01.09.2021

Mit dem Laptop ins Examen

Einführung der E-Klausuren in Sachsen-Anhalt

Mit dem Laptop ins Examen

Einführung der E-Klausuren in Sachsen-Anhalt

Viele Studierende setzen sich mit der Entscheidung auseinander, ob sie ein kommerzielles Repetitorium oder das universitäre Repetitorium besuchen.  | © BillionPhotos.com - stock.adobe.
Viele Studierende setzen sich mit der Entscheidung auseinander, ob sie ein kommerzielles Repetitorium oder das universitäre Repetitorium besuchen.  | © BillionPhotos.com - stock.adobe.

Wie ist es dazu gekommen, dass wir als erstes Bundesland im April 2019 bereits starten konnten, während viele andere Länder sich auch heute noch im Stadium der Überlegung und Entwicklung befinden? Die Idee ist schon einige Jahre alt. Ausgangspunkt waren Berichte der Kollegen* anderer Bundesländer, die ihre Erfahrungen mit ersten Tests, etwa im Rahmen der Referendarausbildung, schilderten.

Hinzu kamen Betrachtungen einer länderübergreifenden Arbeitsgruppe des Koordinierungsausschusses Juristenausbildung, einem beratenden Gremium der Justizministerkonferenz der Länder. Vor etwa dreieinhalb Jahren haben wir dann Gespräche mit einem privaten Anbieter geführt, der in Nordrhein-Westfalen und Bayern in der dortigen Testphase tätig war.

Das von diesem Unternehmen unterbreitete Angebot wurde von uns indes nicht weiterverfolgt – ebenso wie die vorgenannten Länder –, vor allem aus finanziellen Gründen. Insbesondere die Kosten für das erforderliche IT-Personal vor Ort an jedem Prüfungstag (und Ort) schienen nicht oder nur schwer finanzierbar.


In einer Dozentenversammlung der Juristischen Fakultät der Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg habe ich über unsere Überlegungen zur E-Klausur in den juristischen Staatsprüfungen informiert, zunächst in der Zweiten Staatsprüfung wegen der hier wesentlich geringeren Prüflingszahlen. Dort erhielt ich einen Hinweis auf das Zentrum für multimediales Lehren und Lernen (kurz: LLZ), ein Institut der Universität, das bereits elektronische Prüfungen in anderen Studienfächern durchführt.

Und dieser Tipp war der Durchbruch für uns: Hier ich bin auf ein Team getroffen, das nicht nur bereit war, uns zu unterstützen, sondern das auch über geeignete Prüfungsräume, die technische Ausstattung (einheitliche Laptops und gesonderte Server), und das – vor allem – über Mitarbeiter verfügt, die das (IT)technische Know-how und bereits mehrjährige Erfahrungen u. a. in der IT-gestützten Abnahme studentischer Prüfungsleistungen mitbringen.

Das LLZ war in der Lage und bereit, sowohl die von uns gewünschte Prüfungssoftware zu entwickeln als auch uns vor Ort für jeden Prüfungstermin, von deren Beginn bis zu deren Ende, zur Unterstützung Mitarbeiter zur Seite zu stellen.

In den folgenden Monaten wurden vom LLZ mehrere Vorschläge für ein Textverarbeitungsprogramm erarbeitet. Letztlich haben wir uns für eine modifizierte, an unsere Vorstellungen angepasste Version einer Free-Software (libre office) entschieden, die auch optisch dem den Prüflingen bekannten Word-Bildschirm nahekommt.

Dieses Programm und seine Nutzung haben wir im September und Oktober 2018 sowie im Februar 2019 im „Echtbetrieb“, d. h. unter Prüfungsbedingungen an Klausuren der Referendararbeitsgemeinschaften und des freiwilligen Examensklausurenkurses getestet. Teilnehmer waren die Referendare, die im April 2019 dann auch ganz überwiegend „elektronisch“ ihre schriftliche Zweite juristische Staatsprüfung abgelegten.

Wie sieht dieses Programm aus?

