23.09.2024

Deutsche Städte sprechen an ihren Bürgern vorbei

Das ergab eine Studie der WORTLIGA

Deutsche Städte sprechen an ihren Bürgern vorbei

Das ergab eine Studie der WORTLIGA

© lassedesignen  – stock.adobe.com
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Städte verschwenden Geld durch unverständliche Sprache.

Unverständliche Sprache verursacht erhebliche Schäden: Vermeidbare Rückfragen und Missverständnisse aufgrund von Beamtendeutsch kosten Millionen und schließen Menschen von Informationen aus. Wie bürgerfreundlich kommunizieren deutsche Städte?

Über 40 Prozent der städtischen Informationen sind kaum zu verstehen

Eine Studie der WORTLIGA analysierte die Websites von 19 Mittel- und Großstädten, die Informationen für rund 14 Millionen Einwohner bereitstellen. Von den 475 untersuchten Online-Texten waren 194 schwer verständlich. Besonders kompliziert waren 173 Texte zu Themen wie Corona, Familie oder Wohnungssuche. Die häufigsten Ursachen, die zu Unleserlichkeit führten, waren Schachtelsätze, komplexe Begriffe und Passiv-Formulierungen.


Deutschland macht das Lesen schwer

Seit 2020 müssen Verwaltungen, Behörden und Ämter handeln: Alle müssen stark vereinfachte Version ihrer Internetseite in „Leichter Sprache“ anbieten. Aber wie steht es um die Informationen für die Allgemeinheit? Bürger müssen sich mit unnötig komplizierten und schwer verständlichen Texten auseinandersetzen. So verfehlen viele Städte ihr Ziel, Informationen bereitzustellen, die es den Menschen ermöglichen, gute Entscheidungen zu treffen.

Die Mehrheit hat Schwierigkeiten mit der Sprache der Ämter

Komplizierte Sprache überfordert die meisten Menschen. Eine Studie der Gesellschaft für Deutsche Sprache (GfdS) aus dem Jahr 2009 ergab: 86 Prozent der Deutschen haben Probleme, die Texte von Ämtern und Behörden zu verstehen. Dies betrifft nicht nur Personen mit einfacher Schulbildung, sondern auch 81 Prozent der Befragten mit Abitur oder Studium. Die Nielsen Norman Group fand 2017 zudem heraus, dass alle Menschen – auch Experten – verständliche Informationen bevorzugen.

Städte verschwenden Geld durch unverständliche Sprache

Klare und einfache Kommunikation ist nicht nur ein Gebot der Inklusion: Sie steigert gleichzeitig die Effizienz von Ämtern, Behörden und Unternehmen. Forschungen zeigen, dass verständlichere Informationen Zeit und Geld sparen, da Bürger weniger Rückfragen haben.

Ein eindrucksvolles Beispiel liefert die US-Verwaltung für Veteranenleistungen: Nachdem sie einen Standardbrief vereinfacht hatte, sanken die Anrufe mit Rückfragen um 82 Prozent. Früher gab es durchschnittlich 1,5 Anrufe pro Brief; nach der Vereinfachung waren es nur noch 0,27 Anrufe. Dadurch sparte die Behörde 40.000 Dollar allein durch einen einzigen überarbeiteten Brief. Gleichzeitig gab das den Mitarbeitern mehr Zeit für andere Aufgaben.

Exklusion der Mehrheit: Bürger kämpfen mit Behördendeutsch

Deutsche Städte, Ämter und Behörden erfüllen mit ihren Angeboten in ‚Leichter Sprache‘ den gesetzlichen Pflichtteil. Diese Sprache aus der Behindertenhilfe eignet sich aber nicht für alle. Bürgerfreundliche Kommunikation bedeutet, dass ein Großteil der Bevölkerung die Inhalte versteht und gern liest.

Städte wie Nürnberg, Hamburg und München sind laut Studie bereits auf einem guten Weg. Auch kleine Städte wie Coburg geben sich sichtbar Mühe und übertreffen manche Metropole in Bezug auf Klarheit. Die meisten anderen Städte – darunter Berlin – haben noch viele Lücken zu füllen, um die Mehrheit auf Augenhöhe zu informieren.

