15.06.2011

Diskret, Verschwiegen, Öffentlich

Der Aufsichtsrat kommunaler Gebietskörperschaften im Spannungsfeld

Diskret, Verschwiegen, Öffentlich

Der Aufsichtsrat kommunaler Gebietskörperschaften im Spannungsfeld

Transparenz: Soll der Grundsatz der Öffentlichkeit höher wiegen als gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitspflicht? | © serdar akbulut - Fotolia
Transparenz: Soll der Grundsatz der Öffentlichkeit höher wiegen als gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitspflicht? | © serdar akbulut - Fotolia

Der Referentenentwurf (RefE) des Bundesministeriums der Justiz zur Änderung des Aktiengesetzes (sog. Aktienrechtsnovelle 2011, abrufbar unter www.bmj.de) ergänzt § 394 AktG. Danach soll für nichtbörsennotierte Gesellschaften, an denen eine Gebietskörperschaft beteiligt ist, neben der Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder die Öffentlichkeit der Aufsichtsratssitzungen in der Satzung frei gestaltbar sein. Aufsichtsratssitzungen können künftig also vollständig oder teilweise öffentlich abgehalten werden. Für die in der Praxis bedeutsamere GmbH mit fakultativem Aufsichtsrat gilt dies bereits de lege lata. Der RefE stellt dies klar und erteilt gegenläufigen Ansichten eine Absage. Eine Neuregelung enthält die Vorschrift aber für pflichtmitbestimmte GmbHs. Bei diesen Gesellschaften stehen Verschwiegenheitspflicht und Öffentlichkeit der Sitzung bislang wegen des zwingenden Verweises der Mitbestimmungsgesetze auf § 116 AktG nicht zur Disposition. Wird der RefE Gesetz, ist auch insoweit Gestaltungsfreiheit eröffnet.

Bewertung des Vorhabens

Der Deutsche Städtetag kritisiert den RefE im Hinblick auf kommunal getragene Gesellschaften. Durch die Neuregelung werde ein erheblicher öffentlicher Druck auf die kommunalen Anteilseigener erzeugt, die Öffentlichkeit von Aufsichtsratssitzungen in ihren Gesellschaften möglichst umfassend zuzulassen. Das schwäche die Stellung des Aufsichtsrates insgesamt. In der Tat besteht die Gefahr von Druck und Qualitätsverschlechterung. Dieses Risiko ist jedoch Preis der Gestaltungsfreiheit. Wer gestalten kann, trägt stets ein Fehlerrisiko. Das ist aber kein Grund, Satzungsautonomie nicht auch insoweit zuzulassen. Es ist lediglich ein Grund, sich besonders sorgfältig zu überlegen, ob und in welcher Weise von ihr Gebrauch gemacht werden soll. Grundsätzlich, insoweit ist dem Deutschen Städtetag zuzustimmen, sollte dies in Bezug auf die Herstellung von Öffentlichkeit allerdings eher restriktiv geschehen. Überwachung und Beratung der Geschäftsleitung eines Unternehmens erfordern Diskretion und Verschwiegenheit innerhalb des Überwachungsorgans. Damit verträgt sich die Öffentlichkeit von Sitzungen allenfalls ausnahmsweise. Soll gleichwohl die Öffentlichkeit von Aufsichtsratssitzungen hergestellt werden können, ist bei Gestaltung der Satzung insbesondere auf zwei Gesichtspunkte zu achten.

Entscheidungszuständigkeit und Verfahren

Zunächst sollte geregelt werden, wer über die Öffentlichkeit der Sitzung oder einzelner Sitzungsteile entscheidet. Das sollte der Aufsichtsrat selbst sein. Er kann am besten einschätzen, welche Teile seiner Sitzung der internen Beratung bedürfen. Allerdings wird der Aufsichtsrat die Einbeziehung der Öffentlichkeit tendenziell restriktiv handhaben. Deshalb wird die Gemeindevertretung (im Folgenden: Gemeinderat) eher darauf hinwirken, dass die Gesellschafterversammlung zuständig ist. Dann ist darauf zu achten, ihr die erforderliche Flexibilität zu belassen.


Die Gesellschafterversammlung muss die Möglichkeit haben, jederzeit einen Wechsel zwischen öffentlicher und nicht öffentlicher Sitzung herbeizuführen. Das muss sie nach freier Überzeugung und ohne Bindung an die strengen gemeinderechtlichen Bestimmungen über die Öffentlichkeit von Sitzungen des Gemeinderats entscheiden können. Die Maßgeblichkeit der gemeinderechtlichen Regelungen wäre ein Kunstfehler par excellence. Sie würde dazu führen, dass ein Wechsel nur eingeschränkt möglich und dass sowohl der diesbezügliche Gesellschafterbeschluss als auch der daraufhin gefasste Aufsichtsratsbeschluss mit einem hohen Fehlerrisiko verbunden wären.

