„Mach nicht so ‘nen Zirkus!“
Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
„Mach nicht so ‘nen Zirkus!“
Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
Kein Wildtierausschluss in einer gemeindlichen Einrichtung kraft Gemeinderatsbeschluss – aber durch Satzung?
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat im einstweiligen Rechtsschutz (Beschluss v. 25.05.2023 – 4 CE 23.854) einem Zirkusinhaber Recht gegeben, der sich gegen eine Versagung der Zulassung zu einem kommunalen Veranstaltungsplatz wandte.
Grund für die Versagung der Kommune war ein entsprechender Stadtratsbeschluss aus dem Jahr 2017, mit welchem die Widmung der städtischen Veranstaltungsplätze aus Gründen des Tierschutzes dergestalt geändert wurde, dass Zirkusse, die Wildtiere mitführten und/oder zur Schau stellten, nicht mehr zugelassen wurden. Eine entsprechende Regelung wurde in die privatrechtliche Nutzungsvereinbarung aufgenommen. Der Zirkus verfügte über eine tierschutzrechtliche Erlaubnis gem. § 11 TierSchG.
Während das VG München in erster Instanz den Antrag mangels Geltendmachung eines Anordnungsgrunds und -anspruchs abwies (VG München, Beschluss vom 03.05.2023 – M 7 E 23.1847), obsiegte der Zirkusinhaber in zweiter Instanz. Ausschlaggebend für die Entscheidung des BayVGH war der Vorbehalt des Gesetzes. Damit erhöht der BayVGH die Anforderungen an den gemeindlichen Widmungsakt, wenn darüber Personen von der Nutzung gemeindeeigener öffentlicher Einrichtungen ausgeschlossen werden sollen.
1. Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft
Zunächst stellt der VGH fest, dass den Kommunen im Rahmen ihrer Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 2 BV) das Recht zur Festlegung des Zwecks und des Nutzerkreises ihrer freiwillig geschaffenen Einrichtungen zukommt und sie diesbezüglich über einen weiten und gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Gestaltungsspielraum verfügen (Rn. 14). In diesem Zusammenhang dürften „überörtliche (Neben-)Ziele verfolgt und entsprechende Anforderungen an die Benutzer gestellt werden, wenn ein objektiver Zusammenhang mit der kommunalen Aufgabe besteht und die entsprechenden Regelungen als deren konkretisierende Ausgestaltung verstanden werden könne“ (Rn. 15).
2. Unerheblichkeit der tierschutzrechtlichen Erlaubnis
Auch die tierschutzrechtliche Erlaubnis hält der Senat nicht als ausschlaggebenden Grund, der prinzipiell gegen eine Versagung kraft Widmungsakt spräche. Dazu fehle es an einem eigenständigen, dem staatlichen Tierschutzrecht zuwiderlaufenden Verbot, eine Ansicht mit der sich der BayVGH – wie er selbst feststellt – „einer vielfach vertretenen Auffassung“ entgegensetzt (unter Verweis auf NdsOVG, B.v. 2.3.2017 – 10 ME 4/17 – NVwZ 2017, 135 Rn. 12; OVG MV, B.v. 3.7.2017 – 2 M 369/17 – juris Rn. 9; SächsOVG, B.v. 5.6.2019 – 4 B 441/18 – NVwZ-RR 2020, 218). Es handle sich „lediglich [um] die Vorenthaltung einer Leistung, auf die kein originärer Anspruch besteht“ (Rn. 17).
Das zur Begründung herangezogene Beispiel – der Besitz einer den Betrieb eines Fahrgeschäfts betreffenden Reisegewerbekarte gebe kein Recht auf Nutzung eines kommunalen Veranstaltungsplatzes – hinkt allerdings. Sicher kann kein Anspruch auf Zulassung aus der tierrechtlichen Erlaubnis hergeleitet werden – darum geht es auch gar nicht. Der Zulassungsanspruch folgt aus dem Kommunalrecht (ggf. Art. 21 BayGO) bzw. aus Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 S. 1 BV i.V.m. den Bestimmungen über die Widmung. Letzterer Anspruch ist grundsätzlich auf ermessensfehlerfreie Entscheidung gerichtet und allgemein anerkannt.
Die Frage ist vorliegend vielmehr, ob die Stadt die in der tierrechtlichen Erlaubnis enthaltene, auf bundesgesetzliche Ermächtigung zurückzuführende Wertung durch ihren einschränkenden Widmungsbeschluss unterlaufen darf. Diese Frage scheint weit weniger eindeutig, als der BayVGH den Eindruck erweckt, lässt sich aber wohl besser im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit verorten als im Rahmen der Verbandskompetenz. Bei letzterer ist grundsätzlich nur von Relevanz, dass das Bundesinnenministerium noch nicht von der Ermächtigung in § 11 Abs. 4 TierSchG Gebrauch gemacht hat (a.A. NdsOVG, B.v. 2.3.2017 – 10 ME 4/17 – NVwZ 2017, 135 Rn. 12). Auf das vom BayVGH angeführte – im Ergebnis aber offengelassene – Durchgriffsverbot gem. Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG kommt es jedenfalls nicht an, da es hier mangels Aufgabenübertragung durch den Bund gar nicht eingreift.
