23.10.2020

Rechtsextremismus in der Polizei

Diskurs und Vorschläge

Rechtsextremismus in der Polizei

Diskurs und Vorschläge

Unter der Lupe: Chat-Gruppen bei der Polizei. | © Aghavni - stock.adobe.com
Unter der Lupe: Chat-Gruppen bei der Polizei. | © Aghavni - stock.adobe.com

Das Bekanntwerden rassistischer Inhalte im privaten Chat einer Dienstgruppe der Mülheimer Polizei hat für landesweite Empörung gesorgt. Mittlerweile wurden weitere Chatgruppen offenbart, in denen Inhalte geteilt wurden, die als verfassungsfeindlich und menschenverachtend zu verstehen sind. In einer solchen Chatgruppe von Polizeibeamten aus Berlin sollen zudem konkrete Gewaltphantasien ausgetauscht worden sein Die Rufe nach Konsequenzen werden lauter – die Aufklärung steht jedoch noch am Anfang.

Rassismus und Rechtsextremismus in deutschen (Sicherheits-)Behörden

Chatgruppen in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, in denen sich Beamte aus Polizei und auch Verfassungsschutz rassistisch äußern, sind aktueller Anstoß für die Debatte um strukturellen Rassismus und rechtsextreme Gesinnungslagen in den Sicherheitsbehörden. Sie sind allerdings nicht die ersten Vorfälle, auch ist die Diskussion keineswegs neu. Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) machte klar, dass man nicht mehr von „Einzelfällen“ sprechen und wegsehen könne. Wie hoch das Ausmaß tatsächlich ist und bei wie vielen Personen von demokratiefeindlichen Haltungen und bei wie vielen von einem schädlichen „Mitläufertum“ auszugehen ist, ist derweil völlig unklar. Hier stehen die Ermittlungen noch ganz am Anfang.

Das im September vorgestellte Lagebild „Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden“ wies im Erhebungszeitraum (1.1.2017-31.3.2020) insgesamt 1.441 Verdachtsfälle aus. Die Sicherheitsbehörden der Länder (insgesamt ca. 276.000 Mitarbeiter) leiteten im Erhebungszeitraum Ermittlungen in 319 Verdachtsfällen ein. Die Bundessicherheitsbehörden (insgesamt ca. 109.000 Mitarbeiter) meldeten 58 Verdachtsfälle und der Militärische Abschirmdienst (MAD) meldet für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung mit rund 260.000 militärischen und zivilen Angehörigen insgesamt 1.064 Verdachtsfälle (die Verdachtsfallzahlen für den Geschäftsbereich des BMVg sind allerdings aufgrund abweichender Definition eines Verdachtsfalls nicht direkt vergleichbar). Die dabei aufgenommenen Sachverhalte reichten von Anhaltspunkten für antisemitische oder fremdenfeindliche Haltungen, bis hin zu der Beschaffung und Vorhaltung von Waffen und Munition zur Vorbereitung des sogenannten „Tag X“.


Bekannt ist zudem, dass Extremisten gezielt versuchen, Behörden zu unterwandern und gerade Polizeibeamte zu beeinflussen und für sich zu gewinnen. Der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) in Thüringen, Stefan Kramer, warnte in diesem Kontext bereits vor Aufrufen zum „Widerstand“, u.a. aus dem offiziell aufgelösten „Flügel“ der AfD, die an Angehörige von Verfassungsschutz, Polizei und Bundeswehr gerichtet seien: Während die Art des Widerstandes nicht eindeutig definiert sei, ziele er doch auf eine „Zersetzung von innen“ ab. In diesem Kontext werden berufliche Frustrationserfahrungen angesprochen und benutzt.

