05.01.2023

Polizei und Korruption

Gefahr für den Rechtsstaat

Polizei und Korruption

Gefahr für den Rechtsstaat

Jedem Anfang wohnt die Möglichkeit eines nicht mehr beherrschbaren Endes inne.  | © Minerva Studio - stock.adobe.com
Jedem Anfang wohnt die Möglichkeit eines nicht mehr beherrschbaren Endes inne.  | © Minerva Studio - stock.adobe.com

Korruption sorgt für eine Ungleichbehandlung von Bürgern und verletzt damit das Prinzip der Gerechtigkeit. Dort, wo sich Amtsträger an eine Annahme von Vorteilen gewöhnen, besteht die Gefahr der Aushöhlung des Rechtsstaates. Beispiele anderer Länder, in denen die Korruption blüht, zeigen sehr deutlich, dass in einer Kultur des illegalen Gebens und Nehmens schließlich nur noch das Recht des wirtschaftlich Stärkeren zählt und das geltende Recht ausgehebelt wird. (…)

Eine Handvoll Münzen – wo ist das Problem?

Es ist knapp 40 Jahre her, dass ich nach meiner Polizeiausbildung den Streifendienst in der Stadtmitte einer großen Ruhrgebietsstadt aufgenommen habe. Wie überall gab es auch in unserem Schutzbereich präferierte Orte der Nahrungsbeschaffung, die sich nicht unbedingt durch gesundes, aber durchaus leckeres und schnell zubereitetes Essen auszeichneten – letzteres konnte gerade in Dienstschichten mit hohem Einsatzaufkommen von größter Bedeutung sein, da das Fast Food zwischen zwei Einsätzen oft in großer Eile heruntergeschlungen werden musste. Den ersten Platz nahm bei uns im Schutzbereich ein Imbiss ein, dessen Betreiberin ich hier einfach „Uschi“ nennen möchte.

Wenn man bei Uschi Currywurst und Pommes frites oder ein halbes Hähnchen bestellte, gab es bei der Bezahlung immer wieder dasselbe Ritual: Man erfuhr in Hörweite aller anwesenden Gäste – die mehrheitlich nicht der Polizei angehörten – den Preis der Bestellung, reichte einen Schein über die Theke und bekam, unauffällig in Uschis Faust verborgen, entweder in Münzen denselben oder annähernd denselben Betrag, den man gegeben hatte, zurück. Selten wurde von Uschi der Preis genommen, den das Essen regulär gekostet hätte. (…)


Sind denn so ein paar D-Mark, die wir damals gespart haben, so ein paar kleine Gefälligkeiten, überhaupt ein Problem? Die Antwort lautet eindeutig: ja! Sie sind die ersten zarten Keimlinge für Korruption. Keimlinge, die – einmal zu richtiger Größe gewachsen – im schlimmsten Fall einen Rechtsstaat zerstören können. (…) Wir hätten durch den Polizeirabatt in Uschis Schuld gestanden.

Wir wären zweifellos befangen gewesen. Ich hatte das Glück, nie in eine solche Konfliktlage geraten zu müssen, aber möglichweise hätte wir dort, wo wir anderen eine Bußgeldanzeige geschrieben hätten oder einen Arzt für eine Blutprobe geholt und eine Strafanzeige geschrieben hätten, ein Auge zugedrückt. Wir hätten möglicherweise unseren Strafverfolgungsauftrag mit Füßen getreten, unseren Diensteid missachtet, hätten uns selbst strafbar gemacht, weil wir uns vielleicht genötigt gefühlt hätten, den Polizeirabatt mit unseren Möglichkeiten „zurückzuzahlen“. (…)

Die Schäden der Korruption

Das Bundeskriminalamt bezeichnet als Korruption den „Missbrauch eines öffentlichen Amtes (…) zugunsten eines Anderen, auf dessen Veranlassung oder in Eigeninitiative, zur Erlangung eines Vorteils für sich oder einen Dritten, mit Eintritt oder in Erwartung des Eintritts eines Schadens oder Nachteils für die Allgemeinheit (…).“[1]

In Deutschland ist die Strafbarkeit der Korruption von Amtsträgern in den §§ 331 ff. StGB geregelt. Die dortigen Normen stellen sowohl das Handeln dessen, der einem Amtsträger einen unerlaubten Vorteil bietet, wie auch das Handeln des Amtsträgers selbst unter Strafe. Worin bestehen nun die eigentlichen Gefahren dieses Gebens und Nehmens, bei dem auf der Nehmerseite Exponenten des Staates wie Polizeibeamte, aber auch Mitarbeiter von Bauämtern oder andere Träger staatlicher Gewalt stehen? (…)

Nachteile für die Bürger

Jeder Bürger muss in einem Rechtsstaat eine unbedingte Gleichbehandlung erwarten können. In Deutschland ergibt sich dies aus Artikel 3 des Grundgesetzes. Er beinhaltet den Grundsatz, dass alle Menschen in vergleichbaren Sachverhalten auch gleich behandelt werden müssen. Dort, wo sich Korruption manifestiert, stirbt die Gleichbehandlung und damit die Gerechtigkeit. (…)

Korruption produziert Ungleichbehandlung. Staatliche Ungleichbehandlung ist Ungerechtigkeit. Und diese Ungerechtigkeit kann im schlechtesten Fall bis zur wirtschaftlichen, sozialen oder sogar physischen Vernichtung von Menschen durch korrupte Hoheitsträger führen.

