Paradoxon sucht Lösung
D&O-Versicherung und kommunaler Freistellungsanspruch
Paradoxon sucht Lösung
D&O-Versicherung und kommunaler Freistellungsanspruch
In kommunalen Unternehmen ist der Abschluss von Haftpflichtversicherungen („D&O”) für Organe inzwischen weit verbreitet. Diese Versicherung kommt für Schäden auf, die Geschäftsführer und Aufsichtsräte bei dem Unternehmen verursachen. Aufsichtsratsmitglieder, die von den Kommunen entsandt wurden, haben nach den weitgehend übereinstimmenden kommunalrechtlichen Regelungen der Länder im Haftungsfall ggf. einen Freistellungsanspruch gegen „ihre” Kommune (kommunaler Freistellungsanspruch). Verursacht ein Aufsichtsratsmitglied einen Haftungsfall, stellt sich die Frage, wer den Schaden im Verhältnis zwischen Kommune und Versicherer letztlich zu tragen hat.
Das Problem
Bei Inanspruchnahme einer Haftpflichtversicherung gehen gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) Ersatzansprüche des Versicherten gegen Dritte automatisch auf den Versicherer über (sog. cessio legis). Ersatzansprüche in diesem Sinne sind dabei nicht nur Schadensersatzansprüche im engeren Sinne, sondern auch Ansprüche auf Freistellung. Nach dem Wortlaut geht demnach der Anspruch des Aufsichtsratsmitglieds auf Freistellung gegen „seine” Kommune auf den Versicherer über. Der Versicherer könnte sich bei der Kommune schadlos halten.
Die Folgen
Das Ergebnis erscheint paradox. Die Kommune müsste den Schaden tragen, obwohl das Unternehmen, dessen Anteilseigner sie ist, gerade wegen der Schadensgefahr eine Versicherung abgeschlossen und dafür Prämien gezahlt hat. Der eigenständige Wert der Versicherung wäre auf Fälle beschränkt, in denen das Aufsichtsratsmitglied grob fahrlässig gehandelt hat, weil es bei grober Fahrlässigkeit (vorbehaltlich einer in der Praxis eher seltenen Weisung) regelmäßig keinen Freistellungsanspruch gibt. Damit hätte das kommunale Unternehmen die Versicherungsprämien umsonst bezahlt. Der Versicherer könnte die gezahlten Prämien in vollem Umfang behalten, ohne dafür eine „echte” Leistung erbringen zu müssen. Kann dieses Ergebnis richtig sein?
Rechtliche Würdigung
Die Rechtslage ist derzeit nicht eindeutig. Einschlägige Rechtsprechung gibt es – soweit ersichtlich – bislang nicht. Insbesondere die Rechtsprechung zu den Parallelproblematiken des beamten- und arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruchs spricht aber dafür, § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG einschränkend auszulegen und die Vorschrift nicht auf den kommunalrechtlichen Freistellungsanspruch anzuwenden.
Zum beamtenrechtlichen Freistellungsanspruch hat die Rechtsprechung den Übergang auf den Versicherer abgelehnt (OVG Münster, Urt. v. 05. 03. 1965, Az. VI A 356/63, VersR 1965, 965, Juris Langtextversion S. 6; BVerwG, Urt. v. 14. 02. 1968, Az. VI C 53.65, Juris Langtextversion). Danach sei Sinn und Zweck der beamtenrechtlichen Freistellungsregelungen die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber den Beamten. Ansprüche auf Maßnahmen der Fürsorge seien keine Ersatzansprüche im Sinne der Vorschrift und könnten daher nicht auf eine Versicherung übergehen. Die Rechtsprechung positioniert sich entsprechend zum arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch. Argumentiert wird auch hier unter Bezugnahme auf die Entscheidungen zum beamtenrechtlichen Freistellunganspruch mit dem besonderen sozialen Charakter der Freistellungspflicht (vgl. BGH, Urt. v. 08. 12. 1971, Az. IV ZR 102/70, Juris-Langtextversion S. 4; BAGE 14, 226 = AP Nr. 29 zu § 611 BGB-Haftung des Arbeitnehmers). Die Entscheidungen beziehen sich zwar auf § 67 VVG a.F. Dieser ist jedoch inhaltsgleich mit dem seit 01. 01. 2008 geltenden § 86 VVG.
Bezogen auf den kommunalen Freistellungsanspruch ist die Rechtslage vergleichbar. Auch hier liegt den Ansprüchen der Fürsorgegedanke zu Grunde. Danach wäre ein Übergang des Freistellungsanspruchs auf den Versicherer abzulehnen.
