15.10.2020

Klaus Schönenbroicher: „Der Staat muss in der Lage sein, Verbote kraftvoll durchzusetzen“

PUBLICUS-Interview zur Corona-Krise aus Sicht der Polizei in NRW

Klaus Schönenbroicher: „Der Staat muss in der Lage sein, Verbote kraftvoll durchzusetzen“

PUBLICUS-Interview zur Corona-Krise aus Sicht der Polizei in NRW

Referatsleiter im Innenministerium Düsseldorf, 
Lehrbeauftragter an der Ruhr-Universität Bochum | © privat
Referatsleiter im Innenministerium Düsseldorf, Lehrbeauftragter an der Ruhr-Universität Bochum | © privat

Auch die Polizei musste sich von Anfang an den Herausforderungen der Covid-19-Pandemie stellen. Im PUBLICUS-Interview zieht Professor Dr. jur. Klaus Schönenbroicher, Gruppenleiter für den Bereich der Polizei im Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, eine Zwischenbilanz.

PUBLICUS: Herr Professor Dr. Schönenbroicher, welche Zwischenbilanz ziehen Sie als leitender Beamter im Bereich der Polizei NRW im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie?

Schönenbroicher: Ich muss vorausschicken, dass wir in Nordrhein-Westfalen ein Trennungssystem aus Ordnungs- und Sonderordnungsbehörden und Polizei haben. Die Sonderordnungsbehörden wie die Gesundheitsämter sind kommunale Ämter. Sie arbeiten auf der Grundlage von Fachgesetzen wie dem Infektionsschutzgesetz des Bundes und dem Ordnungsbehördengesetz NRW. Die allgemeinen kommunalen Ordnungsbehörden sind, in der Abgrenzung zur Polizei, die vom Schreibtisch aus agierenden Ordnungsbehörden, die eigene Ordnungsdienste haben und die auch Zwangsmittel einsetzen dürfen.  Die Zusammenarbeit zwischen den Sonderordnungsbehörden, den Ordnungsbehörden und der Polizei in NRW war gerade bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie nach meiner persönlichen Wahrnehmung sehr gut. Wir hatten im Ergebnis keine Ausschreitungen oder nennenswerte negative Vorkommnisse wie massive Verstöße gegen die Kontaktverbote im Rahmen von Ansammlungen oder Versammlungen.


PUBLICUS: Wie startete denn das staatliche Handeln in NRW zur Eindämmung der Pandemie, wie ging es los?

Schönenbroicher: Es ging ja allgemein in Deutschland Anfang und Mitte März 2020 los, als bekannt und auch seitens des Bundesgesundheitsministeriums mitgeteilt wurde, dass einschneidende Grundrechtseingriffe notwendig werden, um eine Vereinzelung der Menschen zu erreichen und die Ausbreitung des Virus möglichst zu verhindern. Staatskanzlei und Gesundheitsministerium in NRW waren meines Wissens die ersten in Deutschland, die mit der Corona-Schutzverordnung auf der Basis des § 28 Infektionsschutzgesetz vom 31. März 2020 einen durchdachten und überzeugenden Straftaten- und Bußgeldkatalog vorlegten. Ansammlungen waren danach verboten, ebenso grundsätzlich auch Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG, Gottesdienste fanden aufgrund von Selbstverpflichtungserklärungen der Kirchen nicht mehr statt.

PUBLICUS: Wie reagierte die Polizei auf die sonderordnungsbehördlichen Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes und der Corona-Schutzverordnung NRW?

Schönenbroicher: Es war klar, dass die Polizei nicht nur die Aufgabe hatte, die detailliert beschriebenen Vereinzelungsgebote und Kontaktverbote der Corona-Schutzverordnung draußen vor Ort durchzusetzen, und zwar in eigener Zuständigkeit und in Vollzugshilfe für die Ordnungsbehörden. Es ging im März 2020 um Lebens- und Gesundheitsschutz unter ganz unsicheren und ungeklärten Rahmenbedingungen, um die Verhinderung der Ausbreitung des Virus, um eine völlig neue Herausforderung auch für polizeiliches Handeln. Es ging hier in einem größeren staatsrechtlichen Zusammenhang auch um das Ansehen des Staates. Denn es muss generell vermieden werden, dass der Staat Gebote oder Verbote aufstellt, dann aber auf die entschlossene Durchsetzung in der Praxis, auch mit Verwaltungszwang, Strafen und Geldbußen, verzichtet. Der Staat muss maßvoll bei den Verbotstatbeständen sein, ebenso bei den Strafen, dazu zwingt ihn der Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit; Herr Ministerpräsident Armin Laschet hat dies meines Erachtens zu Recht auch in der Öffentlichkeit und bundesweit immer wieder angemahnt. Der Staat mit seinen Eingriffskräften muss jedoch auch stets in der Lage sein, die angeordneten, verhältnismäßigen Gebote und Verbote kraftvoll durchzusetzen, wenn das nötig wird. Dazu zwingt ihn das staatliche Gewaltmonopol und auch die Schutzpflicht, die er gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern hat, gerade bei einer lebensgefährlichen Seuche wie Covid 19. Deswegen haben die beteiligten Ministerien und die Staatskanzlei von Anfang an und permanent darauf geachtet, Verbotsregime gleichsam mit Durchsetzungsregimen zu koppeln. Es stand immer auch die Frage im Raum, wie wir sicherstellen, dass der bestimmte Verbotstatbestand ausnahmslos beachtet wird.

