02.12.2022

Die „Kammerwerdung“ des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK)

Neue (Aufsichts-)Probleme im Bund-Länder-Verhältnis?

Die „Kammerwerdung“ des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK)

Neue (Aufsichts-)Probleme im Bund-Länder-Verhältnis?

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Infolge zweier Revisionsentscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts aus den Jahren 2016 und 2020, mit denen der Anspruch eines einzelnen Kammermitglieds gegenüber der regionalen Industrie- und Handelskammer bezüglich auf Austritt aus dem bislang in der Rechtsform des eingetragenen Vereins organisierten Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) bestätigt wurde, hat der für das IHK-Recht zuständige Bundesgesetzgeber zwischenzeitlich das IHK-Gesetz (IHKG) geändert. Nach einer Übergangszeit wird nunmehr nach Maßgabe der neu in das Gesetz eingefügten §§ 10 a ff. IHKG ab 01.01.2023 die Deutsche Industrie- und Handelskammer zur öffentlich-rechtlich organisierten Dachorganisation der deutschen regionalen Industrie- und Handelskammern. Dieser angesichts weiterer Austrittsverlangen und der dadurch drohenden Aushöhlung des privatrechtlich organisierten DIHK erfolgte legislative Schritt verändert freilich das Organisationsgefüge und beschwört jedenfalls Folgeprobleme auf, die nunmehr vor dem Hintergrund der neu geschaffenen öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen Dachverband und regionalen Industrie- und Handelskammern zu beleuchten sind. Hierzu soll dieser Beitrag einen ersten Problemaufriss liefern.

I. Einführung

Es kommt eher selten vor, dass obergerichtliche Entscheidungen eine gesetzgeberische Reaktion auslösen, mit der eine eingeführte und überdies sehr traditionsreiche[1] privatrechtliche Organisation wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag als Dachverband der regionalen Industrie- und Handelskammern in eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts überführt wird. Dies ist mit der jüngsten Novelle des IHK-Gesetzes (nachfolgend: IHKG)[2]

geschehen, mit der die „Kammerwerdung“ des Deutschen Industrie- und Handelskammertages als eines bislang rein privatrechtlich organisierten Dachverbandes der Selbstverwaltung der Wirtschaft vollzogen wird: Mit dem am 11.08.2021 verkündeten Zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern (IHKG) ist diese Neuregelung am 12.08.2021 in Kraft getreten. Nach Maßgabe der §§ 10 a ff. IHKG n. F. wird der DIHK bisheriger Prägung ab 01.01.2023 zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, der Deutschen Industrie- und Handelskammer, welcher fortan die Aufgaben nach § 10 a IHKG obliegen.


Im Vordergrund steht dabei vor allem § 10 a Abs. 1 IHKG n. F., wonach die Deutsche Industrie- und Handelskammer die Aufgabe hat, das Gesamtinteresse der den Industrie- und Handelskammern zugehörigen Gewerbetreibenden in der Bundesrepublik Deutschland auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene wahrzunehmen (Nr. 1), für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken (Nr. 2) und dabei stets die wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Regionen, Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen hat. Damit ist die im Kontext dieses Beitrages vorrangig interessierende Gesamtinteressenvertretung angesprochen. Die Errichtung der Deutschen Industrie- und Handelskammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts soll nach Bestimmung von § 13 c Abs. 1 IHKG n. F. durch einen Formwechsel mittels Umwandlung des DIHK e.V. zum 01.01.2023 vollzogen werden.

Wenngleich der gesetzgeberische Vorstoß nichts anderes als die Funktion eines Rettungsankers für die dauerhafte Sicherung der Existenz des Dachverbandes darstellt, kann dieses Unterfangen zum einen weder losgelöst von den hier nachfolgend kurz zu referierenden Revisionsentscheidungen des BVerwG betrachtet werden. Zum anderen – und darauf soll es hier vorrangig ankommen – wirft die Reaktion des Bundesgesetzgebers prima facie zumindest einige mögliche Folgeprobleme auf, die auch das Bund-Länder-Verhältnis der neuen bundesunmittelbaren Körperschaft Deutsche Industrie- und Handelskammer als Dachverband und den als landesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts organisierten regionalen IHKn betreffen.

Konkret geht es um die in diesem Bund-Länder-Organisationsgeflecht bestehende zentrale Aufgabe der Gesamtinteressenwahrnehmung und mögliche Konflikte, die bereits in den Entscheidungen des BVerwG angelegt sind und nunmehr in öffentlich-rechtlichem Gewande erneut aufzutreten drohen und fortan primär durch die staatliche Aufsicht gelöst werden müssen.

