01.10.2020

Kein Recht auf Vergessenwerden

Die Niederschrift über Verhandlungen des Gemeinderats und der Datenschutz

Kein Recht auf Vergessenwerden

Die Niederschrift über Verhandlungen des Gemeinderats und der Datenschutz

Sitzungsniederschriften über Ratssitzungen dienen dem Nachweis über den Ablauf der Beratung und den Inhalt der gefassten Beschlüsse. | © Björn Wylezich - stock.adobe.co
Sitzungsniederschriften über Ratssitzungen dienen dem Nachweis über den Ablauf der Beratung und den Inhalt der gefassten Beschlüsse. | © Björn Wylezich - stock.adobe.co

Die Stadt Friedberg billigte einem Stadtverordneten das Recht auf Vergessenwerden zu und löschte seinen Namen aus allen Sitzungsprotokollen. Dies widerspricht aber den Vorschriften der Kommunalverfassungen über die Anfertigung von Niederschriften über die Ratssitzungen.

Kein Recht auf Vergessenwerden

Über Hessen hinaus erregte in der Fachwelt ein Vorgang Aufmerksamkeit, der sich in der Stadt Friedberg zutrug. Ein ehemaliges Mitglied der Stadtverordnetenversammlung verlangte unter Verweis auf die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und das dort verankerte „Recht auf Vergessenwerden“ (Artikel 17 Abs. 1) die Löschung seines Namens und sonstiger Daten aus allen Sitzungsprotokollen. Die Stadtverwaltung kam dieser Forderung nach fachlicher Beratung, u.a.  durch den hessischen Landesdatenschutzbeauftragten und den hessischen Städte- und Gemeindebund, nach und löschte mit einem entsprechenden Aufwand in allen Dokumenten und Speichermedien jeden Bezug zu dem ehemaligen Ratsmitglied (vgl. hierzu u.a. Frankfurter Rundschau v. 27.06.2020; Kommunal. v. 02.07.2020 und StAnz. v. 17.07.2020).

Der Verfasser vertritt die Auffassung, dass bei Beachtung der Vorschriften der Kommunalverfassungen über die Anfertigung von Niederschriften über die Ratssitzungen (Sitzungsprotokolle) dieser Anspruch nicht besteht. Nachfolgend begründet er seine Rechtsauffassung in einer kurzen Abhandlung. Diese orientiert sich an den Normen der baden-württembergischen Gemeindeordnung, die in wesentlichen Teilen inhaltlich mit den Vorschriften über die Protokollierung der Verhandlung des Gemeinderates in den anderen Bundesländern übereinstimmen (vgl. hierzu Gern/Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Auflage, Rn. 690; dies gilt bspw.  für § 61 der Hessischen Gemeindeordnung >HGO<).


Sitzungsniederschrift als öffentliche Urkunde

Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 GemO ist über den wesentlichen Inhalt der Verhandlungen des Gemeinderates eine Niederschrift zu fertigen (vgl. hierzu u.a. Aker, in Aker, Hafner, Notheis, Gemeindeordnung – Gemeindehaushaltsverordnung Baden-Württemberg, 2. Auflage, § 38 Gem0 Rn.9).  Diese Niederschrift dient dem Nachweis über den Ablauf der Beratung und den Inhalt der gefassten Beschlüsse. Sie ist nach allgemeiner Meinung eine öffentliche Urkunde nach §§ 415 ff. ZPO und erbringt, wenn sie ordnungsgemäß erstellt wurde, den vollen Beweis der von ihr beurkundeten Vorgänge und Tatsachen. Dies gilt aber nur für den wesentlichen Inhalt der Niederschrift, der sich aus § 38 Abs. 1 GemO ergibt.

Danach zählen folgende Angaben zum Mindestinhalt:

  • Namen des Vorsitzenden,
  • Zahl der anwesenden und Namen der abwesenden Gemeinderäte unter Angabe des Abwesenheitsgrundes,
  • Verhandlungsgegenstände (Tagesordnungspunkte),
  • Anträge (auch Geschäftsordnungsanträge),
  • Abstimmungs- und Wahlergebnisse, Wortlaut der Beschlüsse (auch wenn sie im Wege der Offenlegung, des schriftlichen oder des elektronischen Verfahrens gefasst wurden).

Aus Gründen der Beweissicherung sollten zudem folgende Angaben zusätzlich in die Niederschrift aufgenommen werden:

  • Tag, Ort, Beginn, Ende und eventuelle Unterbrechungen der Sitzung,
  • Beschlussfähigkeit,
  • öffentliche oder nichtöffentliche Verhandlung,
  • wer als Befangener den Beratungstisch bzw. Saal verlassen hat.

