08.09.2023

Neustart in der Migrationspolitik erforderlich

Gesetzliche Regelungen werden angemahnt

Neustart in der Migrationspolitik erforderlich

Gesetzliche Regelungen werden angemahnt

Beim Thema Migrationspolitik müssen sich Bund, Länder und Kommunen gegenseitig entgegenkommen. | © bignai - stock.adobe.com
Beim Thema Migrationspolitik müssen sich Bund, Länder und Kommunen gegenseitig entgegenkommen. | © bignai - stock.adobe.com

Nach 2015 sind wir nun in der zweiten Flüchtlingskrise und die nächste zeichnet sich am Horizont ab. Die Kommunen fühlen sich beim Thema Migrationspolitik oft alleingelassen. Bund, Länder und Kommunen sind hier in der Verantwortung zu handeln.

Neustart in der Migrationspolitik erforderlich

Wir brauchen einen echten Neustart in der Migrationspolitik. Nach 2015 sind wir nun in der zweiten Flüchtlingskrise und die nächste zeichnet sich am Horizont ab. Die Kommunen fühlen sich zum Teil alleingelassen bei den Aufgaben der Unterbringung und Integration von Geflüchteten. Im Lichte der Flüchtlingskrise 2015/2016 und der aktuellen Erfahrungen braucht es die Verankerung einer neuen „Gemeinschaftsaufgabe Integration“ im Grundgesetz und die Schaffung eines Migrationsgesetzbuches, in dem die Regelungen gebündelt werden.

Festzustellen ist leider, dass die Städte und Gemeinden bei der Unterbringung, der Versorgung und der Integration längst an ihrer Leistungsgrenze angelangt sind. Im Zeitraum Januar bis Juli 2023 wurden 175.272 Erstanträge auf Schutz vom Bundesamt für Flüchtlinge entgegengenommen. Im Ausländerzentralregister waren zum 31.12.2022 3.079.000 Schutzsuchende registriert, davon sind rund 1/3 ukrainische Schutzsuchende. Allein im Jahr 2022 stieg die Anzahl der Schutzsuchenden in Deutschland um 1.140.000 Menschen. Im Jahr 2013 waren 613.000 Schutzsuchende in Deutschland registriert.


Ein großer Teil der Menschen – davon allein knapp die Hälfte der ukrainischen Geflüchteten laut dem Institut für Arbeitsmarktforschung – wird dabei in Deutschland längerfristig bleiben. Dies zeigt, dass es sich bei Unterbringung und Integration nicht um eine kurzfristige Aufgabe handelt, sondern das langfristige Arbeit und Planbarkeit notwendig sind. Auch die Integration der Menschen, die 2015/2016 zu uns gekommen sind, ist keineswegs abgeschlossen. Es fehlt weiterhin an geeigneten Unterbringungskapazitäten, Kita- und Schulplätzen sowie Integrationskursen. Den Kommunen fehlt zunehmend das notwendige Personal für die vielfältigen Aufgaben bei der Unterbringung, Versorgung und Integration.

Es geht um Realitätssinn und Ehrlichkeit: Wenn wir bei unseren Standards für Integration und Unterbringung bleiben wollen und keine Antwort auf den Arbeits- und Fachkräftemangel finden, sind die Möglichkeiten endlich. Die Kommunen wollen und werden in Zukunft gemeinsam mit den vielen ehrenamtlich engagierten Bürgerinnen und Bürgern helfen, aber es braucht einen klaren Rahmen und die Erkenntnis, dass die Ressourcen begrenzt sind. Darauf muss die Politik endlich eine dauerhafte und nachhaltige Antwort finden.

Gemeinsame Europäische Asylpolitik reformieren

Jetzt braucht es konkret eine Begrenzung des Zustroms auf die tatsächlich Schutzbedürftigen und eine faire Verteilung der Flüchtlinge innerhalb Deutschlands, aber auch innerhalb der EU. Die gelingt nur, wenn wir uns hinsichtlich des Schutzes der EU-Außengrenzen ehrlich machen. Wirksamer Grenzschutz gehört zu einer fairen und gerechten Asylpolitik, weil nur so rechtsstaatliche Verfahren ermöglicht werden. Asylverfahren müssen mit Übertritt der EU-Grenze beginnen und Personen ohne Bleibeperspektive abgewiesen werden. Es braucht auch eine Harmonisierung der Integrations- und Sozialleistungen innerhalb Europas.

Abschiebung durchsetzen

Um die Akzeptanz in der Bevölkerung nicht zu gefährden, ist die konsequente Abschiebung von vollziehbar ausreisepflichtigen Personen von großer Bedeutung. Dabei gehört es zur Betrachtung der Wirklichkeit, dass wir auch prüfen müssen, ob es in Ländern eigentlich sichere Regionen gibt, die eine Abschiebung erlauben. Dies gilt insbesondere für hier straffällige Ausreisepflichtige. Es muss dringend ein weiterer Anlauf dafür genommen werden, Marokko, Tunesien, Algerien sowie Georgien als sichere Herkunftsländer einzustufen. Wenn ein Land ein begehrtes Urlaubsziel bei deutschen und europäischen Reisegästen ist, ist nicht zu erklären, warum diese Länder keine sicheren Herkunftsländer sein sollen.

Grundsätzlich muss mehr auf Abkommen mit Drittländern, wie etwa Tunesien, gesetzt werden, um Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive zurückzuführen und die Ressourcen auf die hilfsbedürftigen Menschen aus Krisen- und Kriegsgebieten zu konzentrieren.

