10.07.2023

Polizeiliche Maßnahmen gegen Teilnehmer an sogenannten „Spaziergängen“

Beschluss des Verwaltungsgericht Trier

Polizeiliche Maßnahmen gegen Teilnehmer an sogenannten „Spaziergängen“

Beschluss des Verwaltungsgericht Trier

Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV

Das Verwaltungsgericht Trier hat eine polizeiliche Anordnung aufgehoben. Die Polizei hatte bei einem sogenannten „Spaziergang“ das Anfertigen von Lichtbildern durchgesetzt und zudem ein Platzverbot erteilt. Warum das laut des Gerichts rechtswidrig war,  zeigt der nachfolgende Bericht auf.

Sachverhalt

Am Mittwoch, den 22.12.2021, nahm die Klägerin an einem sogenannten „Spaziergang“ in der Trierer Innenstadt teil, der zuvor nicht als Versammlung angemeldet worden war. Ziel des Treffens war es, „ein Zeichen“ zu setzen und aufzuzeigen, wie viele Menschen mit der aktuellen Corona-Situation unzufrieden seien.

Am Tag der Versammlung fand sich gegen 19.00 Uhr eine Gruppe von etwa 30 Personen beim „City Parkhaus Trier“ ein, die sich von dort gegen 19.10 Uhr in Richtung des Kornmarkts bewegte. Gegen 19.21 Uhr begab sich die Gruppe zu einem zwischen Nagelstraße und Kornmarkt gelegenen Parkplatz, wo sie sich mit einer weiteren Gruppe von ca. 40 Personen zusammenschloss. Die Gruppe zog sodann geschlossen in Richtung Kornmarkt, wobei sie auf ca. 100 Personen anwuchs. Mehrere Personen führten Kerzen mit. In der Johann- Philipp-Straße wurde die Personengruppe durch Einsatzkräfte der Polizei umschlossen und angehalten. Gegen 19.37 Uhr wurde sie aufgefordert, einen Versammlungsleiter zu benennen. In den vorgelegten polizeilichen Vermerken heißt es, die Teilnehmer hätten die damals geltenden Abstandsregelungen missachtet und überwiegend keine Mund-Nasen-Bedeckung getragen.


Nachdem sich bis 19.42 Uhr keine Person als verantwortlich bekannt hatte, löste die Polizei die Versammlung auf, belegte die Ansammlung mit einer Auflösungsverfügung und eröffnete den Versammlungsteilnehmern, dass gegen sie ein Bußgeldverfahren eingeleitet werde. Zudem erteilte sie gegenüber den Teilnehmern bis um 6.00 Uhr des Folgetages einen Platzverweis für den Bereich der Fußgängerzone zwischen Porta Nigra und Viehmarkt.

Nachfolgend richtete die Polizei eine Durchlassstelle ein und unterzog etwa 90 Personen, darunter auch die Klägerin, einer Identitätsfeststellung. Im Rahmen der Identitätsfeststellung wurden die Personalien der Betroffenen erfragt, die Aushändigung ihrer Personalausweise verlangt und Lichtbilder von den Betroffenen angefertigt. Am 16.03.2022 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, die Polizei habe sie weder zum Tragen einer Mund- Nasen-Bedeckung noch zur Einhaltung eines Mindestabstands aufgefordert.

Im Anschluss an die Identitätsfeststellung habe man ihr untersagt, den gewünschten Weg zu ihrem Kraftfahrzeug zu nehmen. Auch der alternative Weg sei ihr untersagt worden. Insbesondere wegen der Art und Weise, wie die Lichtbilder angefertigt worden seien, habe sie sich „wie eine Schwerverbrecherin“ behandelt gefühlt.

Die Klägerin beantragt, festzustellen, dass

  1. die von der Polizei im Rahmen der Identitätsfeststellung vorgenommene Abfrage von Personalien,
  2. die von der Polizei im Rahmen der Identitätsfeststellung gegenüber der Klägerin geäußerte Aufforderung, den Personalausweis auszuhändigen,
  3. die gegenüber der Klägerin geäußerte Anordnung der Polizei, das Anfertigen von Lichtbildern zu erdulden,
  4. der durch die Polizei gegenüber der Klägerin erteilte Platzverweis,
  5. das gegenüber der Klägerin ausgesprochene Verbot, den direkten Weg zum Parkplatz des Kraftfahrzeugs zu nehmen, und
  6. das Umstellen und Anhalten der Versammlung, an der die Klägerin teilnahm, durch die Polizei rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Versammlungsgesetz des Bundes – § 15 Abs. 3 Polizeigesetz Rheinland-Pfalz – § 13 Die am 22.12.2021 gegenüber der Klägerin geäußerte Anordnung der Polizei, das Anfertigen von Lichtbildern zu erdulden, wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der durch die Polizei am 22.12.2021 gegenüber der Klägerin erteilte Platzverweis rechtswidrig war. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Verwaltungsgericht Trier (Urteil vom v. 26.08.2022 – 6 K 747/22 – Verlags-Archiv Nr. 2023-03-09)

