15.05.2011

Neue Netze für die Energiewende

Aktuelle Diskussion über die Beschleunigung des Energieleitungsbaus

Neue Netze für die Energiewende

Aktuelle Diskussion über die Beschleunigung des Energieleitungsbaus

Das neue
Planungsvereinheitlichungsgesetz: Ergebnis der Lehren aus Stuttgart 21 für andere Vorhaben? | © Werner Schwehm - Fotolia
Das neue Planungsvereinheitlichungsgesetz: Ergebnis der Lehren aus Stuttgart 21 für andere Vorhaben? | © Werner Schwehm - Fotolia

Das Planungsrecht kommt nicht zur Ruhe. Zyklisch wiederkehrend haben Politik und Öffentlichkeit in den vergangenen Jahrzehnten die Beschleunigung von Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren gefordert. In den 1980er Jahren lautete das Leitmotiv, die Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland müsse angesichts erhöhter Komplexität und Fehleranfälligkeit von Zulassungsverfahren durch Beschleunigungsvorschriften geschützt werden. In den 1990er Jahren wurde der Verkehrswegebau in den neuen Bundesländern zum Beispiel eines zügigen Infrastrukturausbaus unter Wahrung grundlegender rechtsstaatlicher Prinzipien. Die hierbei entwickelte „best practice“ findet seither schrittweise Eingang in das allgemeine Fachplanungsrecht.

Der Entwurf für ein Planungsvereinheitlichungsgesetz

Endpunkt dieser Konsolidierung hätte das „Gesetz zur Vereinheitlichung und Beschleunigung von Planfeststellungsverfahren (Planungsvereinheitlichungsgesetz – PlVereinhG)“ werden können, dessen Entwurf das Bundesministerium des Innern im Dezember 2010 vorgelegt hat. Dieser Entwurf zielt auf eine weitgehende Übernahme des gewachsenen Sonderrechts in die allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetze.

Die Diskussion über den Entwurf wurde jedoch sogleich von der Debatte überlagert, welche Lehren aus dem weithin positiv bewerteten Schlichtungsverfahren zu „Stuttgart 21“ für die Akzeptanzsicherung komplexer Infrastrukturprojekte zu ziehen seien. Und seit Mitte März überschatten die Katastrophen in den Kernreaktoren von Fukushima die Diskussion: Alle im Bundestag vertretenen Parteien fordern seither mit Nachdruck eine Beschleunigung der Energiewende in Deutschland, nämlich der Abkehr von der Nutzung der Kernenergie und der Ertüchtigung der Leitungs-Infrastrukturen, um eine intensivierte Nutzung Erneuerbarer Energien zu ermöglichen.


Integration verstreuter Fachregelungen ins VwVfG

Der Gesetzesentwurf des BMI befindet sich derzeit in der Ressort- und Länderabstimmung. Es ist jedoch unverkennbar, dass unter heutigen Vorzeichen ein eher rechtstechnisches Reformvorhaben, das – die verschiedenen Infrastrukturbereiche überspannend – der „Vereinheitlichung und Beschleunigung von Planfeststellungsverfahren“ dienen soll, politisch der Ergänzung durch neue Beschleunigungsansätze bedarf. Dabei sollte die systematisierende, kodifikatorische Funktion der Integration verstreuter fachgesetzlicher Regelungen in das Verwaltungsverfahrensgesetz nicht unterbewertet werden.

Im Einzelnen sollen in den „Allgemeinen Teil“ des Planfeststellungsrechts – konkret in die §§72 ff. Verwaltungsverfahrensgesetz – Vorschriften über die Beteiligung von Natur- und Umweltschutzvereinigungen u. a. in Übereinstimmung mit den Präklusionsregelungen in §2 Abs.3 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz aufgenommen werden, die das BVerwG als unionsrechtskonform anerkennt (vgl. zuletzt Beschl. v. 14. 09. 2010 – 7 B 15/10). Ferner sollen allgemeine Fristen für den Abschluss der Erörterung und die Stellungnahme der Anhörungsbehörde eingeführt werden. Diese Maßnahmen können – ebenso wie die im Entwurf akzentuierte Verfahrensvariante der Plangenehmigung in Fällen unwesentlicher Beeinträchtigung von Rechten Planungsbetroffener – im Einzelfall zur Verfahrensbeschleunigung beitragen, jedenfalls wenn auch der Plangenehmigung weiterhin, wie fachgesetzlich bestimmt, in §74 Abs.6 S. 2 VwVfG-E jetzt aber dementiert, enteignungsrechtliche Vorwirkung zukommt. Die Projektrealisierung beschleunigt auch die generelle Möglichkeit der Heilung von Verfahrens- und Formfehlern nach Maßgabe der §§45, 46 VwVfG.

