13.09.2021

Juristisches Lernen in Coronazeiten

Organisation des Studiums im Homeoffice

Juristisches Lernen in Coronazeiten

Organisation des Studiums im Homeoffice

Ein Beitrag aus »Der Wirtschaftsführer« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Der Wirtschaftsführer« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Die „Corona-Krise“ hat zu einem abrupten Wechsel in Vorlesungs- und Studienverlauf geführt. Von einem Tag auf den anderen mussten Lehrende und Studierende sich von den üblichen Präsenzvor-lesungen verabschieden und auf Lehre aus dem und in das Homeoffice wechseln. Dies stellt eine Chance für eine Modernisierung des Lehrbetriebes dar, führt aber leider auch dazu, dass viele Studierende sich umorientieren müssen, um ihr Studium ohne Zeitverlust fortsetzen zu können. Der vorliegende Beitrag1 soll Hilfestellungen hierzu geben. Denn die angesprochene Chance für die Modernisierung des Lehrbetriebes hat auch dazu geführt, dass das Angebot, Jura selbstständig mithilfe von Internetquellen zu lernen, nahezu explodiert ist.

Nach einigen allgemeinen Tipps, welche Änderungen zum Homeoffice-Betrieb hilfreich sein können, werden eine Reihe von kostenlos verfügbaren Online-Materialien dargestellt. Dabei ist die Quellenauswahl persönlicher Natur. Erfasst sind solche, die die Autorin selbst als besonders hilfreich empfand, ohne weitere Materialien auszuschließen. Auf der Webseite der Verfasserin2 sowie ihrem Instagram-Account3 findet sich eine ausführlichere, laufend aktualisierte Liste.

Feststellen des eigenen Lerntypus

Vorweg ein allgemeiner Hinweis: Jede*r von uns lernt und studiert anders. Hinterfragen Sie daher alle Angebote kritisch darauf, ob und inwieweit sie für Sie hilfreich sind. Nehmen Sie sich die Zeit, Ihren Lerntyp herauszufinden, um Ihr Lernverhalten zu optimieren.


Für das Jurastudium sehr relevant ist zunächst die Einteilung in auditive und visuelle Lerntypen. Einige von uns nehmen Informationen eher durch Zuhören auf, andere setzen besser ihre Augen ein, d. h. sie ziehen Schemata und Text vor. Im Regelfall stellen wir Mischtypen dar, d. h. wir lernen am besten durch eine Kombination von beiden Ansätzen. Sollten Sie jedoch ein stark auditiv geprägter Lerntyp sein, sollten Sie stärker auf Angebote zum Zuhören zurückgreifen. Umgekehrt sind Podcasts etc. weniger für Sie geeignet, sollten Sie primär visuelle Lernmaterialien benötigen.

Sollten Ihre Kommiliton* innen auf andere Weise lernen, bedeutet dies nur, dass Sie anders, nicht aber unbedingt „besser“ lernen. Aber natürlich ist es immer sinnvoll, sich mit Kommiliton* innen auszutauschen, um allgemein Anregungen zu erhalten.

Dies führt direkt zum nächsten Lerntypus: Einige von uns sind eher gruppenorientiert und kommunikativ geprägt, andere bleiben lieber für sich. Auch hier sollten Sie Ihr individuelles Optimum feststellen, um dann zu entscheiden, wie viel Zeit Sie zum Lernen in Lerngruppen und im Gespräch mit Kommiliton* innen verbringen.

Schließlich können Sie eher Freude an abstrakten Fragen und Systemverständnis haben oder lieber konkrete Fälle lösen. Im Jurastudium brauchen Sie Kenntnisse in beidem, doch es hilft, wenn Sie so einsteigen, wie es Ihnen intuitiv nähersteht.

Allgemeine Tipps und Hinweise zur Organisation des Studiums im Homeoffice

Organisation

Das Jurastudium ist zeitintensiv. Durch den Vorlesungsverlauf und die wiederholte Erinnerung der Dozierenden an den Klausurtermin haben Sie gewisse Anhaltspunkte, wie Sie Ihr Lernverhalten organisieren sollten. Dies ändert sich durch Online-Vorlesungen nicht.

