01.03.2021

Querelen um Quarantänen

Die schwierige Unterbringung von Geflüchteten in Zeiten von Corona

Querelen um Quarantänen

Die schwierige Unterbringung von Geflüchteten in Zeiten von Corona

Die Wohnsituation Geflüchteter ist zu Beginn stark reguliert. © Marco2811 – fotolia.com
Die Wohnsituation Geflüchteter ist zu Beginn stark reguliert. © Marco2811 – fotolia.com

Wie stellt man einen wirksamen Infektionsschutz bei der Unterbringung von Geflüchteten sicher? Erforderlich sind passgenaue Hygieneschutzmaßnahmen in den Gemeinschaftsunterkünften und ein optimiertes Gesundheitsmanagement. Vonnöten sind aber auch einheitliche rechtliche Vorgaben für eine menschenwürdige Unterbringung und Perspektiven des Wohnens.

 

Wenn wir aus der Krise weniger egoistisch herauskommen wollen, als wir hineingegangen sind, dann müssen wir uns von dem Leiden anderer Menschen anrühren lassen.“

(Papst Franziskus, Wage zu Träumen, Mit Zuversicht aus der Krise, 2020, S. 13)


Vor fast einem Jahr, am 11. März 2020, wurde ein Chinese in Heidelberg als erster Fall einer SARS-CoV-19-Infektion in einem Ankunftszentrum gemeldet. Seitdem schrecken uns in der täglichen Medienflut über die Covid-19-Pandemie regelmäßig auch Nachrichten über Infektionen in Flüchtlingseinrichtungen auf. Meist hat sich eine größere Anzahl Geflüchteter angesteckt. Das Virus kann sich schneller verbreiten, wenn Menschen auf engerem Raum gemeinschaftlich untergebracht sind. Reagiert wird behördlich oft mit Kollektivquarantänen. Flüchtlingsinitiativen wie ProAsyl und ehrenamtliche Unterstützer*innen fordern daher die Auflösung der Sammelunterkünfte. Bevor den dahinterstehenden Sorgen nachgegangen und die rechtliche Situation näher beleuchtet wird, sollen zuerst die Rahmenbedingungen der seit der sog. „Flüchtlingskrise“ 2015 ein wenig aus dem Blick der Öffentlichkeit geratenen Unterbringung Geflüchteter in Deutschland dargestellt werden.

Der weite Weg von der Einreise zum Wohnen

In der ersten Zeit der Pandemie waren eingereiste Ausländern*innen nicht verpflichtet, sich prophylaktisch auf Covid-19 testen zu lassen. Inzwischen besteht nach § 3 Abs.1 Coronavirus-Einreiseverordnung (CoronaEinreiseV) eine solche Pflicht bei Einreise aus einem Corona-Risikogebiet. Um darüber hinaus eine Ansteckungsgefahr durch jüngst eingereiste infizierte, aber symptomlose Geflüchtete in Regelunterkünften zu vermeiden, werden diese häufig zunächst gesondert untergebracht, um sie gesundheitlich zu beobachten. Eine präventive Quarantäne ist mangels positiver Testung oder nachweisbarem Kontakt nicht möglich.

Die Wohnsituation Geflüchteter ist zu Beginn ihrer Ankunft stark reguliert und wird durch institutionelle Zuweisungsprozesse bestimmt. Asylbewerber*innen sind rechtlich verpflichtet, zunächst bis zu sechs Wochen, längstens jedoch bis zu sechs Monate bzw. höchstens bis zur Zuerkennung eines Schutzstatus, sich in einer sog. Aufnahmeeinrichtung aufzuhalten (§§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Asylgesetz – AsylG). Die Länder haben darüber hinaus die Möglichkeit, Ausländer*innen bis zur Entscheidung über den Asylantrag bzw. bis zur Ausreise längstens jedoch für 24 Monate, zu verpflichten, in einer Aufnahmeeinrichtung zu leben (§ 47 Abs. 1b AsylG).

