30.12.2022

Friedhöfe können mehr

Sie sollten für die Hinterbliebenen gedacht werden!

Friedhöfe können mehr

Sie sollten für die Hinterbliebenen gedacht werden!

Dass Friedhöfe als Ruhestätte für Tote dienen, ist bekannt. Juristisch ist hier weitgehend alles geregelt. Eine bundesweite Forschungsinitiative mit Sitz im baden-württembergischen Süßen hat nun jedoch herausgefunden, dass die eigentliche Funktion von Beisetzungsorten eine viel wichtigere ist: Sie können bei der Bewältigung von Trauer helfen. Das stößt in der Fachwelt auf große Resonanz – und sorgt in der Praxis entgegen dem aktuellen Abwanderungstrend für Nachfrage auf dem Friedhof. Wie in der physischen Gestaltung der Gräber reichen auch im Öffentlichen Recht kleine Anpassungen, um hier etwas zum Wohle der Gesellschaft zu erreichen.

Die Initiative „Raum für Trauer“ hat in den letzten Jahren interdisziplinär zur Wirkung des Friedhofes auf trauernde Menschen geforscht. Unter anderem ließ sie mehrere Forschungsprojekte mit Befragungen durchführen. Auch mit Vertretern der am Friedhof tätigen Berufe ist sie im engen Austausch. So sind deren Verbandsspitzen unter anderem über Workshops zum Thema einbezogen. Friedhöfe werden dabei auch unter Einbindung internationaler Psychologen und Soziologen als Räume für Trauer entwickelt.

Erstmals in der Friedhofswelt wurde dabei festgestellt: Die eigentlich wichtigste Funktion von Beisetzungsorten liegt in ihrer möglichen psychologischen Wirkung auf die Hinterbliebenen. Die Rolle von Friedhöfen als „Abschiedsraum für Trauernde“ hat ein großes Potential für das psychische Wohlergehen von Bürgerinnen und Bürgern. Sie fand jedoch bislang zu wenig Beachtung, obwohl sie eine wichtige Komponente der Fürsorge für Menschen in Lebenskrisen durch Kommunen und Kirchen sein könnte.


Die Forschungserkenntnisse wurden im September 2022 unter großer Aufmerksamkeit der Fachwelt auf der internationalen Trauerkonferenz in Kopenhagen vorgestellt. Für die Integration dieser Erkenntnisse sind oft nur kleine Veränderungen notwendig. Durch sie kann der Friedhof einen wertvollen Beitrag für das psychische Wohlergehen leisten und dieses erlebbar machen – und so letztlich das gesellschaftliche Miteinander verbessern.

Wichtig: Individuelle Gestaltungsfreiheit auch bei Beisetzungsarten ohne Pflicht zur Grabpflege

Es gilt, die Menschen von der Pflicht zur Grabpflege zu befreien – und ihnen gleichzeitig individuelle Trauerrituale direkt am Beisetzungsort zu ermöglichen. Viele Beisetzungsformen, wie zum Beispiel Kolumbarien und teilweise auch Gemeinschaftsanlagen auf Friedhöfen oder die Beisetzung in Wäldern, gehen genau auf diesen wichtigen Unterschied nicht ein. Sie entlasten zwar die Angehörigen von der Grabpflege. Mit diesen Beisetzungsformen geht aber in den meisten Fällen einher, dass das Ablegen von Blumen und Aufstellen von Kerzen oder anderen persönlichen Gegenständen am Beisetzungsort verboten ist. Doch Trauerhandlungen direkt am Grab sind der Versuch, dem Verstorbenen nah zu sein, mit ihm auf einer anderen, neuen Ebene zu kommunizieren. Wo das verboten ist oder wo der genaue Beisetzungsort nicht bekannt ist, kann das nicht gelingen – ist die Verarbeitung der Trauer, die Umwandlung in liebevolles Gedenken, gestört.

Mag die Einordnung von Friedhöfen beim Grünamt aufgrund der notwendigen Grünpflege logisch und vernünftig sein, so ist die zuweilen zu beobachtende verwaltungstechnische Zuordnung von Friedhöfen zu städtischen Entsorgungsbetrieben vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse für Psychologen fraglich und irritierend.

