09.01.2023

Gemeindliche Vollzugsbedienstete

Agieren auf rechtsunsicherer und weithin gesetzesfreier Grundlage

Gemeindliche Vollzugsbedienstete

Agieren auf rechtsunsicherer und weithin gesetzesfreier Grundlage

Ein Beitrag aus »Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg« | © emmi - Fotolia / RBV

Uniformierte „gemeindliche Vollzugsbedienstete“ gehören schon immer zum Erscheinungsbild vieler Kommunen in Baden-Württemberg. Die Ortspolizeibehörden können sich solcher im Volksmund oft „Stadtsheriffs“ genannter Personen bedienen, um im „niederschwelligen Gefahrenbereich“[1] die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Gemeindegebiet zu stärken. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz gemeindlicher Vollzugsbediensteter sind problematisch und defizitär. Zahlreiche Fragen hinsichtlich Einrichtung und Kompetenzen sind strittig[2], vor allem aber fehlt jedwede gesetzliche Vorgabe in Bezug auf Ausbildung, Ausrüstung und Dienstkleidung – ein Zustand, der nicht hinnehmbar ist.

I. Einleitung

Traten gemeindliche Vollzugsbedienstete in der Vergangenheit meist nur als „Knöllchen“-Verteiler („Politessen“) in Erscheinung, werden sie mittlerweile bei der Erledigung zahlreicher weiterer polizeilicher Aufgaben sowohl präventiver wie repressiver Art eingesetzt, um Sicherheitsempfinden und Sicherheitslage vor Ort zu verbessern. Bezeichnung, Erscheinungsbild, zahlenmäßige Stärke und Tätigkeit der gemeindlichen Vollzugsbediensteten haben sich in den letzten beiden Jahrzehnten grundlegend verändert. Aufgaben und Kompetenzen wurden und werden landauf, landab sukzessive erweitert; teilweise agieren gemeindliche Vollzugsbedienstete im jeweiligen Gemeindegebiet – meist unter der Bezeichnung „Kommunaler Ordnungsdienst“ (KOD)[3] – nach gusto der jeweiligen Kommune wie eine Art Stadtpolizei.

1. Gesetzeslage unbefriedigend


Ungeachtet der Frage, ob die damit einhergehende Verlagerung originär polizeilicher Vollzugsaufgaben von der staatlichen auf die kommunale Ebene zu begrüßen oder abzulehnen ist,[4] muss festgestellt werden, dass jedenfalls die Gesetzgebung mit dem Aufgaben- und Bedeutungszuwachs der Gemeindevollzugsdienste nicht Schritt gehalten hat. Von der Basisnorm des § 125 PolG abgesehen, existiert mit § 31 DVO PolG eine gesetzliche Regelung nach wie vor nur hinsichtlich der (potenziellen) Einsatzfelder gemeindlicher Vollzugsbediensteter.

Gestützt auf die Verordnungsermächtigung des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 PolG wird § 125 PolG durch diese Vorschrift mit einem Katalog möglicher Aufgabenübertragungen konkretisiert und zugleich begrenzt. Weitere gesetzliche Vorgaben, insbesondere in Bezug auf Ausbildung, Ausrüstung und Dienstkleidung der kommunalen Ordnungshüter, gibt es nicht. Vor dem Hintergrund dieser legislativen Defizite ist in den vergangenen Jahren im Kontext des § 125 PolG ein „Wildwuchs“[5] entstanden, der in rechtlicher Hinsicht mehr als bedenklich ist: Gemeindliche Vollzugsbedienstete wurden und werden (bewusst!) mit Uniformen und Fahrzeugen ausgestattet, die denen der staatlichen Polizei zum Verwechseln ähnlich sind; teilweise tragen sie Schusswaffen[6] oder haben Waffen zur Verfügung, die der staatlichen Polizei aus guten Gründen vorenthalten wurden bzw. werden[7] – und dies, ohne dass für gemeindliche Vollzugsbedienstete gesetzlich auch nur eine (Mindest-)Ausbildung vorgeschrieben wäre.

2. Untätiger Verordnungsgeber

Die offensichtlichen legislativen Defizite erstaunen auch deswegen, weil der Parlamentsgesetzgeber die Verordnungsermächtigung des Innenministeriums in Bezug auf gemeindliche Vollzugsbedienstete durch § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 PolG bereits im Jahr 2012[8] um die Regelungsbereiche Bestellung, Ausbildung, Ausrüstung, Dienstkleidung und Gestaltung der Dienstausweise erweitert hat. Diese Erweiterung erfolgte nicht zufällig, sondern aus der Erkenntnis, dass auf dem Feld der gemeindlichen Vollzugsbediensteten legislativer Handlungsbedarf besteht.[9] Geschehen ist seither nichts. Das Innenministerium als zuständiger Verordnungsgeber ignoriert den parlamentsgesetzlichen Auftrag seit nunmehr zehn(!) Jahren mit irritierender Konsequenz.

