Sanierungsanordnungen für Trinkwasserleitungen bei Bisphenol-A-Grenzwertüberschreitungen
Folge 2: Verordnungsermächtigung, gefahrenabwehrrechtliche Befugnis
Sanierungsanordnungen für Trinkwasserleitungen bei Bisphenol-A-Grenzwertüberschreitungen
Folge 2: Verordnungsermächtigung, gefahrenabwehrrechtliche Befugnis
Die neue Trinkwasserverordnung im Spannungsverhältnis zu Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG.
2. Die Verordnungsermächtigung im IfSG als Schnittstelle zum Umweltrecht
Unter Berücksichtigung der Kriterien des Bestimmtheitsgebots in Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ist vorrangig der objektive Wille des Gesetzgebers herauszuarbeiten, der in der möglicherweise einschlägigen Ermächtigungsgrundlage des § 38 Abs. 1 Nr. 1 IfSG i. V. m. § 55 IfSG seinen Ausdruck findet, um den potenziellen Verordnungsinhalt der Ermächtigungsgrundlage zu bestimmen.
a) § 37 Abs. 1 IfSG und § 38 Abs. 1 Nr. 1 IfSG
Die Verordnungsermächtigung des § 38 IfSG geht bei historischer Auslegung der Norm aus der mittlerweile abgelösten Vorschrift des § 11 Abs. 2 BSeuchG hervor und erweitert dabei durch den neuen, umfangreicheren Wortlaut den in Frage kommenden Verordnungsinhalt.[30] So wurden im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes die Anpassungen in der Ermächtigungsgrundlage in § 38 IfSG damit begründet, dass diese erforderlich seien, um die Vorgaben der EU-Trinkwasserrichtlinie in der neuen TrinkwV umsetzen.[31] Speziell die neuen Informationspflichten, die Anwendung eines risikobasierten Ansatzes und die Harmonisierung von Begrifflichkeiten des europäischen und der nationalen Gesetzgeber standen im Fokus des gesetzgeberischen Änderungsprozesses.[32]
Im Wortlaut: §§ 37 Abs. 1, 38 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz
§ 37 Beschaffenheit von Wasser für den menschlichen Gebrauch sowie von Wasser zum Schwimmen oder Baden in Becken oder Teichen, Überwachung
(1) Wasser für den menschlichen Gebrauch muss so beschaffen sein, dass durch seinen Genuss oder Gebrauch eine Schädigung der menschlichen Gesundheit, insbesondere durch Krankheitserreger, nicht zu besorgen ist.
(…)
§ 38 Verordnungsermächtigung
(1) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen,
- welchen Anforderungen das Wasser für den menschlichen Gebrauch entsprechen muss, um der Vorschrift von § 37 Absatz 1 zu genügen,
(…).
Inhaltlich legen die §§ 38 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. 37 Abs. 1 Nr. 1 IfSG die Anforderungen an das Wasser für den menschlichen Gebrauch fest, um einer Gesundheitsschädigung des Menschen vorzubeugen.[33] Zu beachten ist dabei, dass im Umweltrecht der klassische Gefahrenbegriff des Polizei- und Ordnungsrechts und damit die Bestimmung der Gefahrenschwelle modifiziert wird, indem Grenz- oder Richtwerte in Rechtsverordnungen, Richtlinien oder Verwaltungsvorschriften festgelegt werden.[34] Der Besorgnismaßstab des § 37 Abs. 1 IfSG ist deshalb dahingehend verschärft, dass gar keine hinreichende Gefährdung des Schutzgutes „Wasser“ erforderlich ist, sondern bereits die potenzielle Möglichkeit einer Gefährdung ausreicht; d. h. im Umkehrschluss, dass in einem Sachverhalt eine mögliche Gesundheitsschädigung negativ ausgeschlossen sein muss.[35]
So sind die oben genannten Risikobewertungen zu dem endokrin wirkenden, chemischen Stoff „Bisphenol A“ auch durch den europäischen Gesetzgeber im Rahmen des Vorsorgeprinzips festgehalten.[36] Da eine Überschreitung der Grenzwerte im vorliegenden Fall durch Nachweisproben festgestellt wurde, kann deshalb eine Gesundheitsschädigung nicht mehr negativ ausgeschlossen werden, sodass der Besorgnisgrundsatz des § 37 Abs. 1 IfSG durch die Grenzwertüberschreitungen von Bisphenol A tangiert wird.
