15.10.2011

Einfach geht anders

Die Zuteilung von Emissionsberechtigungen für die 3. Handelsperiode

Einfach geht anders

Die Zuteilung von Emissionsberechtigungen für die 3. Handelsperiode

Die Zuteilung von Emissionsberechtigungen bleibt kompliziert. | © Ruediger Rau - Fotolia
Die Zuteilung von Emissionsberechtigungen bleibt kompliziert. | © Ruediger Rau - Fotolia

Erst zu Silvester 2012 endet die zweite Handelsperiode des Emissionshandels, aber schon jetzt bereiten die Betreiber emissionshandelspflichtiger Anlagen sich intensiv auf die dann folgenden acht Jahre der dritten Handelsperiode vor. Schließlich müssen die künftig nur noch wenigen kostenlos zugeteilten Zertifikate in den nächsten Monaten nach einzigartig komplizierten Regeln bei der Deutschen Emissionshandelsstelle (DEHSt) beantragt werden.

Dabei sollte ursprünglich alles einfacher werden. Nach zwei turbulenten und auch vor Gericht höchst umstrittenen Zuteilungsrunden wollte die Europäische Kommission durch zentrale Regeln Ruhe schaffen.

Dies werde nicht nur gerechter, hieß es aus Brüssel, man werde auch einfachere und vollzugsfreundlichere Regeln schaffen als die in Europa wegen ihrer hochkomplexen Zuteilungsregeln oft bespöttelten Deutschen. Mit diesem Vorsatz jedenfalls ist die Europäische Kommission schon jetzt gescheitert. Bis jetzt hat noch niemand die denkbaren Zuteilungsalternativen gezählt, die sich aus dem Beschluss der Kommission vom 27. 04. 2011 ergeben und die in Deutschland in Form einer (am 22.09.2011 beschlossenen) Zuteilungsverordnung in Kraft treten werden. Es darf aber als sicher gelten, dass die neuen Regeln deutlich mehr Zuteilungsalternativen enthalten als die 58, die das erste deutsche Zuteilungsgesetz erlaubte.


Dabei hat sich nicht nur die Zahl der Ausnahmevorschriften vermehrt. Auch bei den Grundprinzipien der Zuteilung bleibt künftig nichts, wie es war. Hier nur das Wichtigste in aller Kürze.

Die Zuteilungsgrundsätze

Zunächst einmal ist künftig nicht mehr jedes Produkt jeder emissionshandelspflichtigen Anlage zuteilungsfähig. Wer Strom erzeugt, erhält nichts mehr. Nur wer Industrieprodukte oder Wärme herstellt, darf noch mit einer Zuteilung rechnen.

Da die EU-Budgets knapp bemessen sind, ist aber für diese Betreiber klar: Es wird eng. Auch Betreiber moderner und emissionsarmer Anlagen werden zukaufen müssen.

In einem mindestens ebenso wichtigen Punkt wie der Stromzuteilung gibt es eine weitere markante Neuerung: Bisher erhielt stets der Betreiber einer emissionshandelspflichtigen Anlage die Zuteilung. Künftig ist dies nur noch dann der Fall, wenn der Anlagenbetreiber keine Wärme erzeugt, die er an eine andere, ebenfalls emissionshandelspflichtige Anlage liefert. Solche Konstellationen sind in der Industrie nicht selten. Hier ist künftig der Empfänger zuteilungsberechtigt. Nimmt er nicht die gesamte Wärme ab, so wird – oft mühsam – die zuteilungsfähige Wärme zwischen den Anlagenbetreibern aufgeteilt.

Überhaupt rückt der Abnehmer in den Blickpunkt. Während bisher die Anlage selbst im Fokus stand – schließlich sollte hier ja modernisiert und gemindert werden –, kommt es künftig maßgeblich auch auf den Kunden an. Findet sich dieser etwa auf der langen Liste der abwanderungsbedrohten Branchen (wie etwa Stahl, Papier, aber auch Backhefe oder Phantasieschmuck), so fällt die Zuteilung höher aus, als wenn etwa öffentliche Gebäude oder „gewöhnliches” Gewerbe beliefert werden. Die Abgrenzung zwischen dem privilegierten und dem nicht privilegierten Kunden fällt dabei allerdings oft nicht leicht. So fragen sich viele Anlagenbetreiber, wie mit der Wärme für die Verwaltungsgebäude oder Lager der abwanderungsbedrohten Industrie umzugehen ist. Hier ergeben sich zusätzliche Komplikationen, weil zwar der erwähnte EU-Beschluss, die sog. Guidances (unverbindliche Erläuterungen der EU-Kommission) und auch der Kabinettsentwurf der Zuteilungsverordnung es nahelegen, dass nur Produktionsprozesse, nicht aber Verwaltungen privilegiert werden. In einem erläuternden Dokument – den Questions & Answers – hat die Europäische Kommission nun aber etwas ganz anderes publiziert. Dies stiftet im ohnehin komplizierten Verfahren weitere Unsicherheit. Unternehmen, die sich absichern wollen, erheben nun oft höchst aufwändig doppelte Datensätze.

