15.01.2012

Dauerhaft genehmigungsfähige Planung

Kritik an einer Rechtsfortbildung mit Blick auf den Gleichheitssatz

Dauerhaft genehmigungsfähige Planung

Kritik an einer Rechtsfortbildung mit Blick auf den Gleichheitssatz

Muss der Architekt klüger sein als die Behörde? Er schuldet eine dauerhaft genehmigungsfähige Planung. | © Franck Boston - Fotolia
Muss der Architekt klüger sein als die Behörde? Er schuldet eine dauerhaft genehmigungsfähige Planung. | © Franck Boston - Fotolia

Der Architekt hat – neben der Tatsache, dass er im Zweifel kein Honorar für „Akquiseleistungen“ erhält sowie sich im Falle der Objektüberwachung als gesamtschuldnerischer Haftungspartner des Auftraggebers verdingen und Insol-venzrisiken des ausführenden Werkunternehmers übernehmen muss – ein weiteres, erhebliches Problem: Die Planung des Architekten muss „dauerhaft genehmigungsfähig“ sein (st. Rspr. seit BGH BauR 1998, 579, 581), sodass der Architekt seiner gestalterischen Leistung eine in jeder Hinsicht einwandfreie und unangreifbare rechtliche Bewertung zugrunde legen muss. Von der Literatur wird zutreffend seit einiger Zeit auf die Problematik dieser richterlichen Rechtsfortbildung im Bereich des Architektenhaftungsrechts hingewiesen. Das Kriterium der „dauerhaften Genehmigungsfähigkeit” bedürfe der Korrektur, da dessen Konturenlosigkeit einem interessengerechten haftungsrechtlichen Maßstab abträglich sei. Diese Kritik blieb nicht völlig ungehört. Das Kammergericht Berlin etwa vertrat die Auffassung, dass die Klärung „schwieriger Rechtsfragen” von dem planenden Architekten nicht verlangt werden könne (KG NJW-RR 2006, 1024 ff.). Der BGH indessen bestätigte in einer aktuellen Entscheidung zu dem Haftungsumfang des planenden Architekten seine bisherige Rechtsprechung und stellte lediglich fest, dass Mitverschuldensgesichtspunkte zu berücksichtigen seien (BGH, Urt. v. 10. 02. 2011 – VII ZR 7/10). Im Folgenden gilt es daher, die wesentlichen haftungsrechtlichen Grundzüge der Architekten- und der Anwaltshaftung gegenüberzustellen und aufzuzeigen, dass noch nicht einmal der Rechtsanwalt als der „berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten” (§ 3 Abs. 1 BRAO) derart scharfen Haftungsmaßstäben ausgesetzt ist, wie sie von der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Haftungsrecht der Architekten entwickelt wurden. Umrissen wird die Problematik der sachlichen Rechtfertigung für die augenscheinliche Ungleichbehandlung eines Subsumtionsfehlers als vertragliche Pflichtverletzung.

Vergleichende Betrachtung architektenrechtlicher Haftungsmaßstäbe und anwaltlicher Beratungspflichten

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung lässt sich zu der Frage, über welche materiellen Rechtskenntnisse der planende Architekt verfügen muss, ernüchternd feststellen: „Der Architekt muss klüger sein als die Behörde” (Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 3. Aufl., 2008, Rn. 411). Denn plant der Architekt z. B. im Gebiet des § 34 BauGB, erteilt die Baubehörde die Baugenehmigung und kommt es – obwohl sich die rechtliche Bewertung des Architekten in dieser Situation wohl „hören lassen” kann – dann im Drittwiderspruchsverfahren oder im Rahmen des Drittanfechtungsprozesses zu einer Aufhebung des Verwaltungsaktes, hat der planende Architekt eine mangelhafte Leistung erbracht.

Eine Exkulpation ist allenfalls im Wege einer vertraglichen Haftungsbeschränkung zu realisieren. Ohne diese haftet der Architekt – abgesehen von der zu begrüßenden Relativierung durch Berücksichtigung von Mitverschuldensgesichtspunkten (Pützenbacher, Anm. zu BGH, Urt. v. 10. 02. 2011 – VII ZR 7/10, LMK 2011, 316708) – uneingeschränkt.


Vor dem Hintergrund, dass die skizzierte Problematik keine „schwierige Rechtsfrage in einem Nebenrechtsgebiet” darstellt, träfe den planenden Architekten selbst nach der differenzierenden Ansicht des Kammergerichts die Haftung für den Fall, dass die Beurteilung des Architekten und der Bauaufsichtsbehörde sich im Nachhinein als unzutreffend herausstellt.

Deutlich wird, dass jedenfalls im Kernbereich des Bauplanungsrechts erhebliche Anforderungen an die materiellen Rechtskenntnisse des planenden Architekten gestellt werden.

Demgegenüber zeigt sich bei einem Blick auf den Haftungsmaßstab des beratenden Rechtsanwaltes und die dort entwickelten Grundsätze ein beachtlicher Unterschied: Der Rechtsanwalt schuldet – entgegen dem Architekten – kein absolut richtiges Verhalten; auch absolute Richtigkeit einer Rechtsberatung kann nicht verlangt werden (Borgmann/Jungk/Grams, Anwaltshaftung, 4. Aufl., 2005, S. 194).

