15.10.2011

Die neue EU-Bauproduktenverordnung

Mehr Freiheit für den Verkehr mit Bauprodukten?

Die neue EU-Bauproduktenverordnung

Mehr Freiheit für den Verkehr mit Bauprodukten?

EUBauPVO – europäischer Rechtsrahmen für Inverkehrbringen, Kennzeichnung und Verwendung von Bauprodukten. | © PhotoSG - Fotolia
EUBauPVO – europäischer Rechtsrahmen für Inverkehrbringen, Kennzeichnung und Verwendung von Bauprodukten. | © PhotoSG - Fotolia

Am 9. März 2011 haben das Europäische Parlament und der Rat eine neue „Verordnung zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten“ (VO (EU) Nr. 305/2011, Bauproduktenverordnung, BauPVO) verabschiedet.

Dieser neue europäische Rechtsakt hat als Verordnung unmittelbare Wirkung in allen Mitgliedstaaten der EU und löst die bisher bestehenden nationalen Regelungen ab.

In Deutschland war das Bauproduktenrecht bisher im Bauproduktengesetz (BauPG) von 1992 in Verbindung mit den jeweiligen Landesbauordnungen und den jeweiligen deutschen Bauregellisten geregelt. Das BauPG beruhte seinerseits auf einer Richtlinie der damaligen EG, mit der eine Angleichung des mitgliedstaatlichen Rechts der Bauprodukte erfolgen sollte. Der Erlass einer Richtlinie, die zwar in ihrem Ziel für die Mitgliedstaaten der EU verbindlich ist, für die nationale Umsetzung aber Spielräume lässt, stellt das übliche europäische Vorgehen zur Rechtsvereinheitlichung dar. Erst wenn die erstrebte Harmonisierung nicht eintritt, greift die Union zum stärkeren Harmonisierungsinstrument der Verordnung, mit der unmittelbar geltendes Recht für die Mitgliedstaaten geschaffen wird. Mit der BauPVO wurde zugleich die ursprüngliche Richtlinie aufgehoben. In Bezug auf die Bautätigkeit selbst soll die neue Verordnung vor allem die Wettbewerbsfähigkeit fördern (dazu: Europäische Kommission, Generaldirektion Unternehmen und Industrie; http://ec.europa.eu/enterprise/sectors/construction/index_en.htm).


Durch die neue BauPVO haben sich im Bauproduktenrecht für Deutschland eine Reihe von Änderungen ergeben. Die BauPVO wurde zwar bereits im März 2011 verabschiedet und ist am 24. April 2011 in Kraft getreten, jedoch sieht Artikel 68 der BauPVO vor, dass ein Großteil der Bestimmungen erst ab dem 1. Juli 2013 gilt. Angesichts dieser Verschiebung des Geltungszeitpunktes betreffen die nachfolgenden Ausführungen hauptsächlich die Zukunft.

Bisherige Rechtslage

Während die Landesbauordnungen der Bundesländer regeln, unter welchen Voraussetzungen ein Bauprodukt verwendet werden darf, z. B. nach § 20 Absatz 1 Nr. 2 lit. a) der nordrhein-westfälischen Bauordnung, wenn es das Konformitätskennzeichen der Europäischen Union (CE-Kennzeichen) trägt, richtete sich die Frage, wann ein Produkt dieses Kennzeichen tragen darf, allein nach dem BauPG.

Bisher bestimmte § 4 BauPG unter dem Titel „Allgemeine Anforderungen“, unter welchen Voraussetzungen ein Bauprodukt in den Verkehr gebracht und frei gehandelt werden darf. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift ist dazu die Kennzeichnung mit dem CE-Kennzeichen erforderlich. Ein Produkt darf jedoch nur dann damit gekennzeichnet werden, wenn es gleichzeitig als „brauchbar“ nach § 5 BauPG gilt und zusätzlich seine Konformität nach dem entsprechenden „Konformitätsverfahren“ gemäß § 8 BauPG nachgewiesen ist.

Hinzu kommt, dass in den Bauregellisten zusätzliche Anforderungen festgelegt werden können, die Bauprodukte zu ihrer Verwendbarkeit in Deutschland erfüllen müssen, auch wenn sie von harmonisierten europäischen Normen erfasst sind und bereits das europäische CE-Kennzeichen tragen (vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Bauordnung NRW, § 20).

Europarechtswidrigkeit der bestehenden Regelung

Bereits ein erster Blick in die entsprechenden Vorschriften des BauPG zeigt, dass es sich um ein umfangreiches, kompliziertes Verfahren handelt, bis ein Bauprodukt nach deutschem Recht das CE-Kennzeichen erhält. Müssen zudem vereinzelt weitere Voraussetzungen nach den Bauregellisten erfüllt sein, so wird die Beantwortung der Frage, ob ein Bauprodukt in Deutschland verwendet werden darf, noch schwieriger.