Dabei dürfte nicht ausgeschlossen sein, dass die durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie wahrzunehmende Aufsicht über die neue bundesunmittelbare Körperschaft DIHK einerseits und die nach Landesrecht für die Wahrnehmung der staatlichen Aufsicht über die regionalen IHKn zuständigen (obersten) Landesbehörden[3] in ein Aufsichtskonkurrenzverhältnis geraten. Es rührt – wie zu zeigen sein wird (siehe unten IV.3) – seinerseits aus dem weit gefassten und konfliktbeladenen Verständnis insbesondere der seit jeher bestehenden Kammeraufgabe der Gesamtinteressenvertretung und dem Erfordernis einer Kontrolle etwaiger Aufgabenüberschreitungen, wie sie auch und gerade den die „Kammerwerdung“ des DIHK durch den Gesetzgeber auslösenden und nachfolgend kurz referierten Revisionsentscheidungen des BVerwG zugrunde lagen.

II. Die Revisionsentscheidungen des BVerwG (2016 und 2021)

Zunächst bedarf es freilich einer Beleuchtung der Vorgeschichte der „Kammerwerdung“ des DIHK e.V. anhand der die gesetzgeberische Reaktion letztlich auslösenden und miteinander unmittelbar verbundenen Revisionsentscheidungen des BVerwG.[4]

Wenngleich erst die zweite Entscheidung die legislative Aktivität – die Änderung des IHKG – ausgelöst hat, ist die nunmehr erfolgte Kammerlösung bezüglich des Dachverbandes der wirtschaftlichen Selbstverwaltung, dem ja auch bislang alle regionalen IHKn kraft freiwilliger, aber satzungsmäßig entsprechend ausgestalteter Zugehörigkeit angehörten, nur verständlich, wenn man die Maßgaben des BVerwG aus der ersten Revisionsentscheidung aus dem Jahre 2016 mit einbezieht. Dies gilt umso mehr, als es nach der Rückverweisung an die Vorinstanz – das OVG Münster – wiederum zu praktischen Umsetzungsproblemen gekommen ist, die ihrerseits erst die zweite Revisionsentscheidung im Jahre 2021 hervorgebracht haben.

In der Sache ging es in beiden Entscheidungen um die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Mitglied einer regionalen IHK einen Anspruch auf Austritt dieser Kammer aus dem privatrechtlichen Dachverband DIHK haben kann, wenn der Dachverband die Kompetenzen der in ihm zusammengeschlossenen regionalen Kammern bei der Gesamtinteressenvertretung überschreitet. Ein solcher Austrittsanspruch wurde in der ersten BVerwG-Entscheidung vorwiegend auf Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG gestützt und sollte gleichsam als Ultima Ratio nur in Betracht kommen, wenn eine Wiederholungsgefahr bestehe, die das Gericht noch in der ersten Revisionsentscheidung nur dann als gegeben angesehen hatte, wenn die Kompetenzüberschreitung mehr als nur einen „Ausreißer“ darstellt.[5]

Nunmehr hat das BVerwG in seiner zweiten Revisionsentscheidung in derselben Sache und nach der 2016 erfolgten Zurückverweisung an das OVG NRW[6] indes einen aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleiteten öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch gegenüber Kompetenzüberschreitung durch den privatrechtlichen DIHK e.V. bejaht. Dieser richte sich – wenngleich ebenfalls als als Ultima Ratio – auf eine Beendigung der Mitgliedschaft in einem Verband, wenn dieser sich außerhalb der Kammerkompetenzen bewege.[7]

III. Drohende Folgen und gesetzgeberische Reaktion

Die befürchteten und sich bereits real abzeichnenden Folgen für die Fortexistenz des DIHK als Dachverband in der Rechtsform des privatrechtlichen Vereins bestanden darin, dass weitere IHKn über einzelne Pflichtmitglieder auf einen Austritt aus dem DIHK gerichtlich verpflichtet worden wären und es daher zu einer schleichenden Aushöhlung und mutmaßlich einer Auflösung des Dachverbandes gekommen wäre. Vor diesem Hintergrund sind die Novelle des IHKG mit der Begründung der Deutschen Industrie- und Handelskammer als öffentlich-rechtlichem Dachverband durch Einführung der §§ 10 a IHKG n. F. als gesetzgeberische Reaktion zu werten.[8]

IV. Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben und Folgeprobleme der Bildung der DIHK als öffentlich-rechtlichem Dachverband

1. Verwaltungsorganisationsrechtliche Vorgaben

Hat sich der Bundesgesetzgeber mit dem DIHK e.V. einer freiwilligen dachverbandlichen Interessensorganisation der wirtschaftlichen Selbstverwaltung bemächtigt? Auf den ersten Blick könnte dies deshalb naheliegen, weil es sich schon mit Blick auf die privatrechtliche Organisationsform beim DIHK bisheriger Prägung um eine Interessenvertretung auf übergeordneter Ebene handelt, die jedenfalls auf den ersten Blick nicht der öffentlich- rechtlich geprägten Selbstverwaltung der Wirtschaft – d. h. nicht der Kammerorganisation im engeren Sinne – zugeordnet werden kann.[9]

Insgesamt muss nämlich festgestellt werden, dass das Recht, privatrechtlich organisierte Dachverbände zu gründen, zwar als Ausdruck der Verwirklichung des Selbstverwaltungsprinzips durch die als juristische Personen des öffentlichen Rechts organisierten Selbstverwaltungsträger gewertet werden kann.[10]