Erfahrungen mit Stuttgart 21 einbezogen

Nicht verallgemeinert wird dagegen die fachgesetzlich teils auf zehn Jahre verlängerte Geltung von Planfeststellungsbeschlüssen. Dies mag eine erste Folgerung aus den Erfahrungen mit Stuttgart 21 sein, die gezeigt haben, dass eine überlange Frist von positiver Grundentscheidung für ein Vorhaben bis zum Beginn seiner Realisierung geradezu de-legitimierend wirken kann.

Eine andere vieldiskutierte Folgerung aus den Stuttgarter Erfahrungen wird im Entwurf des BMI noch nicht aufgegriffen, ihre Umsetzung im Entwurf der Gesetzesbegründung aber ausdrücklich angekündigt. Dies betrifft das Bemühen um ein „möglichst bürgernahes und modernes Verwaltungshandeln“, indem Verfahrensdokumente regelmäßig auch über Internet zugänglich gemacht und damit breite – dem Anspruch nach Akzeptanz-fördernde – Diskussionen erleichtert werden sollen. Die Regelungen hierzu sollen nach dem Entwurf indes einem künftigen E-Governmentgesetz vorbehalten bleiben – was freilich nicht ausschließt, dass sie versuchsweise beispielsweise bereits in ein künftiges NABEG (hierzu unten) aufgenommen werden könnten. Schon gegenwärtig ist freilich zu beobachten, dass Vorhabensträger bei öffentlichkeitswirksamen, streitträchtigen Projekten die Internet-Öffentlichkeit auch ohne gesetzliche Grundlage suchen.

Kritikpunkt Fakultativstellung des Erörterungstermins

Eine andere „Lektion aus Stuttgart“ scheint der Entwurf dagegen nicht zu reflektieren: nämlich die Folgerung, dass sich Großvorhaben nur auf der Grundlage eines weitreichenden gesellschaftlichen Konsenses verwirklichen lassen, der durch eine möglichst frühe und umfassende Akzeptanz stiftende Öffentlichkeitsbeteiligung erreicht werden kann. Demgegenüber sieht der Entwurf die Verallgemeinerung des bislang auf Fachgesetze wie §17a Nr.5 FStrG beschränkten Ansatzes vor, die Durchführung des Erörterungstermins fakultativ zu stellen. Es wird interessant sein zu beobachten, ob dieser Vorschlag letztlich die Zustimmung des Parlaments finden wird.

Nach dem Gesetzentwurf soll es generell im Ermessen der Anhörungsbehörde stehen, ob ein Erörterungstermin durchgeführt oder ob auf ihn verzichtet wird. Den Erörterungstermin erkennt auch der Gesetzentwurf weiterhin als sinnvolles Verfahrensinstrument an. Auch zukünftig „kann“ die Anhörungsbehörde die Einwendungen und Stellungnahmen mit den Behörden, den Betroffenen und den Einwendern erörtern, muss dies aber nicht. Damit ist die Erörterung nicht mehr der Regelfall. Der Erörterungstermin erscheint im Entwurf aber primär als ein Instrument, um Missverständnisse auszuräumen und mit privaten Einwendern eine Verständigung zu erreichen.

Ein Verzicht soll dagegen gerechtfertigt sein, wenn der Erörterungstermin absehbar nicht zur Befriedung beitragen kann, sondern zu einer Verfahrensverzögerung führen würde. Damit zielt der Entwurf auf streitträchtige Großvorhaben mit einer großen Zahl von Einwendern. Von einer aufwendigen Erörterung soll hiernach abgesehen werden, wenn klar ist, dass Gerichtsverfahren hierdurch ohnehin nicht zu vermeiden sind.