Bei der Beschlussfassung selbst ist zu beachten, dass das Votum für oder gegen Herstellung von Öffentlichkeit in der Gesellschafterversammlung von dem Gesellschaftervertreter (Bürgermeister, Dezernent) abgegeben wird. Da es sich hierbei nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung handelt, bedarf es grundsätzlich eines Gemeinderatsbeschlusses.

Das kann dazu führen, dass der Gesellschaftervertreter zunächst aufgrund eines dahingehenden Gemeinderatsbeschlusses für Öffentlichkeit stimmt und dass er wegen nachträglicher Erkenntnisse und fehlender Erreichbarkeit des Gemeinderates gestützt auf sein Eilentscheidungsrecht anschließend gegenteilig entscheiden muss. Darin liegt ein erhebliches Konfliktpotenzial, über dessen Tragweite sich die Gesellschafter im Klaren sein müssen, wenn sie durch die Satzung die Sitzungsöffentlichkeit ermöglichen wollen.

Haftungsfragen

Sofern der Aufsichtsrat nicht selbst über die Herstellung der Öffentlichkeit entscheidet, sollte in Erwägung gezogen werden, in der Satzung die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für Überwachungsfehler bei öffentlicher Erörterung auszuschließen. Durch die Einbeziehung der Öffentlichkeit ist eine objektive und unabhängige Aufsichtsratstätigkeit zumindest erschwert. Die Qualität der Aufsichtsratstätigkeit kann nachhaltig leiden. Aufsichtsratsmitglieder können sich in ihren Entscheidungen beeinflussen lassen und sich mit kritischen Fragen und Äußerungen zurückhalten. Gleichwohl würden seine Mitglieder das volle persönliche Haftungsrisiko tragen. Das ist nicht sachgerecht.

Deshalb sollte ein Haftungsausschluss eingreifen, wenn und soweit Sitzungsteile öffentlich verhandelt werden. Dies kann dadurch geschehen, dass die Geltung der haftungsrechtlichen Bestimmungen der §§ 93 Abs. 2, 116 AktG, 52 GmbHG für solche Angelegenheiten in der Satzung ausgeschlossen wird. Wegen der Öffentlichkeit der Satzung, die bei dem Handelsregister für jedermann einsehbar ist, wäre diese Beschränkung eindeutig erkennbar. Daher besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Haftungsausschluss im Ernstfall gerichtsfest ist.

Für pflichtmitbestimmte Gesellschaften gilt dies allerdings nicht. Die Verweisung der Mitbestimmungsgesetze auf § 116 AktG ist zwingend, so dass die Aufsichtsratsmitglieder hier dem Grunde nach mit dem fortbestehenden Haftungsrisiko leben müssen. Diese Aufsichtsratsmitglieder können sich im Konfliktfall nur mit dem Argument verteidigen, die Gesellschafter hätten die Tragweite der anstehenden Entscheidung aufgrund der öffentlichen Erörterung und die damit verbundenen Risiken vollinhaltlich gekannt und bewusst mitgetragen.

Fazit

Die geplante Ergänzung des § 394 AktG sieht die Möglichkeit der Durchführung öffentlicher Aufsichtsratssitzungen vor. Ob dies ratsam ist, erscheint fraglich. Ist dies gleichwohl erwünscht, sollte im Interesse der Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats besonders sorgsam vorgegangen werden.

In der Satzung geregelt werden sollte insbesondere, wer über die Herstellung der Öffentlichkeit entscheidet. Dies sollte möglichst der Aufsichtsrat selbst sein, wahrscheinlich wird die Praxis insoweit aber die Gesellschafterversammlung für zuständig erklären. Weiterhin sollte darauf geachtet werden, dass über einen Wechsel zwischen öffentlicher und nicht öffentlicher Sitzung ohne Bindung an die gemeinderechtlichen Bestimmungen entschieden werden kann. Andernfalls besteht ein hohes Fehlerrisiko für einen Änderungsbeschluss der Gesellschafterversammlung und den anschließenden Beschluss des Aufsichtsrats. Schließlich sollte überlegt werden, die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für Angelegenheiten auszuschließen, über die in öffentlicher Sitzung verhandelt wurde. Für Aufsichtsräte, die einem Mitbestimmungsgesetz unterliegen, besteht diese Möglichkeit allerdings nicht.

 

Dr. Axel Smend

Geschäftsführender Gesellschafter Deutsche Agentur für Aufsichtsräte Gesellschaft für Vermittlung und Beratung von Aufsichts- und Beiräten mbH, Berlin
 

Dr. Christian Ziche

Rechtsanwalt, Partner Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Dresden
n/a