II. Baden-württembergische Besonderheit

Die den Kommunen in ihrer Eigenschaft als Ortspolizeibehörden durch § 125 PolG eröffnete Möglichkeit, gemeindliche Vollzugsbedienstete zu bestellen, war ursprünglich ein baden-württembergisches Spezifikum. 1991 folgte der Freistaat Sachsen als zweites Bundesland dem baden-württembergischen Vorbild mit einer dem § 125 PolG nachgebildeten Vorschrift (§ 80 SächsPolG a. F.).[10] Mittlerweile sind in weiteren Bundesländern Regelungen zur Schaffung nicht staatlicher Vollzugsorgane zu finden, wobei Begrifflichkeiten, Errichtungsbedingungen und mögliche Betätigungsfelder variieren. In Hessen sieht § 99 HSOG die optionale Bestellung sogenannter „Hilfspolizeibeamtinnen und -beamten“ vor, ohne diese Möglichkeit wie in Baden-Württemberg auf Gemeinden zu beschränken. Teilweise firmiert die Hilfspolizei dort offiziell als „Stadtpolizei“, so bspw. in Kassel und Frankfurt a. M.[11] Eine vergleichbare Möglichkeit – Bestellung von Hilfspolizeibeamtinnen und -beamten – existiert mit § 95 NPOG in Niedersachsen[12] sowie seit 2017 mit § 129 BremPolG („Kommunaler Ordnungsdienst“) auch in Bremen.[13] Einzigartig (geblieben) ist die „Regelungsdichte“ in Baden-Württemberg: Kein anderer Landesgesetzgeber, der die Möglichkeit zur Einrichtung kommunaler, polizeigleich agierender Vollzugsorgane geschaffen hat, beschränkt sich auf vergleichbar marginale gesetzliche Vorgaben.

III. Verfassungsrechtliche Problematik

1. Funktionsvorbehalt

Primär aus Kostengründen sind gemeindliche Vollzugsbedienstete in aller Regel nicht verbeamtet, sondern werden als Angestellte der Kommune tätig.[14] Mit Blick auf den „Funktionsvorbehalt“ des Art. 33 Abs. 4 GG[15] ist dies kritisch zu sehen. Denn die Bestellung und der regelmäßige Einsatz nicht beamteter Vollzugsbediensteter kollidiert mit der grundgesetzlichen Vorgabe, wonach die „Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel“ nur auf Angehörige des öffentlichen Dienstes übertragen werden kann, die in einem „öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis“[16] stehen. Diese Voraussetzung trifft nur auf die in einem Dienstverhältnis zur Gemeinde stehenden Beamten zu, nicht aber auf Angestellte der Gemeinde. Die Vorgabe des Art. 33 Abs. 4 GG beschränkt die Organisationsgewalt der Exekutive.[17]

Nach der Rechtsprechung des BVerfG werden „hoheitsrechtliche Befugnisse“ i. S. d. Art. 33 Abs. 4 GG dann ausgeübt, wenn „die öffentliche Gewalt durch Befehl oder Zwang unmittelbar beschränkend auf grundrechtlich geschützte Freiheiten einwirkt“.[18] Unstreitig trifft dies zumindest auf den Teil hoheitlicher Staatstätigkeit zu, der der Eingriffsverwaltung zuzurechnen ist.[19] Gemeindliche Vollzugsbedienstete greifen bei der Erledigung der ihnen übertragenen Aufgaben tagtäglich und vielfältig in die Grundrechte der Bürger ein. Gem. § 125 Abs. 2 PolG kommt ihnen im Rahmen der Erledigung ihrer polizeilichen Dienstverrichtungen die „Stellung von Polizeibeamten i. S. d. PolG“ zu; zudem fungieren sie insoweit nach § 152 GVG i. V. m. § 2 Nr. 1 StAErmPVO[20] als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft. In Grundrechte wird nicht erst im Falle der Anwendung unmittelbaren Zwangs[21] oder im Kontext repressiver Ermittlungstätigkeit, sondern bspw. auch schon bei der Überwachung des ruhenden Verkehrs[22] eingegriffen. Nach Auffassung des BVerwG erfasst Art. 33 Abs. 4 GG „neben den Streitkräften und der Polizei sonstige Ordnungskräfte … auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene, die mit der Ausarbeitung von Rechtsakten, deren Durchführung und mit hoheitlichen Aufsichtsfunktionen betraut sind“. Es kann kein ernsthafter Zweifel bestehen, dass gemeindliche Vollzugsbedienstete i. S. d. § 125 PolG dem durch das BVerwG solchermaßen definierten Personenkreis des Art. 33 Abs. 4 GG zuzuordnen sind.