Ob diese Wertung politisch nach dem Stuttgarter Schlichtungsverfahren noch als überzeugend angesehen wird oder nicht umgekehrt die Zeichen auf frühere, umfassendere und offenere Kommunikation mit Vorhabensgegnern stehen und die Anforderungen an eine neutrale, eher moderierende Verfahrensgestaltung und Verhandlungsleitung durch die Anhörungsbehörde weiter erhöht werden, bleibt abzuwarten. Dabei wäre in jedem Fall auf eine ausreichende personelle und sachliche Ausstattung der beteiligten Behörden zu achten, auf die zusätzliche Anforderungen zukommen. Einen nächsten prominenten Testfall für die Leistungsfähigkeit des Planfeststellungsverfahrens als Instrument zur „Konfliktbearbeitung“ stellen die zahlreichen Vorhaben zum Ausbau der Energienetze dar.

Beschleunigung des Energieleitungsbaus

Schon der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP aus dem Oktober 2009 sah eine Beschleunigung der Planungsverfahren zum Energieleitungsbau vor. Dieser Fragenkreis spielte entsprechend auch im „Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung“ des Bundeswirtschafts- und Bundesumweltministerium aus dem September 2010 (vgl. hierzu bereits Wesche/Benzin in PUBLICUS 2010.1) eine zentrale Rolle. Das Anliegen einer Beschleunigung des Energieleitungsbaus fand nachfolgend auch in den Eckpunkten des Bundeswirtschaftsministeriums zur EnWG-Novelle 2011 Beachtung; schließlich hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen im vergangenen Jahr bedenkenswerte Vorschläge, etwa zum Verzicht auf ein selbständiges Raumordnungsverfahren, vorgelegt.

Nach den Reaktorunfällen in Fukushima hat die Diskussion erheblich an politischer Brisanz gewonnen. Es ist heute ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gerückt, dass die allseits in immer kürzerer Frist geforderte Energiewende hin zur Nutzung von „Renewables“ einen massiven Ausbau der Netzinfrastruktur – nach der „Netzstudie II“ der dena von bis zu 3.600 Kilometern Höchstspannungsleitungen – voraussetzt.

NABEG – neue Planungsinstrumente für den Netzausbau

Der Bewältigung dieser Herausforderung gelten die – in diesem Stadium freilich noch recht unspezifischen – Vorschläge des Bundeswirtschaftsministeriums im Eckpunktepapier für ein Netzausbaubeschleunigungsgesetz („NABEG“). Mit dem Maßnahmenpaket soll die Länge der Planungs- und Genehmigungsverfahren reduziert, für eine höhere Akzeptanz des Leitungsbaus gesorgt und optimale Investitionsbedingungen durch eine Anpassung regulatorischer Rahmenbedingungen (v. a. der Anreizregulierung nach der ARegV) geschaffen werden. Die in den Eckpunkten vorgesehenen verbesserten Beteiligungsrechte Betroffener stehen freilich in einem gewissen Spannungsverhältnis zum berichteten Entwurf eines Planungsvereinheitlichungsgesetzes.

Das Bundeswirtschaftsministerium sieht im forcierten Umbau der Netzinfrastruktur für die Bedürfnisse der regenerativen Energien eine ähnliche Herausforderung wie beim Infrastrukturausbau in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung. Dies legt die Überlegung nahe, ob hier nochmals ähnlich radikale Schritte des Gesetzgebers erforderlich sind wie seinerzeit etwa mit der Verkürzung des Rechtszugs auf eine Tatsacheninstanz vor dem Bundesverwaltungsgericht oder mit gesetzlichen Bedarfsfeststellungen.

Für den Bereich des Energieleitungsbaus hat der Gesetzgeber diesen Ansatz partiell bereits im Energieleitungsausbaugesetz („EnLAG“, hierzu Schirmer, DVBl 2010, 1349) verfolgt: Hier hat er über die Notwendigkeit des Leitungsbaus durch Aufnahme bestimmter Neu- und Ausbautrassen in einen gesetzlichen Bedarfsplan entschieden.