Diskussion und Maßnahmen

Aktuell werden die unterschiedlichsten Ansätze diskutiert. Geforderte Studien zum Thema sollen nun realisiert werden. Als eine Maßnahme werden externe Meldestellen, auch in Hinblick auf unrechtmäße Gewalt durch Polizeibeamte, gefordert. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) forderte indes die Realisierung einer externen Stelle, an die sich Beamte wenden können, wenn sie in ihrem beruflichen Umfeld von Unregelmäßigkeiten oder auch mutmaßlich rechtsextremen Tendenzen erfahren. Eine solche ist mit der EU-Richtlinie RL 2019/1937 zum Whistleblowerschutz vom 16. April 2019, die im Dezember 2019 in Kraft getreten ist, verpflichtend umzusetzen. Damit sollen Hinweispersonen in Unternehmen, aber auch in Behörden stärker als bisher geschützt werden.

Andere Ansätze beziehen sich auf ein verschärftes Prüfverfahren für Anwärter, nicht nur in Sicherheitsbehörden, sondern insgesamt im öffentlichen Dienst. Die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen lässt bereits seit einigen Jahren Bewerber vor Einstellung und damit Verbeamtung auf Widerruf durch den Verfassungsschutz überprüfen.

Doch auch in der Ausbildung selbst müssen die einzelnen Bundesländer und der Bund ständig überprüfen, ob die Inhalte geeignet sind, demokratie- und menschenfeindlichen Weltanschauungen vorzubeugen und sensibel für extremistisches Gedankengut sein. In ihrem Zwischenruf: „Die Polizei muss sich selbst helfen!“ fordert die Vorsitzende des Beirats der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Barbara John (CDU), die Hochschulen der Länder und des Bundes als Ausbildungsstätten der Polizei zudem auf, aktive Vorschläge zu unterbreiten und gemeinsam mit den Behörden umzusetzen. Eine Möglichkeit könnte eine Implementierung von Ausbildungsinhalten in den Polizeidienst sein, wie beispielsweise die Berufsrollenreflexion. Doch auch das Auffangen der Erlebnisse von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten könnte durch Supervision besser unterstützt werden.

Fazit

Studien durchzuführen, Probleme ehrlich und transparent aufzuarbeiten und konstruktiv nach Lösungen zu suchen, ist der richtige Weg. Er sollte sorgfältig und ohne Schnellschüsse oder in einer Alibifunktion beschritten werden. Entsprechend braucht er Zeit und Ressourcen. Dieser Fokus, Polizeibeamte für den Dienst zur stärken, sollte dabei im Mittelpunkt stehen, und dies betrifft auch die Ausbildungsstellen und Hochschulen. In der Auswahl der Bewerber muss Qualität vor Quantität (trotz Personalmangel) stehen. Im Unterricht müssen wir als Dozenten darauf achten, das Bewusstsein für Menschenrechte fächerübergreifend zu stärken, sensibel für extremes Gedankengut sein und uns selbst immer wieder kritisch hinterfragen. Doch auch über die Ausbildung hinaus sollten Instrumente wie Berufsrollenreflexion weiter im Dienst durchgeführt und als Ansatz fortentwickelt werden. Darüber hinaus sollten andere Behörden nicht vergessen werden.

Das Wichtigste, was die Polizei besitzt, ist das Vertrauen der Bürger. In Deutschland ist dies der Fall. Es darf nicht dadurch zerstört werden, dass sich die Institutionen abschotten und Probleme leugnen. Aber auch die Kritiker sind nun gefragt, sachlich zu bleiben und konstruktive Vorschläge zu unterbreiten. Denn die Sicherheitsbehörden eignen sich nicht als Spielball, um politische Interessen auszutragen, noch haben sie es verdient, unter Generalverdacht gestellt zu werden.

Was die Polizei benötigt, ist eine gute Fehlerkultur. Die wird sich nur dann durchsetzen, wenn der Mut, solche Themen offensiv anzupacken, belohnt wird. Dazu muss auch der öffentlich begleitende Diskurs eine Balance zwischen dem Verharren auf „Einzelfall“ und einem stigmatisierenden Generalverdacht finden.

 

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein Westfalen
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