12.12.2022

Direktionsrecht: Anlasslose Aufforderung zum Corona-Test

AG Villingen-Schwenningen vom 22.10.2021 – 2 Ca 52/21

Direktionsrecht: Anlasslose Aufforderung zum Corona-Test

AG Villingen-Schwenningen vom 22.10.2021 – 2 Ca 52/21

Ein Beitrag aus »RdW – Das Recht der Wirtschaft« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »RdW – Das Recht der Wirtschaft« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Auch ohne Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes oder anderer gesetzlicher Regelungen kann die Anordnung von Corona-Tests am Arbeitsplatz auch heute noch gerechtfertigt sein. Das zeigt die nachfolgende Entscheidung.[1]

Ein Maschinenbediener ist seit dem Jahr 2005 in einem Unternehmen tätig. Am 17.03.2021 wurde ein Kollege von ihm, der in der gleichen Schicht eingesetzt war, positiv auf Corona getestet, nachdem er in der Frühschicht über Symptome geklagt hatte, die auf eine Corona-Infektion schließen ließen. Der Maschinenbediener wurde zunächst von der Arbeitgeberin telefonisch angewiesen, einen Schnelltest zu machen, wobei seine Arbeitgeberin generell solche Tests nicht selbst zur Verfügung stellte. Das Unternehmen überließ es den Mitarbeitern, die Art von Schnelltest und den Ort seiner Durchführung selbst zu wählen.

Der Maschinenbediener kam dieser Aufforderung nicht nach. Er erschien am nächsten Morgen zur Frühschicht. Daraufhin wurde er angewiesen, das Unternehmen sofort zu verlassen und dieses erst wieder zu betreten, wenn er einen negativen Corona-Test vorlegen könne. Seinem Vorgesetzten und Schichtführer sagte der Maschinenbediener, er fühle sich vollständig gesund und habe keine Symptome. Den Test habe er noch nicht durchführen können. In dem Gespräch bezeichnete der Vorgesetzte ihn als „Arschloch“ und befahl ihm, sofort nach Hause zu gehen.


Der Maschinenbediener war bereits dadurch aufgefallen, dass er im Jahr 2020 Handzettel mit Verschwörungstheorien im Unternehmen verteilt hatte. Da er unter einer Verkrümmung der Nasenscheidewand litt, suchte er nach einer in seinem Fall durchführbaren Testung. Erst nach einiger Zeit fand er eine Apotheke, die bereit war, mit medizinischem Fachpersonal einen anerkannten Test durchzuführen.

Am 06.04.2021 erfolgte dann ein Test, der im Ergebnis negativ war. Dieses Ergebnis legte der Maschinenbediener seiner Arbeitgeberin vor. Seine Arbeitgeberin stellte der Belegschaft erst ab Ende April Selbsttests zur Verfügung, die ohne Anlass einmal pro Woche vorzunehmen seien. Sie zahlte dem Maschinenbediener für die Zeit ab dem 17.03.2021 bis zur Vorlage des Tests Anfang April 2021 nicht die vereinbarte Vergütung.

Daraufhin erhob der Maschinenbediener eine entsprechende Zahlungsklage in Höhe von knapp 1.800 € brutto und beanspruchte wegen der Bezeichnung als „Arschloch“ ein Schmerzensgeld in Höhe von 4.100 €. Er meinte, dass er seine Arbeitsleistung am Tag nach der festgestellten Infektion seines Arbeitskollegen ordnungsgemäß angeboten und seine Arbeitgeberin ihn unberechtigt nach Hause geschickt habe. Auch hielt er die Anordnung von anlasslosen Selbsttests für nicht gerechtfertigt.

Corona-Tests: Schadenabwendungspflicht für Arbeitnehmer

Das Arbeitsgericht sprach dem Kläger aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs für neun Tage, die er infolge der Nichtvorlage eines negativen Corona-Tests nicht gearbeitet hatte, einen Zahlungsanspruch zu. An sich gelte zwar der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“, hier habe der Kläger aber seine Arbeitskraft ordnungsgemäß angeboten. Die Weisung der Beklagten, die Tätigkeit nur nach einem negativen Corona-Test zu erbringen, sei rechtswidrig gewesen, weil die Beklagte im März und April 2021 noch keinen solchen Test zur Verfügung gestellt habe. Die Beklagte habe mittels ihres Direktionsrechts grundsätzlich die Vorlage eines negativen Corona-Tests anordnen dürfen.

Zwar habe damals keine gesetzliche Pflicht für einen solchen Test am Arbeitsplatz existiert, auch nicht einrichtungsbezogen. Ein solches Recht zur Anordnung von Corona-Tests sei nach Auffassung der Kammer aber aus der allgemeinen Rücksichtnahmepflicht des § 241 Abs. 2 BGB abzuleiten. Nach dieser Vorschrift habe jeder Arbeitnehmer im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitgebers zu nehmen.

Daraus folge unter anderem auch eine Schadensabwendungspflicht, nach der Arbeitnehmer gehalten seien, drohenden Schaden vom Arbeitgeber sowie von anderen Arbeitnehmern abzuwenden bzw. zu beseitigen, soweit das möglich und zumutbar sei. Ein Corona-Test liege regelmäßig im Rahmen der Möglichkeiten der Arbeitnehmer. Seine Durchführung sei auch unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechte zu vertreten, wenn es – wie hier – einen konkreten Corona-Fall im Unternehmen gebe. Dann bestünde ein erhöhtes Risiko, dass sich andere Mitarbeiter, aber auch Dritte, wie Kunden und Lieferanten, anstecken könnten. Anlasslos dürfe eine solche Anordnung jedoch nicht erfolgen.

Zudem müssten die Arbeitnehmer über einen konkreten Corona-Fall informiert werden und seitens des Arbeitgebers einen Test zur Verfügung gestellt bekommen. Da diese Tests von der Beklagten erst später angeboten worden seien, sei die Anweisung der Beklagten zur Absolvierung des Tests zuvor nicht vom Direktionsrecht nach § 106 GewO gedeckt gewesen.

Die Beklagte habe sich im Hinblick auf die Zahlung der Vergütung im Annahmeverzug befunden. Was die Höhe der Vergütung angehe, sei dem Kläger aus prozessualen Gründen jedenfalls die Grundvergütung zuzusprechen. Schmerzensgeld sei ihm nicht zu zahlen. Er sei zwar beleidigt worden, ein schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht liege in Anbetracht der Umstände aber nicht vor. Im Zeitpunkt der Beleidigung sei die allgemeine Lage durch Corona generell angespannt gewesen, hätten die Nerven aller „blank“ gelegen, habe es im Unternehmen einen konkreten Corona-Fall gegeben und sei der Kläger durch seine Verschwörungstheorien negativ aufgefallen.

Praxistipp

Die Anordnung zur Vorlage negativer Corona-Tests ist nur zulässig, wenn ein konkreter Anlass im Betrieb vorliegt und der Arbeitgeber entsprechende Tests kostenlos zur Verfügung stellt.

 

Entnommen aus RdW-Kurzreport 19/2022, Rn. 313.

[1] AG Villingen-Schwenningen vom 22.10.2021 – 2 Ca 52/21.

 

Christian Vetter

Rechtsanwalt
n/a