Dieser Ansatz soll nach dem Eckpunktepapier des NABEG erweitert und eine allgemeine Bundesfachplanung für den Netzausbau etabliert werden, die in einen Bundesnetzplan münden soll. Dieser Bundesnetzplan soll Trassenkorridore ausweisen und für den Bau von Höchstspannungsleitungen reservieren – ein in dieser Art neues Planungsinstrument, das im bisherigen Fachplanungsrecht keine Entsprechung hat.

Bundesnetzagentur als Super-Planungsbehörde

Dabei sollen die Länderzuständigkeiten abgelöst und die Bundesnetzagentur zusätzlich zu ihrer Funktion als Regulierungsbehörde auch noch zu einer Super-Planungsbehörde für großräumige Energieleitungsplanungen entwickelt werden. Bereits das Energiekonzept sah vor, dass im Wege der Bundesnetzplanung der prioritäre energiewirtschaftliche Bedarf verbindlich festgestellt werden sollte. Dies war ein naheliegender und zur bisherigen Rolle der Bundesnetzagentur stimmiger Ansatz, da diese aus energiewirtschaftlicher Sicht im Rahmen der Anreizregulierung ohnehin über Netzinvestitionen zu entscheiden hat. Überdies wird sie im Rahmen der EnWG-Novelle bei der anstehenden Umsetzung der Binnenmarktrichtlinien 2009/72/EG und 2009/73/EG als Regulierungsbehörde Konsultations- und – auf der Basis der betreibereigenen Netzentwicklungspläne – eine Art Investitions-Durchsetzungsbehörde für den Netzausbau werden.

Unklar und wiederum stark ressourcenabhängig ist jedoch, ob die Bundesnetzagentur auch der ihr zugedachten Rolle als Super-Planungsbehörde für den Netzausbau gerecht werden kann. Sie soll nach dem Eckpunktepapier nicht nur – wie für sie gewohnt – für eine Stakeholder-, sondern auch für eine frühzeitige umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung sorgen. Inwieweit die vom Bundeswirtschaftsministerium vorgesehene Einschaltung privater Projektmanager projektbezogen Entlastung schaffen kann und wie deren Rolle rechtlich genau beschaffen sein soll, bleibt abzuwarten. Eine der zentralen Fragen für die Entwicklung der neuen Bundesnetzplanung wird in jedem Fall die Verzahnung der behördlichen Trassenplanung mit den Netzentwicklungsplänen der Netzbetreiber nach Art.22 der genannten Binnenmarktrichtlinien sein.

Fazit: Ein großer Wurf?

Die vorgestellten Eckpunkte einer künftigen Bundesfachplanung unterstreichen bei allen Schwierigkeiten im Detail in jedem Fall den Willen der Bundesregierung, sich nicht – wie bei den jüngsten Änderungen des EnLAG – mit punktuellen Modifizierungen des geltenden Rechts zu begnügen. Der Notwendigkeit, den Ausbau der Netzinfrastruktur umgehend und effektiv zu beschleunigen, soll offenkundig mit einem großen Wurf begegnet werden. Welche Lösungen vorgeschlagen werden, um die rechtsstaatlichen Anforderungen an eine sachgerechte, abgewogene, kohärente bundesweite Trassenplanung in der gebotenen Distanz zu den privaten Ausbauplanungen der Netzbetreiber zu wahren und zugleich einen effektiven Netzausbau sicherzustellen, wird mit Spannung zu beobachten sein. Erst in einigen Jahren, nach Auswertung der praktischen Erfahrungen wird sich sodann wieder die Frage stellen, welche der für den Netzausbau entwickelten Instrumente sich – wie zuletzt beim Verkehrswegebau in den neuen Bundesländern – zur Übernahme in das allgemeine Planfeststellungsrecht anbieten.

 

Dr. Benjamin Schirmer

Rechtsanwalt, Associate White & Case LLP, Berlin
 

Prof. Dr. Norbert Wimmer

Rechtsanwalt, Partner Fachanwalt für Verwaltungsrecht, White & Case LLP, Berlin
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