Aus den Gründen

Die Klage hat nur hinsichtlich der Klageanträge zu 3. und zu 4. Erfolg; im Übrigen ist sie abzuweisen. Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrags zu 6., mit dem die Klägerin die Feststellung begehrt, dass das Anhalten und Umstellen der Versammlung rechtswidrig war, zwar zulässig, aber unbegründet, denn die Polizei war zum Anhalten des Aufzugs und der nachfolgenden Umstellung der Versammlungsteilnehmer befugt. Die Maßnahme war sowohl während der laufenden Versammlung als auch nach ihrer Auflösung rechtmäßig und verletzte die Klägerin nicht in ihren Rechten. Rechtsgrundlage für die polizeiliche Maßnahme war hier § 15 Abs. 3 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge des Bundes (VersammlG).

Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug auflösen, wenn sie nicht angemeldet sind oder wenn von den Angaben der Anmeldung abgewichen oder den Auflagen zuwidergehandelt wird oder wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach § 15 Abs. 1 oder 2 VersammlG gegeben sind.

Neben der Auflösung kann die zuständige Behörde bei durch eine Versammlung oder einen Aufzug verursachten Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung aber auch eine sogenannte Minusmaßnahme als milderes Mittel anordnen. Das Anhalten der Versammlung durch eine Polizeikette mit der nachfolgenden Umstellung im Bereich der Johann-Philipp-Straße zwischen Kornmarkt und Brotstraße bzw. Konstantinstraße war auch materiell rechtmäßig.

Bei der als „Spaziergang“ betitelten Ansammlung von Personen handelte es sich erkennbar um eine Versammlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG, denn die teilnehmenden Personen, die aufgrund ihres geschlossenen Auftretens und des kollusiven Verhaltens gegenüber der Polizei eine innere Verbundenheit erkennen ließen, hatten sich zum Zwecke der gemeinsamen Meinungsäußerung am Abend des 22.12.2021 in der Trierer Innenstadt eingefunden. Es bestand auch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, denn die gemäß § 14 Abs. 1 VersammlG erforderliche Anmeldung war hier bewusst unterblieben und die Versammlung verfügte auch nicht über einen Versammlungsleiter.

Grundsätzlich rechtfertigt allein ein Verstoß gegen die in § 14 Abs. 1 VersammlG statuierte Anzeigepflicht – entgegen dem Wortlaut des § 15 Abs. 3 VersammlG – zwar keine Auflösung der Versammlung oder andere Beschränkungen. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn durch eine fehlende Anmeldung bewusst verhindert werden soll, dass die Behörden die notwendigen organisatorischen Maßnahmen treffen und personelle Kräfte zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit bereitstellen können.

Dies trifft auch auf sogenannte „Spaziergänge“ zu, bei denen gefahrenabwehrrechtliche Sicherheitsmaßnahmen, wie etwa die Erteilung versammlungsspezifischer oder infektionsschutzrechtlicher Auflagen, durch die planmäßige Nichtanmeldung gezielt vereitelt werden sollen. Dies war auch hier der Fall. Ob und in welchem Ausmaß von der Versammlung noch weitere Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgingen, bedarf daher keiner Klärung. Die Maßnahme war auch nicht ermessensfehlerhaft; insbesondere war sie nicht unverhältnismäßig.

Die polizeiliche Umstellung war auch nach der Auflösung der Versammlung noch rechtmäßig, denn diese diente der Durchsetzung der Identitätsfeststellung. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Maßnahme auf § 10 Abs. 2 Satz 3 POG oder auf § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 163b Abs. 1 Satz 2 der Strafprozessordnung (StPO) zu stützen war, denn die Tatbestandsvoraussetzungen der beiden Vorschriften sind jeweils identisch. Danach kann der Betroffene beziehungsweise der Verdächtigte festgehalten werden, wenn die Identität auf andere Art und Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Es bestand hier die Gefahr, dass die Versammlungsteilnehmer, die bis zuletzt ihre Teilnahme an einer Versammlung leugneten und wahrheitswidrig angaben, nur zufällig vor Ort gewesen zu sein, sich ohne entsprechende Sicherungsmaßnahmen der geplanten Identitätsfeststellung entziehen würden.