Kommunen: Wie der sinkenden Nachfrage auf Friedhöfen begegnen?

Die haushalterische Vorgabe für Friedhöfe ist in der Regel ein ausgeglichener Haushalt – und der wird meist nicht mehr erreicht. Daher ist meist ein Zuschuss aus allgemeinen kommunalen Steuermitteln nötig, übrigens vielerorts auch für kirchliche Friedhöfe. Aufgrund sinkender Nachfrage – der Friedhof hat ein Imageproblem, weil sein eigentlicher Nutzen bei vielen neuen Grabformen nicht zu spüren ist – steigen diese Zuschüsse vielerorts. Mit ihnen steigen in der Regel auch die Kosten pro Grab, denn viele Kämmerer reagieren mit der Erhöhung ihrer Friedhofsgebühren. Doch kann es die Lösung sein, etwas zu verteuern, das immer weniger attraktiv erscheint?

Erfolgsbeispiel Süßen: Große Nachfrage lastet Grabanlagen aus

Mindereinnahmen beim Friedhof über höhere Gebühren auszugleichen ist ein Irrweg. Höhere Preise führen zu weiter sinkender Nachfrage – und damit in einen Teufelskreis. Der Ausweg liegt vielmehr darin, die wichtigste Ursache für die sinkende Nachfrage zu erkennen und darauf zu reagieren: Es gilt, achtsamer auf die Bedürfnisse der Hinterbliebenen einzugehen und das Angebot wieder attraktiv zu machen.

Dass das gelingt, beweist der Friedhof „Stiegelwiesen“ in Süßen. Hier wurden bereits vor Jahren zwei Gemeinschafts-Grabanlagen gestaltet, an deren einzelnen Gräbern Hinterbliebene zwar von der Grabpflege entlastet sind, aber dennoch Handlungsfreiheit genießen. Das Ergebnis mag überraschen: Beide dieser Gemeinschaftsanlagen sind bereits ausgebucht! Auf Beschluss des Süßener Gemeinderates ist derzeit eine Erweiterungsfläche im Bau. Der Erfolg spricht für sich und belegt: Bürgerinnen und Bürger brauchen funktionierende Friedhöfe – ohne Verpflichtung, jedoch mit Handlungsfreiheit, und zwar gut erreichbar im Ort.

Mit Friedhofskonzepten, die durch kleine Veränderungen im Bestand (wieder) stärker ihrem „Kundennutzen“, dem Beitrag zur Trauerbewältigung Hinterbliebener folgend gestaltet sind, bietet sich Kommunen also nachweislich die Chance, die Akzeptanz des Friedhofes zu erhöhen. Sie können so der Abwanderung zu vermeintlichen Alternativen außerhalb entgegenwirken, die Belegung wieder verdichten – und so die kommunalen Finanzen entlasten.

Die individuelle Friedhofssatzung als Hebel für neue Grabformen

Die Bestattungsgesetze der Länder regeln hauptsächlich den Umgang mit dem Leichnam, schreiben unter anderem die Beisetzung auf Friedhöfen vor. Das gilt derzeit überall in Deutschland außer in Bremen, verschiedene Länder diskutieren aber eine Aufhebung des Friedhofszwangs. Im Öffentlichen Recht sind es weiterhin die individuellen kommunalen Regelungen, meist die Friedhofssatzungen (die sich teilweise nach der Mustersatzung des Städte- und Gemeindetages richten) sowie eventuelle Verträge zu einzelnen Grabformen, in denen näheres geregelt ist.

Gräber zu schaffen, die von Grabpflege befreit sind, dem Trauernden aber zugleich Handlungsfreiheit bieten, stellt aus juristischer Sicht nur geringe Anforderungen an die Verantwortlichen. Denkbar sind Fälle, in denen beispielsweise künftig direkt am einzelnen Grab in Gemeinschaftsanlagen jeweils eine Fläche mit Handlungsfreiheit für die jeweiligen Angehörigen freigegeben wird, wie es bei den neuen Anlagen in Süßen der Fall ist.

