09.02.2021

VGH Baden-Württemberg kippt nächtliche Ausgangbeschränkungen

Erfolgreicher Eilantrag gegen Corona-Verordnung

VGH Baden-Württemberg kippt nächtliche Ausgangbeschränkungen

Erfolgreicher Eilantrag gegen Corona-Verordnung

Ein Beitrag aus »Publicus – Schwerpunkt Corona« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Publicus – Schwerpunkt Corona« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

In einem aktuellen Eilbeschluss kippte der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg am vergangenen Freitag die für Baden-Württemberg seit Ende letzten Jahres geltenden nächtlichen Ausgangsbeschränkungen. Die Richter setzten die entsprechende Vorschrift in der Corona-Verordnung mit Wirkung ab dem 11. Februar, 5 Uhr außer Vollzug. Die Landesregierung habe die Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) nicht ausreichend beachtet, so der VGH (Az. 1 S 321/21).

Ausgangssperre von 20 Uhr bis 5 Uhr

Die Landesregierung in Stuttgart hatte in ihrer Corona-Verordnung (§ 1c) eine „erweiterte Ausgangsbeschränkung“ für die Zeit von 20 Uhr bis 5 Uhr festgelegt; sie gestattet den Aufenthalt außerhalb der Wohnung nur bei Vorliegen triftiger, in der Verordnung aufgelisteter Gründe. Die gesetzliche Ermächtigung dafür liefert das Infektionsschutzgesetz (IfSG); sie erlaubt entsprechende Gebote bzw. Verbote „zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“. Wie jetzt der VGH entschied, wurde den gesetzlichen Voraussetzungen des IfSG aber „zuletzt nicht mehr entsprochen“.

Nachteile in der Pandemiebekämpfung bei Unterlassen von Schutzmaßnahmen

Die Richter bemängelten zunächst einen Verstoß gegen § 28a Absatz 2 i.V.m. Absatz 3. Dort ist geregelt, dass die Anordnung der möglichen Schutzmaßnahmen nur zulässig ist, „soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erheblich gefährdet wäre“.


Wie der VGH in seiner Pressemitteilung ausführt, sind Ausgangsbeschränkungen daher nicht bereits dann zulässig, wenn ihr Unterlassen zu irgendwelchen Nachteilen in der Pandemiebekämpfung führt, sondern sie kommen nur dann in Betracht, „wenn der Verzicht auf Ausgangsbeschränkungen auch unter Berücksichtigung aller anderen ergriffenen Maßnahmen zu einer wesentlichen Verschlechterung des Infektionsgeschehens führt“.

Differenziertes, gestuftes Vorgehen des Verordnungsgebers

Vor allem verwies der VGH auf § 28a Absatz 3 IfSG, der die Problematik der regionalen Unterschiede des Infektionsgeschehens betrifft. Der VGH fasste die Zielrichtung der Regelung wie folgt zusammen: Hält ein Verordnungsgeber Ausgangsbeschränkungen dem Grunde nach für erforderlich, muss er auch eingehend prüfen, ob diese landesweit angeordnet werden müssen oder ob insoweit differenziertere Regelungen in Betracht kommen.

Mit dieser Regelung habe der Bundesgesetzgeber „die Grundentscheidung getroffen, dass bei dem Erlass von Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie grundsätzlich ein differenziertes, gestuftes Vorgehen geboten ist, das sich an dem tatsächlichen regionalen Infektionsgeschehen orientieren soll“. Dabei hatten die Richter insbesondere Satz 10 des § 28a Abs. 3 IfSG im Blick. Danach sind „bei einer landesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen landesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben“. Diesen Anforderungen, so der VGH, habe die Landesregierung für die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen zuletzt – anders als Ende Dezember und Mitte Januar, als Eilanträge gegen die nächtlichen Ausgangbeschränkungen erfolglos blieben – nicht mehr entsprochen. Um dies zu verdeutlichen, zeigten sie das Pandemiegeschehen ab Mitte Dezember 2020 auf:

Aktuell nur noch fünf Kreise mit einer Inzidenz von mehr als 100

Wie die Richter darlegen, war Mitte Dezember 2020 in Baden-Württemberg auf damals bereits hohem Niveau wieder ein Anstieg der übermittelten Fallzahlen zu beobachten. Es habe keine Land- und Stadtkreise mit Inzidenzwerten unter 100 gegeben, diese hätten vielmehr durchweg in den Bereichen zwischen 101 und 200 (25 Kreise) oder über 200 (19 Kreise) gelegen, so der VGH. Ab Weihnachten gab es bis zum 20. Januar ein Abfall der Fallzahlen. Die 7-Tages-Inzidenz sank bis dahin auf 98,9. Stadt- und Landkreise mit Inzidenzwerten über 200 gab es nicht mehr.

Seither, so die Richter weiter, veränderte sich das Pandemiegeschehen im Land „in beachtlichem Umfang“ – nur noch 5 Kreise wiesen 7-Tages-Inzidenzen von mehr als 100 auf (Stand 4. Februar, 16 Uhr), 26 Kreise Werte von 51 bis 100 und 4 Kreise unter 35. Fazit: Im Vergleich zu Mitte Dezember und auch im Vergleich zu dem Stand vor zwei Wochen im Januar gibt es bei insgesamt fallenden Zahlen ein regional erheblich differenzierteres Bild. Dabei konnte der VGH auch auf eine vom Landesgesundheitsamt dazu erstellte Übersichtskarte verweisen. Diese zeige, dass die Kreise mit vergleichsweise niedrigen Werten inzwischen nicht etwa bloße „Inseln“, sondern teils zusammenhängende Regionen innerhalb des Landes bilden.

Allgemeinverfügungen statt Rechtsverordnung

Die Landesregierung hatte vor allem argumentiert, eine „verfrühte“ Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen berge die Gefahr eines erneuten exponentiellen Wachstums. Dies war dem VGH zu wenig: gemessen an den Anforderungen des § 28a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 IfSG bewerteten der VGH dieses Vorbringen als „zu pauschal und undifferenziert“.

Der Landesregierung warfen die Richter vor allem vor, sie habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass Bürger, die in Kreisen mit besonders hohen Inzidenzzahlen wohnen, in denen dann beispielsweise nächtliche Ausgangsbeschränkungen nochmals gezielt durch kommunale (Allgemein-)Verfügungen angeordnet werden könnten, diese Kreise aufgrund der dann regionalen Regelung nicht verlassen dürften. Schon deshalb, so der VGH, wäre bei etwaigen kommunalen Ausgangsbeschränkungen nicht mit massenhaften Ausweichtendenzen zu rechnen.

Die Landesregierung zeigte sich inzwischen bereits einsichtig; weitreichende Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen will sie jetzt nur noch für Corona-Hotspots ergreifen.

 
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