Die Erkenntnis, dass jede rechtliche Beurteilung eines Sachverhaltes, so sorgfältig sie auch durchgeführt wird, das Risiko in sich trägt, dass sie mit vertretbaren Gründen abgelehnt wird (Müller JR 1969, 164), führt dazu, dass selbst von dem Rechtsanwalt nicht verlangt wird, die Rechtslage „objektiv” richtig zu beurteilen.

Verlangt wird vielmehr, dass unter Anwendung der rechtswissenschaftlichen Methoden ein rechtswissenschaftliches Ergebnis begründet wird, das als vertretbar angesehen werden kann (OLG Celle, Urt. v. 01. 03. 1979 – Az. 16 U 197/77).

Frage nach der Rechtfertigung der ungleichen Haftungsmaßstäbe

Die dargestellten unterschiedlichen Haftungsmaßstäbe – die auf die Vertragsnatur des Architektenvertrages als Werkvertrag und den Geschäftsbesorgungsvertrag des Rechtsanwaltes mit seinem Mandanten zurückgehen – führen zu der Frage, ob die Rechtsprechung des BGH und dessen Auslegung des Merkmals der „Mangelfreiheit” i. S. e. „dauerhaft genehmigungsfähigen Planung” mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist. Denn unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BVerfG ist zunächst eine Ungleichbehandlung zweier Personengruppen nach sachverhaltsbezogenen Merkmalen zu bejahen: Die Berufsgruppen der Architekten und der Rechtsanwälte unterliegen insofern einer unterschiedlichen Behandlung, als dass die Beurteilung der Rechtslage durch den Architekten uneingeschränkt die „objektive Rechtslage” wiedergeben muss, demgegenüber aber dem Rechtsanwalt keine Pflichtverletzung allein deswegen angelastet werden kann, weil sich seine Bewertung der Rechtslage als unrichtig herausstellt.

Insofern müsste diese Ungleichbehandlung durch eine sachliche Grundlage gerechtfertigt sein. Ob jedoch vernünftige Gründe für den – unter umgekehrten Vorzeichen – differenzierenden Haftungsmaßstab vorgebracht werden können, dürfte fraglich sein. Bereits unberücksichtigt bleibt, dass sich die Prüfung der baurechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens nicht in einem einfachen Subsumtionsprozess erschöpft, sondern ihrerseits eine hochkomplexe Interessenabwägung beinhalten kann; nicht umsonst wird beklagt, wie wenig vorhersehbar baurechtliche Verwaltungsentscheidungen seien (Jacob BauR 2003, 1623, 1627).

Verwiesen wird hier insbesondere auf das Rücksichtnahmegebot, das eine an den Umständen des Einzelfalles vorzunehmende Interessenabwägung beinhaltet (Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 11. Aufl., 2009, § 34, Rn. 18). Noch nicht einmal der beratende Rechtsanwalt schuldet die „Kenntnis der objektiven Rechtslage”; vielmehr muss er „kunstgerecht” das Mandat bearbeiten.

Fazit

Festzustellen ist daher, dass sich mit Blick auf den Gleichheitssatz einige verfassungsrechtliche Aspekte nahezu aufdrängen, die jedoch in der aktuellen Diskussion keinerlei Beachtung finden. Es scheint, als ließen sich vernünftige Gründe auch in Zukunft gegen die – gerade mit Blick auf die Anwaltshaftung – überzogen erscheinenden Anforderungen an die materiellen Rechtskenntnisse des Architekten ins Feld führen lassen. Ob sich der Argumentationsansatz der Ungleichbehandlung tatsächlich als zwingend, weil ausschließlich verfassungskonform, darstellt, oder sich „nur” als weiteres Versatzstück der aktuellen Diskussion hinzusetzen lässt, muss sich erst zeigen. Deutlich wird, dass zum einen die Entwicklung und Ausgestaltung der Haftungsmaßstäbe nicht abgeschlossen ist, da auch der BGH in seiner aktuellen Entscheidung davon ausgeht, dass „grundsätzlich” die dauerhafte Genehmigungsfähigkeit geschuldet sei, zum anderen überzeugende Gründe gegen den herrschenden Haftungsmaßstab im Architektenrecht angeführt werden können. Warum die Rechtsordnung die (Neben-)Leistung oder auch nur Obliegenheit des Architekten mit Blick auf den anwaltlichen Rechtsrat als „gehaltvoller” qualifiziert, ist nicht ohne Weiteres erkennbar. Warum der spiegelbildliche Rechtsrat des Anwaltes „nur” nach rechtswissenschaftlichen Grundsätzen hervorgebracht werden muss und demgegenüber eine „vertretbare” rechtliche Bewertung des Architekten diesen nicht exkulpieren kann, wird zu klären sein. Die Rechtsprechung zur „dauerhaften Genehmigungsfähigkeit” gilt es daher weiter kritisch zu verfolgen.

Dr. Georg Klein

Dr. Georg Klein

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Becker & Klein Rechtsanwälte, Limburg an der Lahn
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