15.05.2011

Schluss mit Ausbeutung und Kinderarbeit

Faire Beschaffung in der kommunalen Vergabepraxis

Schluss mit Ausbeutung und Kinderarbeit

Faire Beschaffung in der kommunalen Vergabepraxis

Natursteine: Oft stammen sie aus Steinbrüchen von Entwicklungsländern, in denen Kinderarbeit Alltag ist. | © majoka - Fotolia
Natursteine: Oft stammen sie aus Steinbrüchen von Entwicklungsländern, in denen Kinderarbeit Alltag ist. | © majoka - Fotolia

Viele Kommunen haben sich in den letzten Jahren mit dem Thema „fair trade“ und der Frage befasst, wie soziale Belange im öffentlichen Einkauf berücksichtigt werden können. Oftmals ist der politische Wille, hier mit gutem Beispiel voranzugehen, Triebfeder der Überlegungen.

Inhaltlich geht es darum, Unternehmen, die Leistungen für die öffentliche Hand erbringen, beispielsweise auf die Zahlung von (Mindest-)Löhnen bei der Durchführung von Dienstleistungsaufträgen zu verpflichten oder ihnen die Lieferung von Produkten zu untersagen, die unter ausbeuterischer Kinderarbeit in Entwicklungsländern hergestellt wurden. Das Problem der Kinderarbeit ist in der Praxis z. B. bei Produkten wie Natursteinen aus Steinbrüchen, aber auch bei importierten Sportartikeln und Textilien festzustellen.

Vergaberechtliche Spielräume

Dennoch durften soziale Aspekte bei Ausschreibungen lange Jahre als „vergabefremde Erwägungen“ nur eingeschränkt berücksichtigt werden. Erst das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 hat hier im Einklang mit den Vergaberichtlinien der EU auch für europaweite Vergabeverfahren weitere Spielräume eröffnet. §97 Abs.4 GWB erlaubt, dass „für die Auftragsdurchführung zusätzliche Anforderungen an Auftragnehmer gestellt werden, die insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen und sich aus der Leistungsbeschreibung ergeben.“


Soziale Aspekte können daher nunmehr grundsätzlich in allen Phasen eines Vergabeverfahrens berücksichtigt werden:

  • Beginnend bei der Bedarfsfeststellung und Produktauswahl kann es im Einzelfall möglich sein, auf bestimmte Produkte zu verzichten und sich nur „alternative“ Produkte anbieten zu lassen, bei denen aufgrund der Herstellungsart keine Gefahr der ausbeuterischen Kinderarbeit besteht. Beispiel: Anstelle von bestimmten Natursteinen, die mit großer Wahrscheinlichkeit aus Steinbrüchen in Indien oder Pakistan stammen, werden im Leistungsverzeichnis andere Materialien vorgegeben.
  • Bei der Leistungsbeschreibung können soziale Aspekte, die den Leistungsgegenstand nach Art, Eigenschaft und Güte beeinflussen, eine Mindestanforderung bilden. Beispiel: Barrierefreiheit des Zugangs zu einem öffentlichen Gebäude oder Berücksichtigung von „Design für Alle“ bei der Gestaltung eines kommunalen Internet-Portals.
  • Als zusätzliche Bedingung für die Ausführung des Auftrags, die Vertragsbestandteil wird, kann z. B. verlangt werden, dass das Produkt unter Beachtung der Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) zur Kinderarbeit hergestellt wird.
  • Im Rahmen der Eignungsprüfung könnte sich die Vergabestelle von den Bietern ausdrücklich bestätigen lassen, dass diese „tariftreu“ sind und Tarifverträge, die für allgemeinverbindlich erklärt sind und für ihre Branche gelten, bei der Entlohnung ihrer Mitarbeiter beachten.
  • Mit der Angebotsabgabe können von den Bietern ggf. auch weitere Erklärungen und Nachweise verlangt werden. Sofern es für bestimmte Produkte geeignete und ausreichend verbreitete Label gibt – z. B. bezüglich Kinderarbeit das Rugmark-Label für Teppiche –, kann die Bestätigung verlangt werden, dass ausschließlich Waren mit dem Label geliefert werden.
  • In engen Grenzen ist es auch denkbar, soziale Aspekte bei den Zuschlagskriterien zu berücksichtigen, sofern diese in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Leistungsgegenstand stehen. Beispiel: Bei der Beschaffung von Software und/oder Hardware ist die Wertung der Verfügbarkeit für Menschen mit Beeinträchtigung wertungsfähig. Nicht erlaubt wäre aber die (positive) Bewertung, ob Bieter ihre Ausrüstung/Rohstoffe lokal beschaffen, um gezielt den örtlichen Arbeitsmarkt zu fördern.

