15.06.2011

Umweltbewusste Fahrzeugbeschaffung

Nationale Umsetzung der europäischen Vorgaben

Umweltbewusste Fahrzeugbeschaffung

Nationale Umsetzung der europäischen Vorgaben

Bei jeder Kfz-Beschaffung zu berücksichtigen: ein Mindestkanon an Öko-Effekten. | © arsdigital.de - Fotolia
Bei jeder Kfz-Beschaffung zu berücksichtigen: ein Mindestkanon an Öko-Effekten. | © arsdigital.de - Fotolia

In der Dezember-Ausgabe des Publicus (2010.3) haben wir die Richtlinie 2009/33/EG über die Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge („Richtlinie“) vorgestellt. Das Regelwerk verfolgt das Anliegen, den Markt für „grüne“ Kfz zu beleben und auf diese Weise die Ökologisierung des Straßenverkehrs voranzutreiben. Spürbare Impulse sollen nach Vorstellung des Europäischen Gesetzgebers dabei von der öffentlichen Beschaffung ausgehen. So gibt die Richtlinie der öffentlichen Hand auf, künftig beim Kfz-Kauf gerade auch die Umweltauswirkungen der angebotenen Fahrzeuge zu berücksichtigen. Am 12.05.2011 ist nunmehr die Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung sowie der Sektorenverordnung („Änderungsverordnung“) in Kraft getreten – etwa ein halbes Jahr nach Ablauf der in der Richtlinie gesetzten Umsetzungsfrist. Die Änderungsverordnung überführt die Richtlinienvorgaben in nationales Recht und verankert die grundsätzliche Pflicht öffentlicher Auftraggeber, bestimmte „Öko-Aspekte“ in ihre Vergabeentscheidungen einzubeziehen, im deutschen Vergaberecht. Damit hat zugleich die Frage, ob die Richtlinie kraft unmittelbarer Anwendbarkeit schon vor ihrer Umsetzung innerstaatliche Rechtsgeltung beansprucht hat, an praktischer Bedeutung verloren.

Berücksichtigungspflichtige Fahrzeugeigenschaften

Im Zentrum der Richtlinie und der Änderungsverordnung steht die an die Öffentliche Hand gerichtete Verpflichtung, bei der Beschaffung von Straßenfahrzeugen künftig auch deren Energiebedarf und Umweltauswirkungen („Öko-Effekte“) zu berücksichtigen. Der Umsetzungsakt passt diese Pflicht in die Regelungsstruktur des deutschen Vergaberechts ein: Für Beschaffungen im „klassischen Bereich“ finden sich die neuen Vorgaben in § 4 Abs. 7 bis Abs. 10 Vergabeverordnung (VgV). Weitgehend deckungsgleiche Anweisungen für Sektorenauftraggeber enthält jetzt § 7 Abs. 5, 6 Sektorenverordnung (SektVO). Die Anlagen zur Richtlinie, die insbesondere zur finanziellen Wertung der Ökoeffekte als Zuschlagskriterium dienen, sind unverändert als Anlagen zur Vergabe- bzw. Sektorenverordnung übernommen worden. Im Einklang mit der Richtlinie definieren die Neuregelungen einen „Mindestkanon“ von Öko-Effekten, die grundsätzlich bei jeder Kfz-Beschaffung zu berücksichtigen sind. Erfasst sind der Energieverbrauch sowie der Ausstoß von CO2, Stickoxiden, Nicht-Methan-Kohlenwasserstoffen sowie Partikeln.

Nach den neuen Regelungen steht es den Normadressaten frei, weitere Umweltauswirkungen in ihre Betrachtung einzubeziehen. Im Umsetzungsprozess selbst hat insoweit die vom Straßenverkehr ausgehende Lärmbelastung eine besondere Rolle gespielt. So hat der Bundesrat die Bundesregierung in seinem Beschluss vom 18.03.2011 aufgefordert, die Lärmemissionen von Fahrzeugen als (weiteren) Öko-Effekt in geeigneter Form in die Verordnung aufzunehmen. Die Bundesregierung hat dem nicht entsprochen. Den öffentlichen Beschaffern bleibt es jedoch unbenommen, entsprechende Anforderung in ihren Ausschreibungen festzulegen.


