15.05.2011

Vertrauen ist gut, Kontrolle besser

Aktuelle Entwicklungen des Lebensmittelrechts

Vertrauen ist gut, Kontrolle besser

Aktuelle Entwicklungen des Lebensmittelrechts

Kaum ein Wirtschaftsbereich ist stärker reguliert als das Inverkehrbringen von Lebensmitteln. | © Gina Sanders - Fotolia
Kaum ein Wirtschaftsbereich ist stärker reguliert als das Inverkehrbringen von Lebensmitteln. | © Gina Sanders - Fotolia

Das Lebensmittelrecht soll Verbraucher vor unsicheren und täuschend beworbenen Lebensmitteln schützen. Auf diesen Schutz sollen Verbraucher nicht erst seit den jüngsten Dioxinvorfällen vertrauen können. Dazu haben der nationale und der europäische Gesetzgeber eine Vielzahl allgemeiner sowie produktbezogener Vorschriften erlassen. Heute gehört das Inverkehrbringen von Lebensmitteln zu den Wirtschaftsbereichen, die am stärksten reguliert sind. Die Regulierung erfolgt vor allem durch Richtlinien und Verordnungen der EU. Lebensmittelrecht ist in weiten Teilen Europarecht, die zahlreichen nationalen Gesetze müssen stets auch richtlinienkonform ausgelegt werden.

Ausgangspunkt Lebensmittel-Basis-Verordnung (EG) Nr.178/2002

Egal aus welchem Blickwinkel man das Lebensmittelrecht betrachtet: Regelungskern ist der Gesundheitsschutz. Das wird deutlich aus den grundlegenden Vorschriften der sogenannten Basis-Verordnung (EG) Nr.178/2002. Die Rahmenregelung des europäischen Lebensmittelrechts sollte ursprünglich als Richtlinie veröffentlicht werden, die von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen gewesen wäre. In den Beratungsprozess platzten dann mehrere medial viel beachtete Lebensmittelkrisen: u. a. BSE-Rindfleisch aus Großbritannien und Dioxin-Eier aus Belgien. Die EU reagierte auf diese grenzüberschreitenden Vorfälle mit einer deutlich verstärkten Harmonisierung des Lebensmittelrechts. Aus der geplanten Richtlinie wurde die unmittelbar anwendbare Basis-Verordnung (EG) Nr.178/2002, die heute Grundlage vieler lebensmittelrechtlicher Regelungen ist. Die Verordnung erweitert auch den Rechtsrahmen des Lebensmittelrechts, indem – nach dem Prinzip „vom Acker bis zum Teller“ – das Futtermittelrecht einbezogen wurde.

Die Basis-Verordnung enthält Regelungen zu allen Zentralbereichen des Lebensmittelrechts. Das ist zunächst die Definition des Lebensmittelbegriffs in Art.2, insbesondere mit Blick auf angrenzende Produktgruppen wie z. B. Arzneimittel. Die Abgrenzung wirft in der Praxis immer wieder schwierige Probleme auf, etwa bei der Vermarktung von „arzneimittelnahen“ Erzeugnissen wie Nahrungsergänzungsmitteln und ergänzenden bilanzierten Diäten.


Grundsatz der Lebensmittelsicherheit und Verantwortlichkeiten

Herzstück der Basis-Verordnung ist der Grundsatz der Lebensmittelsicherheit in Art.14, der auf einer wissenschaftlichen Risikobetrachtung fußen soll. Danach gelten Lebensmittel als nicht sicher, wenn sie gesundheitsschädlich oder für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind. Letzteres soll nach der Rechtsprechung z. B. der Fall sein, wenn Obst oder Gemüse verschimmelt oder stark verschmutzt ist, ohne dadurch schon die Gesundheit zu gefährden. Unsichere Lebensmittel dürfen nicht in den Verkehr gebracht werden. Das kann nach dem Vorsorgeprinzip in Art.7 Basis-Verordnung bereits dann der Fall sein, wenn die Möglichkeit gesundheitsschädlicher Auswirkungen festgestellt wird.

Eine weitere Grundsatzentscheidung für das Lebensmittelrecht hat der europäische Gesetzgeber hinsichtlich der Verantwortlichkeiten getroffen. Verantwortlich für die Lebensmittelsicherheit sind nach der Systematik in Art.17 und Art.19 Basis-Verordnung die Lebensmittelunternehmer. Die zuständigen Behörden überwachen deren Eigenkontrolle. Dieser Grundgedanke setzt sich fort in den detaillierten Hygienevorschriften der Verordnungen (EG) Nr.852, 853 und 854/2004 sowie in der Verordnung (EG) Nr.882/2004 zur amtlichen Überwachung. Die Lebensmittelunternehmer müssen in ihren Betrieben ein risikoorientiertes Kontrollsystem (sogenanntes HACCP-System) einführen, dessen Funktionieren die Behörden überwachen.