Wie die Verordnungsermächtigung in § 38 Abs. 1 IfSG jedoch im Einzelnen auszulegen ist, ist zunächst anhand von Sinn und Zweck des IfSG in seiner Gesamtheit zu beurteilen, sodass sich zunächst ein Blick in die allgemeinen Vorschriften am Anfang des Gesetzes lohnt.
b) § 1 IfSG als allgemeiner Zweck des Infektionsschutzgesetzes
So wird in § 1 Abs. 1 IfSG sowohl ein gefahrenabwehrrechtlicher als auch präventiver Vorsorgecharakter bezüglich etwaiger Gesundheitsrisiken als Hauptzweck des Infektionsschutzgesetzes deutlich, wobei insgesamt der Fokus auf der Vorbeugung, Überwachung und Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten und Infektionen liegt.[37]
Ein umfassender Gesundheitsschutz, der unter den Begriff „gemeingefährliche Krankheiten“ des Kompetenztitels des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG fallen könnte, ist jedoch de lege lata vom Gesetzeszweck des IfSG nicht vorgesehen.[38] Unter dieser Prämisse könnte im Sinne eines argumentum e contrario zum Gesetzeszweck in § 1 Abs. 1 IfSG sodann geschlussfolgert werden, dass Sanierungsanordnungen der Gesundheitsämter zum Schutz des Trinkwassers vor einer zu hohen Bisphenol-A-Belastung nicht auf die TrinkwV gestützt werden können, da die Ermächtigungsgrundlage des § 38 Abs. 1 IfSG für solche Sachverhalte schon deshalb nicht als einschlägig zu erachten ist, weil Bisphenol A keine „übertragbare Krankheit“ oder „Infektion“ i. S. d. § 1 IfSG ist.
Jedoch sprechen die speziellen Regelungen des 7. Abschnitts des IfSG (§§ 37 ff.) gegen eine solche Annahme, da dort ein vorbeugender Gesundheitsschutz statuiert ist und der Wortlaut „insbesondere“ in § 37 Abs. 1 IfSG dafür spricht, dass neben Krankheitserregern auch Schädigungen z. B. durch chemische Stoffe unter das Regelungsregime des IfSG fallen.[39] Insgesamt wird der siebte Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes auch als Teil des europarechtlich determinierten Wasserrechts klassifiziert, sodass mögliche gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen, die die Beschaffenheit des Trinkwassers im Rahmen des Gesundheitsschutzes sicherstellen sollen, aufgrund der Delegationsnorm des § 38 Abs. 1 IfSG in der TrinkwV geregelt werden können.[40]
Inwieweit der Ansatz des nationalen Gesetzgebers, das europarechtlich determinierte Trinkwasserrecht als Teil einer umweltrechtlichen, europäischen Kasuistik im Infektionsschutzrecht zu regeln, sinnvoll ist, wird in der Literatur zwar differenzierend betrachtet, im Ergebnis aber bejaht.[41] Dieser Aspekt ist abschließend im Fazit noch aufzugreifen, da dies mitunter eine Relevanz für die inhaltliche Bewertung der Verordnungsermächtigung hat.
c) § 55 IfSG im Verhältnis zur Ermächtigungsgrundlage des § 38 IfSG
Der § 55 IfSG erweitert den in der Ermächtigungsgrundlage in § 38 Abs. 1 IfSG erwähnten Verordnungszweck dahingehend, dass Umsetzungen von EU-Rechtsakten, wie die Richtlinie 2020/2184, auf welcher die Novellierung der gegenständigen TrinkwV basiert, von der spezifischen Verordnungsermächtigung miterfasst werden.[42]
Interessant ist in diesem Kontext insbesondere eine Ansicht in der Literatur, dass der Sinn und Zweck des § 55 IfSG darin besteht, dass es bei Änderungen des Unionsrechtes keine gesetzlichen Anpassungen mehr in der formell-gesetzlichen Verordnungsermächtigung bedarf, sodass eine zügige Umsetzung von Unionsrecht in der nationalen Rechtsverordnung möglich ist und kein formelles, parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren durchzuführen ist.[43] Dies ist jedoch problematisch, da die Gefahr für sogenannte Blanko- bzw. Globalermächtigungen steigt, wie dies bereits im Umweltrecht in der Vergangenheit praktiziert wurde, und damit die Anforderungen an den Bestimmtheitsgrad aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG unterminiert werden könnten.[44] Diesen Aspekt hat aber auch der nationale Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren gesehen, indem er in der Gesetzesbegründung zur Änderung des § 38 IfSG festgehalten hat, dass keine Möglichkeit bestehe, auf den § 38 IfSG a. F. zu rekurrieren, da dieser aufgrund der neuen europäischen Vorgaben aus der EU-Trinkwasserrichtlinie keine ausreichende Verordnungsermächtigung mehr darstelle.[45] Auch dieser Gesichtspunkt ist im späteren Fazit noch zu erörtern.
