nur für Fälle gelten, in denen die Sachen tatsächlich dem Vereinsvermögen nach § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VereinsG und nicht dem Begriff der „Sachen Dritter“ im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VereinsG zuzuordnen sind. In der Praxis gerät das Begründungserfordernis regelmäßig in Konflikt mit dem Erfordernis der Aushändigung des Sicherstellungsbescheids bereits vor der Sicherstellung der Sache: Denn eine substanziierte Begründung der Zugehörigkeit der Sache zum Vereinsvermögen bzw. der Beschlagnahmevoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VereinsG gelingt nur anhand einer näheren Beschreibung des sicherzustellenden Gegenstands sowie der Auffindesituation, die aber typischerweise erst nach bzw. bei dessen Ingewahrsamnahme möglich ist. In der Praxis behilft man sich durch das Aushändigen von abstrakt vorformulierten Sicherstellungsbescheiden, die durch nachträglich angefertigte Sicherstellungsverzeichnisse konkretisiert werden.

2. Beweismittelbeschlagnahme

Die von der Vermögensbeschlagnahme nach § 10 i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 2 VereinsG zu unterscheidende Beweismittelbeschlagnahme nach § 4 Abs. 4 Satz 1 VereinsG ermöglicht die Beschlagnahme von Gegenständen, die als Beweismittel im Vereinsverbotsverfahren von Bedeutung sein können. Anders als bei der Vermögensbeschlagnahme spielt hier die Frage, wer Eigentum oder Gewahrsam an der zu beschlagnahmenden Sache hat, keine Rolle. Die Beweismittelbeschlagnahme kommt auch nach Erlass der Verbotsverfügung noch in Betracht, etwa um weitere Beweismittel für einen etwaigen Anfechtungsprozess zu gewinnen. Auch in der Vollzugspraxis wird daher die Durchsuchung nach § 10 Abs. 2 VereinsG zur Durchsetzung der Vermögensbeschlagnahme häufig gleichzeitig mit der Durchsuchung nach § 4 Abs. 2 VereinsG zur Auffindung weiterer Beweismittel in demselben Durchsuchungsbeschluss angeordnet.

Während die Beschlagnahme von Vereinsvermögen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VereinsG) und Sachen Dritter im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VereinsG durch die Vereinsverbotsbehörde selbst ausgesprochen wird, bedarf die Beschlagnahme von Gegenständen, die als Beweismittel von Bedeutung sein können (§ 4 Abs. 4 Satz 1 VereinsG), der richterlichen Anordnung. Da der Vollzug von Vereinsverboten wie auch der Ermittlungsmaßnahmen im Vorfeld üblicherweise in einer konzertierten Aktion in den frühen Morgenstunden erfolgt, bei den für die Anordnung zuständigen Verwaltungsgerichten (§ 4 Abs. 2 Satz 1 VereinsG) aber (anders als bei den ordentlichen Gerichten) keine richterlichen Bereitschaftsdienste eingerichtet sind, wird in der Vollzugspraxis die richterliche Anordnung der Beschlagnahme von Beweismitteln von den Vollzugsbehörden in der Regel bereits im Vorfeld der Durchsuchung gemeinsam mit der richterlichen Durchsuchungsanordnung (§ 4 Abs. 2 Satz 1 VereinsG) beantragt. Dabei können die Anforderungen, die die Rechtsprechung an die hinreichend deutliche Bezeichnung der für eine Beschlagnahme in Betracht kommenden Gegenständen stellt, mitunter zu Problemen führen, da eine exakte Beschreibung der als Beweismittel in Betracht kommenden Gegenstände auch hier typischerweise erst nach deren Ingewahrsamnahme möglich ist und sich im Vorfeld der Durchsuchung häufig nur erahnen lässt, welche Gegenstände konkret bei dem Betroffenen aufgefunden werden.

3. Konsequenzen der Unterscheidung

Die diffizile Unterscheidung der Vermögensbeschlagnahme nach § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder 3 sowie der Beweismittelbeschlagnahme nach § 4 Abs. 4 Satz 1 VereinsG hat für die vollziehende Behörde handfeste Konsequenzen: Denn je nachdem, auf welcher Rechtsgrundlage die Beschlagnahme oder Sicherstellung des Gegenstands erfolgt, muss sie entweder eine vorherige richterliche Anordnung einholen (§ 4 Abs. 2 Satz 1 VereinsG) oder kann die Beschlagnahme selbst anordnen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 VereinsG), hat sie dem Betroffenen vor dem Vollzug einen Sicherstellungsbescheid für die in seinem Gewahrsam befindlichen Sachen auszuhändigen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 VereinsG i. V. m. § 4 VereinsGDV) oder nicht (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 VereinsG), muss sie die subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VereinsG nachweisen oder es genügt der Nachweis der objektiven Kriterien für die Zuordnung zum Vereinsvermögen nach § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VereinsG. Für die Vollzugsbehörden sind die beschriebenen Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Auslegung der Begrifflichkeiten daher in hohem Maße unbefriedigend, zumal eine rechtssichere Einordnung des sichergestellten Gegenstands als Beweismittel, Vereinsvermögen oder Sache Dritter im Sinn des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VereinsG oft erst im Nachhinein nach weiteren Sachverhaltsermittlungen gelingt und am Vollzugstag aufgrund der großen Menge der sicherzustellenden Asservate regelmäßig fachfremde Hilfskräfte zur Unterstützung herangezogen werden müssen.

Den vollständigen Beitrag entnehmen Sie den Bayerischen Verwaltungsblättern Heft 01/2024, S. 13 ff.

 

Kathrin Aicher

Oberregierungsrätin, Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration
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