15.10.2011

Die Weisungsrechte des Gemeinderats

Kommunal- und Gesellschaftsrecht im Spannungsfeld

Die Weisungsrechte des Gemeinderats

Kommunal- und Gesellschaftsrecht im Spannungsfeld

Der Gemeinderat darf Aufsichtsratsmitgliedern eines kommunalen Versorgungsbetriebs die Richtung vorgeben. | © daniel merkel - Fotolia
Der Gemeinderat darf Aufsichtsratsmitgliedern eines kommunalen Versorgungsbetriebs die Richtung vorgeben. | © daniel merkel - Fotolia

Die Privatisierung kommunaler Regie- und Eigenbetriebe hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr durchgesetzt. Dabei ist die bevorzugte Rechtsform die GmbH. Mit diesem Trend zur Privatisierung geht allerdings auch die Rechtsunsicherheit einher, in welchem Umfang die Gemeinden diese Unternehmen steuern und insbesondere Weisungen an ihre kommunalen Vertreter in den Organen der Gesellschaft erteilen können. Für die kommunalen Vertreter stellt sich die Frage, ob sie die Weisungen generell einhalten müssen. Im Kern beruht die Rechtsunsicherheit auf der Frage nach der Abgrenzung zwischen Kommunal- und Gesellschaftsrecht.

Jüngst hat sich das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urt.v. 31. 08. 2011, Az.: 8 C 16/10) mit der Frage befasst, ob ein Stadtrat weisungsbefugt gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern eines kommunalen Versorgungsbetriebs ist.

Sachverhalt

Die Siegener Versorgungsbetriebe GmbH (SVB GmbH) ist eine städtische Eigengesellschaft. Die Stadt Siegen hält fast 75 % ihrer Geschäftsanteile. Unternehmensgegenstand der SVB GmbH ist die Versorgung mit Gas, Wasser und Wärme. Nach dem Gesellschaftsvertrag hat die SVB GmbH einen Aufsichtsrat, auf den die Bestimmungen des Aktiengesetzes keine Anwendung finden.


Weisungsrechte gegenüber den Mitgliedern des Aufsichtsrats sind in dem Gesellschaftsvertrag nicht ausdrücklich geregelt. 14 der 17 Mitglieder dieses Aufsichtsrates stellt die Stadt Siegen: Neben dem Bürgermeister, der kraft Amtes Aufsichtsratsmitglied ist, werden die übrigen 13 städtischen Mitglieder von der Gesellschafterversammlung gewählt. Acht dieser Mitglieder werden auf Vorschlag des Rates, fünf Mitglieder auf Vorschlag der Arbeitnehmer der SVB GmbH gewählt.

Bei den Klägern handelte es sich um diejenigen Mitglieder des beklagten Rates, die auf dessen Vorschlag von der Gesellschafterversammlung in den Aufsichtsrat der SVB GmbH gewählt worden sind. Seit dem Jahr 2005 war es zwischen diesen Mitgliedern des Aufsichtsrates und dem Rat vor allem bei Preisfestsetzungen der SVB GmbH wiederholt zu Auseinandersetzungen über die Zulässigkeit von Weisungen des Rates gekommen. Anlass für die Klage war schließlich ein Beschluss des Rates vom Dezember 2006, seine Aufsichtsratsmitglieder zu beauftragen, in der anstehenden Aufsichtsratssitzung für die Rücknahme einer Erhöhung der Erdgas- und Wärmeabgabepreise durch die SVB GmbH zu stimmen.

Die Kläger wandten sich mit ihrer Klage gegen diese Weisung des beklagten Rates im Hinblick auf ihre Aufsichtsratstätigkeit. Sie hielten die freie, am Wohl der Gesellschaft orientierte Ausübung ihrer Aufsichtsratsmandate für gefährdet.

Kommunales Weisungsrecht

Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verwaltungsgericht Arnsberg und das Oberverwaltungsgericht Münster in ihrem Ergebnis bestätigt, dass dem beklagten Rat ein Weisungsrecht gegenüber denjenigen Mitgliedern des Aufsichtsrates zusteht, die auf seinen Vorschlag von der Gesellschafterversammlung gewählt worden sind. Rechtsgrundlage für dieses kommunale Weisungsrecht ist § 113 Abs. 1 Satz 2 GO NRW, wonach die Vertreter der Gemeinden in Aufsichtsräten von juristischen Personen, an denen die Gemeinde unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, an die Beschlüsse des Rates und seiner Ausschüsse gebunden sind. Auch wenn die Kläger nicht von der Gemeinde bestellt, sondern nur auf ihren Vorschlag von der Gesellschafterversammlung gewählt wurden, sind diese gleichwohl Vertreter der Gemeinde im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 2 GO NRW. Damit sind diese Mitglieder an die Beschlüsse des Rates und seiner Ausschüsse gebunden.