aa) § 38 Abs. 1 Nr. 4 e) IfSG als konkret einschlägige Ermächtigungsgrundlage
Bei der Auslegung des Wortlautes aller in Betracht kommender Tatbestände des § 38 Abs. 1 IfSG (i. V. m. § 55 IfSG) ist unter Subsumtion einer behördlichen Maßnahme, die eine Sanierung der Trinkwasserrohre in den einzelnen Wohnungsgebäuden vorsieht, insbesondere der § 38 Abs. 1 Nr. 4 e) IfSG als naheliegendste Ermächtigungsgrundlage anzusehen.
Nach dem Wortlaut des § 38 Abs. 1 Nr. 4 e) kann demnach das Bundesministerium für Gesundheit mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, dass die Betreiber von Wasserversorgungsanlagen im Falle der Nichteinhaltung von Anforderungen i. S. d. Maßstabes der Beschaffenheit von Wasser in § 37 Abs. 1 IFSG die Ursache klären und Abhilfe zu schaffen haben.[46]
aaa) Tatbestandsmerkmale: „Betreiber“, „Wasserversorgungsanlage“ i. S. d. § 38 Abs. 1 Nr. 4 IfSG“
Der Begriff „Betreiber“ ist in § 2 Nr. 3 TrinkwV legaldefiniert als Unternehmer oder sonstiger Inhaber einer Wasserversorgungsanlage. Unter einer Wasserversorgungsanlage fallen nach § 2 Nr. 2 lit. c) TrinkwV auch Gebäudeversorgungsanlagen, d. h. Anlagen, aus denen aus einer zentralen Wasserversorgungsanlage oder einer dezentralen Wasserversorgungsanlage übernommenes Trinkwasser über eine Trinkwasserinstallation an Verbraucher abgegeben wird, wobei nach § 2 Nr. 4 TrinkwV u. a. sämtliche Trinkwasserleitungen und Trinkwasserspeicher unter den Begriff der „Trinkwasserinstallation“ fallen.
In den vorliegenden Sachverhalten sind die Wohnungseigentümergemeinschaften im Bereich des Gemeinschaftseigentums und die einzelnen Wohnungseigentümer im Bereich ihres Sondereigentums Inhaber einer Wasserversorgungsanlage i. S. d. § 2 Nr. 3 TrinkwV und damit Betreiber i. S. d. § 38 Abs. 1 Nr. 4 IfSG. Auch lassen sich die einzelnen Trinkwasserrohre nach dem Wortlaut der TrinkwV unter den Begriff der Wasserversorgungsanlage subsumieren, sodass beide Tatbestandsmerkmale vorliegen.
bbb) Tatbestandsmerkmal: „im Falle der Nichteinhaltung von Anforderungen“
Mit den „Anforderungen“ sind hier jene Anforderungen an die Beschaffenheit des Wassers für den menschlichen Gebrauch gemeint, die in § 37 Abs. 1 IfSG umrissen werden und in § 5 Nr. 2 TrinkvW i. V. m. § 7 Abs. 2, Abs. 4 TrinkvW für chemische Parameter, wie z. B. Bisphenol A in Anlage 2, konkretisiert werden.
