06.06.2022

Erkrankung eines Beamten am Coronavirus als Dienstunfall

Verwaltungsgericht Augsburg, Urteil vom 21.10.2021 – Au 2 K 20.2494

Erkrankung eines Beamten am Coronavirus als Dienstunfall

Verwaltungsgericht Augsburg, Urteil vom 21.10.2021 – Au 2 K 20.2494

Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Der Kläger (Polizeibeamter) begehrt die Anerkennung einer COVID-19-Infektion als Dienstunfall. Er hatte sich die Infektion während eines dienstlichen Sportübungsleiterlehrgangs zugezogen. Das Verwaltungsgericht gab ihm Recht.

Aus den Gründen

Der Kläger hat Anspruch auf die Anerkennung seiner COVID-19 Erkrankung vom März 2020 als Dienstunfall im Sinne von Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayBeamtVG.

Ein Dienstunfall gemäß Art. 46 Abs. 1 S. 1 BayBeamtVG liegt nicht vor. Danach ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Dabei gehört zum Dienst gemäß Art. 46 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BayBeamtVG auch die Teilnahme an dienstlichen Veranstaltungen und damit auch Fortbildungsveranstaltungen wie hier der Sportübungsleiterlehrgang, an dem der Kläger teilgenommen hat. Auch ein Körperschaden war ausweislich des ärztlichen Attests vom 8.12.2020 gegeben. Bei ihm lag nicht nur eine durch den PCR-Test festgestellte bloße Infektion mit dem SARS-CoV-2 Erreger (sogenannte stumme Infektion) vor.


Auch eine Infektionskrankheit – um eine solche handelt es sich bei COVID- 19 ausweislich des unter „Infektionskrankheiten A-Z“ aufgeführten Steckbriefs des RKI kann im Grundsatz ein Dienstunfall im Sinne von Art. 46 Abs. 1 S. 1 BayBeamtVG sein. Ein Dienstunfall ist auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil es sich bei der Erkrankung des Klägers an COVID-19 um die Folge einer Pandemie und daher um die Verwirklichung einer allgemeinen, letztlich jeden treffenden Gefahr handelt. Der Begriff des Dienstunfalls setzt nicht voraus, dass ein Beamter bei seiner Tätigkeit einer höheren Gefährdung als die übrige Bevölkerung ausgesetzt ist oder sich in dem Körperschaden eine der konkreten dienstlichen Verrichtung innewohnende typische Gefahr realisiert hat. Vorliegend fehlt es jedoch an einem örtlich und zeitlich bestimmbaren Ereignis im Sinne von Art. 46 Abs. 1 S. 1 BayBeamtVG, das zu der COVID-19 Erkrankung des Klägers geführt hat. Das Vorliegen eines örtlich und zeitlich bestimmbaren Ereignisses setzt voraus, dass sich feststellen lässt, dass sich der Beamte an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt infiziert hat.

Bestimmbarkeit des Zeitpunkts der Infektion

Die Umstände des konkreten Ereignisses müssen so bestimmt sein, dass es Konturen erhält, aufgrund derer es von anderen Geschehnissen eindeutig abgegrenzt werden kann. Die bloße Eingrenzbarkeit des Zeitraums der Infektion oder die abstrakte Bestimmbarkeit ihres Zeitpunkts sowie die Kenntnis der Orte, an denen sich der Beamte während dieser Zeit aufgehalten hat, reichen nicht aus. Hiervon ausgehend genügt für die Annahme eines Dienstunfalls im Sinne von Art. 46 Abs. 1 S. 1 BayBeamtVG der Rückschluss nicht, dass sich der Kläger aller Wahrscheinlichkeit nach bei der Teilnahme am Übungsleiterlehrgang infiziert hat. Die Forderung eines örtlich und zeitlich bestimmbaren Schadensereignisses legt zum einen den Schutzbereich der Dienstunfallfürsorge fest und dient zum anderen der Begrenzung des Risikos des Dienstherrn. Dieser soll nur für Schadensereignisse einstehen müssen, die einem Nachweis zugänglich sind. Damit reicht es dienstunfallrechtlich betrachtet vorliegend nicht, den Lehrgangszeitraum zugrunde zu legen. Der Schwierigkeit, dass sich der Zeitpunkt der Ansteckung mit einer Infektionskrankheit fast ausnahmslos nicht mit der erforderlichen Genauigkeit feststellen lässt, hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass Infektionskrankheiten, die in Anlage 1 der BKV aufgeführt sind, fiktiv als Dienstunfälle gelten, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind.

Das Gericht sieht deshalb aus systematischen Erwägungen heraus nicht die Notwendigkeit, dem Kläger im Anwendungsbereich von Art. 46 Abs. 1 S. 1 BayBeamtVG eine Beweiserleichterung in Form des Prima-facie-Beweises (Anscheinsbeweis) einzuräumen. Dies würde bedeuten, für die Anerkennung eines Dienstunfalls den eingrenzbaren Zeitraum – hier die Woche des Übungsleiterlehrgangs – ausreichen zu lassen. Dies stünde der gefestigten Rechtsprechung entgegen, wonach es für die zeitliche Bestimmbarkeit eben nicht genügt, dass sich ein über mehrere Tage erstreckender Zeitraum nach Anfangs- und Schlusstag eingrenzen lässt.