Einem solchen Verständnis steht mit Prölls eine gewichtige Stimme in der Literatur entgegen (Prölls, in: Prölls/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Aufl. 2010, § 86 Rn. 8). Er lehnt die Rechtsprechung zum beamten- und zum arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch ab, ohne allerdings seine Ansicht näher zu begründen.
Diese Meinung widerspricht dem Sinn und Zweck der D&O-Versicherung. Sie wird von den Unternehmen (ohne Einschränkung auf grobe Fahrlässigkeit) eigens wegen des Risikos von Haftungsfällen abgeschlossen. Würde sich der Versicherer bei den Kommunen schadlos halten können, liefe diese Zielsetzung leer. Dann läge eine Situation vor, die auch ohne Versicherung schon besteht, da die Kommune gegenüber dem Aufsichtsratsmitglied wegen des kommunalrechtlichen Freistellungsanspruchs den Schaden zu tragen hätte. Eine Versicherung wäre folglich überflüssig. Zusätzlich stünde die Sinnhaftigkeit der Versicherung auch angesichts der bezahlten Versicherungsprämien in Frage. Daher ist im Anschluss an die Rechtsprechung zum beamten- und arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG dahingehend einschränkend auszulegen, dass kommunalrechtliche Freistellungansprüche nicht auf den Versicherer übergehen.
Praktische Empfehlung
Diese Sichtweise ist von den Gerichten noch nicht bestätigt. Will man das Risiko einer Inanspruchnahme der Kommunen durch Versicherer gerade auch mit Blick auf die teils erheblichen Schadenssummen daher ausschließen, ist der Praxis bis zur Klärung der Rechtslage Folgendes zu empfehlen:
Das kommunale Unternehmen sollte mit dem Versicherer schon bei Vertragsabschluss vereinbaren, auf die Geltendmachung eines möglicherweise später auf ihn übergehenden Freistellungsanspruchs gegen die Kommune zu verzichten. Alternativ kann sich der Versicherer verpflichten, sich im Haftungsfall nicht auf einen Anspruchsübergang zu berufen und einen übergegangenen Anspruch nicht geltend zu machen (pactum de non petendo). Zusätzlich sollte vereinbart werden, dass sich die jeweilige Kommune, die ja an dem Vertragsabschluss selbst nicht beteiligt ist, gegenüber dem Versicherer auf diese Regelung berufen kann (sog. echter Vertrag zu Gunsten Dritter gemäß § 328 Abs. 1 BGB).
Lässt sich der Versicherer darauf nicht ein, sollte ernsthaft überlegt werden, ob eine solche Versicherung – jedenfalls mit diesem Versicherer – überhaupt abgeschlossen werden soll. Soll dies gleichwohl geschehen, wäre jedenfalls darauf hinzuwirken, dass die Versicherungsprämie auf einen dem dann eingeschränkten Wert der Versicherung (Einstandspflicht nur bei grober Fahrlässigkeit) angemessenen Betrag angepasst wird. Hierbei handelt es sich jedoch allenfalls um eine Notlösung. Sie bleibt deutlich hinter dem eigentlichen Sinn und Zweck einer D&O-Versicherung zurück, weil die leicht fahrlässige und nicht die grob fahrlässige Schadensverursachung in der Praxis die Regel ist.
Fazit
Es sprechen gute Gründe dafür, § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG dahingehend einschränkend auszulegen, dass kommunale Freistellungsansprüche nicht auf den Versicherer übergehen. Das bedeutet, dass im Verhältnis zwischen Versicherer und Kommunen der Versicherer den Schaden zu tragen hat. Solange dies durch die Rechtsprechung aber nicht geklärt ist, ist den kommunalen Unternehmen der Abschluss einer Vereinbarung mit dem Versicherer anzuraten. Diese sollte beinhalten, dass der Versicherer entweder von vornherein auf einen etwaig auf ihn übergehenden Anspruch verzichtet oder dass er einen solchen Anspruch nicht gegen die Kommune geltend macht. Dabei sollte der Kommune im Wege eines echten Vertrages zu Gunsten Dritter ein eigenes Forderungsrecht zugewendet werden. Lässt sich der Versicherer darauf nicht ein, sollte in Betracht gezogen werden, eine derartige Versicherung jedenfalls nicht mit diesem Versicherer abzuschließen. Die bloße Reduzierung der Versicherungsprämien wegen des dann eingeschränkten Leistungsumfangs (Leistungspflicht nur bei grober Fahrlässigkeit) stellt allenfalls eine Notlösung dar. Sie wird dem Sinn und Zweck einer D&O-Versicherung nicht gerecht, weil Schäden regelmäßig leicht fahrlässig verursacht werden.