Schwer verständliche Informationen: Risiko für Gesundheit und Wohlstand

Die Wortliga Tools GmbH analysierte pro Stadt fünf Themenkomplexe mit jeweils fünf Texten: Wohnungssuche, Informationen zu COVID-19, Mobilität und Verkehr, Barrierefreiheit sowie Unterstützung von Familien. Mithilfe der Software „Wortliga Textanalyse“ bestimmten sie das Sprachniveau und berechneten den Lesbarkeitsindex, der von 0 bis 100 reicht. Ein Wert von 100 bedeutet höchste Verständlichkeit.

Die durchschnittliche Punktezahl der städtischen Websites lag bei nur 38. Dies zeigt, dass viele Städte dringenden Nachholbedarf haben: Verständliche Informationen beeinflussen wichtige Entscheidungen jedes Einzelnen, etwa bei gesundheitlichen Fragen.

Konkrete Beispiele für den Einfluss verständlicher Sprache auf Städte

Wie könnten konkrete Beispiel für den Einfluss verständlicher Sprache aussehen? Das zeigt sich etwa in der Kommunikation zu COVID-19: Bürger, die klare und verständliche Informationen zu Schutzmaßnahmen und Impfungen erhalten, sind eher bereit, sich impfen zu lassen. Sie halten sich auch eher an die Maßnahmen. In einer Stadt, in der die Informationen verworren und schwer verständlich sind, kommt es häufiger zu Missverständnissen und Unsicherheiten. Dies erhöht die Gesundheitsrisiken für die Bevölkerung.

Auch im Bereich der Mobilität und Verkehr ist Verständlichkeit entscheidend. Klare Anweisungen und Informationen über öffentliche Verkehrsmittel, Fahrpläne und Ticketpreise erleichtern es den Bürgern, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. Dies verbessert die Lebensqualität, entlastet den Verkehr und schützt die Umwelt. In Städten mit unverständlichen Informationen hingegen kann die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs verwirrend und frustrierend sein. Das kann dazu führen, dass mehr Menschen auf das Auto zurückgreifen.

Diese Beispiele verdeutlichen: Verständliche Sprache erhöht die Effizienz und Kosteneinsparungen für Städte und Behörden. Sie beeinflusst auch direkt die Lebensqualität und das Wohlbefinden der Bürger. Daher sollten Städte ihre Kommunikationsstrategien dringend überdenken und die Vorteile klarer und einfacher Sprache nutzen.

Handlungsempfehlungen für Behörden

Um die Verständlichkeit ihrer Texte zu verbessern, sollten Behörden sich zunächst intensiv mit den Fragen und Bedürfnissen ihrer Leser auseinandersetzen. Diese Fragen und Bedürfnisse sollten im Text geklärt werden. Die wichtigsten Handlungsempfehlungen für verständliches Schreiben:

–              Sätze sollten maximal 15 Wörter enthalten – lange Verschachtelungen erschweren das Verständnis. Empfehlung: “Ein Gedanke pro Satz”.

–              Fachbegriffe und komplexe Wörter sollten durch einfachere Ausdrücke ersetzt werden (z. B. Plan statt Konzeption, Überprüfung statt Validierung)

–              Nomen sollten möglichst durch Verben ersetzt werden, den Verben beschreiben Handlungen direkt und machen den Text klarer und verständlicher.

–              Passivkonstruktionen sollten vermieden werden, denn aktive Sätze machen Texte klarer und konkreter, Verantwortlichkeiten werden deutlicher.

–              Leser sollten direkt angesprochen werden. Das führt zu präziseren Formulierungen und schafft Vertrauen, wohingegen unpersönliche Sprache distanziert wirkt.

–              Abkürzungen sollten eher vermieden werden, da sie den Lesefluss stören können.

Einfach schreiben ist schwer: Unterstützung und Hilfsmittel

Mitarbeiter in Behörden sollten regelmäßig an Fort- und Weiterbildungen teilnehmen, um ihre Fähigkeiten im Verfassen verständlicher Texte zu verbessern. Solche Schulungen bieten praxisnahe Tipps und Methoden, um komplexe Inhalte klar und prägnant zu vermitteln. Darüber hinaus können Textanalyse-Tools eingesetzt werden. Diese Tools liefern eine Rückmeldung zu vielen Stolpersteinen in der Textgestaltung.

 

Gidon Wagner

Wortliga Tools GmbH
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