15.01.2012

Planung ohne Öffentlichkeit?

Abwägungsgebot erfordert eine Bürgerbeteiligung

Planung ohne Öffentlichkeit?

Abwägungsgebot erfordert eine Bürgerbeteiligung

Kann es gelingen, alle abwägungserheblichen Belange zu ermitteln, ohne die Öffentlichkeit zu beteiligen? | © Zoe - Fotolia
Kann es gelingen, alle abwägungserheblichen Belange zu ermitteln, ohne die Öffentlichkeit zu beteiligen? | © Zoe - Fotolia

Die Öffentlichkeitsbeteiligung im Planungsrecht ist seit den Querelen um „Stuttgart 21” Gegenstand einer kontrovers geführten Diskussion. Es ist aber festzuhalten:

Das Bahnhofsprojekt in Stuttgart kann sich auf einen Planfeststellungsbeschluss stützen, dem die Ergebnisse eines Anhörungsverfahrens zugrunde liegen, in dem auch die Öffentlichkeit beteiligt wurde.

Es gibt aber auch Planungen, deren Verfahrensschritte kaum oder überhaupt nicht geregelt sind und die daher unter Ausschluss der Öffentlichkeit vonstatten gehen. Sie sind dem kritischen Bürger besonders suspekt, verströmen sie doch den miefigen Geruch des behördlichen Hinterzimmers, in dem sie – gewiss am grünen Tisch – beschlossen wurden. Eine dieser „exklusiven” Planungen ist die Festlegung von Flugrouten (vgl. § 27 a Abs. 2 Satz 1 LuftVO; dazu Michl, ThürVBl. 2011, 121 ff.); ein anderes Beispiel ist die Einrichtung eines „Bombodroms” der Bundeswehr auf dem Gelände eines ehemaligen sowjetischen Truppenübungsplatzes aufgrund einer recht abenteuerlichen Rechtsgrundlage im Einigungsvertrag (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 27. 03. 2009 – Az. 2 B 9.08). Augenfällig ist das beträchtliche Konfliktpotenzial, das sich durch die „Exklusivität” der Planung noch verstärkt.


Diese Art der Planung wirft Fragen auf: Müssen nicht aus allgemeinen Grundsätzen heraus wenigstens die rechtlich betroffenen Bürger schon im Verfahren beteiligt werden? Und kann eine Planung vom grünen Tisch überhaupt vor Gericht Bestand haben?

Beteiligung aufgrund allgemeiner Verfahrensbestimmungen

Handelt es sich bei der Planungsentscheidung um einen Verwaltungsakt (so die Planung des „Bombodroms”), kann immerhin auf § 28 VwVfG zurückgegriffen werden, der zwar keine Jedermann-Beteiligung, wohl aber die Anhörung rechtlich Betroffener vorsieht. Für Allgemeinverfügungen weicht § 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG diese Pflicht indes stark auf. Erfolgt die Planung durch Rechtssatz (so bei den Flugrouten), findet § 28 VwVfG von vorneherein keine Anwendung.

Naheliegend erscheint es, bei der Planfeststellung Anleihe zu nehmen. Der Wortlaut des § 72 Abs. 1 VwVfG erstickt diesen Gedanken aber im Keim, findet ein Planfeststellungsverfahren doch nur dann statt, wenn es „durch Rechtsvorschrift angeordnet” ist. Der Weg der Analogie ist damit versperrt: Ordnet der Normgeber bewusst kein förmliches Beteiligungsverfahren an, so handelt er nicht planwidrig.

Die in Rede stehenden „exklusiven” Planungen unterfallen weder dem Anwendungsbereich des UVPG und noch dem des zugrundeliegenden Unionsrechts, so dass die Öffentlichkeit auch nicht gem. §§ 9, 14 i UVPG zu beteiligen ist.