Da in 87 % der Fälle die Grenzwerte von Bisphenol A beim Warmwasserkonsum deutlich überschritten werden, liegt vorliegend das Tatbestandsmerkmal des § 38 Abs. 1 Nr. 4 lit. e) IfSG „im Falle der Nichteinhaltung von Anforderungen“ vor.
ccc) Rechtsfolge: „Abhilfe schaffen“
Der Begriff „Abhilfe schaffen“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und deshalb auslegungsbedürftig. Der Begriff „Abhilfe“ ist dabei etymologisch auf das Wort „abhülf“ zurückzuführen und ist ursprünglich insbesondere ein Synonym für die Abänderung einer Entscheidung im Verwaltungsverfahren.[47]. Jedoch ist in diesem Kontext auch der Verweis auf das Verb „abhelfen“ relevant, dass sprachlich mit „weghelfen“, „befreien“ und „beseitigen“ gleichzusetzen ist.[48]
Somit ist es nicht fernliegend, dass Gefahrenabwehrmaßnahmen, die eine „Beseitigung“ von epoxidbehafteten Trinkwasserrohren vorsehen, unter den Begriff „Abhilfe schaffen“ zu fassen sind. Dies lässt sich argumentativ u. a. auch durch einen Rechtsvergleich mit zivilrechtlichen Normen, speziell unter Bezugnahme auf das Reisevertragsrecht, untermauern, da dort stellvertretend in § 651 k BGB der Rechtsbegriff „Abhilfe“ als „Beseitigung von (Reise-)Mängeln“ in Abs. 1 Satz 1 legaldefiniert ist, was unter funktionaler und kontextueller Betrachtung eines Rechtsvergleiches auch für eine „Beseitigung“ von Gefahren im Sinne von „Mängeln“ in einer Regelungsmaterie des Besonderen Verwaltungsrecht spricht.[49]
bb) Ergebnis zu § 38 Abs. 1 Nr. 4 e) IfSG
Der § 38 Abs. 1 Nr. 4 e) IfSG ist unter Berücksichtigung der Tatbestandsseite und Rechtsfolgenseite die einschlägige Ermächtigungsgrundlage, um dem Verordnungsgeber die Rechtssetzungsbefugnis zur Regelung von Gefahrenabwehrmaßnahmen zu übertragen. Jene Ermächtigungsgrundlage wird sodann durch den § 55 IfSG dahingehend modifiziert, dass die gegenständliche nationale Rechtsverordnung der TrinkwV zur Durchführung der EU-Trinkwasserrichtlinie erforderlich ist.[50]
Darüber hinaus ist es gegebenenfalls auch denkbar, auf die Auffangvorschrift der Ermächtigungsgrundlage in § 38 Abs. 1 Nr. 5 IfSG hinsichtlich der Regelung weiterer Handlungspflichten von Betreibern einer Wasserversorgungsanlage abzustellen, wobei nach dem Wortlaut vorrangig der § 38 Abs. 1 Nr. 4 IfSG als einschlägige Ermächtigungsgrundlage im Sinne des „lex specialis derogat legi generali“ bei Regelungen von einzelnen Pflichten der Betreiber anzusehen ist.
III. Gefahrenabwehrrechtliche Befugnis gemäß § 65 Abs. 2 TrinkwV
Die Befugnis zum Erlass einer Sanierungsanordnung kann auf die gefahrenabwehrrechtliche Rechtsgrundlage des § 65 Abs. 2 der TrinkwV gestützt werden. Nach dem Wortlaut der Norm ordnet das Gesundheitsamt bei Nichteinhaltung der chemischen Parameter in §§ 6 und 7 der TrinkwV die notwendigen Maßnahmen zur Wiederherstellung der den Anforderungen nach Abschnitt 2 der TrinkwV entsprechenden Beschaffenheit des Trinkwassers an. Inhaltlich entspricht die Befugnisnorm überwiegend der alten Norm des § 9 Abs. 4 Satz 1 TrinkwV (a. F.), wobei die alte Norm in § 9 Abs. 4 Satz 2 TrinkwV noch einen Maßstab bezüglich der Dringlichkeit der Abhilfemaßnahme aufwies, der sich an dem Ausmaß der Überschreitung der entsprechenden Grenzwerte und dem Grad der Gefährdung der menschlichen Gesundheit orientierte.[51] Dieser Beurteilungsspielraum der Verwaltung auf der Tatbestandseite im Sinne eines Prognoseelements wurde nicht in den § 65 Abs. 2 TrinkwV übernommen, sodass es grundsätzlich bei einer gebundenen Entscheidung bleibt, mit der Generalklausel der „notwendigen Maßnahmen“ auf der Rechtsfolgenseite.[52]
Mögliche Ausnahmen innerhalb des § 65 TrinkwV finden sich zwar in der Ermessenvorschrift des § 65 Abs. 4 TrinkwV bezüglich Eigenwasserversorgungsanlagen, inklusive der dazugehörigen Trinkwasserinstallation i. S. d. § 2 Nr. 2 c) TrinkwV, jedoch ist dies nach der Begriffsbestimmung nur bei eigener Nutzung des Trinkwassers mit weniger als 10 Kubikmeter Trinkwasser pro Tag vorgesehen.