3. Fehlende gesetzliche Grundlage
Letztlich stellt der VGH für die Rechtswidrigkeit der Versagung der Zulassung zur Nutzung des städtischen Veranstaltungsplatzes auf eine fehlende gesetzliche Grundlage ab. Zwar bestehe keine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG, da mit der bezweckten Förderung des Tierwohls schon im Hinblick auf Art. 20a GG ein legitimer Differenzierungsgrund vorläge (Rn. 18). Ein (moderner) Eingriff mit berufsregelnder Tendenz in die Berufsfreiheit gem. Art. 12 GG sei aber – unabhängig von der Tatsachte, dass man sich vorliegend im Bereich der Leistungsverwaltung bewege – gegeben (Rn.19). Es fehle an einer tauglichen normativen Grundlage. Der formlose Stadtratsbeschluss genüge nicht.
Während die Annahme des Eingriffs in Art. 12 Abs. 1 GG grundsätzlich überzeugt, erscheint die knappe Verneinung einer Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG vorschnell. Legt man die Formulierungen des BayVGH so aus, dass er bereits die Anwendbarkeit von Art. 3 Abs. 1 GG wegen einer (zulässigen) Ungleichbehandlung von Ungleichem verneint, ist die vom BayVGH gewählte Auslegung des tertium comparationis zu eng. Es liegt wesentlich näher, allgemein auf Zirkusse abzustellen und dann nach der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung zwischen Zirkussen mit Wildtieren und ohne solche zu fragen. Bei diesem Weg hätte es für die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung wohl ebenfalls einer tauglichen normativen Grundlage bedurft. Der BayVGH hätte damit zum selben Ergebnis wie bei der Prüfung von Art. 12 Abs. 1 GG kommen müssen.
Das Erfordernis der gesetzlichen Grundlage erscheint gerade im Lichte der eigenen Rechtsprechung des BayVGH aber alles andere als zwingend. Schließlich vertritt der BayVGH entgegen mehreren anderen Oberverwaltungsgerichten die Ansicht, die Versagung enthalte „kein eigenständiges Verbot, sondern lediglich die Vorenthaltung einer Leistung“. Inwiefern im Bereich der Leistungsverwaltung der Vorbehalt des Gesetzes greift, ist aber alles andere als gesichert.
4. Grundsätzliche Möglichkeit der Beschränkung durch eine Satzung
Der BayVGH zeigt den Einrichtungsträgern jedenfalls einen Ausweg auf, wenn er es obiter dicta grundsätzlich für möglich erachtet, dass die Kommunen eine entsprechende Widmung durch Satzungsbeschluss gem. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 BayGO in verfassungsrechtlich zulässiger Weise rechtfertigen können (Rn. 22). Ob das tatsächlich ohne Weiteres der Fall ist, erscheint aber fraglich. Zwar hält der BayVGH das Abstellen auf Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 BayGO mit der Rechtsprechung des BVerwG (BVerwGE 148, 133 Rn. 28) und dessen Anforderungen an eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage für schwerwiegende berufsbeschränkende Maßnahmen für vereinbar.
Dabei lässt der BayVGH aber unberücksichtigt, dass nach den Formulierungen des Stadtratsbeschlusses nicht nur die Schaustellung der Wildtiere, sondern bereits die Mitführung ebendieser zu einer Versagung der Nutzung des Platzes führen würde. Damit käme eine entsprechende Widmung einem Berufsverbot für Wildtierzirkusse gleich, was wohl eine schwerwiegende berufseinschränkende Maßnahme darstellen dürfte. Das träfe umso mehr zu, wenn das Vorgehen der Stadt Schule machen würde und eine Vielzahl an Nachahmern fände. Darüber hinaus müssten in die Abwägung zudem die Wertungen der tierschutzrechtlichen Erlaubnis einfließen. Diese würden nämlich bei einer weiten Verbreitung einer solch eigeschränkten Widmung gänzlich unterlaufen.
Unabhängig davon schränkt der BayVGH mit der vorliegenden Entscheidung die prinzipielle gemeindliche Wahlfreiheit hinsichtlich der Form des Widmungsaktes erheblich ein. Wegen des aktivierten Vorbehalts des Gesetzes müssen gemeindliche Widmungen, die eine Eingriffswirkung in Grundrechte ausüben, durch eine Satzung gem. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 GO erlassen werden. Das dürfte insbesondere Fälle erfassen, über die eine Einschränkung des Nutzerkreises erfolgen soll. Inwiefern Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 GO selbst hinreichend bestimmt ist, um als Ermächtigungsgrundlage für solche Einschränkungen zu dienen, erscheint im Lichte der Rechtsprechung des BVerwG wiederum fraglich.
5. Fazit
Der BayVGH hat sich mit seiner Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz erkennbar gegen etablierte Standpunkte in Bezug auf den Umgang von Kommunen mit Wildtieren im Rahmen der gemeindlichen Widmung gestellt. Es bleibt abzuwarten, ob das Hauptsacheverfahren entsprechend fortgesetzt wird und wie der BayVGH dort weiter vorgeht, insbesondere ob er seinen Ansatz hinsichtlich der Widmungsbeschränkung durch Satzung wiederholt, um den Städten und Gemeinden zumindest vorläufig eine Möglichkeit zur Beschränkung der Darstellungsmöglichkeit von Zirkussen mit Wildtieren zu geben.
Der Weg bleibt für die Kommunen aber wegen der kritischen Rechtsprechung des BVerwG zur Tauglichkeit von Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 BayGO als Ermächtigungsgrundlage für Einschränkungen von Art. 12 GG mit Unsicherheiten behaftet.