 

Den vollständigen Bericht lesen Sie in VBlBW 12/2022, S. 485.

[1] Gassner, VBlBW 2013, 281.

[2] So entschied bspw. das AG Konstanz unlängst, die – durchaus verbreitete – Aufgabenübertragung an gemeindliche Vollzugsbedienstete durch den Bürgermeister sei wohl mangels dessen Organkompetenz unwirksam mit der Folge, dass dadurch keinerlei Vollzugszuständigkeiten begründet würden, AG Konstanz, Beschl. v. 27.11.2021, BeckRS 2021, 52055 Rn. 8 (mit Anm. Zinell, Publicus v. 12.08.2022, abrufbar unter https://publicus.boorberg.de/kommunalrechtliche-anmerkungen-zum-beschluss-des-ag-konstanz). Neben der Frage der Organkompetenz strittig sind u. a. auch die Zulässigkeit der Subdelegation oder die Verfolgung von Straftaten als übertragbare Aufgabe (näher dazu BeckOK PolR BW/Nachbaur, § 125 Rn. 23 ff.; Rn. 40 f.).

[3] Ungeachtet der von Kommune zu Kommune variierenden Bezeichnungen („Gemeindevollzugsdienst“, „Gemeindlicher Vollzugsdienst“, „Städtischer Vollzugsdienst“, „Kommunaler Ordnungsdienst“ etc.) sind Bestellung, Aufgaben und Kompetenzen der in diesen Einrichtungen als gemeindliche Vollzugbedienstete tätigen Personen immer und ausschließlich nach Maßgabe der § 125 i. V. m. §§ 31 ff. DVO PolG zu beurteilen (BeckOK PolR BW/Nachbaur BWPolG § 125 Rn. 3).

[4] Zur bundesweit zu beobachtenden Tendenz der Schaffung polizeigleich agierender kommunaler Sicherheitsbehörden s. Rachor/Roggan, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Auflage 2021, Kap. C Rn. 39 ff.

[5] BeckOK PolR BW/Nachbaur, § 125 Rn. 55.

[6] So bspw. der „Städtische Vollzugsdienst“ in Stuttgart.

[7] So der „Tonfa“-Schlagstock mit Querriegel, den bspw. der KOD („Kommunaler Ordnungsdienst“) in Villingen-Schwenningen zur Verfügung hat oder der Elektroschocker („Taser“), mit dem u. a. der KOD in Mannheim ausgestattet ist.

[8] G. zur Änderung des Polizeigesetzes und des Gesetzes zur Ausführung des Personenstandsgesetzes v. 20.11.2012 (GBl. S. 625).

[9] S. LT-Drs. 15/2434, S 44.

[10] Seit 01.01.2020 geregelt in § 9 Abs. 1 SächsPBG.

[11] S. BeckOK PolR Hessen/Göttlicher, § 99 HSOG Rn. 10.1 (grundlegend zur hessischen Hilfspolizei Tuchscherer, Stadtpolizei statt Polizei, 2017).

[12] Näher hierzu BeckOK PolR Nds/Kühme § 95 NPOG Rn. 1 ff.

[13] S. dazu die Ordnungsdiensteverordnung Bremen v. 29.05.2018 (Brem.GBl. 2018, S. 259).

[14] Die Abkehr von der Regel-Verbeamtung war der Grund dafür, den bis 1992 im Gesetz benutzten Begriff des gemeindlichen „Vollzugsbeamten“ durch den des gemeindlichen „Vollzugsbediensteten“ zu ersetzen, s. BeckOK PolR BW/Nachbaur BWPolG § 125 Rn. 2.

[15] Zum Funktionsvorbehalt vgl. BVerfG, Urt. v. 18.01.2012, NJW 2012, 1563, 1564 ff.; Badura, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 33 Rn. 55 ff.

[16] So im Wortlaut Art. 33 Abs. 4 GG (ebenso die Parallelvorschrift des Art. 77 Abs. 1 LV BW).

[17] Badura (Fn. 15), Art. 33 Rn. 56.

[18] BVerfG, Urt. v. 18.01.2012, NJW 2012, 1563, 1565.

[19] H.M., s. BeckOK GG/Hense GG Art. 33 Rn. 28; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 33 Rn. 42 (m. w. N.).

[20] Verordnung der Landesregierung über die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft v. 12.02.1996, GBl. S. 184.

[21] Gemeindliche Vollzugsbedienstete sind im Rahmen der Erledigung übertragener Aufgaben auch befugt, unmittelbaren Zwang anzuwenden (h. M., s. nur BeckOK PolR BW/Kastner BWPolG § 65 Rn. 4; BeckOK PolR BW/ Nachbaur § 125 Rn. 42; Gassner VBlBW 2013, 281, 283 f.; Pschorr VBlBW 2019, 402, 407).

[22] Vgl. Waechter NZV 1997, 329.

 
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