Dienstherr konnte mit seiner Beschwerde die vorläufige Dienstenthebung eines Polizeibeamten erreichen
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2023 – 81 S 1/22
Dienstherr konnte mit seiner Beschwerde die vorläufige Dienstenthebung eines Polizeibeamten erreichen
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2023 – 81 S 1/22
Das Verwaltungsgericht Potsdam (VG) hatte dem Antrag eines Polizeibeamten auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung stattgegeben. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde des Dienstherrn hatte beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 68 Abs. 3 Landesdisziplinargesetz Brandenburg (LDG) i. V. m. § 146 Abs. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) den Umfang der Überprüfung durch das OVG bestimmt, rechtfertigt eine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses.
Nach den Feststellungen des OVG kann nach § 39 Abs. 1 Satz 1 LDG die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Hierfür ist weder erforderlich, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgesprochen werden wird, noch, dass das dem Beamten vorgeworfene Dienstvergehen in vollem Umfang nachgewiesen und aufgeklärt ist.
Notwendig ist, dass das Gericht nach Kenntnisstand im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme erkennen wird. Auf Antrag des Beamten gem. § 64 Abs. 1 Satz 1 LDG ist die vorläufige Dienstenthebung durch das Gericht auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Dies ist anzunehmen, wenn bei der summarischen Prüfung der angegriffenen Anordnung im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken, sodass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg.
Beamter war ohne Erlaubnis im Besitz einer halbautomatischen Pistole einschließlich Munition sowie von Sprengstoff
Ausgehend hiervon ist nach dem derzeitigen Erkenntnisstand aufgrund des einheitlichen Dienstvergehens, das nach der Einleitungsverfügung sowie der Ausdehnungsentscheidung zum Gegenstand des Disziplinarverfahrens gemacht wurde, die Entfernung des Beamten bei summarischer Beurteilung überwiegend wahrscheinlich. Die vorliegenden Ermittlungsergebnisse belegen den hinreichend begründeten Verdacht, dass der Beamte eine mit NS-Kennzeichen versehene Uniform in der Öffentlichkeit im Ausland getragen hat und zudem im Besitz von Waffen, Munition und Sprengstoffen war, ohne über die hierfür erforderlichen behördlichen Erlaubnisse zu verfügen.
Diese „Uniform der NS-Zeit“ hat der Beamte getragen, wie sich aus den der anonymen Anzeige, die Auslöser der strafrechtlichen und disziplinaren Ermittlungen war, beigefügten Fotoaufnahmen ergibt. Ausgehend von seiner Schilderung, dass er die Uniform für das Militariatreffen in Polen angeschafft hatte, das er in den Jahren 2015 bis 2018 jährlich besuchte, ist davon auszugehen, dass er die Uniform angelegt und in der Öffentlichkeit für einen nicht nur von vornherein begrenzten Personenkreis erkennbar präsentiert hat.
Zudem war er u. a. im Besitz einer halbautomatischen Pistole einschl. drei Magazinen, 140 Schuss Munition des Kalibers 9 mm Luger sowie mind. 1 600 Gramm Schwarzpulver und 650 Gramm Nitrocellulose. Über die für den Besitz der Pistole und der hierfür geeigneten Munition und für die Aufbewahrung des Schwarzpulvers und der Nitrocellulose erforderliche Erlaubnis verfügt der Beamte nicht.
Mitnahme von Patronenmunition aus dem Schießstand der Polizei unterfällt zumindest dem Tatbestand der Unterschlagung
Hinzu kommt, dass der Beamte, wie er in seiner Vernehmung selbst eingeräumt hat, die genannte Munition des Kalibers 9 mm während seiner Zeit als Einsatztrainer aus der Schießhalle der Polizei „immer nach und nach mal mitgenommen“ hatte, bis er ca. 150 Schuss zusammen gehabt habe. Strafrechtlich fallen diese Vorgänge unter den waffenrechtlichen Tatbestand des § 52 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b)WaffG des erlaubnislosen Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition, zumindest aber des erlaubnislosen Besitzes einer Schusswaffe und von Munition nach § 52 Abs. 3 Nr. 2 WaffG. Der Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen, der nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 Sprengstoffgesetz (SprengG) auch deren Aufbewahrung umfasst, ist nach § 40 Abs. 1 Nr. 3 SprengG strafbar, da die nach § 27 Abs. 1 SprengG erforderliche Erlaubnis nicht vorliegt.