Alleingänge des deutschen Gesetzgebers

Der deutsche Gesetzgeber hat trotz des hohen Harmonisierungsgrades des EU-Rechts mit dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) an einem eigenständigen nationalen Regelungswerk festgehalten. Dahinter stand offensichtlich der – unzutreffende – Gedanke, dass die europarechtlichen Vorschriften das traditionell hohe Verbrauchschutzniveau des deutschen Lebensmittelrechts nicht ausreichend gewährleisten. Derartige Fehlvorstellungen werden offenbar auch durch die emotionale Diskussion von Lebensmittelthemen in der deutschen Öffentlichkeit geprägt.

Aktuelles Beispiel: Meldepflichten nach §44 Abs.4a und §44a LFGB

Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Aktionismus des deutschen Gesetzgebers als Reaktion auf die jüngsten Dioxinvorfälle. Im Eiltempo sollen im nationalen Alleingang über §44 Abs.4a und §44a LFGB neue Meldepflichten eingeführt werden, die nach dem Motto „Big Brother is watching you“ private Prüflabore und Lebensmittelunternehmer zwingen, praktisch sämtliche Laboranalysen von Lebensmitteln und Futtermitteln an die zuständigen Überwachungsbehörden weiterzugeben. Noch völlig unklar ist indes, wie dieses Vorhaben in der Praxis umgesetzt werden soll. Sind die Überwachungsbehörden darauf eingestellt, weitgehend ungefilterte Analysedaten tausender Lebensmittelunternehmen zu bearbeiten und zu archivieren? In rechtlich bedenklicher Weise wird durch die geplanten Meldepflichten zudem ein bislang privater Bereich beseitigt, in dem Lebensmittelunternehmer – am Maßstab des Gesetzes orientiert – eigene Entscheidungen treffen konnten, ohne staatliche Intervention befürchten zu müssen. Das ist eine klare Umkehr von dem europarechtlich vorgegebenen Grundgedanken, dass die Lebensmittelunternehmer eigenverantwortlich die Sicherheit ihrer Lebensmittel gewährleisten. Für die betroffenen Behörden werden sich hingegen neue Aufgaben ergeben, ohne dass sie dafür ausreichende Vorbereitungszeit hatten oder entsprechend ausgestattet werden.

Aber auch der europäische Gesetzgeber leistet mit seinen Reformbestrebungen im Lebensmittelrecht dem Verbotsprinzip weiter Vorschub und verdrängt damit das traditionelle Missbrauchsprinzip. Dazu zählen – neben dem bürokratischen Ungetüm der „Claims“-Verordnung (EG) Nr.1924/2006 – die derzeit hitzig diskutierten Vorschriften für Zulassungsverfahren bei „neuartigen Lebensmitteln“, noch in der Verordnung (EG) Nr.258/1997 geregelt, und die Neuausrichtung des Rechts der Lebensmitteletikettierung. Anforderungen an die Kennzeichnung von Lebensmitteln sollen durch die heftig umstrittene Lebensmittelinformationsverordnung verschärft werden, z. B. hinsichtlich einer verbindlichen Herkunftskennzeichnung und spezifischer Mindestschriftgrößen. Vom Tisch scheint dagegen die „Lebensmittelampel“, mit der Lebensmittel je nach Nährwert in „gut“ oder „schlecht“ aufgeteilt werden sollten.

Will man Lebensmittelunternehmern vertrauen oder misstrauen?

Die Politik reagiert auf nicht hinnehmbare Einzelfälle wie den jüngsten Dioxinvorfall reflexhaft mit neuen allgemeinen Regelungen. Dadurch sollen Verstöße Einzelner verhindert werden, die meist mit krimineller Energie vorgehen. Gerade auf den Druck vieler Medien hin nimmt der Gesetzgeber die Lebensmittelwirtschaft „an die kurze Leine“. Gesetze sind billiger als Kontrolleure. Misstrauen scheint das gegenseitige Vertrauen immer mehr zu verdrängen. Tatsächlich zeigt die praktische Anwendung des Systems der unternehmerischen Eigenverantwortung, dass die Aufteilung der Verantwortlichkeiten in der Basis-Verordnung sinnvoll geregelt ist. Die meisten Marktteilnehmer stehen mit der amtlichen Lebensmittelüberwachung in einem vertrauensvollen Kooperationsverhältnis; die Überwachung funktioniert. Allerdings müssen die zuständigen Behörden dafür finanziell und personell ausreichend ausgestattet werden. Denn auch im Lebensmittelrecht gilt der Grundsatz: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“.

 

Dr. Tobias Teufer

LL.M. (UCL), Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, Partner der Sozietät KROHN Rechtsanwälte, Hamburg
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