Beteiligung über Grundrechtsschutz durch Verfahren

Es fragt sich, ob der Nichterlass von Beteiligungsvorschriften unter dem Gesichtspunkt des Grundrechtsschutzes durch Verfahren die durch die Planung betroffenen Grundrechte verletzt. Positiv gewendet: Hat der Einzelne ein „Recht auf Verfahren” aus seinen Grundrechten? Die Dinge liegen komplizierter als bei der Auslegung bestehenden Verfahrensrechts im Lichte der Grundrechte. Ein „Recht auf Erlass von Verfahrensnormen” im Sinne eines Gestaltungsgebots an den Normgeber zu begründen, ist höchst problematisch. Zu unterscheiden ist dabei zwischen den jeweiligen Grundrechtsgewährleistungen. Bei Planungsentscheidungen sind vor allem die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG relevant.

Zurückhaltung ist geboten, wenn es um einen unmittelbaren Rückgriff auf Art. 14 GG geht. Wenn der Gesetzgeber Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmt, so geschieht dies selbstredend auch mit dem Erlass oder Nichterlass von Verfahrensvorschriften. Eine Verletzung der Eigentumsgarantie liegt nach der modernen Eigentumsdogmatik erst dann vor, wenn der Gesetzgeber die Privatnützigkeit des Eigentums als eine der beiden Ausgestaltungsdirektiven ungerechtfertigt gegenüber der anderen, nämlich der Sozialbindung, zurücksetzt. Dabei steht ihm ein erheblicher Ausgestaltungsspielraum zu. Vor diesem Hintergrund ist ein Anspruch auf den Erlass von Beteiligungsvorschriften aus Art. 14 GG kaum zu begründen: Schließlich kann der Privatnützigkeit auch noch im Rechtsbehelfsverfahren Rechnung getragen werden. Jedenfalls steht die normgeprägte Struktur des Art. 14 GG dem unmittelbaren Rückgriff auf die Verfassung entgegen.

Strukturell anders stellt sich das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit dar. Dessen verfahrensrechtliche Dimension wurde vom BVerfG im sog. Mülheim-Kärlich-Beschluss (BVerfGE 53, 30 ff.) betont. Aber auch dort ging es um die Anwendung bestehender Verfahrensvorschriften. Bei der Ausgestaltung des verfahrensrechtlichen Grundrechtsschutzes hat der Gesetzgeber jedenfalls den „Erstzugriff”. Fehlt es an einer einfachgesetzlichen Regelung, so kann dem Einzelnen ein Beteiligungsrecht nicht ohne Weiteres unter unmittelbarem Rückgriff auf Grundrechte eingeräumt werden. Ein verfassungsunmittelbares Beteiligungsrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG kommt nur dann in Betracht, wenn der Gesetzgeber sein „Grundrechtsumsetzungsermessen” fehlerhaft ausgeübt und damit die subjektive Verfahrensmacht in verfassungswidriger Weise nicht hergestellt hat (vgl. Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, 5. Aufl. 2000, Art. 2 Rn. 70). Die gesetzgeberische Entscheidung wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst: öffentliche und private Belange, Intensität der Grundrechtsbetroffenheit – die Gesundheitsgefahren von Flugrouten etwa sind mit denen eines Kernkraftwerks kaum vergleichbar –, Grundrechtsverwirklichung im späteren Rechtsbehelfsverfahren etc.

Der illustre topos „Grundrechtsschutz durch Verfahren” hilft also nicht viel weiter. Ein Recht auf Verfahrensbeteiligung lässt sich auf die normgeprägte Eigentumsgarantie nicht unmittelbar stützen. Auch beim Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist der gesetzgeberische Umsetzungsspielraum zu achten. Fehlen Beteiligungsvorschriften, ist damit noch nicht gesagt, dass die betroffene Öffentlichkeit gleichsam „am einfachen Recht vorbei” zu beteiligen ist. Dieser Weg muss die absolute Ausnahme bleiben, um das Machtgefüge zwischen Normgeber und Rechtsprechung nicht entgegen den Leitvorstellungen des Grundgesetzes zu verschieben (anders aber OVG Berlin-Brandenburg a. a. O.).