Die Maßnahme war auch nicht ermessensfehlerhaft und nicht unverhältnismäßig. Hinsichtlich der Klageanträge zu 1. und zu 2., mit denen die Klägerin die Feststellung begehrt, dass die im Rahmen der Identitätsfeststellung vorgenommene Abfrage der Personalien und die Aufforderung, den Personalausweis auszuhändigen, rechtswidrig waren, ist die Klage bereits unzulässig. Zwar ist sie statthaft, allerdings fehlt es der Klägerin an dem insoweit erforderlichen Feststellungsinteresse. Ebenso wenig kann sich die Klägerin auf ein Rehabilitationsinteresse berufen. Die Klägerin hat durch das Erfragen ihrer Personalien und die Aufforderung, ihren Personalausweis auszuhändigen, keinen nachhaltigen Ansehensverlust in der Öffentlichkeit erlitten.

Der Klageantrag zu 4. ist zulässig und auch begründet. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 POG können die allgemeinen Ordnungsbehörden und die Polizei zur Abwehr einer Gefahr eine Person befristet von einem Ort verweisen oder ihr befristet das Betreten eines Ortes verbieten (Platzverweisung). Der Begriff „Ort“ wird in der Rechtsprechung unterschiedlich verstanden. Gegen ein weites Verständnis des Ortsbegriffs in § 13 Abs. 1 Satz 1 POG spricht der systematische Vergleich mit dem in dessen Absatz 3 geregelten Aufenthaltsverbot. Danach kann die Polizei einer Person verbieten, einen bestimmten Ort, ein bestimmtes Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder ein Gemeindegebiet zu betreten oder sich dort aufzuhalten, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Person dort eine Straftat begehen wird. Mit der Einführung dieser Vorschrift im Jahr 2004 hat der Gesetzgeber der Polizei zusätzlich die Möglichkeit eingeräumt, bei Vorliegen strengerer Tatbestandsvoraussetzungen einen in örtlichem und zeitlichem Umfang „erweiterten Platzverweis“ (Aufenthaltsverbot) auszusprechen.

(…)

Im hier vorliegenden Fall hatte die Klägerin ihre Personalien angegeben und ihren Personalausweis vorgelegt. Es kann dahingestellt bleiben, inwieweit die Generalklausel des § 9 Abs. 1 Satz 1 POG neben den zuvor geprüften Regelungen Anwendung finden kann. Danach wäre es denkbar, dass die Lichtbilder der Klägerin und der übrigen Versammlungsteilnehmer auch dazu hätten dienen können, diese wiederzuerkennen, falls sie sich entgegen dem Platzverweis abermals in die Fußgängerzone begeben hätten, um sich dort erneut zu einem unzulässigen Aufzug zusammenzufinden. Insoweit ging es wohl nicht um eine Identitätsfeststellung im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 POG. Auch insoweit wäre die Ablichtung der Klägerin jedoch zumindest unverhältnismäßig gewesen. Soweit es darum gegangen sein sollte, einem Verstoß gegen den Platzverweis entgegenzuwirken, würde wegen dessen Rechtswidrigkeit bereits kein legitimer Zweck verfolgt.

Der Klageantrag zu 5. ist unzulässig. Insbesondere liegt im Hinblick auf das Verbot, den direkten Weg durch die Fußgängerzone zu wählen, weder eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung vor noch besteht eine konkrete Wiederholungsgefahr. Das Verbot, den direkten Weg zum Parkplatz ihres Kraftfahrzeugs zu nehmen, beeinträchtigte die Klägerin nur geringfügig in ihrer körperlichen Bewegungsfreiheit bzw. in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit, da sie einmalig daran gehindert war, durch die Fußgängerzone und somit auf einem direkteren Weg zu ihrem Fahrzeug zu gelangen.

 

Entnommen aus dem Neuen Polizeiarchiv 3/2023, Lz. 891.

 

Norbert Klapper

Kriminalhauptkommissar a. D., Steinfurt/W.
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