Im Anschluss an die Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung erfolgt eine Verteilung auf die Kommunen, die regelmäßig durch Landesgesetz vor allem zur Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerber*innen verpflichtet werden (vgl. etwa §§ 1 Abs.1, 2 Flüchtlingsaufnahmegesetz NRW). Spiegelbildlich steht dieser kommunalen Pflicht jedoch keine Pflicht der Geflüchteten gegenüber, sich öffentlich-rechtlich unterbringen zu lassen. Die Geflüchteten sind frei, bei Bekannten oder Verwandten eine Bleibe zu finden oder in eine eigene Wohnung zu ziehen. Wegen ihres ungeklärten Aufenthaltsstatus und ihrer meist prekären wirtschaftlichen Situation haben sie indes auf dem freien Wohnungsmarkt kaum realistische Chancen. Sie nehmen daher erst einmal staatliche Hilfe in Anspruch, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Diejenigen Geflüchteten oder Ausländer*innen, die nicht unter die speziellen landesrechtlichen Aufnahmeregelungen fallen, sind wegen drohender Obdachlosigkeit im Rahmen der Gefahrenabwehr ordnungsbehördlich unterzubringen. Bei gesicherter Bleibeperspektive ist aber die Wohnungsvermittlung vordringlich.

Kompass für menschenwürdige Unterbringung

Das Bundesrecht scheut klare Vorgaben etwa hinsichtlich Größe und Ausstattung der Unterbringungsräume, Umfang und Ausstattung von Sanitär- oder Gemeinschaftsräumen oder Internetempfang. Bestimmungen der Länder zur Wohnungsaufsicht, besonders zum Problem der Überbelegung, klammern Erstaufnahme- und Gemeinschaftseinrichtungen aus. Nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist die gemeinschaftliche Unterbringung Geflüchteter wegen der heimtypischen Organisationsstruktur bereits kein Wohnen (BGH, NJW 2018, 41). Der grundrechtliche Schutz des Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) macht jedoch vor den Türen der Flüchtlingsunterkunft nicht halt. So bedarf der Vollzug einer unangekündigten Abschiebung zu Recht eines richterlichen Durchsuchungsbefehls (so zuletzt OVG Hamburg, DÖV 2020, 1044, m.w.N.).

Normativer Kompass ist demnach die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu Mindeststandards für eine menschenwürdige Unterbringung von Obdachlosen. Das OVG NRW hat in einer neueren Entscheidung juristisch behutsam auf die wohnungsaufsichtsrechtlichen Anforderungen an Mindestwohnraum rekurrierend 9 m² je Bewohner*in über sechs Jahre verlangt. Ferner seien besonderen Bedarfe infolge Alter, körperlicher oder psychischer Erkrankung sowie Pflegebedürftigkeit zu berücksichtigen. Außerdem komme es auf geschlechterspezifische Bedürfnisse, etwa bei der Unterbringung von Geschwistern, an sowie auf Rückzugsmöglichkeiten zur Erledigung von Schularbeiten (OVG NRW, NWVBl. 2020, 303). Manche Länder, wie etwa Baden-Württemberg, sehen bei der Unterbringung Geflüchteter jedoch eigene, sogar im Vergleich zur ordnungsbehördlichen Unterbringung niedrigere Standards vor (§ 8 Abs. 1 FlüAG BaWü legt eine durchschnittliche Wohn- und Schlaffläche von mindestens sieben Quadratmetern zugrunde). Bei der Unterbringung wohnungsloser bedürftiger Menschen mit unterschiedlicher normativer Elle zu messen, verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Menschenwürde von Asylbewerber*innen darf zudem migrationspolitisch nicht relativiert werden (BVerfGE 132, 134 ff.).

Infektionsschutz ante portas

Auch schon vor der Covid-19-Pandemie war der Infektionsschutz in Flüchtlingseinrichtungen im legislativen Blick. Gemäß § 36 Abs. 1 Ziffer 4 Infektionsschutzgesetz (IfSchG) müssen Einrichtungen zur „gemeinschaftlichen Unterbringung von Asylbewerbern, vollziehbar Ausreisepflichtigen, Flüchtlingen und Spätaussiedelern“ in Hygieneplänen innerbetriebliche Verfahrensweisen zur Infektionshygiene festlegen; sie unterliegen zudem der infektionshygienischen Überwachung durch das Gesundheitsamt. Jedes kommunale Gesundheitsamt verfügt regelmäßig über einen flüchtlingsmedizinischen Dienst, der sich mit den konkreten Infektionsrisiken in Unterbringungseinrichtungen und ihrer Vermeidung und Minimierung beschäftigt.