Jedoch haben Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte für etwaige behördliche Ausnahmen ihren Eingang in den neuen § 66 TrinkwV gefunden. Dort sind Abweichungen von chemischen Parametern durch das Gesundheitsamt im Einzelfall zugelassen, falls eine getroffene Maßnahme gemäß § 65 Abs. 2 TrinkwV nicht unverzüglich zu einer Wiederherstellung der Trinkwasserqualität führt.[53] Auch diese Norm basiert im Wesentlichen auf der alten Norm in § 10 TrinkwV a. F., sodass im Einzelfall trotz gebundener Entscheidung gemäß § 65 Abs. 2 TrinkwV eine abweichende Anordnung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus Art. 20 Abs. 3 GG möglich ist.
Im Ergebnis bestehen an der Befugnisnorm zum Erlass von verpflichtenden Verwaltungsakten beim § 65 Abs. 2 TrinkwV keine grundsätzlichen Zweifel. Es ist legitim, bei Befugnisnormen im Gefahrenabwehrrecht mit Generalklauseln zu arbeiten, um möglichst viele in Frage kommenden Sachverhalte in dynamischen und komplexen Rechtsgebieten zu erfassen.[54] Dennoch lohnt auch hier ein rechtlicher Vergleich mit spezielleren Befugnisnormen in der TrinkwV. So ist für die hinlänglich bekannte Thematik von vorhandenen Bleileitungen eine separate Handlungspflicht für die Betreiber von Trinkwasserleitungen aus Blei in § 17 Abs. 1 TrinkwV statuiert, die eine Entfernung oder Stilllegung der Rohre bis zum 12.01.2026 vorsieht. In den Abs. 2–3 des § 17 TrinkwV sind hingegen „Kann-Vorschriften“ für Ausnahmen durch Verfügungen der Gesundheitsämter vorgesehen, die längere Fristen im Einzelfall vorsehen können.
Somit ist auch an dieser Stelle die Frage für das spätere Fazit aufzuwerfen, ob eine explizite Normierung der Befugnisse zur Entfernung der epoxidbeschichteten Trinkwasserrohre aufgrund des potenziell großen Adressatenkreises von 100.000 Wohnungseigentümern nicht überlegenswert ist.[55]
Abschließend ist für die Beantwortung dieser und der oben aufgeworfenen Überlegungen noch auf den Vergleich mit den materiellen Bestimmungen der EU-Richtlinie einzugehen, da diese über den § 55 IfSG die Ermächtigungsgrundlage in § 38 Abs. 1 Nr. 4 e) IfSG modifizieren.
Der Beitrag wird fortgesetzt.
[30] Eibstein/Sangs, in: Sangs/Eigenstein, Infektionsschutzgesetz Kommentar mit Trinkwasserverordnung, 2022, § 38 IfSG, Rn. 1 und Rn. 4.
[31] BT- Drs. 20/2297 vom 20.06.2022, S. 1.
[32] BT- Drs. 20/2296 vom 20.06.2022, S. 8.
[33] Krämer-Hoppe, in: Kießling, IfSG Kommentar, 3. Aufl. 2022, § 37, Rn. 6.
[34] Ramsauer, in: Koch/Hofmann/Reese, HdB UmweltR, 6. Aufl. 2024, § 3, Rn. 42.
[35] Köck, in: Huster/Kingreen, Hdb. InfSchR, 2. Aufl. 2022, Kap 7, Rn. 39.