Entgegen einer weitverbreiteten Praxis empfiehlt der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (LfDI) Baden-Württemberg keine Wortprotokolle anzufertigen, da diese für eine ordnungsgemäße Niederschrift nicht notwendig sind. Denn von der Beweiskraft nicht umfasst ist bspw. die Erklärung eines Gemeinderatsmitglieds, die weder auf sein Verlangen noch im Wortlaut festgehalten, sondern nur zusammengefasst und sinngemäß wiedergegeben wird (VGH Mannheim BeckRS 9998, 47706 = NJW 1990, 1808); BeckOK KommunalR BW/Brenndörfer, 10. Ed. 1.7.2020, GemO § 38 Rn. 1).

Niederschriften und Datenschutz

Die baden-württembergische Gemeindeordnung sieht zwischenzeitlich für die Veröffentlichungen im Rahmen von Gemeinderatssitzungen datenschutzrechtliche Regelungen vor (vgl. zur datenschutzrechtlichen Intention des Gesetzgebers LT-Drs. 5/7265 S. 43, vgl. hierzu auch: 33. Datenschutz-Tätigkeitsbericht des LfDI Baden-Württemberg 2016/2017 S. 86 ff.). So werden nach § 41 b Abs. 5 GemO Sitzungsniederschriften im Internet nicht veröffentlicht, sondern nur die Beschlüsse oder eine Zusammenfassung der Beschlüsse. Außerdem sind nach § 41 b Abs. 2 GemO Beratungsunterlagen für öffentliche Sitzungen zwar zu veröffentlichen, jedoch nur wenn keine personenbezogenen Daten und keine Geschäftsgeheimnisse damit unbefugt veröffentlicht werden.

Sofern alle für die ordnungsgemäße Protokollierung der Gemeinderatsitzung geltenden Vorschriften eingehalten werden, bleibt nach Auffassung des Verfassers kein Raum für ein „Recht auf Vergessenwerden“ im eingangs beschriebenen Sinne. Dem steht schon, ohne hierauf in dieser Abhandlung dezidiert einzugehen, § 17 Abs. 3 lit. b und d der DSGVO entgegen, weil den Kommunen die Pflicht zur Protokollierung der Sitzungen des Gemeinderates im beschriebenen Umfange durch die GemO aufgegeben ist (vgl. hierzu u.a. die Erwägungsgründe Nr. 40 und 45 zur DSGVO; vgl. die Kommentierungen zur DSGVO bspw. bei Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, EU-DSGVO und BDSG neu, 2018, Art. 6 DSGVO Rn 80). Es handelt sich somit um Daten, welche zur „Wahrnehmung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt“ oder „für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke“ dokumentiert werden (so auch Nobert Brugger vom Städtetag Baden-Württemberg – StAnz. v. 17.07.2020).

Hiergegen spricht auch der Umstand, dass die Niederschrift als öffentliche Urkunde nach §§ 415 ff. ZPO anzusehen ist und eine nachträgliche Veränderung der Niederschrift unter Umständen auch den Tatbestand einer Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 StGB erfüllen könnte.

Der LfDI Baden-Württemberg, Stefan Brink, teilt ebenfalls die Auffassung des Verfassers und sieht im Vorgehen in Friedberg einen „komplett falsch verstandenen Datenschutz“, der für Baden-Württemberg in die völlig falsche Richtung gehe (StAnz. v. 17.07.2020; diese Meinung wird auch vom Fachreferat des LfDI informell bestätigt).

Schließlich sprechen in diesem Falle auch Gesichtspunkte der Korruptionsprävention gegen ein „Recht auf Vergessen“, worauf der Experte für Korruptionsprävention und -bekämpfung Jürgen Louis hinweist. Der Bürgermeister der Gemeinde Rheinhausen und Honorarprofessor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl hält es für zwingend, „dass man mit seinem Namen aufgeführt ist, wenn man ein öffentliches Amt ausübt“ und es darauf ankomme „die Wahrhaftigkeit einer Niederschrift zu dokumentieren und auch nach 20 Jahren die Frage beantworten zu können, wer bei einer Entscheidung dabei war“ (vgl. StAnz. v. 17.07.2020). Dies kann nach der Erfahrung des Verfassers insbesondere bei rechtlichen Auseinandersetzungen im Bauplanungs- und Abgabenrecht eine Rolle spielen. So wird in diesen Verfahren immer wieder behauptet, dass ein Gemeinderat bei entsprechenden Satzungsbeschlüssen nicht ordnungsgemäß besetzt war oder es hätten befangene Gemeinderäte mitgewirkt.

Dr. Herbert O. Zinell

Dr. Herbert O. Zinell

Senator E.h. Dr. Herbert O. Zinell, Ministerialdirektor a.D. und Oberbürgermeister a.D
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