Getreu dem Motto „Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser“ sollte im Rahmen der Auftragsausführung zumindest stichprobenartig nachgeprüft werden, ob der Auftragnehmer die gemachten Zusagen einhält. Sofern ein Bieter belegbar und gravierend gegen vertraglich zugesagte Leistungen und Pflichten verstoßen hat, kann im Einzelfall die Eignung dieses Bieters bei künftigen Ausschreibungen wegen schlechter Vorerfahrungen mit dessen Zuverlässigkeit verneint und der Bieter vom Verfahren deshalb ausgeschlossen werden.

Zwingende Vorgabe von sozialen Aspekten?

Das aktuelle Grünbuch der EU-Kommission über die Modernisierung der europäischen Politik im Bereich des öffentlichen Auftragswesens vom 27. 01. 2011 (Kom(2011) 15 endgültig) könnte einen Paradigmenwechsel bei vergabefremden Aspekten einläuten. Die EU-Kommission stellt unter Punkt 4 zur Diskussion, ob das öffentliche Auftragswesen für die politischen Ziele der EU, u. a. auch im Sozialwesen, genutzt werden sollte. Dies könnte nach den Ausführungen der EU-Kommission ggf. soweit gehen, dass öffentlichen Auftraggebern zur Umsetzung bestimmter politischer Ziele verbindliche Vorgaben gemacht werden, die sie bei Vergabeverfahren zu beachten haben.

Bedenkt man, dass das Vergaberecht in erster Linie die Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Auftragsvergabe und Wettbewerb sicherstellen soll, fällt die Beurteilung solcher Überlegungen leicht: Im Hinblick auf die Berücksichtigung sozialer (und anderer Aspekte) sollte es bei der Entscheidung der jeweiligen Vergabestelle als „Kür“ überlassen bleiben, ob und in welchem Umfang sie soziale Aspekte bei ihren Auftragsvergaben berücksichtigen möchte. Verpflichtende Vorgaben sind abzulehnen, da dadurch mit noch mehr Bürokratie bei der Auftragsvergabe zu rechnen ist und massiv in die Beschaffungsmärkte eingegriffen werden würde.

Faire Beschaffung als gesellschaftspolitische Aufgabe

Das Thema der fairen Beschaffung kann und sollte jedoch nicht auf die Frage reduziert werden, ob und wie „Fair Trade“ in der Vergabepraxis öffentlicher Auftraggeber umsetzbar ist. Die öffentliche Hand hat hier zwar Vorbildfunktion für die Gesellschaft, kann alleine mit gutem Willen aber in der Praxis oftmals nur eingeschränkt einen Beitrag zur fairen Beschaffung leisten. Im IT-Markt beispielsweise gibt es gegenwärtig häufig Produkte, die in China oder anderen Ländern unter ausbeuterischer Kinderarbeit hergestellt werden, technisch noch keine Alternativen. Hieran wird sich erst dann etwas ändern, wenn das Anliegen einer fairen und nachhaltigen Beschaffung von großen Teilen der Gesellschaft getragen und – wie derzeit im Bereich der Energieversorgung erkennbar – unmittelbaren Einfluss auf die Industrie hat.

 

Dr. Beatrice Fabry

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Vergaberecht
Menold Bezler Rechtsanwälte Partnerschaft mbB
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