06.09.2021

Die Rücküberstellung einer Asylbewerberin nach Italien

Verwaltungsgericht Gera, Beschluss vom 13.10.2020 – 6 E 1148/20 Ge

Die Rücküberstellung einer Asylbewerberin nach Italien

Verwaltungsgericht Gera, Beschluss vom 13.10.2020 – 6 E 1148/20 Ge

Ein Beitrag aus »Die Kommunalverwaltung Thüringen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Die Kommunalverwaltung Thüringen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die mit einer Abschiebungsanordnung nach Italien verbundenen Ablehnung ihres Asylantrags als unzulässig. Die Antragstellerin wurde nach eigenen Angaben 1995 in der Elfenbeinküste geboren. Sie reiste im Juni 2020 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen förmlichen Asylantrag. Eine EURODAC-Anfrage ergab, dass sie bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hatte. Italien akzeptierte das Überstellungsgesuch von Deutschland nach Italien.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte den Asylantrag nach Anhörung der Asylbewerberin als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Die Antragstellerin erhob Klage und einstweiligen Rechtsschutz, den Ablehnungsbescheid aufzuheben bzw. die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen. Nach § 76 Abs. 4 Satz 1 Asylgesetz (AsylG) ergeht die Entscheidung durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Abwägung des öffentlichen und des privaten Interesses der Asylbewerberin

Nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung ist das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes und das private Bleibeinteresse des Asylbewerbers gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung bei der Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten im Verfahren der Hauptsache zu.


Nach § 36 Abs. 4 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Zuständigkeit Italiens ergibt sich aus Art. 18 Abs. 1 lit. b) Dublin III-Verordnung (Dublin III-VO), da die Asylbewerberin bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hat und die italienischen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags erklärt haben. Nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO erfolgt die Überstellung nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten und innerhalb von 6 Monaten nach Annahme des Wiederaufnahmegesuchs. Da die Asylbewerberin einstweiligen Rechtsschutz beantragt hat, beginnt die Frist zur Überstellung erst mit der Rechtskraft des Beschlusses im einstweiligen Rechtsschutzverfahren.

Keine Unmöglichkeit der Überstellung nach Italien i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO

Das Unionsrecht gewährleistet einen Schutzstandard der Grundrechte, so dass eine Überstellung rechtlich unmöglich ist, wenn die Überstellung eine extreme materielle Not des Asylbewerbers nach sich zieht, systemische Mängel bestehen oder der Asylbewerber einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt ist. Hinsichtlich anderer Staaten der Europäischen Union gilt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, so dass die Vermutung besteht, dass in jedem Mitgliedstaat die Behandlung von Asylbewerbern im Einklang mit der Europäischen Grundrechtscharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention besteht.

Diese Vermutung kann widerlegt werden, wobei nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder jeder geringste Verstoß gegen die Europäischen Richtlinien genügen, um eine Überstellung zu verhindern. Es besteht nach der summarischen Prüfung keine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Asylbewerberin bei einer Rücküberstellung tatsächlich der Obdachlosigkeit ausgesetzt ist oder ihr in den Erstaufnahmezentren (CDA oder CARA oder CAS) eine unmenschliche Behandlung droht, auch wenn sich durch das Salvini-Dekret das italienische Asylsystem geändert hat.

Die Aufnahmerichtlinien Italiens

Nach Art. 20 der Aufnahmerichtlinien kann der italienische Staat die Unterkunft als materielle Leistung einschränken, wenn der Aufenthaltsort ohne Genehmigung verlassen wird. Diese Sanktion steht unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. In jedem Fall ist aber der Zugang zu medizinischer Versorgung gewährleistet. Es ist nicht offenkundig, dass Asylbewerber in Italien keinen ausreichenden – auch gerichtlichen – Schutz erhalten können.

Für das BAMF besteht auch kein Grund auf Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO. Nach dem Bericht des Bundesamts vom April 2020 können vulnerable Personen nach Wiedereinreise in Ersteinrichtungen unterkommen, in denen eine umfassende Betreuung gewährt wird. Die Asylsuchenden haben Anspruch auf Unterkunft, Verpflegung, medizinische Versorgung, psychologische Betreuung, Dolmetscher, Kleidung und Hygieneartikel und das Recht auf Anhörung. Die Akte des Asylbewerbers wird in Italien nur geschlossen, wenn sich der Rückkehrer weigert, das Asylverfahren fortzuführen. Dublin-Rückkehrer werden wie Erstantragssteller behandelt. Nicht nur in den SIPIOMI-Zentren (früher: SPRAR), sondern auch in den Erstaufnahmezentren der CAS/CARA werden die Grundbedürfnisse der Asylbewerber abgedeckt.

Die Pandemielage

Ein Abschiebungshindernis ergibt sich für Italien auch nicht aus der aktuell bestehenden Pandemielage. Das Virus ist zwar in Italien weiter verbreitet als in Deutschland und das Gesundheitssystem stark belastet, aber die Ansteckung ist kein real risk, weil auch in Italien Grundrechtseinschränkungen zur Eindämmung von Covid-19 bestehen. Die Asylbewerberin ist auch noch jung, sodass ein schwerer Verlauf bei Ansteckung keine erhebliche konkrete Gefahr bedeutet. Eine verfassungswidrige Schutzlücke liegt nicht vor. Eine Abschiebung ist auch nicht faktisch ausgeschlossen. Einschränkungen des Flugverkehrs bestehen nicht mehr. Die Durchführung der Abschiebung nach § 29 Abs. 1 Dublin III-VO kann auch innerhalb von 6 Monaten erfolgen. Die Überstellung ist gem. § 34 a AsylG möglich, sodass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen ist.

 

Verwaltungsgericht Gera, Beschluss vom 13.10.2020 – 6 E 1148/20 Ge

Kommunalverwaltung Thüringen 2021/89

 
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