PUBLICUS: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Schönenbroicher: Nehmen wir das Thema Versammlungen, die den Schutz des Artikels 8 des Grundgesetzes genießen, zu denen aber die Einschränkbarkeit im Infektionsschutzgesetz ausdrücklich vorgegeben ist. Ab dem 20. Mai waren Versammlungen im Sinne des Versammlungsgesetzes in NRW unter der Vorgabe wieder erlaubt, dass die infektionsschutzrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden, insbesondere der Mindestabstand von 1,50 Meter. Es stellte sich die Frage, wie soll sichergestellt werden, dass das dann bei der Durchführung der Versammlung auch eingehalten wird? Wie kann die Polizei verhindern, dass 50 Teilnehmer angemeldet werden, aber 5.000 kommen, und der Versammlungsort viel zu klein ist, um die Corona-Abstandsvorgaben einhalten zu können – sodass es dann quasi „mit Ansage“ zu Ansteckungen kommen wird? Wir haben uns dazu eine Art Flächenbesatzkonzept überlegt, das bei der Anmeldung vorgelegt werden muss. Der Veranstalter muss danach darlegen, ob der Versammlungsort mit der erwarteten Zahl der Teilnehmer kompatibel ist. Dazu muss er angeben, welche Vorkehrungen er zu treffen beabsichtigt, damit das Abstandsgebot auch während der Veranstaltung eingehalten wird, etwa durch Markierungen zur Abstandseinhaltung auf dem Boden. Das Konzept hat sicherzustellen, dass der Anmelder die Gewähr dafür bietet und willens und in der Lage ist, die Schutzmaßnahmen umzusetzen. Dies ist per Erlass vom 20. Mai 2020 verfügt worden. Nach meinen Beobachtungen ist die Versammlungspraxis mit diesen klaren und vernünftigen Vorgaben bisher gut gefahren.

PUBLICUS: Wie stand es um die Überlegungen und Prognosen zur Rechtstreue der Bevölkerung?

Schönenbroicher: Es war im März zunächst völlig unklar, wie die Bevölkerung auf die massiven Bewegungseinschränkungen reagieren würde. Tatsächlich jedoch hat sich der überwältigende Teil der Bevölkerung absolut rechtstreu verhalten. Das finde ich eigentlich sehr positiv, dass die Bevölkerung bei diesen massiven Grundrechtseinschränkungen von sich aus einsichtig war und sich regelkonform verhielt, ohne massive staatliche Durchsetzungsmaßnahmen. Gesellschaftspolitisch scheint mir das sehr positiv.

PUBLICUS: Gab es Besorgnisse bezüglich bestimmter Bevölkerungsgruppen?

Schönenbroicher: Da sprechen wir weniger über grundrechtlich geschützte Versammlungen als über das Thema der nicht grundrechtlich geschützten Ansammlungen. Nach allem, was man wusste und weiß, ist für die Verhinderung der Ausbreitung des Virus entscheidend, dass die Leute Abstand halten. Es gibt aber bestimmte gesellschaftliche Milieus und Gruppen, bei denen das Ansammeln und der Körperkontakt gleichsam zum Begriff des guten Lebens gehören, ich denke da etwa an die Kölner Party- und sog. Autoposer-Szene, etwa am rechten Rheinufer im Bereich der Messe. Das Kontaktverbot auch insoweit durchzusetzen, war sicher eine Herausforderung, die aber seitens der Stadt Köln und des Kölner Polizeipräsidiums aus meiner Sicht hervorragend gemeistert worden ist. Klare staatliche Ansagen, mit Bereitschaftspolizei unterlegt, werden erfahrungsgemäß gerade von denen verstanden, die sonst gerne auf Machtproben mit der Polizei und Randale aus sind. Insofern scheinen mir, auf der anderen Seite, die Ausschreitungen in Stuttgart vielleicht auch ein Beispiel dafür, was passieren kann, wenn eine Lage aus dem Ruder läuft – ohne dass ich hier in irgendeiner Weise Kritik äußern möchte. Bemerkenswert war offenbar der hohe Anteil jugendlicher Migranten unter den Tatverdächtigen der Krawalle in Stuttgart und Frankfurt am Main. Der Bremer Politikwissenschaftler Stefan Luft hat darauf hingewiesen, dass es sich vor allem um junge Männer handelt, deren überzogene Erwartungen an Asyl in Deutschland enttäuscht wurden und deren Frustration sich jetzt in Gewalt gegen die Polizei als Repräsentanten des Staates äußert. Aus meiner persönlichen Sicht ist es stets, und nicht nur in der Corona-Ausnahmezeit, hervorgehobene Aufgabe der Polizei, antizipierend solche Lagen zu verhindern bzw. schnellstmöglich zu beenden. Wird dies erfolgreich praktiziert, so treten bei der Klientel zugleich positive Lernerfolge für die Zukunft ein, im Sinne eines gewaltfreien und regelkonformen Lebens in Deutschland.

Zur Person:

Professor Dr. jur. Klaus Schönenbroicher arbeitet als Gruppenleiter für den Bereich der Polizei im Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Er ist Honorarprofessor an der Ruhr-Universität Bochum und Herausgeber und Autor zahlreicher juristischer Veröffentlichungen, insbesondere von Kommentaren zur NRW-Landesverfassung und zum NRW-Ordnungsbehördengesetz (zusammen mit Professor Dr. jur. Andreas Heusch).

 

 
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