15.05.2011

Untote Vorschriften im EStG

Folgen eines formellen Verfassungsverstoßes

Untote Vorschriften im EStG

Folgen eines formellen Verfassungsverstoßes

Trotz Verfassungswidrigkeit fand das Koch-Steinbrück-Papier aus dem Jahr 2003 Anwendung. | © Harald Soehngen - Fotolia
Trotz Verfassungswidrigkeit fand das Koch-Steinbrück-Papier aus dem Jahr 2003 Anwendung. | © Harald Soehngen - Fotolia

Im BGBl. I 2011 Nr.15 hat sich der Gesetzgeber bei der Formulierung von Artikel1 Abs.1, Buchst.a) des Gesetzes zur bestätigenden Regelung verschiedener steuerlicher und verkehrsrechtlicher Vorschriften des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 etwas Nettes ausgedacht. Er schrieb zu §3 EStG: „Nummer34 in der am 31.Dezember 2003 geltenden Fassung wird aufgehoben.“

§3 Nr.34 gibt es aktuell natürlich nur in einer gültigen Fassung; die am 31. 12. 2003 gültige Fassung war laut Haushaltsbegleitgesetz (HBeglG) 2004 bereits mit Ablauf des 31. 12. 2003 außer Kraft getreten. Die neue Inkraftsetzungsvorschrift ist aber eindeutig und nennt den Tag nach der Verkündung, also 12. 04. 2011, als Datum. Die Frage drängt sich auf: Hat nun der Gesetzgeber des Jahres 2011 tatsächlich eine Rückwirkung zum 01. 01. 2004 beabsichtigt? Weiterhin erscheinen fast alle Änderungsanweisungen dieses Gesetzes obsolet, weil sie den geltenden Wortlaut gar nicht ändern. Was hat es damit auf sich?

Normative Kraft des Faktischen

Das neue Gesetz (BGBl. I 2011 S. 554) versteht man nur vor dem Hintergrund der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung vom 08. 12. 2009 (Az. 2 BvR 758/07). Die parteipolitische Mehrheit hatte Ende 2003 etliche Änderungen des HBeglG 2004 – nichtöffentlich – als Vermittlungsausschuss beschlossen, anstatt den Bundestag – öffentlich – selbst tätig werden zu lassen, wie es im Grundgesetz steht. Das war verfassungswidrig. Die Herren Koch und Steinbrück hatten es „durchgezogen“, inzwischen tragen sie keine nennenswerte politische Verantwortung mehr, aber nicht deshalb. Das Bundesverfassungsgericht gab sich inkonsequent und hat den verfassungswidrigen Zustand von 2004 bis 2011 rückwirkend geduldet, man nennt dies wohl die normative Kraft des Faktischen. Pointiert geschrieben ist die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts dazu. Sie enthält die Sätze: „Die Einbringung des Koch/Steinbrück-Papiers in das parlamentarische Verfahren des Deutschen Bundestages und seine Behandlung in dessen Ausschüssen sowie im Plenum eröffneten dem Vermittlungsausschuss nicht die Kompetenz, eine Änderung des Personenbeförderungsgesetzes in den Vermittlungsvorschlag aufzunehmen. (…) Der gesamte Verfahrensgang war vielmehr erkennbar darauf ausgerichtet, unter Vermeidung der Öffentlichkeit der parlamentarischen Debatte und einer hinreichenden Information der Mitglieder des Deutschen Bundestages den von vornherein als notwendig erkannten politischen Kompromiss erst im Vermittlungsausschuss herbeizuführen. (…) Aus der Unvereinbarkeit (…) mit dem Grundgesetz folgt nicht die Nichtigkeit der Norm, weil sonst dem gesetzgeberischen Konzept des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 rückwirkend die Grundlage entzogen würde. Um dem Interesse verlässlicher Finanz- und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs für weitgehend schon abgeschlossene Zeiträume Rechnung zu tragen, bleibt die Norm daher vorläufig anwendbar. Die weitere Anwendbarkeit endet jedoch mit einer Neuregelung, spätestens am 30. 06. 2011.“


Geglückte Politposse

Das heißt, man musste die noch geltenden Reste des HBeglG 2004 (BGBl. I 2003, S.3076) nochmals beschließen und in Kraft setzen, bevor der Juni 2011 endet. Deshalb muss auch die inzwischen nur noch „auflösend befristet aufgehobene“ Nummer34 des §3 EStG in der Fassung von 2003 nochmals richtig außer Kraft treten, damit sie nicht als Zombie wieder auflebt und sich neben die bereits bestehende „neue“ Nummer34 drängt. Der formelle Verfassungsfehler betraf über den entschiedenen Fall hinaus alle Normen, die durch die sogenannten Koch-Steinbrück-Liste in das Gesetzgebungsverfahren zum HBeglG 2004 eingeführt wurden und seit dessen Verabschiedung bis heute nicht nochmals auf Grund von Neuregelung, Abschaffung oder Bestätigung Gegenstand eines Gesetzgebungsverfahrens waren. Mit dem Gesetz vom 05. 04. 2011 wurden deshalb diese überlebenden Regelungen aus der inkriminierten Liste durch eine inhaltsgleiche Neufassung bestätigt (BT-Drs. 17/3632). Folglich ändert sich am Gesetzestext inhaltlich nichts, obwohl drei Seiten Änderungsanweisungen im Bundesgesetzblatt stehen. Welch hübscher juristischer Abschluss einer geglückten Politposse!

 

Dr. Alexander Konzelmann

Leiter der Boorberg Rechtsdatenbanken RDB, Stuttgart
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