Nach den Tests hat sich eine endgültige Version des Programms ergeben, die auf folgende Funktionen reduziert ist, die die Referendare neben dem Eingeben von Text bedienen können: Unterstreichen, Schriftart Fett, Löschen, Kopieren und Einfügen und Speichern. Alle übrigen Funktionen des Standardprogramms sind unterbunden, die üblichen Tastenkombinationen (short cuts) belegt. Ausgeschlossen ist auch das Rechtschreibprogramm – nicht nur, um Vorteile gegenüber den Kandidaten auszuschließen, die ihre Klausuren unverändert per Hand anfertigen, sondern weil das Beherrschen der deutschen Sprache in Wort und Schrift ja auch Prüfungsgegenstand ist (und auch bleiben sollte). Die USB-Eingänge an den Laptops sind ebenfalls gesichert, eine Internetverbindung besteht nicht.

Fest vorgegeben sind die Seiteneinrichtung (der übliche 1/3 Korrekturrand), automatisch fortlaufende Seitenzahlen, die den Kandidaten zugeteilte individuelle Kennzahl und die Bezeichnung der jeweiligen Aufgabenstellung (ZR I, ZR II usf.) am oberen Rand jeder Seite, der Zeilenabstand sowie Schriftart und -größe (Arial 11).

Nicht voreingestellt (obwohl technisch möglich) wurde die Prüfungszeit (etwa herunterlaufend von 5 : 00 h bis 0 : 00 h), weil dies den ohnehin vorhandenen Prüfungsdruck auf die Prüfungsteilnehmer unnötig erhöhen würde. Die Bearbeitungszeit wird via Beamer an die Wand geworfen (läuft runter).

Die Laptops sind mit Blickschutzfolien (gegen Täuschungsversuche) und mit geräuscharmen Tastaturen versehen.

Zum Prüfungsablauf: Vorbereitung und Durchführung

Der Prüfungsablauf ist dem gewohnten sehr ähnlich: Die Kandidaten finden sich eine halbe Stunde vor Prüfungsbeginn im Prüfungsraum ein. Auf ihren Arbeitsplätzen – die die übliche Größe (80×160 cm) haben und durch eine Trennwand nach links und rechts jeweils voneinander getrennt sind – finden sie die Information vor, welches Kennwort ihnen zugeteilt wurde. Mit diesem Kennwort starten sie das Programm auf dem Laptop.

Die Prüfungsaufgabe (nach wie vor in Papierform!) liegt neben dem üblichen Konzeptpapier (zur Fertigung von handschriftlichen Notizen) in einem Mantelbogen, der zu Prüfungsbeginn geöffnet wird. Die für die Prüfung zugelassenen Hilfsmittel (Gesetzestexte und Kommentare) bringen die Referendare selbst mit – wie bisher auch. Hier ist (noch) keine elektronische Version vorgesehen.

Falls es während der Bearbeitungszeit technisch notwendig wird, einen Laptop auszutauschen, ist durch hinreichend vorbereitete Ersatzgeräte vorgesorgt. Einen „Programmabsturz“ gab es überhaupt noch nicht, andere technische Probleme an allen oder einzelnen Arbeitsplätzen sind in den Tests wie auch in den nachfolgenden Prüfungen im April und Oktober 2019 sowie im Juni und Oktober 2020 nur sehr vereinzelt vorgekommen. Soweit dies doch geschah, wurde die für das Beheben dieser Probleme verstrichene Zeit nachgeschrieben.

Bislang hatten wir hier keine über eine Minute hinausgehenden „Ausfallzeiten“, die zu kompensieren waren. Die automatische regelmäßige Zwischenspeicherung (auf jedem Laptop und zusätzlich auf einem im Prüfungsraum befindlichen gesonderten Server) sorgt dafür, dass die Gefahr des Datenverlustes minimiert ist. Nach dem Ende der Bearbeitungszeit drücken die Kandidaten einen Beendigungsbutton; der Bildschirm wird schwarz. Diese Endversionen der Klausurbearbeitungen sind auf dem jeweiligen Laptop und auf dem Server im Prüfungsraum gespeichert. Von letzterem werden sie sofort danach – signiert – auf ein transportables Speichermedium (bislang je Klausurtermin auf einen USBStick) übertragen und über die Klausuraufsicht umgehend per Boten dem Justizprüfungsamt in Magdeburg zugeleitet. Dort werden die Klausuren unverzüglich ausgedruckt und auf einem Server gespeichert. Dann folgt die Mitteilung an das LLZ, dass die auf dem dortigen Server befindlichen Daten gelöscht werden können. Die Klausuren sind also weiterhin in Papierform verfügbar und werden in dieser Form den Prüfern – wie bisher auch – per Post oder Boten zwecks Korrektur zugeleitet.