Zudem besteht aufgrund der nach deutschem Recht zu erfüllenden Zusatzanforderungen das Risiko, dass Bauprodukte aus anderen EU-Mitgliedstaaten zwar das CE-Kennzeichen tragen, die zusätzlichen Anforderungen jedoch nicht erfüllen und damit in Deutschland als nicht verwendbar eingestuft werden. Dies bedeutet ein potenzielles Hindernis für den im Rahmen des europäischen Binnenmarktes grundsätzlich zu gewährleistenden freien Warenverkehr, da die Einfuhr von Bauprodukten aus anderen EU-Mitgliedstaaten nach Deutschland durch die Gefahr der Unverwendbarkeit jedenfalls unattraktiver wird. Die Europäische Kommission hat angesichts dieser Umstände bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Im Rahmen dieses Verfahrens ist die Bundesrepublik schon zweimal aufgefordert worden, die Bauregellisten binnenmarktskonform zu gestalten. Dem ist die BRD bislang jedoch noch nicht nachgekommen (vgl. dazu Pressemitteilung der Europäischen Kommission IP/11/713 vom 16. Juni 2011).

Bereits unter Geltung der Richtlinie zur Angleichung der mitgliedstaatlichen Regelungen zum Bauproduktenrecht sind die deutschen Sonderanforderungen als mit dem maßgeblichen europäischen Recht nicht vereinbar anzusehen. Mit Inkrafttreten der neuen BauPVO als unmittelbar geltendes Recht besteht dieser Zustand weiter.

Anwendungsvorrang des Europarechts

Dabei ist jedoch zu beachten, dass das Europarecht gegenüber demjenigen nationalen Recht, das dem Europarecht widerspricht, einen unmittelbaren Anwendungsvorrang genießt. Das bedeutet, dass das nationale Recht dort, wo sich sein Anwendungsbereich mit dem des europäischen Rechts überschneidet, nicht zur Anwendung kommt. In Bezug auf das Bauproduktenrecht dürfte dies stets der Fall sein, wenn die Einfuhr und Verwendung von mit dem CE-Kennzeichen versehenen Bauprodukten aus anderen EU-Mitgliedstaaten betroffen ist. Artikel 8 der BauPVO zu den allgemeinen Grundsätzen und der Verwendung der CE-Kennzeichnung sieht in Absatz 3 vor, dass das CE-Kennzeichen die einzige Konformitätsbescheinigung für solche Bauprodukte darstellt, die entweder von einer harmonisierten Norm erfasst werden oder für die eine Europäische Technische Bewertung ausgestellt worden ist. Die Mitgliedstaaten sind nicht berechtigt, für die Konformitätserklärung auf eine andere Kennzeichnung Bezug zu nehmen.

Das CE-Kennzeichen wird an solchen Bauprodukten angebracht, für die der Hersteller eine Leistungserklärung nach den Artikeln 4 und 6 BauPVO abgegeben hat. Diese ersetzt die Konformitätsbescheinigung nach der bisherigen Regelung der §§ 8-10 BauPG, bedeutet aber im Wesentlichen unverändert, dass der Hersteller die Verantwortung für die Konformität des Bauprodukts mit der erklärten Leistung übernimmt. Für Hersteller von individuellen, nicht serienmäßig hergestellten Bauprodukten bestehen Ausnahmen von der grundsätzlichen Pflicht zur Erstellung einer Leistungserklärung (Artikel 5 BauPVO), für Kleinstunternehmen gibt es die Möglichkeit vereinfachter Leistungsbewertungsverfahren (Artikel 3).

Bedeutung des CE-Kennzeichens

Wenn ein Bauprodukt das CE-Kennzeichen trägt, so darf ein Mitgliedstaat nach Artikel 8 Absatz 4 BauPVO in seinem Hoheitsgebiet oder seinem Zuständigkeitsbereich nicht verbieten oder behindern, dass das Produkt auf dem Markt bereitgestellt und verwendet wird, wenn die jeweiligen nationalen Anforderungen für die Verwendung durch die im CE-Kennzeichen erklärte Leistung erfüllt sind. Hieraus ergibt sich jedoch nicht, dass die Mitgliedstaaten auch weiterhin andere und vor allem höhere Anforderungen an Bauprodukte stellen können, die dazu führen, dass ein CE-gekennzeichnetes Produkt aus einem anderen Mitgliedstaat nicht verwendet werden darf. Nach Artikel 8 Absatz 6 BauPVO sind die Mitgliedstaaten vielmehr verpflichtet, ihre nationalen Regelungen in Bezug auf Verfahren sowie wesentliche Merkmale von Bauprodukten den harmonisierten Normen anzupassen; Gleiches sieht auch Erwägungsgrund 12 der BauPVO vor.

Lediglich in den Bereichen des Gesundheits-, Umwelt- und Arbeitnehmerschutzes sind die Mitgliedstaaten nach Erwägungsgrund 3 der BauPVO weiterhin befugt, zusätzliche Anforderungen zu stellen, sofern sie sie für notwendig halten.

Fazit

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die europäische BauPVO mit ihrem vollständigen Inkrafttreten zum 1. Juli 2013 das bisherige deutsche Bauproduktengesetz ablöst. Durch ihre unmittelbare Anwendbarkeit und Verbindlichkeit in allen Mitgliedstaaten soll die BauPVO bestehende Handelshemmnisse auf dem europäischen Markt beseitigen und den freien Warenverkehr fördern. Ob diese Ziele tatsächlich besser erreicht werden, als dies bislang der Fall war, bleibt abzuwarten.

 

Dr. Gregor Schiffers

Rechtsanwalt bei Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbH
 

Prof. Dr. Robin van der Hout

Rechtsanwalt / Advocaat, Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB, Brüssel
n/a