Allerdings liegen die Voraussetzungen für eine Anerkennung der COVID-19-Erkrankung des Klägers als Dienstunfall gemäß Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayBeamtVG vor. Demnach gilt auch die Erkrankung an einer in Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung vom 31.10.1997 (BGBl. I S. 2623) in der jeweils geltenden Fassung genannten Krankheit als Dienstunfall, wenn der Beamte nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt war, es sei denn, dass der Beamte sich die Krankheit außerhalb des Diensts zugezogen hat. Nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV sind Infektionskrankheiten dann Berufskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war. Als Infektionskrankheit wird die Erkrankung an COVID-19 von Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV grundsätzlich erfasst. Nr. 3101 – letzte Alternative – fordert eine der betreffenden Tätigkeit innewohnende besondere, den übrigen aufgeführten Tätigkeiten vergleichbare Gefährdung.

Nach Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayBeamtVG i.V.m. Anlage 1 der BKV gilt die in Nr. 3101 aufgeführte Infektionskrankheit nur dann als Dienstunfall, wenn die zur Zeit der Infektion konkret ausgeübte dienstliche Tätigkeit erfahrungsgemäß im Ganzen gesehen ihrer Art nach unter den besonderen zur Zeit der Krankheitsübertragung bestehenden tatsächlichen Verhältnissen und Begleitumständen eine hohe Wahrscheinlichkeit der Erkrankung in sich birgt. Diese besondere Gefährdung muss für die dienstliche Verrichtung typisch und in erheblich höherem Maße als bei der übrigen Bevölkerung vorhanden sein.

Art. 46 Abs. 3 BayBeamtVG setzt nicht voraus, dass die durch die Art der dienstlichen Verrichtung hervorgerufene Gefährdung generell den Dienstobliegenheiten anhaftet. Vielmehr genügt es, wenn die eintretende Gefähr dung der konkreten dienstlichen Verrichtung ihrer Art nach eigentümlich ist, allerdings nur dann, wenn sich die Erkrankung als typische Folge des Dienstes darstellt; maßgebend kommt es darauf an, ob die von dem Beamten zum Zeitpunkt der Erkrankung ausgeübte dienstliche Tätigkeit erfahrungsgemäß eine hohe Wahrscheinlichkeit der Erkrankung gerade an dieser Krankheit in sich birgt. Dies ist hier der Fall. Bei einem auf Art. 46 Abs. 3 BayBeamtVG gestützten Anspruch hat der Beamte, der Dienstunfallfürsorgeleistungen wegen einer Krankheit begehrt, für die besondere Erkrankungsgefahr im Sinne von Satz 1 der Vorschrift und die rechtzeitige Meldung der Erkrankung die materielle Beweis- bzw. Feststellungslast zu tragen, wenn das Gericht hierüber die erforderliche, d.h. vernünftige Zweifel ausschließende Überzeugungsgewissheit nicht gewinnen kann. In diesem Rahmen können dem Beamten auch allgemein anerkannte Beweiserleichterungen wie der Beweis des ersten Anscheins oder eine Umkehr der Beweislast zugutekommen, wenn die hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen gegeben sind. Lässt sich bei Vorliegen der beiden erstgenannten Voraussetzungen hingegen lediglich nicht klären, ob sich der Beamte die Erkrankung innerhalb oder außerhalb des Dienstes zugezogen hat, so trägt das Risiko der Unaufklärbarkeit hinsichtlich dieser Voraussetzung der Dienstherr.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze geht das Gericht im vorliegenden Fall davon aus, dass die Teilnahme des Klägers an dem Sportübungsleiterlehrgang unter den gegebenen tatsächlichen Umständen mit einer besonderen Gefährdung einer Erkrankung an COVID-19 einhergegangen ist und mit einer hohen Wahrscheinlichkeit der Erkrankung gerade an dieser Krankheit verbunden war, wobei diese Ansteckungsgefahr trotz eines pandemischen Geschehens in erheblich höherem Maße als bei der übrigen Bevölkerung bestand. Insoweit war beim Kläger nicht auf seine „allgemeine“ Tätigkeit als Polizeivollzugsbeamter bzw. den generellen Inhalt seiner Dienstaufgaben an der PI * abzustellen, sondern konkret auf die Teilnahme am Übungsleiterlehrgang. Diese Dienstverrichtung als zum Zeitpunkt der Erkrankung ausgeübte dienstliche Tätigkeit hat eine hohe Wahrscheinlichkeit gerade an der Erkrankung mit COVID-19 in sich geborgen; der Kläger war damit einer Ansteckungsgefahr in erheblich größerem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt. Entgegen der Auffassung des Beklagten hat gerade die Teilnahme am Sportübungsleiterlehrgang die Ansteckungsgefahr signifikant erhöht (wird ausgeführt).