Nicht nur mehr Zertifikate als sonst, sondern eine ganz anders berechnete Zuteilung gibt es, wenn ein Anlagenbetreiber Privathaushalte beliefert. In diesem Fall gilt die Meistbegünstigung: Entweder er fährt gut mit der „ganz normalen” Zuteilung auf Basis eines an Erdgas orientierten Benchmarks oder er erhält eine Zuteilung, die auf Emissionen und einem (mit den Jahren steigenden) Erfüllungsfaktor beruht. Dies kann interessant sein, insbesondere wenn ein Anlagenbetreiber einen emissionsintensiven Brennstoff verwendet. Allerdings wird in beiden Fällen die Zuteilung stark gekürzt und sinkt – anders als bei den abwanderungsbedrohten Anlagen – im Verlaufe der Handelsperiode von 80 % auf 30 % der im ersten Schritt berechneten Zuteilung.

Apropos Kürzung: Die Kürzung von 80 % auf 30 % ist nicht die einzige Kürzung, die vollzogen werden wird. Alle Anlagen, die Strom produzieren und wegen ihrer Wärmeproduktion eine Zuteilung erhalten, bekommen eine jedes Jahr um weitere 1,74 % minimierte Zuteilung. Für die anderen gilt eine anteilige Kürzung, die der Budgeteinhaltung dient und deren Höhe derzeit noch offen ist. Hier rechnet die Europäische Kommission, wenn alle Einzelzuteilungen aus den Mitgliedstaaten auf dem Tisch liegen. Möglicherweise drohen hier selbst den an sich privilegierten abwanderungsbedrohten Unternehmen noch böse Überraschungen, denn wer weiß schon, was woanders in Europa beantragt werden wird.

Datensätze, Hilfsanträge und „Anspruchssterben”

Schwierig wird die Lage ganz besonders dort, wo viele Anlagen – emissionshandelspflichtig oder nicht – viele abnehmende Anlagen versorgen, die ihrerseits teilweise emissionshandelspflichtig und teilweise abwanderungsbedroht sind. Hier wird die Zuteilung auch deswegen stets sehr kompliziert, weil nicht alle Anlagen nach demselben Maßstab Zuteilungen erhalten und teils über die erzeugte Wärme, teils aber auch über die hergestellten Produkte Zuteilungen erhalten. In diesen Konstellationen, besonders in Industrieparks, müssten – versteht man den Entwurf der Zuteilungsverordnung wörtlich – Hunderte von Datensätzen übermittelt werden, zumal es einige Zweifelsfälle gibt, in denen die Emissionshandelspflichtigkeit selbst fraglich ist und die deswegen über Hilfsanträge abgesichert werden müssen.

Mit Hilfsanträgen ist es allerdings so eine Sache. Hier nimmt die Vollzugsbehörde, die DEHSt, eine äußerst kritische Position ein. Der Betreiber trägt also stets ein Risiko, das in anderen Bereichen des Verwaltungsrechts so nicht besteht. Zwar fechten Betreiber und Behörde derzeit vor Gericht aus, ob die Behörde zu Recht so streng vorgeht. Eine verbindliche Klärung des Themas wird es aber voraussichtlich nicht vor Ende des Zuteilungsverfahrens geben. Immerhin stellt das jüngst novellierte Treibhausgasemissionshandelgesetz (TEHG) nun explizit klar, dass es kein Sonderver-
fahrensrecht im Emissionshandel gibt, sondern die Grundsätze des Verwaltungsverfahrensrechts gelten. Die DEHSt soll danach also ein Stück Freund und Helfer des Antragstellers sein; rechtlich meint dies u. a. Hinweis- und Auslegungspflichten.

Überhaupt ist die verfahrensrechtliche Seite der Zuteilung ein schwieriges Kapitel. Denn wenn – wohl Anfang 2012 – der Hammer fällt und das Zuteilungsverfahren endet, erlöschen alle noch nicht geltend gemachten Zuteilungsansprüche. Wer auch nur wenige Stunden zu spät kommt, muss bis 2020 ganz ohne Zuteilung auskommen. Eine Wiedereinsetzung ist nicht möglich. Die DEHSt legte diese Frist in der Praxis sogar so restriktiv aus, dass selbst das Nachreichen von Unterlagen oder die Präzisierung gestellter Anträge unzulässig sein soll. Angesichts der – hier ja nur skizzierten – Komplexität der Zuteilungsregeln und der sich hieraus ergebenden Vielzahl an erforderlichen Nachweisdokumenten erfordert dies besondere Sorgfalt. Zudem begeht derjenige, der auch nur fahrlässig Falschangaben im Zuteilungsbescheid macht, eine Ordnungswidrigkeit, die Bußgelder bis zu € 50.000 nach sich ziehen kann.

Eingekreist zwischen diesen anspruchsvollen Verfahrensvorschriften und den komplexen Zuteilungsregeln, hat so mancher Anlagenbetreiber derzeit unruhige Nächte. Wenn dann noch Abnehmer die dringend benötigten Daten für Haushaltskunden oder den Nachweis der Abwanderungsbedrohung nicht zuliefern, die besonders filigranen Regeln für Neuanlagen oder Kapazitätserweiterungen in besonderen Fällen im Nichts zu versanden scheinen oder dringend benötigte Auskünfte der europäischen und deutschen Behörden ausbleiben, dann mag wohl mancher Anlagenbetreiber kopfschüttelnd über die vielen Sondervorschriften zum Emissionshandel murmeln: „Einfach geht anders.” Aber dafür ist es jetzt zu spät.

 

Dr. Miriam Vollmer

Rechtsanwältin und Fachanwältin für Verwaltungsrecht, re|Rechtsanwälte, Berlin
 

Dr. Ines Zenke

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Verwaltungsrecht, Partner Becker Büttner Held, Berlin
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