André Könnecke, Geschäftsführer des Verbands der Friedhofsverwalter Deutschlands VFD (e.V.) (www.friedhofsverwalter.de), zählt zu den Friedhofsexperten, die mit der Initiative Raum für Trauer am „Friedhof der Zukunft“ arbeiten. Seiner Einschätzung nach steht aus Sicht des Öffentlichen Rechts der Schaffung entsprechender Grabformen nichts entgegen: „Grundsätzlich würde es reichen, die Friedhofssatzung entsprechend zu ändern. Damit können – und sollten – in ausreichendem Maße Rechte und Pflichten definiert werden, um eine rechtlich belastbare Grundlage zu schaffen. Mehr braucht es dafür nicht. Die Bestattungsgesetze der Länder mischen sich in solche Detailfragen nicht ein.“

Anders sieht es bei bestehenden Rasenplatten/Wiesengräbern aus, an denen derzeit zugunsten einer effizienten Rasenmahd nichts abgelegt werden darf. Hier im Bestand Individualität zu gestatten, sieht André Könnecke schon in der Praxis als nicht machbar an: „Auch hier sind zwar nur die Kommunen oder Kirchen zuständig und könnten das rechtlich regeln. Dagegen spricht jedoch, dass Gegenstände nun mal vor dem Rasenmähen entfernt werden müssen. Würde man sie wieder hinstellen lassen, könnte es zu Verwechslungen kommen – und zu neuen Konflikten führen. Viel besser wäre es hier daher, neue Anlagen einzurichten, bei denen dieser Pflegekonflikt nicht entsteht – beispielsweise mit Rindenmulch oder anderem naturnahen Untergrund anstelle des Rasens.“

Denkbar mag jedoch der Fall von Angehörigen sein, die eine einheitliche, nicht individuell handhabbare Grabform gerade wegen des Verbotes individueller Gestaltung, also wegen des einheitlichen Bildes ausgewählt haben. Würde in einer solchen bestehenden Anlage nun das Ablegen von Gegenständen im Nachhinein erlaubt, könnte das zu auch zur Geltendmachung von Ansprüchen auch gegen die Träger führen.

Für eine nachträgliche Markierung anonymer Gräber in anonymen Beisetzungsflächen dürfte ähnliches gelten. Dieser steht André Könnecke jedoch ebenfalls schon aus praktischen Gründen kritisch gegenüber: „Das wäre tatsächlich undenkbar. Die Lage von Urnen in anonymen Grabfeldern wird in der Praxis nicht dokumentiert, und das ist auch nicht im Sinne einer solchen Anlage. Wir können nur alle gemeinsam versuchen, diese Grabform nach und nach durch Alternativen mit Namensnennung zu ersetzen.“

Die Initiative Raum für Trauer wird kommunalen Entscheidungsträgern in naher Zukunft Schulungen, Beratungen und Workshops anbieten, die vermitteln, wie Friedhofs-Entwicklungspläne mit kleinen Anpassungen so optimiert werden können, dass der Friedhof wieder mehr Wertschätzung erfährt. Ein eigenes Schulungszentrum mit angeschlossenem „Labor- und Experimentierfeld Friedhof der Zukunft“ ist in Süßen hierfür bereits im Bau.

 

Anmerkung:

Die Initiative „Raum für Trauer“ (www.raum-fuer-trauer.de) erarbeitet interdisziplinär Erkenntnisse zu den Themen Trauer, Trauerverarbeitung und Trost. Die Initiative wurde ins Leben gerufen von der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. in Kooperation mit Institutionen, Gewerken, Vereinen und Verbänden der Trauer-, Bestattungs- und Friedhofskultur. Das Familienunternehmen Strassacker in Süßen, das sich als Kunstgießerei schon seit über 100 Jahren intensiv mit der Trauer- und Erinnerungskultur beschäftigt, hat mit unterschiedlichen Aktionen und Maßnahmen wie auch Forschungsprojekten mit dazu beigetragen, die Initiative zu entwickeln und zu realisieren. Die Erkenntnisse sind u.a. in dem Buch „Raum für Trauer“ zusammengefasst. Es ist, ebenso wie die „Acht Thesen zur Trauerkultur im Zeitalter der Individualität“ von Matthias Horx, über www.trauer-now.de zu beziehen. Zu den Projekten der Initiative zählt auch die Online-Plattform www.trauer-now.de bzw. @trauernow

 

Tobias Blaurock

Initiative Raum für Trauer
n/a