Bereits vor Corona hat auch die Rechtsprechung die Gesundheit der Untergebrachten thematisiert, wobei dies am Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und an Standards für menschenwürdige Behandlung der EU-Aufnahmerichtlinie von 2013  festgemacht wird (VGH München, Beschl. v. 18.2.2019, 4 CE 19.238, BeckRS 2019, 2269). Der grundrechtliche Anspruch zielt nicht auf völlige Befreiung eines allgemein bestehenden Ansteckungsrisikos. Es muss sich gerade aus der spezifischen Gestaltung der konkreten Unterbringungssituation ein erhöhtes Ansteckungsrisiko ergeben. Zudem begründet allein der pauschale Hinweis auf massenhaftes Auftreten von Infektionen in anderen Gemeinschaftseinrichtungen noch keinen Anspruch auf alternative Unterbringung. Es kommt einzelfallbezogen auf das in der jeweiligen Einrichtung ergriffene Schutzkonzept an (OVG NRW, Beschl. v. 16.06.2020, 9 B 765/20, BeckRS 2020, 12334).

Covid-19 als ungebetener Gast

Das Robert-Koch-Institut hat am 10. Juli 2020 eine detaillierte „Empfehlung für Gesundheitsämter zu Prävention und Management von Covid-19-Erkrankungen zur Unterbringung von Menschen in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte für Schutzsuchende (im Sinne von §§ 44, 53 AsylG)“ herausgegeben. Die Hinweise werden in den Ländern zumeist beachtet und bei der Unterbringung der bundesweit ca. 441.000 wohnungslosen Geflüchteten (Stand 11/2019) umgesetzt.

Mögliche Maßnahmen sind: umfassende Aufklärung der Geflüchteten zu den bekannten AHA-Regeln wie Mindestabstand, regelmäßiges Händewaschen, Desinfektionsmaßnahmen, Mund-Nasen-Schutz sowie Lüften, Aufklärung im Rahmen gesundheitlicher Beratung und mit Hilfe von Plakaten und Handzetteln mit erklärenden Piktogrammen. Letztere wird und sollte stets auch in Leichter Sprache und diversen Landesprachen geleistet werden.

Besonderes Augenmerk sollte ferner auf den sog. vulnerablen Gruppen liegen (Schwangere, ältere Geflüchtete, Traumatisierte usw.). Die Beurteilung, ob die konkrete Vorerkrankung eines Geflüchteten ein Risiko für eine leichtere Ansteckung mit SARS-CoV-2 oder für einen schwereren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung bedeutet, bedarf häufig allerdings genauerer medizinischer Expertise des flüchtlingsmedizinischen Dienstes des jeweiligen Gesundheitsamtes. Anschließend muss eine angemessene ausreichende gesundheitliche Versorgung selbstverständlich sein. Unterbringungen außerhalb kollektiver Quarantänen sind zu prüfen.

Alternatives Krisenmanagement

Seit der Flüchtlingskrise haben die Kommunen den Anteil der Unterbringungen in Gemeinschaftsunterkünften stark reduziert. Diese Unterkünfte wurden nach und nach durch dezentrale kleinere Unterbringungen mit abgeschlossenen Einheiten ersetzt, die über eine eigene Küche und eigene Sanitärräume verfügen. Das fördert nicht nur die soziale Integration, sondern erleichtert auch in der Pandemie das Social-Distancing. Dezentrale Unterbringung in abgeschlossenen Wohneinheiten bleibt damit der wirksamste Schutz.

Solange aber noch mangels bereiter Alternativen zentrale Unterbringungen erforderlich sind, wäre es über die strikte Beachtung bestehender Hygienemaßnahmen und der Optimierung des lokalen Gesundheitsmanagements hinaus ratsam, bundesweite Empfehlungen zu entwickeln, welche die Prävention und Eindämmung von SARS-CoV-2 in Aufnahme- und Gemeinschaftseinrichtungen einheitlich regeln. Die disparaten, oft lückenhaften lokalen Regelungen insbesondere zur räumlichen Situation bergen die Gefahr gleichheitswidriger Friktionen.

Auf lange Sicht müssen wir aber ohnehin unsere Kraft für die Bewältigung der weniger sichtbaren großen Krisen der Welt richten und die „verborgenen Pandemien des Hungers, der Gewalt und des Klimawandels“ (Papst Franziskus) eindämmen und damit die Fluchtursachen bekämpfen. Bis dahin gilt es aber nicht nur, die der Europäischen Menschenrechtskonvention Hohn sprechende Unterbringung von Geflüchteten in Griechenland und auf dem Balkan anzuprangern und dort menschenwürdige Verhältnisse zu schaffen, sondern die Unterbringungssituation und den Infektionsschutz für geflüchtete Menschen auch hierzulande immer noch weiter zu verbessern.

 

Franz Dillmann

Leiter des Bürgeramtes Köln-Rodenkirchen
 

Oliver Meissner

Assessor, Stadt Köln
n/a