Auch die fahrlässige Erfüllung des Tatbestands des § 40 Abs. 1 SprengG ist gem. § 40 Abs. 4 SprengG strafbar. Die Mitnahme der Patronenmunition aus dem Schießstand unterfällt zumindest dem Tatbestand der Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB). Ein Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen i. S. d. § 86 a Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) durch das Tragen der Uniform mit NS-Symbolen scheidet hingegen aus, da der Beamte, bislang unwiderlegt, diese Uniform nur im Ausland öffentlich verwendet hat. Durch die begangenen Straftaten hat der Beamte gem. § 34 Abs. 1 Satz 2 und 3 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) seine Pflichten zur uneigennützigen Amtswahrnehmung sowie zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes verletzt.
Beamter ist verpflichtet, bereits den Schein der Identifikation mit einem dem freiheitlichen Rechtsstaat entgegengesetzten Gedankengut zu vermeiden
Dass der Beamte mit dem öffentlichen Tragen der mit NS-Symbolen ausgestatteten Uniform gegen seine aus § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG folgende Pflicht verstoßen hat, sich durch sein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen und für deren Erhaltung zu eintreten, erscheint nicht ausgeschlossen. Die Beteiligung eines Beamten an einer Verherrlichung, Propagierung oder Verharmlosung des Nationalsozialismus stellt eine Verletzung des § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG dar. Daran reicht das Handeln des Beamten zumindest nahe heran. Ein Polizeibeamter ist im Interesse des Vertrauens der Öffentlichkeit in eine dem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat verpflichtete Beamtenschaft gehalten zu vermeiden, dass er durch sein öffentliches außerdienstliches Verhalten in vorhersehbarer und ihm daher zurechenbarer Weise den Anschein setzt, sich mit dem Nationalsozialismus und rechtsextremen Strömungen zu identifizieren oder auch nur zu sympathisieren. Er ist verpflichtet, bereits den Schein der Identifikation mit einem dem freiheitlichen Rechtsstaat diametral entgegengesetzten Gedankengut und mit Vereinigungen zu vermeiden, die sich zu einem solchen Gedankengut bekennen. Schon das zurechenbare Setzen eines solchen Scheins stellt eine disziplinarrechtlich bedeutsame Dienstpflichtverletzung dar. Das gilt in besonderem Maße für einen Polizeibeamten, zu dessen Amt gerade die Verhütung von Straftaten und die Abwehr drohender Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung gehört.
Verhalten des Polizeibeamten schädigt das Ansehen der Polizei als einer tragenden Institution des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats
Die Teilnahme an den Militariatreffen in Polen in der mit verschiedenen deutlich erkennbaren und eindeutig dem Nationalsozialismus zuzuordnenden Kennzeichen versehenen Uniform ist unvereinbar mit der politischen Treuepflicht eines Polizeibeamten. Ein derartiges Verhalten schädigt das Ansehen der Polizei als einer tragenden Institution des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats. Bei der Unterschlagung der Munition handelt es sich um eine innerdienstliche Pflichtverletzung. Es besteht hier ein innerdienstlicher Bezug, da sich dem Beamten der Zugriff auf die Munition aufgrund seiner dienstlichen Stellung als Einsatztrainer bei Schießübungen eröffnete. Soweit es den Besitz der schussfähigen Pistole und der Sprengstoffe sowie das Auftreten in der Uniform betrifft, handelt es sich hingegen um außerdienstliche Pflichtverletzungen, weil es insoweit an einer Einbindung in das Statusamt fehlt.