Was den weiteren Tagesablauf im Homeoffice betrifft, sollten Sie sich daran orientieren, welche weiteren Verpflichtungen Sie haben, welche Prioritäten diese einnehmen und ob Sie eher ein Morgen- oder Abendmensch sind. Auch müssen Sie für sich selber herausfinden, für welchen Zeitraum Sie konzentriert am Stück arbeiten können.

Eine allgemeine, mehrere Monate umfassende Strukturierung empfiehlt sich auch unabhängig von der Coronasituation, insbesondere der Examensvorbereitung. Tipps hierzu finden sich auch auf der Webseite der Verfasserin4 sowie auf dem YouTube-Channel „endlich jura“5 und dem Instagram-Account @jura.neutron.6

Prokrastination

Überlisten Sie sich selbst, wenn Sie merken, dass Sie zum Abschweifen („Prokrastinieren“) neigen. Es gibt verschiedene Apps, welche E-Mails, Instagram, Facebook etc. blockieren, etwa Offtime7, Flora8 oder Forest.9 Vergegenwärtigen Sie sich aber auch, dass der menschliche Drang zur Prokrastination biologisch sinnvolle Ursachen hat und ein Zeichen sein kann, dass Sie dringend eine Pause brauchen.10 Statt sich zum stundenlangen Lernen zu zwingen, kann es helfen, bewusst jede ganze oder halbe Stunde oder alle zwei Stunden (je nach individuellem Bedürfnis) eine Pause von 10-15 Minuten einzulegen, diese auf den Social-Media-Accounts Ihres Vertrauens (oder auf sonstige Weise) zu verbringen, um danach gestärkt und motivierter zum Studium zurückzukehren.

Online-Materialien zum Selbststudium

Der Großteil der Universitäten ist im März 2020 zur Online-Lehre geschwenkt. Vorher waren frei verfügbare Vorlesungsaufzeichnungen selten. Nun ist ihre Zahl deutlich gestiegen, u. a. weil Universitäten die technische Aufrüstung finanziell unterstützt haben und Dozierende ihre digitalen Kompetenzen verbessern mussten. Dies hat den Vorteil, dass Sie inzwischen zu fast jeder Vorlesung die Wahl haben, ob Sie dem Angebot an Ihrer Universität folgen oder auf Veranstaltungen anderer Fakultäten zurückgreifen. Achten Sie darauf, dass Sie sich nicht bei der Suche nach dem passenden Angebot zeitlich „verzetteln“ und am Ende des Semesters zwar eine ganze Reihe an guten Vorlesungen kennen, aber inhaltlich nicht sehr weit sind. Empfehlenswert ist es, den eigenen Dozierenden zu folgen und maximal die Materialien je einer weiteren Vorlesung ergänzend hinzuzuziehen. Ersterer stellt immer noch die Klausur. Die eigenen Vorlesungen komplett zu ersetzen, ist nur ratsam, wenn Sie mit dem Stil der Dozierenden wirklich überhaupt nicht zurechtkommen.

Online-Vorlesungen

Online aufgezeichnete zivilrechtliche Vor-lesungen finden sich etwa bei Stephan Lorenz11, Matthias Fervers12 und Thomas Riehm.13 Im Strafrecht gilt ähnliches für Helmut Satzger14 und im Öffentlichen Recht für Jan Henrik Klement.15

Doch auch andere Gebiete wie römisches Recht,16 Urheberrecht17 oder Europarecht18 sind vertreten. Dies sind nur Beispiele, eine ausführlichere und immer noch nicht vollständige Liste findet sich auf der Webseite der Verfasserin.19

Online-Lektüre

Das Jurastudium ist stark textbasiert. Auch bei einer hervorragenden Vorlesung kommen Sie ohne begleitende Lektüre nicht aus. Die meisten Universitäten haben mit verschiedenen Verlagen Lizenzverträge geschlossen, damit zumindest die wesentlichen Lehrbücher online verfügbar sind. Besuchen Sie die Webseiten der juristischen Bibliotheken, um hier Informationen zu erhalten.

Daneben gibt es verschiedene Ausbildungszeitschriften, die ebenfalls entweder über den Uni-Account oder sogar allgemein im Netz verfügbar sind. Was Letzteres betrifft, ist insbesondere die ZJS, die „Zeitschrift für das juristische Studium“20 zu empfehlen, die – ähnlich wie JA,21 JuS22 oder JURA23 – rechtsgebietsübergreifend sowohl abstrakte Abhandlungen als auch konkrete Fallbesprechungen anbietet.