Öko-Effekte können nach der nationalen Umsetzung – alternativ oder kumulativ – in den Vergabeunterlagen durch technische Spezifikationen oder im Rahmen von Zuschlagskriterien berücksichtigt werden. Wie schon sein europäisches Pendant, hat auch der deutsche Gesetzgeber lediglich die finanzielle Bewertung von Öko-Effekten detailliert geregelt. Demgegenüber enthalten die neuen Regelungen keine konkreten Vorgaben für die Berücksichtigung von Energiebedarf und Umweltauswirkungen in den Vergabeunterlagen. Die Vergabestellen können insofern auf die bekannten Gestaltungsmittel zurückgreifen. Insbesondere können sie ein sachgerechtes Umweltprofil der nachgefragten Kfz in Form von Mindestkriterien festlegen oder die gute Umweltleistung eines angebotenen Fahrzeugs, z. B. in Form von Bonuspunkten bei den leistungsbezogenen Zuschlagskriterien, honorieren. Regelmäßig dürfte es sich anbieten, diese „Stilmittel“ kombiniert einzusetzen. Seine Grenze findet die Gestaltungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers allerdings im europarechtlichen Effektivitätsgebot: Ausgestaltung und Gewichtung der Zuschlagskriterien dürfen nicht dazu führen, dass die vom europäischen Gesetzgeber aufgestellte Berücksichtigungspflicht letztlich ins Leere läuft.

Finanzielle Bewertungsmethode

Bemerkenswert detaillierte Vorgaben treffen die Neuregelungen zu der finanziellen Bewertung von Öko-Effekten. Vor allem legen sie für die Beurteilung des Energiebedarfs der angebotenen Kfz eine Formel fest, von der öffentliche Auftraggeber, die sich für eine finanzielle Bewertung der Öko-Effekte entscheiden, nicht abweichen dürfen. Die Formel soll es den Beschaffern ermöglichen, die berücksichtigungspflichtigen Öko-Effekte auf Grundlage einer einheitlichen Methode zu kapitalisieren. Dabei folgt die Formel in Grobzügen folgendem Ansatz: Die Neuregelungen ordnen jedem Kraftstoffverbrauch einen Energiegehalt zu, z. B. 36 MJ/Liter Dieselkraftstoff. Ausgehend von dem sich regelmäßig aus der Hersteller-Dokumentation ergebenden Kraftstoffverbrauch wird zunächst der Energieverbrauch eines Kfz pro Kilometer ermittelt. Im nächsten Schritt wird der Verbrauch pro Kilometer in einen Geldbetrag umgewandelt. Herangezogen werden dabei nicht etwa die tatsächlichen Kosten des jeweiligen Kraftstoffs, sondern der Nettopreis von Diesel- bzw. Ottokraftstoff – je nachdem, welcher Kraftstoff „vor Steuern“ gerade günstiger ist. Auf dieser Grundlage werden schließlich die Energieverbrauchskosten für die Kfz-Lebenszeit ermittelt, wobei die Neuregelungen auch die hierfür maßgebliche Gesamtkilometerleistung – z. B. 200.000 km für Pkw – vorgibt. Abhängig von der Ausgestaltung des Wertungsmodus, insbesondere der Gewichtung der Zuschlagskriterien, kann sich hieraus ein ganz erheblicher Wettbewerbsvorteil für besonders energieeffiziente Kfz ergeben. Dies belegt das folgende Beispiel: Ein Fahrzeug, das sechs Liter Dieselkraftstoff auf 100 km verbraucht, hat danach einen Energieverbrauch von 216 MJ je 100 km bzw. 2,16 Megajoule je Kilometer. Demgegenüber ist der Energieverbrauch eines Elektrofahrzeugs, der bei etwa 10 Kilowattstunden auf 100 km liegt, mit 0,36 MJ je Kilometer deutlich niedriger. Im Beispiel ergibt dies bei einem Nettopreis von 65 Cent je Liter Dieselkraftstoff zu berücksichtigende Energieverbrauchskosten in Höhe von Euro 7.776,00. Demgegenüber belaufen sich die Energieverbrauchskosten für das Elektrofahrzeug auf Euro 1.296,00.