Außerdienstliches Verhalten kann den Pflichtenkreis des Beamten dann berühren, wenn es die Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit betrifft und dadurch mittelbar dienstrechtliche Relevanz erlangt. Als Dienstvergehen ist das außerdienstliche Verhalten von Beamten gem. § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG nur zu qualifizieren, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Unterhalb dieser Schwelle erwartet der Gesetzgeber von Beamten kein wesentlich anderes Sozialverhalten als von jedem anderen Bürger.
Vorsätzlichen Straftaten kommt eine besondere Bedeutung zu
Ob und in welchem Umfang durch das außerdienstliche Verhalten eines Beamten das für sein Amt erforderliche Vertrauen beeinträchtigt wird, hängt in maßgeblicher Weise von Art und Intensität der jeweiligen Verfehlung ab. Dabei kommt vorsätzlichen Straftaten eine besondere Bedeutung zu. Von Bedeutung ist weiter, ob der Pflichtenverstoß des Beamten einen Bezug zu seinem Amt aufweist. Die hier in Rede stehenden Straftaten weisen einen hinreichenden Bezug zum Amt eines Polizeibeamten des gehobenen Dienstes auf.
Polizeibeamte haben Straftaten zu verhüten, aufzuklären und zu verfolgen. Sie genießen daher in der Öffentlichkeit eine besondere Vertrauens- und Garantenstellung. Dieses berufserforderliche Vertrauen wird in besonderem Maße beeinträchtigt, wenn Polizeibeamte selbst erhebliche Straftaten begehen und gegen Rechtsnormen verstoßen, die, wie beim Waffen- und Sprengstoffrecht, wichtige Gemeinschaftsgüter schützen. Von einem Polizeibeamten, zu dessen Berufsbild das Tragen und der Umgang mit einer Waffe gehören, muss auch im außerdienstlichen Bereich ein besonders sorgsamer Umgang mit Waffen und Munition erwartet werden. Erhebliche Straftaten eines Polizeibeamten begründen auch in Ansehung ihres außerdienstlichen Charakters ein disziplinarwürdiges Dienstvergehen. Dies gilt gleichermaßen in Bezug auf Handlungen, die Zweifel am Einsatz für die freiheitliche demokratische Grundordnung begründen. Der Beamte hat hier auch schuldhaft gehandelt. Welche Disziplinarmaßnahme erforderlich ist, richtet sich gem. § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 LDG nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung.
Entfernung aus dem Beamtenverhältnis stellt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die erforderliche und angemessene Disziplinarmaßnahme dar
Aufgrund dieser Vorgaben ist über die erforderliche Disziplinarmaßnahme im Wege einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Bei schweren Dienstvergehen stellt sich vorrangig die Frage, ob der Beamte nach seiner gesamten Persönlichkeit noch im Beamtenverhältnis tragbar ist. Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 LDG ist ein aktiver Beamter aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, wenn er das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Dies ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen belastenden und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Verhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden. Hat der Beamte mehrere Dienstpflichtverletzungen begangen, bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall nach § 13 Abs. 1 Satz 3 und 4 LDG derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist. Nach diesen Maßstäben stellt die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis im Hinblick auf die Schwere des von ihm begangenen Dienstvergehens sowie im Hinblick auf den dadurch bewirkten Vertrauensschaden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die erforderliche und angemessene Disziplinarmaßnahme dar. Entlastende Momente sind nicht ersichtlich und auch nicht geltend gemacht worden. Ebenso wenig sind tragfähige Anhaltspunkte für relevante Milderungsgründe vorgetragen oder sonst erkennbar. Im Ergebnis ist daher derzeit angesichts der Schwere des Dienstvergehens, bestehend aus einer Mehrzahl schwerer Pflichtverletzungen, und des Umfangs der Vertrauensbeeinträchtigung ein endgültiger Vertrauensverlust überwiegend wahrscheinlich.
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2023 – 81 S 1/22 –.
Entnommen aus Kommunalverwaltung Brandenburg, Rn. 14.