Ebenso haben mehr und mehr Dozierende ihre vorlesungsbegleitenden Materialien wie Arbeitsblätter oder Skripten online gestellt, exemplarisch lässt sich hier auf die Tübinger „Arbeitsblätter zu strafrechtlichen Gebieten“24 verweisen.

Sind Sie auf der Suche nach weiteren Fällen mit ausformulierten Lösungen, finden sich im öffentlichen Recht die „Saarheimer Fälle“25 und die „Hauptstadtfälle“26 sowie im Strafrecht die „Baltic Crime Storys“.27 Außerdem baut die frisch gegründete Plattform „Juriverse“28 gerade ihre Datenbank von Fällen aus verschiedenen Rechtsgebieten aus.

Rechtsprechungsdatenbanken und -sammlungen

Schließlich ist es im Jurastudium unabkömmlich, aktuell zu bleiben was höchstrichterliche Rechtsprechung betrifft. Je näher das Examen rückt, sollten Sie einen Überblick darüber haben, was gerade die Praxis und Wissenschaft bewegt. Die Webseite LTO – Legal Tribune Online29 – gibt regelmäßige ausführliche Überblicke. Sollten Sie eher ein visueller Lerntypus sein, stellt die Universität Hannover eine Datenbank bereit, über die sich aktuelle, nicht nur höchstrichterliche Rechtsprechung finden lässt.30 Ebenso haben die Datenbanken Beck-Online31 und Juris32 auf ihrer Startseite einen Überblick über aktuelle Themen.

Weiterhin gibt es zumindest auch im Strafrecht noch Alternativen: „Famos – der Fall des Monats“33 und „HRR Strafrecht“34 bieten Analysen und Besprechung von strafrechtlich relevanten Themen und aktueller Rechtsprechung. Schließlich bietet das Passauer Rechtsprechungsarchiv35 eine umfangreiche Aufbereitung von relevanter Rechtsprechung.

Inzwischen schon fast ein Klassiker zum auditiven Lernen ist der Podcast „JuraCast – der Examenspodcast“,36 der im wöchent-lichen Rhythmus aktuelle Rechtsprechung aufbereitet und bespricht. Ähnliches strebt der Podcast „Iudicum“37 an. Auf dem You-Tube-Channel „Der Jurist“38 werden zudem wichtige Entscheidungen in weniger als fünf Minuten besprochen.

Schließlich finden sich weitere, nicht auf die Ausbildung, sondern auf politische Diskussion ausgelegte Podcasts wie die „Justizreporter* innen“39 der ARD.

Wiederholung zwischendurch

Zuletzt gibt es Angebote, die zwar nicht die oben genannten Materialen ersetzen können, aber genutzt werden können, um per Smartphone zum Beispiel in der Bahn oder in Warteschlangen oberflächliches Wissen zu wiederholen, etwa die kostenlose Version der App „Jura-Fuchs“40 oder der Instagram-Account @defacto.jura.41

Wie auch bei den anderen oben genannten Angeboten müssen Sie sich selbstvertändlich stets bewusst sein, dass auch diejenigen, die die Lernmaterialien verfassen, Fehler machen. Übernehmen Sie daher nichts blind.

Fazit

Die Coronakrise ist hoffentlich bald überwunden. Klassische Lehr- und Studienformate werden zurückkehren. Das in der Zwischenzeit entstandene digitale Angebot wird hoffentlich fortbestehen und ausgebaut werden. Nehmen Sie die Krise trotz aller Einschränkungen auch als Chance war und versuchen Sie, beim Lernen so viel Spaß wie möglich zu haben.

Denn wie bei jedem Studium liegt es auch in Jura am Ende bei jedem von uns selber, was wir daraus machen. Dieser Beitrag hat hoffentlich dazu beigetragen, dass Sie Ihre Möglichkeiten noch erweitern konnten. Viel Erfolg!

 

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag entstammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.

Um den Wirtschaftsführer auch unterwegs bequem lesen zu können, finden Sie hier unsere »Wirtschaftsführer-App«.

 

1)            Die Verfasserin dankt ihrem Mitarbeiter, Marius Pflaum, für sein Input beim Verfassen dieses Artikels.