Die vom Bundesinnenministerium kürzlich vorgeschlagenen Maßnahmen, insbesondere die Verlängerung der Abschiebehaft auf 28 Tage sowie der Verzicht auf Ankündigungen geplanter Abschiebungen durch die Ausländerbehörden, sind zu begrüßen, werden die Zahl der Abschiebungen aber allein nicht signifikant erhöhen. Es braucht darüber hinaus dringend auch eine Beschleunigung der Gerichtsverfahren bei aufenthaltsrechtlichen Fragen sowie eine personelle Stärkung der Rückführungsbehörden sowie der Polizei in Bund und Ländern.

Verlässliche Verteilung sicherstellen

Was für die EU gilt, muss auch innerhalb Deutschlands gelten. Wir brauchen ein gutes und faires Verteilsystem, welches verlässliche Vorlaufzeiten für die Kommunen erlaubt, um die Aufnahme neu ankommender Menschen gut organisieren und die Integration von Anfang an umsetzen zu können. Der Bund muss mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), dem Bundesnachrichtendienst (BND) und dem Auswärtigen Amt ein Frühwarnsystem einrichten, um verlässliche Prognoseentscheidungen zu ermöglichen. Darüber hinaus sind die Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder auszubauen, damit nur Personen mit Bleibeperspektive in die Fläche und damit in die Kommunen verteilt werden. Nur mit einer auskömmlichen Zahl von Erstaufnahmeeinrichtungen, auf Basis eines guten Lagebildes, lassen sich verlässliche Entscheidungen für die dezentrale Unterbringung treffen.

Mehr Wohnraum, mehr Kitas, mehr Integration

Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung für einen beschleunigten Ausbau an Wohnraum, Kitaplätzen und Schulräumen. Dazu gehörten vereinfachte Genehmigungsverfahren und mobile Bauweisen sowie der Verzicht auf überflüssige Standards. Parallel dazu müssen auch die angebotenen Integrationskurse deutlich ausgeweitet und vertieft werden. Diese Kurse müssen auch in den ländlichen Räumen angeboten werden. Gerade die aus der Ukraine Vertriebenen haben nach erfolgreichem Sprachkurs eine große Chance auf unserem Arbeitsmarkt, wo überall Fach‐ und Arbeitskräfte fehlen. Wir müssen alles unternehmen, dass Bleibeberechtigte so schnell wie möglich für den Arbeitsmarkt qualifiziert werden und eine Stelle bekommen.

Angesichts der Personalengpässe in den Kommunen ist es zwingend erforderlich, das vorhandene Personal, etwa in den Ausländerbehörden, zu entlasten, indem Standards systematisch reduziert, bürokratische Verfahren konsequent vereinfacht und die Chancen der Digitalisierung im Migrationsbereich endlich in der Praxis umgesetzt werden.

Gemeinschaftsaufgabe Integration ins Grundgesetz

Um die Aufgabe vor Ort erfüllen zu können, braucht es eine gesicherte, nachhaltige und dauerhafte Finanzierung von Unterbringung, Versorgung und Integration der nach Deutschland gekommenen Menschen für die Kommunen. Dazu gehört der Ausbau der Unterbringungskapazitäten und die Sicherung der Betreuungs- und Bildungsmöglichkeiten in den Kitas und Schulen ebenso wie die Erhöhung der Leistungsfähigkeit von Integrationsangeboten. Das Ping-Pong-Spiel zwischen Bund und Ländern bei der Flüchtlingsaufnahme muss enden. Die Ergebnisse des sog. Follow-Up-Prozesses zum 2. Flüchtlingsgipfel wie auch der Beschluss der Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 10. Mai 2023 haben dies verdeutlicht. Sie sind hinter den kommunalen Erwartungen deutlich zurückgeblieben. Genau deswegen fordern wir eine neue ‚Gemeinschaftsaufgabe Integration’ im Grundgesetz, in der die Finanzierung von Unterbringung, Versorgung und Integration zwischen Bund und Ländern verbindlich geregelt wird. Der Katalog in Art. 91 a GG muss entsprechend erweitert werden. Damit würde auch rechtlich eindeutig festgelegt, dass Bund und Länder diese Aufgabe gemeinsam finanzieren müssen.

Migrationsgesetze harmonisieren

Eine Gemeinschaftsaufgabe Integration muss einhergehen mit der Schaffung eines Migrationsgesetzbuches, welches alle bestehenden Regelungen in einem Gesetz zusammenführt und harmonisiert. Dieses Gesetz sollte unter anderem Regelungen zur Zuständigkeit des Bundes für Abschiebung und Rückführung sowie eine eindeutige Festschreibung des Grundsatzes „Fördern und Fordern“ für Integrationsmaßnahmen enthalten. Darüber hinaus braucht es klare Zuständigkeitsregelungen bei den Integrationsmaßnahmen, Regelungen zum Datenaustausch und Zugriff auf alle notwendigen Register durch die beteiligten Behörden. Schließlich brauche es auch die Möglichkeit, Abweichungen von Standards, etwa Gruppen- und Klassengrößen in Kita und Schule, vorzusehen, um den notwendigen Zugang zu Einrichtungen zu Integrationszwecken zu ermöglichen, wenn eine Sondersituation eintritt.

Das Migrationsgesetzbuch muss dabei so aufgestellt werden, dass die Verfahren digital, schnell und unbürokratisch abgewickelt werden können. Dabei kann Technik und KI auch bei der Überwindung von bestehenden Sprachbarrieren helfen.

Die Zeit für einen Neustart ist jetzt und wir müssen das Projekt gemeinsam anpacken. Bund, Länder und Kommunen sind hier in der Verantwortung zu handeln.

 

Dr. Gerd Landsberg

Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes a.D., Berlin
n/a