15.10.2011

Unternehmen in der Krise

Die öffentliche Hand als Gläubigerin in der Insolvenz

Unternehmen in der Krise

Die öffentliche Hand als Gläubigerin in der Insolvenz

Das ESUG soll Anreize schaffen, einen Insolvenzantrag frühzeitig zu stellen. | © styleuneed - Fotolia
Das ESUG soll Anreize schaffen, einen Insolvenzantrag frühzeitig zu stellen. | © styleuneed - Fotolia

Die anstehende Reform des Insolvenzrechts bringt wichtige Neuerungen, welche auch die öffentliche Hand als Gläubigerin betreffen. Das Gesetz soll nicht nur die Fortführung von sanierungsfähigen Unternehmen und damit den Erhalt von Arbeitsplätzen erleichtern, sondern darüber hinaus auch die Rechte der Gläubiger stärken. Gläubiger können zukünftig über die wichtigsten Fragen – z.B. die Auswahl des Insolvenzverwalters – entscheiden.

Der Bundestag hat den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen („ESUG“, BT-Drs. 17/5712) am 30. 06. 2011 in erster Lesung beraten und in die Ausschüsse überwiesen. Es wird damit gerechnet, dass die Reform Anfang 2012 in Kraft tritt.

Die zentralen Reformvorhaben des Gesetzentwurfs lassen sich wie folgt zusammenfassen:


– Einführung eines „Schutzschirmverfahrens“
– Stärkung der Eigenverwaltung
– Ausbau und die Straffung des Insolvenzplanverfahrens
– Erweiterung der Einflussmöglichkeiten der Gläubiger.

I. Für Unternehmen in der Krise ergeben sich demnach die folgenden neuen Handlungsmöglichkeiten

Das Schutzschirmverfahren

Nach der Reform kann ein Unternehmen („der Schuldner“) unter einem „Schutzschirm“ von bis zu drei Monaten unter der Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters einen Insolvenzplan ausarbeiten, wenn es bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung (nicht jedoch bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit) einen Insolvenzantrag und zugleich einen Antrag auf Eigenverwaltung stellt. Der Schuldner kann in dieser Phase über das Insolvenzgericht die Untersagung von Vollstreckungsmaßnahmen erreichen.

Die Person des vorläufigen Sachwalters kann faktisch der Schuldner selbst bestimmen: Das Insolvenzgericht muss einem Vorschlag des Schuldners folgen, es sei denn, die vorgeschlagene Person ist „offensichtlich für die Übernahme des Amtes nicht geeignet“. Die Beratung des Schuldners im Vorfeld soll nach der geplanten Reform für die Übernahme des Amtes grundsätzlich keinen Hinderungsgrund mehr darstellen. Der Berater des Schuldners kann damit auch als vorläufiger Sachwalter bestellt werden.

Gelingt dem Schuldner innerhalb der vom Gericht bestimmten Frist die Ausarbeitung eines Insolvenzplans, so wird hierüber im eröffneten Insolvenzverfahren nach allgemeinen Vorschriften entschieden.

Stärkung der Eigenverwaltung

Nach der Beendigung des „Schutzschirmverfahrens“ wird das Insolvenzverfahren eröffnet. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll im Regelfall die Eigenverwaltung angeordnet werden. Dies bedeutet, dass die bisherige Unternehmensleitung grundsätzlich handlungsbefugt bleibt. Sie ist insbesondere weiter berechtigt, Verträge für die Insolvenzmasse zu schließen und über Gegenstände der Masse zu verfügen. Dem Schuldner selbst steht auch die Verwertung von zur Sicherung übereigneten Gegenständen und die Einziehung von zur Sicherung abgetretenen Forderungen zu.

Bislang waren die Gerichte zurückhaltend mit der Anordnung der Eigenverwaltung. Künftig soll die Eigenverwaltung hingegen zum Regelfall werden und ein Antrag nur noch abgelehnt werden können, wenn konkrete „Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird“.

Der Ausbau des Insolvenzplanverfahrens

Ziel des Schutzschirmverfahrens ist die Erarbeitung eines Insolvenzplans durch den Schuldner. Durch ein Insolvenzplanverfahren kann der Unternehmensträger, also der Einzelunternehmer oder die insolvente Gesellschaft, und nicht nur das von diesen betriebene Unternehmen saniert werden.

Nach der rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans wird das Insolvenzverfahren aufgehoben, die Gesellschaft bzw. der Einzelunternehmer kann im Anschluss wieder ohne Einschränkung am Rechtsverkehr teilnehmen.

In der Praxis ergaben sich hierbei vor allem zwei wesentliche Hindernisse:

Bislang kam einzelnen Gläubigern ein erhebliches Störpotenzial zu. Diese konnten beispielsweise über die Einlegung der sofortigen Beschwerde die Bestätigung des Plans erheblich verzögern, zum Teil sogar über viele Monate. Darüber hinaus war nach bisheriger Rechtslage ein Eingriff in die Rechte der Gesellschafter durch einen Insolvenzplan nicht möglich.

Durch die Neuregelung werden die Möglichkeiten eines Gläubigers zur Verzögerung des Verfahrens erheblich eingeschränkt.