Nachteile für den Rechtsstaat

Öffentlich wahrnehmbare Korruption erschüttert das Vertrauen der Bevölkerung in das Funktionieren des Staates. In einem Staat, in dem Bürger erleben, dass die Hoheitsträger sich nicht am Gedanken der Gerechtigkeit orientieren und Normen missachten, um sich oder Dritten Vorteile zu verschaffen, sinkt die Akzeptanz der Gesellschaft, selbst Regeln zu befolgen. Wenn sich doch schon die Vertreter des Staates nicht um die Einhaltung der Gesetze scheren, wie soll sich bei den einzelnen Bürgern ein Gewissen aufbauen, das ihnen selbst eine Regelbefolgung abverlangt?

Der korrupte Staat verliert seine Integrität. Dort, wo sich seine Hoheitsträger unerlaubte Vorteile verschaffen und im Gegenzug die Ziele derer verfolgen, von denen sie diese Vorteile empfangen, kann sich selbst niemand mehr an Regeln gebunden fühlen. Der Staat büßt seine Rolle als Vorbild zur Regelbefolgung ein. Dieser Verlust der Vorbildfunktion normativen Handelns muss zwangsläufig zu einem kollektiven Gefühl der Anomie führen. Wer nicht benachteiligt werden möchte oder sogar ungerechtfertigte Vorteile gewinnen möchte, muss die Hoheitsträger dafür bezahlen. Wer nicht bezahlen kann, weil seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht ausreicht, muss seine Ziele ohne staatliche Hilfe mit illegalen Mitteln verfolgen oder er nimmt Schäden in Kauf.

Der korrupte Staat hört letztlich auf, ein Staat zu sein, denn Staatlichkeit lebt vom gesellschaftlichen Konsens, dass Regeln – als gemeinsamer Vertrag als Staatsbewohner – einzuhalten sind. Ein von hoher Korruption durchsetzter Staat löst sich auf und wird zu einem Stück Land, auf dessen Boden die dort Lebenden sich dem anarchischen Prinzip vom Recht des Stärkeren unterwerfen müssen. In solchen Gebilden, die sich nicht mehr wirklich als Staat bezeichnen können, können auch die Herrschenden ihre Ziele selbst nur noch mit unbotmäßiger, illegaler Gewalt gegen die Bevölkerung durchsetzen. (…)

Internationaler Korruptionsindex

Deutschlands Standort in Sachen Korruption Das Maß der Korruption eines Staats im internationalen Vergleich wird schon seit vielen Jahren durch Transparency International, eine Non Governmental Organization (NGO), im Rahmen eines Korruptionsindexes gemessen. Transparency International misst anhand von 13 Indizes, die aus Expertenbefragungen, Bevölkerungsumfragen und anderen Untersuchungen zur Wahrnehmung von Korruption gewonnen werden, den Korruptionsstatus eines Landes. 2020 waren die drei korruptionsärmsten Staaten der Welt Dänemark, Neuseeland und Finnland.

Unter den zehn korruptesten Staaten fanden sich u. a. Nordkorea, Syrien, Libyen und der Südsudan. Deutschland teilte sich mit Luxemburg einen (noch) erfreulichen neunten Platz[2] und hatte sich über einen Zeitraum von zehn Jahren hinweg sogar noch verbessert. 2010 lag unser Land im Korruptionsindex noch auf Platz 15 der rund 190 Staaten dieser Welt.[3]

Über das wahre Ausmaß der Korrumpierung von Polizeibeamten in Deutschland ist noch sehr wenig bekannt. Das Hellfeld, das sich in den Fallzahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik offenbart, bildet – da ist sich die Wissenschaft einig – nur einen Bruchteil des wahren Umfanges ab. Korruptionsdelikte sind Kontrolldelikte. Korruption kennt keine natürlichen Personen als Opfer, die geneigt sein könnten, eine Strafanzeige zu stellen.

Opfer ist die Allgemeinheit, die regelmäßig von korrupten Handlungen nichts erfahren wird. Auf Seiten der Beteiligten, der Korrumpierten wie der Korrumpierenden, gibt es wiederum kein Interesse an einer Aufdeckung der Taten, da sich beide Seiten strafbar machen und die Korruption ja auch wollen. Was also nicht durch aktive staatliche Kontrolle aufgedeckt wird, wird nicht bekannt.

Zugegeben: Von Uschis Wechselgeld zum Auftragskiller in Uniform ist es zum Glück ein weiter Weg. Aber jedem Anfang wohnt die Möglichkeit eines nicht mehr beherrschbaren Endes inne. Und jede Gewöhnung an Unrecht birgt die Gefahr einer Eskalation. Darum wehret den Anfängen!

 

Entnommen aus Deutsches Polizeiblatt 5/2022, S. 24.

[1] Bundeskriminalamt (2022), Korruption, https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/Korruption/korruption_node.html, zuletzt eingesehen am 16.4.2022.

[2] Transparency International Deutschland e. V. (2021), CPI 2020 – Tabellarische Rangliste, https://www.transparency.de/cpi/cpi-2020/cpi-2020-tabellarische-rangliste/, zuletzt eingesehen am 15.4.2022.

[3] Transparency International (2011), Corruption Perception Index 2010, https://www.transparency.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/2010/2010_CPI_EN.pdf, zuletzt eingesehen am 15.4.2022.

 

Dr. iur. Frank Kawelovski

Polizeiwissenschaftler / Kriminologe
n/a