02.06.2022

Die Natur braucht Rechte

Vorschlag für eine Grundgesetzreform

Die Natur braucht Rechte

Vorschlag für eine Grundgesetzreform

Die verfassungsrechtliche Verankerung von Rechten der Natur ist nicht nur rechtlich möglich, sondern auch notwendig. © sarayut_sy – stock.adobe.com
Die verfassungsrechtliche Verankerung von Rechten der Natur ist nicht nur rechtlich möglich, sondern auch notwendig. © sarayut_sy – stock.adobe.com

Am 22.04.2022 hat das Netzwerk Rechte der Natur seinen Vorschlag für eine Grundgesetzreform in Berlin präsentiert und erläutert. Der Vorschlag ergänzt die Würde des Menschen um die Würde der Natur. Der Eigenwert der Natur soll anerkannt und die Natur zum Rechtssubjekt werden. Die Natur soll Grundrechte erhalten – soweit sie ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind. Flüsse, Wälder, Tiere und Pflanzen hätten damit erstmals die gleichen Rechte wie Menschen, Unternehmen, Vereine, Organisationen.

Die Rechte der Natur sind eine Existenzfrage geworden

In den letzten Jahrzehnten ist es nicht gelungen, den Raubbau an den ökologischen Ressourcen zu stoppen. Bedroht ist die funktionale Vielfalt aller terrestrischen und aquatischen Ökosysteme, indem Landschaftsräume, Wälder, Steppen und Moore, aber auch die Ozeane durch Übernutzungen – Abholzung, industrielle Landwirtschaft, Überweidung, Überfischung und Vermüllung – aus ihrem Gleichgewicht gestoßen und zerstört werden. Und es sind die bio-geo-chemischen Einträge in Flüsse, allen voran Nitrat und Phosphor, die auf Böden, Gewässer und alle Lebensprozesse einwirken, die Nahrungsketten und so die Ökosysteme schwächen.

Diese Entwicklung geht in der Regel auf wirtschaftliche Aktivitäten zurück, die von nationalen Interessen und unternehmerischen Gewinnerwartungen getrieben sind. Diese Interessen werden durch einen rechtlichen Rahmen geschützt und im Abgleich staatlicher, regionaler und multilateraler Übereinkünfte durchgesetzt. In der Abwägung mit menschenbezogenen und wirtschaftlichen Interessen unterliegen die Interessen von Fauna, Flora und Biotopen regelmäßig vor Gericht.


Dies ist der Ausdruck eines Denkens und Rechtes, das den Menschen als ein Lebewesen begreift, das außerhalb der Natur steht. Ein fataler Irrtum. Da das Recht immer nur so gut sein kann, wie die Vorstellung einer Gesellschaft von sich selbst, ist der Diskurs über unsere Beziehung zur Natur ein notwendiger Schritt, um diesen existenzbedrohenden Irrtum zu korrigieren und einen neuen „Gesellschaftsvertrag“ mit der Natur zu schließen.

Ökologisierung des Rechtes

Als unser Grundgesetz 1949 verabschiedet wurde, stand der Parlamentarische Rat unter dem Eindruck der Geschehnisse im Nazi-Deutschland und dem Horror des zweiten Weltkriegs. Der Schutz der Menschenwürde stand daher an erster Stelle.

Das deutsche Rechtssystem ist im Kern ein System subjektiver Rechte. Aus dem System subjektiver Rechte folgt, dass Rechtspersonen nur die Verletzung eigener Rechte rügen können. Die gerichtliche Geltendmachung objektiver Rechtsverletzungen ist im deutschen Rechtssystem nicht vorgesehen. Die Zerstörung eines Fluss-Ökosystems oder die Verseuchung von Böden kann also nur dann gerügt werden, wenn die Petenten zugleich Eigentümer (vgl. Art. 14 Abs. 1 GG) des betroffenen Grundstücks sind oder darlegen können, dass durch die Umweltzerstörung z.B. Gefahr oder Schaden für ihre Gesundheit (vgl. Art. 2 Abs. 2 GG) besteht.

Dass die verfassungsrechtliche Verankerung von Rechten der Natur nicht nur rechtlich möglich, sondern auch notwendig ist, davon sind inzwischen auch so renommierte Staatsrechtler wie Prof. Jens Kersten (LMU) oder Prof. Fischer-Lescano (Uni Bremen) überzeugt. Weltweit wurden die Rechte der Natur in der Verfassung von Ecuador anerkannt. Panama und Chile zogen nach. Mit dem Mar Menor wurde erstmals auch in Europa ein Ökosystem als Rechtsperson anerkannt.

Die wichtigsten Reformvorschläge und ihre Begründung

Art. 1 Abs. 2 GG neu:
Die Würde der Natur gebietet, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, zu pflegen und zu wahren und den Eigenwert der natürlichen Mitwelt im Ganzen der Natur zu achten.