Ferner sind nunmehr im Insolvenzplanverfahren auch Eingriffe in die Rechte der Gesellschafter möglich, z. B. eine Kapitalherabsetzung. Die hierzu erforderlichen Gesellschafterbeschlüsse können durch Regelungen im Insolvenzplan ersetzt werden. Die Altgesellschafter können bei einer entsprechenden Regelung im Insolvenzplan gegen ihren Willen ihre Beteiligung verlieren. Aufgrund der Wertlosigkeit der Beteiligung in der Insolvenz werden sie regelmäßig auch keine Entschädigung erhalten.

II. Erweiterte Einflussmöglichkeiten für die Gläubiger –
der vorläufige Gläubigerausschuss

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Mitwirkungsrechte der Gläubiger gestärkt werden. Diese sollen über den neu eingeführten vorläufigen Gläubigerausschuss an den wesentlichen Entscheidungen im Insolvenzverfahren beteiligt werden.

Einberufung und Zusammensetzung des Gläubigerausschusses

Das Insolvenzgericht ist grundsätzlich dazu verpflicht, einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzusetzen, wenn das Unternehmen bestimmte Größenmerkmale bezüglich Bilanzsumme, Umsatzerlöse und Arbeitnehmer erfüllt.

Der vorläufige Gläubigerausschuss wird in der Regel aus einem Vertreter der absonderungsberechtigten Gläubiger, der Gläubiger mit den höchsten ungesicherten Forderungen, der Kleingläubiger, der Arbeitnehmer und einer weiteren Person bestehen. Das Gericht soll die zur Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses erforderlichen Informationen dem Insolvenzantrag entnehmen können.

Einstimmiges Vorschlagsrecht zur Person des Insolvenzverwalters

Spricht sich der vorläufige Gläubigerausschuss einstimmig für eine bestimmte Person als (vorläufigen) Insolvenzverwalter oder Sachwalter aus, so hat das Insolvenzgericht diese zu bestellen. Von einem einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses darf das Gericht lediglich dann abweichen, wenn die ausgewählte Person für die Übernahme des Amtes ungeeignet ist. Dies dürfte allerdings sehr selten der Fall sein.

Der vorläufige Gläubigerausschuss hat weiter die Möglichkeit, durch einen Mehrheitsbeschluss ein Anforderungsprofil für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter zu bestimmen. Dieses Anforderungsprofil hat das Gericht zu berücksichtigen.

Der Einfluss der Gläubiger auf die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters ist von besonderer Bedeutung, da zukünftig eine Person auch dann zum Insolvenzverwalter bestellt werden kann, wenn diese „den Schuldner vor dem Eröffnungsantrag in allgemeiner Form über den Ablauf eines Insolvenzverfahrens und dessen Folgen beraten“ oder einen Insolvenzplan erstellt hat.

Beantragung der Aufhebung des Schutzschirmverfahrens

Das Schutzschirmverfahren ist insbesondere im Falle eines entsprechenden Antrags des vorläufigen Gläubigerausschusses wieder aufzuheben. Voraussetzung ist lediglich, dass sich die Mehrheit der Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses für eine Aufhebung des Verfahrens ausspricht.

Anordnung der Eigenverwaltung

Der vorläufige Gläubigerausschuss ist vor der Anordnung der Eigenverwaltung anzuhören. Wird die Eigenverwaltung durch den Schuldner beantragt und durch einen einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses unterstützt, so kann das Gericht den Antrag auf Eigenverwaltung nicht ablehnen. Spricht sich der vorläufige Gläubigerausschuss gegen die Anordnung der Eigenverwaltung aus, so ist diese Votum für das Insolvenzgericht nicht bindend. Begründet der vorläufige Gläubigerausschuss das ablehnende Votum mit konkreten Umständen, welche Nachteile für die Gläubiger erwarten lassen, so dürfte dem Insolvenzgericht die Anordnung der Eigenverwaltung schwerfallen.

Fazit

Die Einführung des vorläufigen Gläubigerausschusses verschafft den Gläubigern bereits in einem sehr frühen Stadium erhebliche Einflussmöglichkeiten. Dies ist auch deshalb von Bedeutung, da in dieser frühen Phase des Verfahrens die entscheidenden Weichen – z. B. über die Fortdauer des Schutzschirmverfahrens oder die Auswahl des Verwalters – gestellt werden.

Einige der geplanten Neuregelungen zu Gunsten der Schuldner und ihrer Berater – beispielsweise die Einführung des Schutzschirmverfahrens oder die Möglichkeit zur Bestellung eines Beraters des Schuldners zum (vorläufigen) Insolvenzverwalter oder Sachwalter – bieten erhebliche Missbrauchsmöglichkeiten. Auch aus diesem Grund sind die neu geschaffenen Einflussmöglichkeiten der Gläubiger besonders wichtig.

Die Gläubiger sind gefordert, durch die Berufung geeigneter Personen in den Gläubigerausschuss und die aktive Begleitung des Verfahrens die neu geschaffenen Einflussmöglichkeiten auch wahrzunehmen.

Die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses müssen beispielsweise den Verlauf des Schutzschirmverfahrens aufmerksam beobachten und bei aus Gläubigersicht nachteiligen Entwicklungen die Aufhebung erwirken. Dies erfordert ein erhebliches Know-how.

 

Dr. Frank Schäffler

Partner bei Menold Bezler, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht
 

Dr. Jasmin Urlaub

Rechtsanwältin, Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart
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