Warum war Sachsen-Anhalt Vorreiter?

Der wesentliche Grund dafür, dass Sachsen- Anhalt als erstes Bundesland die sog. E-Klausur einführen konnte, ist die beispiellose Zusammenarbeit, die große Unterstützung durch unsere Universität, insbesondere durch die Universitätsleitung und das LLZ. Dies war die unabdingbare Voraussetzung dafür, dass es uns nach nur sehr kurzer Zeit gelungen ist, das Vorhaben umzusetzen. Hinzu kommt, dass wir mit Halle – dem Sitz der Martin-Luther-Universität und dem Ort der einzigen Juristischen Fakultät in Sachsen-Anhalt – lediglich einen Prüfungsort benötigen, auch für die Prüfungen im zweiten juristischen Staatsexamen. Halle ist der größte der vier Ausbildungsstandorte im Vorbereitungsdienst. Auch sind unsere Prüfungszahlen in beiden Staatsprüfungen vergleichsweise klein.

Dies hält die mit E-Prüfungen verbundenen zusätzlichen Kosten, die in großen Bundesländern mit mehreren Prüfungsstandorten, vielen Prüfungsterminen und weit mehr Prüflingen ganz andere Dimensionen aufweisen würden, in einem vertretbaren und selbst für ein kleines Bundesland finanzierbaren Rahmen. Es entstehen zum einen Kosten des LLZ für die Gestellung des eingerichteten Prüfungsraumes, der Hardware (Laptops und Server), der Software und vor allem für die technische Betreuung vor, während und nach den Prüfungsterminen durch Mitarbeiter. Zum anderen fallen Reisekosten für die Referendare an, deren Ausbildungsstandort nicht zugleich der Prüfungsort Halle ist.

Große Akzeptanz bei allen

Unsere Referendare haben sich bislang – trotz teilweise anfänglicher großer Skepsis – durchweg sehr positiv bereits nach den ersten Testläufen geäußert. Diese überaus große Akzeptanz hat sich seit den ersten schriftlichen Prüfungen im April 2019 nicht nur gehalten, sondern noch dahin gesteigert, dass sich für den nachfolgenden, zweiten elektronischen Prüfungsdurchgang im Oktober 2019 alle Referendare für die elektronische Anfertigung ihrer Klausuren im Zweiten Staatsexamen entschieden haben. Und dies fand auch in den beiden weiteren Durchgängen im Juni und Oktober 2020 seine Fortsetzung. Von der optionalen Anfertigung der Klausuren am Laptop – möglich ist wie bisher auch die handschriftliche Anfertigung – haben im April 2019 bereits etwa 95 % aller Prüflinge Gebrauch gemacht; wie vorstehend ausgeführt, hat sich diese Zahl im Oktober 2019 noch einmal erhöht und ist auch im Jahr 2020 vergleichbar hoch geblieben, bei konstant über 95 %.

Ist die Zeitersparnis im Vergleich zur handschriftlichen Anfertigung mitentscheidend? Diese Frage wird sehr unterschiedlich beantwortet. Die wesentlichen Vorteile, die unsere bisherigen Prüflinge in der Anfertigung am Laptop in den regelmäßigen Feedback-Runden gesehen haben, sind folgende:

– die besser lesbare Schrift,

– die Erleichterung hinsichtlich der Schreibanstrengung,

– die Möglichkeit, die Arbeit gleich zu Beginn entsprechend den konzeptionellen Vorüberlegungen mit einer Gliederung versehen zu können und demzufolge

– gegen Ende der Bearbeitungszeit nichts mehr zu vergessen.

Ebenso positiv waren die Rückmeldungen seitens der Prüfer, in erster Linie aufgrund der nun weit besseren Lesbarkeit der Prüfungsarbeiten. Durch das Schreiben an einer Tastatur bedingte Rechtschreibfehler („Buchstabendreher“) hat es zwar im Vergleich zur handschriftlichen Anfertigung vermehrt gegeben, aber nicht in einer solchen Häufigkeit, dass dies die Lesbarkeit wesentlich beeinträchtigt und sich auf die Bewertung ausgewirkt hat.