Außerhalb von Pkw-Beschaffungen stößt die Berechnungsmethode freilich an ihre Grenzen. So hat der Bundesrat in seinem Beschluss vom 18. 03. 2011 zu Recht darauf hingewiesen, dass die Formel insbesondere für schwere Nutzfahrzeuge und Busse ungeeignet sei. Für solche Fahrzeuge werden die Emissionen regelmäßig in g/kWh angegeben und lassen sich deshalb nicht direkt in den für die Anwendung der Formel erforderlichen „Emissionsfaktor“ umrechnen.

Abweichende nationale Umsetzung

Die Richtlinie belässt den Mitgliedstaaten kaum Spielraum bei ihrer Umsetzung. Dennoch fallen Richtlinientext und deutsche Umsetzung an ein paar Stellen nicht nur sprachlich auseinander. So fällt zunächst auf, dass sich die Neuregelungen in VgV und SektVO allgemein auf Kfz-Beschaffungen beziehen. Demgegenüber erstreckt sich der Geltungsanspruch der Richtlinie lediglich auf die spezielle Beschaffungsform des Kaufs. Das deutsche Vergaberecht geht damit über die Richtlinienvorgaben hinaus: Nach dem Wortlaut der Neuregelungen müssen Vergabestellen hierzulande Öko-Effekte nicht nur beim Fahrzeugkauf, sondern auch bei der Auswahl eines Miet- oder Leasingvertragspartners berücksichtigen. Das nationale Vergaberecht ist also insoweit strenger als vom Richtliniengeber gefordert. Freilich schweigen die Neuregelungen zu der Frage, wie insbesondere die finanzielle Berechnungsmethode mit ihrem klaren Bezug zur Gesamtkilometerleistung eines Kfz auf die Beschaffungsformen Miete und Leasing anzuwenden ist.

Ferner hat der deutsche Verordnungsgeber Gebrauch von der in der Richtlinie angelegten Möglichkeit gemacht, bestimmte Einsatzfahrzeuge, die in Deutschland weder typen- noch einzelgenehmigungspflichtig sind, von den Vorgaben bei der Beschaffung zu befreien. Einsatzfahrzeuge sind Straßenverkehrsfahrzeuge, die für den Einsatz im Rahmen des hoheitlichen Auftrags der Streitkräfte, des Katastrophenschutzes, der Feuerwehren und der Polizeien des Bundes und der Länder konstruiert und gebaut sind. Eine Freistellung der Vergabestellen von den neuen Vorgaben tritt jedoch nur insoweit ein, als dies erforderlich ist, um die bestimmungsgemäße Einsatzfähigkeit der Fahrzeuge nicht zu gefährden.

Fazit

Bereits die Kabinettsvorlage enthielt den Hinweis, dass der neue Rechtsrahmen zu Mehrkosten bei der Fahrzeugbeschaffung führen kann. Der höhere Anschaffungspreis soll jedoch durch Einsparung von Energiekosten in der Betriebsphase kompensiert werden. Ob sich diese Erwartung erfüllt, hängt naturgemäß auch von der künftigen Entwicklung der Energiekosten ab. Die Richtlinie ist ebenso wenig wie die zu ihrer Umsetzung in deutsches Vergaberecht geschaffenen Vorschriften darauf angelegt, den tatsächlichen Marktentwicklungen Rechnung zu tragen. Vielmehr gehen die Regelungstexte von einer gleichmäßigen Kostenentwicklung aller Energieträger aus. Folgt der Markt hingegen einem anderen Muster, ist nicht ausgeschlossen, dass die heute vergleichsweise günstigen Lebenszykluskosten von energieeffizienten Elektrofahrzeugen in der Praxis etwa von steigenden Stromkosten wieder aufgezehrt werden.

 

Christian Alexander Mayer

Rechtsanwalt, Noerr LLP, München,
Lehrbeauftragter für Umweltrecht & Regulierung (Universität Stuttgart)
 

Dr. Jan-Oliver Schrotz

LL.M. Rechtsanwalt, Noerr LLP, München
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