Der ständige nahe Umgang beim Sport, beim Unterricht und bei den Mahlzeiten birgt eine weit höhere Gefährdung in sich als beispielsweise die von Beklagtenseite angeführte Tätigkeit einer Angestellten im Supermarkt. Dies wird bestätigt durch die Ausführungen des RKI (Steckbrief Nr. 20) zu sog. „superspreading events“, also Ereignissen, bei denen eine infektiöse Person eine Anzahl an Menschen ansteckt, die deutlich über der durchschnittlichen Anzahl an Folgeinfektionen liegt. Zu Begleitumständen, die eine ungewöhnlich hohe Übertragung begünstigen, gehören danach Situationen, in denen sich kleine infektiöse Partikel (aerosolisierte Partikel) im Raum anreichern. Dazu trägt u.a. die vermehrte Freisetzung kleiner Partikel durch Aktivitäten mit gesteigerter Atemtätigkeit wie z.B. Sporttreiben bei. Genau Letzteres war beim Sportübungsleiterlehrgang des Klägers der Fall. Das RKI benennt daneben auch Fitnessstudios als klassisches Beispiel für größere COVID-19-Ausbrüche. Damit bestand für den Kläger wegen der Teilnahme am Sportübungsleiterlehrgang eine hohe Wahrscheinlichkeit gerade an einer Infektion mit dem Coronavirus.

Da die Teilnehmer des Kurses die ganze Zeit körperlich sehr eng zusammen waren, insbesondere bei den sportlichen Aktivitäten und hier vor allem bei Partnerübungen, überstieg die Gefährdung die Ansteckungsgefahr der (auch) ein Beamter immer ausgesetzt sein kann, der im Dienst mit anderen Personen in Berührung kommt, z. B. bei Parteiverkehr oder in mit mehreren Personen besetzten Dienstzimmern. Bei solchen Sachverhalten kann von einer nur „allgemeinen Gefahr“ ausgegangen werden, durch die ein Polizeivollzugsbeamter nicht einer Ansteckungsgefahr in erheblich größerem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt ist.

Vorliegend sind von den 21 Teilnehmern des Kurses 19 an COVID-19 erkrankt, sodass hier nach den Gesamtumständen davon auszugehen ist, dass die konkrete Art der dienstlichen Verrichtung für die COVID-19-Erkrankung ursächlich war. Im Übrigen käme dem Kläger insoweit der Beweis des ersten Anscheins zugute.

Der Beweis des ersten Anscheins kommt bei typischen Geschehensabläufen in Betracht in Fällen, in denen ein gewisser Tatbestand nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist und infolgedessen wegen des typischen Charakters des Geschehens die konkreten Umstände des konkreten Einzelfalles für die tatsächliche Beurteilung ohne Bedeutung sind.

Vorliegend erscheint es gerechtfertigt, zugunsten des Klägers wegen des seuchenhaften bzw. gehäuften Auftretens der Erkrankung im Rahmen des Anscheinsbeweises davon auszugehen, dass die besondere Erkrankungsgefahr gerade auf die ausgeübte dienstliche Tätigkeit zurückzuführen ist. Bei einer mittleren Inkubationszeit, die das RKI mit fünf bis sechs Tagen angibt, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Ansteckung am 9.3.2020 erfolgte, zumal sich ein relevanter Anteil von Personen innerhalb von ein bis zwei Tagen bei bereits infektiösen, aber noch nicht symptomatischen Personen ansteckt (RKI a.a.O. Nr. 3). Da es sich um die mittlere Inkubationszeit handelt, kann sich der Kläger allerdings auch noch danach bei einem anderen Lehrgangsteilnehmer angesteckt haben. Anders läge der Fall, wenn nur ein oder zwei weitere Kollegen des Lehrgangs an COVID-19 erkrankt wären.

Nach Art. 46 Abs. 3 S. 1 Halbs. 2 BayBeamtVG gilt eine Erkrankung an der Infektionskrankheit dann nicht als Dienstunfall, wenn der Beamte sich die Krankheit außerhalb des Dienstes zugezogen hat. Der Kläger hat zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass eine Ansteckung in seinem privaten Umfeld ausgeschlossen werden kann.

Anmerkung

In der Rechtsprechung sind Infektionskrankheiten als Dienstunfall im Sinne von § 31 Abs. 3 BeamtVG und damit auch dem inhaltsgleichen Art. 46 Abs. 3 BayBeamtVG jedenfalls dann anerkannt worden, wenn die betreffende Infektionskrankheit gehäuft aufgetreten war (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.5.1996 –2 B 106.95).

 

Entnommen aus NPA, Heft 2/2022.

Ministerialrat Dr. Dr. Frank Ebert

Ministerialrat a.D. Dr. Dr. Frank Ebert

Leiter des Thüringer Prüfungsamts a.D., Erfurt
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