Erste Evaluationen und Auswirkungen auf die Einstellungszahlen

Eines kann vorläufig festgestellt werden, wenngleich mit der gebotenen Vorsicht, da die Ergebnisse von insgesamt bisher nur etwa 200 Prüfungskandidaten noch keine valide Grundlage für eine verlässliche statistische Auswertung sind: Die elektronische Anfertigung des schriftlichen Teils der Zweiten juristischen Staatsprüfung hatte keine wirklich signifikanten – positiven oder negativen – Auswirkungen auf die Bewertungen, d. h. auf die in der schriftlichen Prüfung erzielten Prüfungsergebnisse. Die durchschnittlich von den Prüfungsteilnehmern in den Klausuren der Jahre 2019 und 2020 erzielte Punktzahl lag im Bereich der Durchschnittspunktzahlen der Vorjahre 2017 und 2018. Auch eine „geschlechtsspezifische“ Auffälligkeit kann hier bisher nicht festgestellt werden.

Schlechte Handschriften haben also (früher) die Prüfungsergebnisse offenbar nicht nachteilig beeinflusst. Und auch die – zumindest von einigen Prüfern immer wieder geäußerte – Vermutung, die Handschrift lasse oft einen Rückschluss auf das Geschlecht des Prüfungsteilnehmers zu und führe zu Nachteilen für die weiblichen Prüflinge, hat sich nicht bestätigt. Eine weitere sehr positive Auswirkung hat die Einführung der elektronischen Klausur in Sachsen-Anhalt bereits kurzfristig: Die in früheren Jahren regelmäßig bei lediglich 35–40 liegende Zahl der halbjährlichen Neueinstellungen in den Juristischen Vorbereitungsdienst ist seit dem Einstellungstermin September 2019 deutlich übertroffen worden: Es wurden damals 50 Referendare eingestellt, von denen einige ausdrücklich mitgeteilt haben, dass gerade die Möglichkeit der elektronischen Klausuranfertigung maßgeblich für ihre Entscheidung war, das Referendariat in Sachsen-Anhalt zu absolvieren. Und diese Tendenz hat sich auch in den nachfolgenden Einstellungsterminen nachhaltig bestätigt, aktuell weiter ansteigend. Der mit der Einführung der elektronischen Zweiten juristischen Staatsprüfung hier auch verfolgte Zweck der Nachwuchsgewinnung wurde offenbar erreicht.

Ausblick: E-Klausuren auch in der Ersten juristischen Prüfung

Zum einen ermöglichen wir den Referendaren bereits seit Beginn des Jahres 2019 das Üben der Klausuren am Laptop in den Arbeitsgemeinschaften des juristischen Vorbereitungsdienstes. Hier müssen die Referendare ihren eigenen Laptop und ihr eigenes Schreibprogramm verwenden. Diese teilweise auch von zu Hause aus angefertigten Übungsklausuren werden nach Ende der Bearbeitungszeit entweder von ihnen selbst ausgedruckt oder per Speichermedium dem AG-Leiter übergeben (falls ein Ausdruck bei den Ausbildungsstellen möglich/zulässig ist).

Zum anderen wollen wir perspektivisch auch den Studierenden der Martin-Luther- Universität die Klausuren am Laptop in der staatlichen Pflichtfachprüfung anbieten. Wann dies der Fall sein wird, lässt sich heute zwar noch nicht verlässlich sagen. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass uns die Einführung der E-Klausuren auch in der staatlichen Pflichtfachprüfung der Ersten juristischen Prüfung schon in einigen wenigen Jahren gelingen wird.

Zumindest mittelfristig – nach entsprechenden Testläufen – ist auch geplant, den Kandidaten bei den schriftlichen Prüfungen die Hilfsmittel (Gesetzessammlungen und Kommentare) in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen, ggfs. auch die Aufgabenstellungen. Die vollelektronische Prüfung, zu der ja auch die elektronische Prüfung gehört, ist jedoch auch in Sachsen-Anhalt noch ein Stück weit entfernt.

Eines möchte ich abschließend noch betonen: Vorerst werden wir den Prüflingen, sei es im Zweiten Staatsexamen oder in der staatlichen Pflichtfachprüfung, auch weiterhin die Wahl einräumen, ihre Prüfungsklausuren am Laptop oder aber wie bisher auch handschriftlich anzufertigen. Ich rechne aber nicht damit, dass künftig noch viele die handschriftliche Anfertigung wählen werden.

Der Beitrag stammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.

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Ralf Burgdorf

Präsident, Landesjustizprüfungsamt, Ministerium für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt, Magdeburg
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