Anderweitige Bestimmungen

Das kommunale Weisungsrecht nach § 113 Abs. 1 Satz 2 GO NRW ist nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 GO NRW allerdings nur dann anwendbar, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Etwas derartig anderes zur Weisungsgebundenheit von Aufsichtsratsmitgliedern bestimmt vorliegend § 52 Abs. 1 GmbHG. Diese Vorschrift regelt die Anwendbarkeit des Aktiengesetzes für den Fall, dass nach dem Gesellschaftsvertrag einer GmbH ein Aufsichtsrat zu bestellen ist. Auch der Aufsichtsrat der SVB GmbH ist aufgrund des Gesellschaftsvertrags bestellt worden, so dass in dem vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 GmbHG grundsätzlich erfüllt sind. Danach finden verschiedene Bestimmungen des Aktiengesetzes, zu denen auch Bestimmungen über die Weisungsfreiheit von Aufsichtsratsmitgliedern gehören, Anwendung, es sei denn, im Gesellschaftsvertrag ist etwas anderes bestimmt. Dies war vorliegend der Fall: Nach dem Gesellschaftsvertrag der SVB GmbH sind die Vorschriften des Aktiengesetzes ausdrücklich ausgeschlossen. Folglich gelten insbesondere auch die Regelungen des Aktiengesetzes zur Weisungsfreiheit von Aufsichtsratsmitgliedern nicht. Somit wird das kommunale Weisungsrecht des § 113 Abs. 1 Satz 2 GO NRW nicht durch § 113 Abs. 1 Satz 4 GO NRW und § 52 Abs. 1 GmbHG verdrängt.

Da der Gesellschaftsvertrag der SVB GmbH im Übrigen keine ausdrücklichen Regelungen zu Weisungsrechten gegenüber den Aufsichtsratsmitgliedern enthält, musste nach Meinung des Bundesverwaltungsgerichts durch Auslegung geprüft werden, was der Gesellschaftsvertrag anstelle der aktienrechtlichen Vorschriften regeln will. Dabei ist das Bundesverwaltungsgericht davon auszugegangen, dass die Stadt Siegen bei Abschluss des Gesellschaftsvertrags diejenigen gesetzlichen Voraussetzungen einhalten wollte, die bei einer kommunalen Beteiligung an der SVB GmbH zu beachten sind. Auslegungshilfe für den Gesellschaftsvertrag sind in erster Linie die Vorschriften der GO NRW und insbesondere § 108 Abs. 5 Nr. 2 GO NRW.

Danach darf eine Gemeinde nur dann Unternehmen gründen oder sich an ihnen beteiligen, wenn durch die Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrags sichergestellt ist, dass der Rat den auf Vorschlag der Gemeinde gewählten Mitgliedern des Aufsichtsrats Weisungen erteilen kann, soweit die Bestellung eines Aufsichtsrates ? wie im vorliegenden Fall ? gesetzlich nicht vorgeschrieben ist. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts muss deshalb davon ausgegangen werden, dass die Gesellschafter der SVB GmbH diese Vorgaben einhalten und mit dem Gesellschaftsvertrag entsprechende Weisungsrechte gemäß § 108 Abs. 5 Nr. 2 GO NRW begründen wollten. Letztlich ist der Gesellschaftsvertrag daher so auszulegen, dass ein Weisungsrecht des beklagten Rates gegenüber den Klägern besteht, auch wenn dies nicht ausdrücklich in dem Vertrag geregelt ist.

Weisungsrechte gegenüber Arbeitnehmervertretern

Dieses Ergebnis gilt nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Revitalisierung des Gemeindewirtschaftsrechts in NRW im Dezember 2010 auch für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Der mit diesem Gesetz neu aufgenommene § 108a GO NRW regelt die Arbeitnehmermitbestimmung in fakultativen Aufsichtsräten, also in Aufsichtsräten, die – wie in dem vorliegenden Fall – nur aufgrund des Gesellschaftsvertrags bestellt worden sind. Gemäß § 108a Abs. 1 Satz 1 GO NRW können dem fakultativen Aufsichtsrat auch Arbeitnehmervertreter des Unternehmens angehören, wenn die Gemeinde unmittelbar oder mittelbar mit mehr als 50 % an dem Unternehmen beteiligt ist. Dabei stellt § 108a Abs. 3 Satz 1 GO NRW klar, dass § 113 Abs. 1 Satz 2 GO NRW entsprechend für die vom Rat bestellten Arbeitnehmervertreter gilt. Demnach sind diese Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat an die Beschlüsse des Rates und seiner Ausschüsse gebunden. Dieser Verweis auf § 113 Abs. 1 Satz 2 GO NRW begründet damit ein kommunales Weisungsrecht des Rates auch gegenüber den Arbeitnehmervertretern. Damit werden die Arbeitnehmervertreter in fakultativen Aufsichtsräten im Hinblick auf das Weisungsrecht den vom Rat bestellten bzw. auf Vorschlag des Rates gewählten kommunalen Vertretern im Aufsichtsrat gleichgestellt.

Fazit

Mit seinem Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht die Einflussmöglichkeiten des Rates auf seine kommunalen Vertreter in fakultativen Aufsichtsräten gestärkt. Allerdings lässt sich diese Entscheidung nicht auf alle Fälle von Weisungsrechten des Rates gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern übertragen: Eine wesentliche Einschränkung des Sachverhalts bestand darin, dass die Anwendbarkeit des Aktiengesetzes im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich ausgeschlossen war. Unter dieser Voraussetzung hat der Rat selbst dann ein Weisungsrecht, wenn dieses nicht ausdrücklich im Gesellschaftsvertrag geregelt ist. Durch § 108a GO NRW gilt das kommunale Weisungsrecht dann auch für Arbeitnehmervertreter in fakultativen Aufsichtsräten.

Letztlich sollte das kommunale Weisungsrecht ausdrücklich im Gesellschaftsvertrag geregelt werden, um unnötige Auseinandersetzungen zwischen Rat und Aufsichtsratsmitgliedern über Inhalt und Umfang dieses Rechts zu vermeiden.

 
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