Die Alleinstellung der Menschenwürde ist unbegründet. Der Mensch ist nur eine Spezies von vielen und er ist auf die Integrität der Natur angewiesen. Dies erfordert die Anerkennung der Würde und des Eigenwertes der Natur. Deshalb ist es notwendig, Art. 1 Abs. 1 GG (Würde des Menschen) um einen neuen Absatz 2 zu ergänzen. Die Trennungslinie zwischen dem Menschen und allem nicht menschlichen Leben wird so aufgehoben. Die bisher geschützte Menschenwürde wird auf die Natur im Ganzen erweitert. Zur Natur im Ganzen gehören die natürlichen Lebensgrundlagen: Boden, Wasser, Luft, Fauna, Flora und die großen Ökosysteme wie Meere oder Wälder.

Art. 1 Abs. 3 GG neu:
Das deutsche Volk bekennt sich darum zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten und Rechten der Natur als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

Solange die nichtmenschliche Natur nicht die gleiche Sprache wie der Mensch spricht, ist eine Stellvertretung vorzusehen. Diese wird von Menschen ausgeübt, so wie es z.B. für nicht mündige Personen oder juristische Personen gängige Praxis ist.

Art. 2 Abs. 1 GG neu:
Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer einschließlich der natürlichen Mitwelt verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

So wie die Ausübung von Freiheiten durch Menschen ihre Grenzen findet – wo sie die Freiheiten anderer Menschen berühren – führt diese Formulierung dazu, dass auch die Integrität der Natur der Ausübung von Freiheiten Grenzen setzt. Ihre Rechte dürfen von anderen Personen oder dem Staat nicht verletzt werden. Die Natur bekommt ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.

Art. 14 Abs. 2 GG neu:
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit und der natürlichen Mitwelt dienen.

Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG fordert schon heute, dass der Gebrauch von Eigentum „zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen“ soll. Eine schrankenlose Ausübung von Eigentumsrechen ist daher schon heute nicht möglich. Konkret bedeutet die vorgeschlagene Änderung z.B., dass die Baufreiheit nicht nur durch baurechtliche Vorschriften begrenzt wird, sondern auch durch alle Bestimmungen, die dem Schutz der Natur dienen. Das Lebensrecht eines Baumes könnte bei der Abwägung mit anderen Interessen (Bauen) eine höhere Gewichtung bekommen, das Eigentumsrecht an Tieren wird in Frage gestellt oder zumindest neu gewichtet werden. Die Rechtsordnung wird bereichert.

Art. 19 Abs. 4 GG neu:
Die Grundrechte gelten auch für die Natur, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Die Natur ist rechtsfähig. Sie ist durch die Gesetzgebung, durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung maßgeblich zu achten und zu schützen
.

Die Natur kann ihre Rechte – vertreten durch Menschen oder juristische Personen – geltend machen und vor Gericht einklagen. Dieser neue Verfassungsgrundsatz muss vom Gesetzgeber, von der Verwaltung und den Gerichten in Zukunft ausgelegt und beachtet werden. Der Natur werden nicht alle Grundrechte der Art. 2 ff. GG zugestanden, sondern nur diejenigen, die ihrem Wesen nach auf die Natur anwendbar sind, da es um die ökologische Integrität von Ökosystemen geht. Dazu gehört auch die unbelebte Natur – soweit sie für diese Ökosysteme und Arten und ihre Integrität von Bedeutung ist. Für die Rechtsperson Natur gilt das Gleiche wie für alle anderen juristischen Personen nach Art. 19 Abs. 3 GG (Unternehmen, Organisationen). Es gibt inzwischen einige wichtige Gerichtsurteile, die dies konkretisieren.

Art. 20a Satz 1 GG neu:
Jedes Lebewesen hat seine naturgegebene Würde und das Recht – im Rahmen natürlicher Kreisläufe, Nahrungsketten und Biotope –, seiner Natur nach zu leben.

Die Staatszielbestimmung des bisherigen Artikel 20 a GG wird ausdrücklich um den Schutz der Rechte der Natur erweitert. Dies führt z.B. dazu, dass der Schutz des Klimas nicht mehr umständlich über das Lebens- oder Freiheitsrecht künftiger Generation nach Art. 2 GG begründet werden muss, sondern direkt möglich und geboten ist. Mit dem Schutz eines jeden Lebewesens, erhält auch der Tierschutz rechtlich ein neues Fundament. Denn das Tierschutzgesetz regelt bisher nur die Nutzung der Tiere und die Massentierhaltung.

Das Netzwerk Rechte der Natur spricht sich dafür aus, dass auch in Deutschland jede Bürgerin und jeder Bürger das Recht erhalten sollte, die Rechte der Natur stellvertretend geltend zu machen. Die Erfahrung zeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger in der Lage sind, mit diesem Recht verantwortungsvoll umzugehen.  Die Ausarbeitung dieses Punktes bedarf noch weiterer Diskussionen, z.B. über ergänzende Vorschläge wie die Einrichtung eines Fonds, damit solche Klagen nicht aus Angst vor finanziellen Risiken unterlassen werden oder die Frage nach der Einrichtung von Expertenräten, die bedeutenden Ökosystemen als Wächter zur Seite gestellt werden. Das Netzwerk arbeitet an einem Vorschlag.

 

Nähere Informationen:

 

Christine Ax, M.A.

Netzwerk Rechte der Natur, Hamburg
 

Dr. jur. Peter C. Mohr

NABU Vorstand, Hamburg
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