[36] Siehe Erwägungsgrund Nr. 5 der Richtlinie EU 2020/2184, L 435/2 und Grenzwert in Anhang I, Teil B, L 435/35.
[37] Eibenstein/Sangs, in: Sangs/Eigenstein, Infektionsschutzgesetz Kommentar mit Trinkwasserverordnung, 2022, § 1 IfSG, Rn. 1, Rn. 9 und Rn. 10.
[38] Ebd., Rn. 15.
[39] Ebd., § 37, Rn. 1 und Rn. 26.
[40] Vgl. Krämer-Hoppe, in: Kießling, IfSG Kommentar, 3. Aufl. 2022, § 37, Rn. 2; zum europäischen Einfluss im Wasserrecht siehe Breuer/Gärditz, WasserR, 4. Aufl. 2017, Rn. 3.
[41] Köck, in: Huster/Kingreen, Hdb. InfSchR, 2. Aufl. 2022, Kap. 7, Rn. 33 und Rn. 71–72; siehe auch zur Verbindung des Trinkwasserrechts zum allgemeinen Gewässerschutz: Lakowski/Reese/Ziehm, in: Koch/Hofmann/Reese, HdB UmweltR, 6. Aufl. 2024, § 6, Rn. 142.
[42] Vgl. Erdmann, in: Sangs/Eibenstein, Infektionsschutzgesetz Kommentar mit Trinkwasserverordnung, 2022, § 55, Rn. 1 und 2.
[43] Dingemann, in: Eckert/Winkelmüller, BeckOK InfSchR, 2020, § 55 IfSG, Rn. 4.
[44] Vgl. zu den abgeschwächten Anforderungen im volldeterminierten Unionsrecht oben Fn. 28; zur Unzulässigkeit von reinen Blankoermächtigungen Voßkuhle/Wischmeyer, JuS 2015, 311, 312; anders in der Vergangenheit (bei §§ 6a WHG, 48 a Abs. 1 BImSchG, 57 KrW/AbfG) siehe Saurer, Rechtsverordnungen zur Umsetzung europäischen Richtlinienrechts, JZ 22/2007, 1073.
[45] BT- Drs. 20/2296 vom 20.06.2022, S. 8.
[46] Vgl. Wortlaut des § 38 Abs. 1 Nr. 4 e); zum Hintergrund der neuen Terminologie beim Wortlaut siehe BT- Drs. 20/2296 vom 20.06.2022, S. 8.
[47] Siehe zur etymologischen Ableitung und Definition: Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch, 1995, S. 2.
[48] Ebd.
[49] Vgl. Kischel, Rechtsvergleichung, 2015, S. 6, Rn. 24 und S. 164, Rn. 146; siehe allgemein zur funktionalen Methode mit dem Fokus auf das zu lösende Sachproblem Marsch, Rechtsvergleichung, in: Voßkuhle/Eifert/Möllers, GVwR I³, § 3, Rn. 15 und Rn. 32.
[50] Siehe oben Fn. 37.
[51] Siehe Begründung zu § 65 Abs. 2 TrinkwV, in: BR-Drs. 68/23, S. 183; vgl. auch Wortlaut des § 9 Abs. 4 TrinkwV in der Fassung der Bekanntmachung vom 10.03.2016 (BGBl. I S. 459) mit Änderung des § 9 Abs. 4 TrinkwV vom 03.01.2018 (BGBl. I S. 101).
[52] Vgl. zum Beurteilungsspielraum mit reduzierter gerichtlicher Kontrolle bei Prognosesachverhalten im Umweltrecht (sehr strittig) Schönenbroicher, NK-VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 40 VwVfG, Rn. 91 und Rn. 127–129.
[53] Vgl. Wortlaut des § 66 TrinkwV.
[54] Vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.06.1974 – 1 BvR 51/69 – juris, Rn. 86; BVerfG-K, NVwZ 2009, 906, Rn. 14 und Rn. 15.
[55] Vgl. zum Ausmaß die Ausführungen bei Fn. 5.
Teil 1 finden Sie hier: https://publicus.boorberg.de/sanierungsanordnungen-fuer-trinkwasserleitungen-bei-bisphenol-a-grenzwertueberschreitungen/