2)            https://www.goessl.jura.uni- kiel.de/de/selbststudium.

3)            https://www.instagram.com/lehrstuhl_goessl/.

4)            https://www.goessl.jura.uni- kiel.de/de/selbststudi-um/tipps- und- tricks.

5)            https://www.youtube.com/channel/UCc- sOgZI-qUiTKVeWomabqzg.

6)            https://www.instagram.com/jura.neutron/.

7)            https://offtime.app/.

8)            https://flora.appfinca.com/.

9)            https://www.forestapp.cc/.

10)         zB https://eduadvisor.my/articles/reasons- why- you- should- start- procrastinating/. Zum wissen-schaftlichen Fundament, vgl etwa Jihae Shin/Adam

  1. Grant, When Putting Work Off Pays Off: The Curvilinear Relationship Between Procrastination and Creativity, AMJ 2020.

11)         http://lorenz.userweb.mwn.de/podcastallg.htm.

12)         https://www.jura.uni- muenchen.de/personen/f/fervers_matthias/podcasts/index.html.

13)         https://ilias.uni- passau.de/ilias/goto.php? target= crs_ 93358& client_id= intelec; https://ilias.uni- passau.de/ilias/goto.php? target= crs_ 93358& client_id= intelec.

14)         https://cast.itunes.uni- muenchen.de/vod/playlists/yElkzlhdxS.html.

15)         https://www.youtube.com/channel/UCrDaCNcf-Habn4pFqIICVohg/videos.

16)         Youtube-Channel „Ius Romanum (Rüfner)“ https://www.youtube.com/channel/UCPloGqIWPnid-c27r9zkCV9w.

17)         https://www.youtube.com/playlist? list= PLjR6I-WQA0B3m1ibn3XHQ- i5qd3L1pFf3O.

18)         Youtube-Channel „Fabian Michl“ https://www. youtube.com/channel/UCpyCWC7e_Ojl1HART-BkKhEw.

19)         https://www.goessl.jura.uni- kiel.de/de/selbststudi-um/lernmaterialien.

20)         http://www.zjs- online.com/index.php

21)         https://beck- online.beck.de/? vpath= bibdata% 2Fzeits% 2FJA% 2Fcont% 2FJA% 2Ehtm.

22)         https://beck- online.beck.de/? vpath= bibdata% 2Fzeits% 2FJUS% 2Fcont% 2FJUS% 2Ehtm.

23)         https://www.degruyter.com/view/journals/jura/jura- overview.xml.

24)         https://uni- tuebingen.de/fakultaeten/juristische- fakultaet/lehrstuehle- und- personen/lehrstuehle/lehrstuehle- strafrecht/heinrich/arbeitsblaetter- zu- den- vorlesungen/# c941877.

25)         http://www.saarheim.de/.

26)         https://www.jura.fu- berlin.de/studium/lehrplan/projekte/hauptstadtfaelle/.

27)         https://www.baltic- crime- stories.de/.

28)         https://www.juriverse.com/. Disclaimer: Die Verfasserin hat hier Fälle beigesteuert.

29)         https://www.lto.de/.

30)         https://www.jura.uni- hannover.de/de/juronline-rep/.

31)         https://beck- online.beck.de/.

32)         https://www.juris.de/.

33)         http://famos.jura.uni- wuerzburg.de/.

34)         https://www.hrr- strafrecht.de/hrr/.

35)         https://ilias.uni- passau.de/ilias/ilias.php? ref_id= 44708& cmd= show& cmdClass= ildclrecordlistgui& cmdNode= vn: kn: 9i& baseClass= ilRepositoryGUI.

36)         https://www.examenspodcast.de/. Disclaimer: Die Verfasserin hat hier Fälle und Besprechungen beigesteuert.

37)         https://www.iudicum.de/.

38)         https://www.youtube.com/channel/UCfbRoPYO-Ga9D6LwANklSgCw.

39)         https://www.ardaudiothek.de/die- justizreporter- innen/ 72290090.

40)         https://www.jurafuchs.de/.

41)         https://www.instagram.com/defacto.jura/.

 

Prof. Dr. Susanne Lilian Gössl, LL.M

Juristische Fakultät, Universität zu Kiel
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