Beteiligung über Abwägungskontrolle

Ein in der bisherigen Diskussion um Beteiligungsrechte wenig beachteter Aspekt ist der Zusammenhang von gerichtlicher Abwägungskontrolle und Verfahrensbeteiligung. Die Abwägungslehre gehört zum planungsrechtlichen Gemeingut; das Abwägungsgebot beansprucht unabhängig davon Geltung, ob es gesetzlich vorgesehen ist oder nicht. Es gilt mithin auch für nur rudimentär geregelte Planungen wie beispielsweise die Flugroutenfestlegung oder die Entscheidung über ein „Bombodrom”.

Das Abwägungsgebot verlangt, dass (1) eine sachgerechte Anwendung überhaupt stattfindet, dass (2) in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie einzustellen ist, dass (3) die Bedeutung der betroffenen privaten Belange nicht verkannt und (4) der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die im Verhältnis zu ihrer objektiven Gewichtigkeit steht (st. Rspr. seit BVerwGE 34, 301, 309).

Insbesondere die zweite Vorgabe des Abwägungsgebots, die Ermittlungspflicht, ist mit Blick auf „exklusive” Planungen interessant: Kann es gelingen, alle abwägungserheblichen Belange zu ermitteln, ohne die Öffentlichkeit zu beteiligen? Die Judikatur zur Flugroutenfestlegung geht davon in der Tat aus: Aufgrund der planungsspezifischen Sachgesetzlichkeit soll eine generalisierende Betrachtung anhand von Kartenmaterial und Computersimulationen ausreichen. Diese und weitere Beschränkungen der richterlichen Abwägungskontrolle (vgl. Michl, ThürVBl. 2011, 121, 127 f. m. w. N.) überzeugen nicht. Gerade wenn keine verbindliche Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen ist, sollte die Rechtsprechung darauf achten, dass die privaten Belange hinreichend ermittelt worden sind. Die „Sachgesetzlichkeit” einer komplexen Planung vermag eine zurückgenommene Abwägungskontrolle nicht zu begründen: Die Schutzbedürftigkeit der Betroffenen steht in keinem Zusammenhang mit der Komplexität einer Planung.

In der Regel wird eine Einbeziehung der betroffenen Öffentlichkeit in den Planungsprozess nötig sein, um Ermittlungsdefizite zu vermeiden. Für die planende Stelle dürfte die drohende Kassation durch das Gericht Motivation genug sein, sich vom grünen Tisch zu erheben, das Hinterzimmer zu verlassen und vor Ort die Abwägungsbelange – bestenfalls im konstruktiven Dialog mit der Öffentlichkeit – zu ermitteln.

Dieser Ansatz ist im Ergebnis auch umfassender als eine grundrechtlich begründete Beteiligungspflicht: In die Abwägung sind nicht nur rechtliche Betroffenheiten einzustellen, sondern alle schutzwürdigen privaten Belange. Die Einbeziehung der Öffentlichkeit erfordert also mehr als nur eine Anhörung der (Grund-)Rechtsbetroffenen. Die gebotene Jedermann-Beteiligung kann in Anlehnung an die Vorschriften der §§ 72 ff. VwVfG, aber auch auf andere geeignete Weise stattfinden. Nur so lässt sich ermitteln, was nach Lage der Dinge in die Abwägung einzustellen ist.

Die Abwägungskontrolle – vor allem in Hinblick auf die Ermittlung der privaten Belange – hat für verfahrensrechtlich „exklusive” Planungen also eine nicht zu unterschätzende Konsequenz: Es entsteht ein unabweisbares Bedürfnis nach Öffentlichkeitsbeteiligung, das ganz ohne eine zwanghaft konstruierte Rechtspflicht auskommt.

Fazit

Für den Bereich der nicht oder nur rudimentär geregelten Planungsverfahren ist eine verstärkte Beteiligung der Öffentlichkeit also über das Abwägungsgebot zu erreichen. Dieses muss freilich von der Rechtsprechung ernst genommen werden; ein Versteckspiel hinter Sachgesetzlichkeiten ist dabei nicht hilfreich. Auch im Rahmen der Diskussion über die Öffentlichkeitsbeteiligung bei kodifizierten Planungsverfahren lohnt ein Blick auf die Abwägungslehre, der ein erhebliches dogmatisches Potenzial innewohnt.

 

Fabian Michl

Akademischer Rat a. Z., Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verfassungstheorie, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Universität Münster
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