Die privatrechtlich organisierten Zusammenschlüsse können wegen ihrer primär nicht-hoheitlichen Aufgabenwahrnehmung und der Freiwilligkeit ihrer Gründung dennoch als solche nicht der Selbstverwaltung zugerechnet werden.[11]

Anderes gilt freilich für die dem Bundesgesetzgeber bei der Änderung des IHKG und der Begründung der Deutschen Industrie- und Handelskammer vorschwebenden bestehenden öffentlich-rechtlichen Dachverbände wie der Bundesrechtsanwaltskammer, der Bundesnotarkammer und der Bundessteuerberaterkammer in der berufsständischen Selbstverwaltung. Für sie sind – wie nunmehr für die Deutsche Industrie- und Handelskammer auch – die bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben an die Verwaltungsorganisation zu berücksichtigen, wie nachfolgend darzustellen ist.

2. Bundesrechtlicher Ansatzpunkt: Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG

Die Anforderungen des Art. 87 Abs. 3 GG als Ausdruck des institutionell-organisatorischen Gesetzesvorbehalts sind auch bei der Überführung der privatrechtlichen Dachorganisation der Wirtschaft in die Deutsche Industrie- und Handelskammer maßgeblich.

a) Vorliegen einer Bundesgesetzgebungskompetenz

Voraussetzung für ein Tätigwerden des Bundes im Rahmen der fakultativen Bundesverwaltung gemäß Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG ist das Vorliegen einer Gesetzgebungskompetenz für die betreffende Materie.[12] Das gilt für die ausschließliche und die konkurrierende Gesetzgebung, wobei diejenigen Materien der konkurrierenden Gesetzgebung ausgenommen sind, bei denen den Ländern die Möglichkeit ein Abweichungsrecht nach Art. 72 Abs. 3 GG zusteht.[13]

Dies ist bei der hier einschlägigen Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG („Recht der Wirtschaft“) nicht der Fall.

b) Erfordernis organisations- und aufgabenbezogener Zentralität

Zutreffend wird mit Blick auf Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG und die hiernach zulässigerweise auf Bundesebene errichteten Einrichtungen – Bundesoberbehörden bzw. Trägern mittelbarer Bundesverwaltung – eine organisations- und aufgabenbezogene Zentralität gefordert, die aus einem Vergleich zwischen Art. 87 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 GG hergeleitet wird.[14]

Daraus folgt, dass sich die Begründung einer Bundesverwaltungskompetenz durch Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG nur auf solche Aufgaben beziehen kann, die nach ihrer Eigenart für das ganze Bundesgebiet ohne bundeseigene Mittel- und Unterbehörden zentral und überdies ohne Inanspruchnahme der Länder wahrgenommen werden können.[15]

Diese wichtigste, die Bundesverwaltungskompetenz nach Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG einschränkende Voraussetzung ist mit ihren organisations- und aufgabenbezogenen Wirkungen ernst zu nehmen, wie am Beispiel der Dualität der Aufgabenwahrnehmung zwischen regionalen Kammern einerseits und dem künftig als Deutsche Industrie- und Handelskammer öffentlich-rechtlich agierenden DIHK nach Maßgabe des neuen IHKG deutlich wird.

Erfordert also Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG eine Zentralität der bundesrechtlich errichteten Körperschaften hinsichtlich der ihnen übertragenen Aufgaben, muss dies auch und gerade in Abgrenzung zu parallel bestehenden Aufgabenstrukturen desselben Typs (konkret: vor allem der beiden Körperschaftsorganisationen – der überregionalen in Gestalt der neuen DIHK und den fortbestehenden regionalen IHKn – obliegenden öffentlichen Aufgabe der Gesamtinteressenwahrnehmung) erkennbar bleiben. Dass sich infolge der „Kammerwerdung“ des DIHK insoweit Probleme im Bund-Länder-Verhältnis auftun, kann zumindest nicht bestritten werden. Sie werden im Weiteren als Folgeprobleme der Umwandlung des DIHK in eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts erörtert.

3. Aufgaben- und Aufsichtskonkurrenz als Folgeproblem

Bereits im Zusammenhang mit der Diskussion um die Folgen vor allem der zweiten Revisionsentscheidung des BVerwG ist deutlich geworden, dass sich allein mit der Gründung der DIHK als neuer öffentlich-rechtlicher Bundeskammer die ehedem bestehenden Probleme bei der Bestimmung dessen, was zulässiger Gegenstand der Gesamtinteressenwahrnehmung sein kann, nicht aufgelöst haben.[16]

Dies gilt ungeachtet des Neuzuschnitts und der damit verbundenen Abgrenzung der Gesamtinteressenwahrnehmung als Aufgabe der regionalen Kammern nach § 1 Abs. 1 IHKG n. F. gegenüber der Gesamtinteressenwahrnehmung auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene durch die neue Bundeskammer DIHK gemäß § 10 a Abs. 1 Nr. 1 IHKG. Grundlegende Aufgabe der regionalen IHKn ist es gemäß § 1 Abs. 1 IHKG zunächst, das Gesamtinteresse der Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrzunehmen. Unter dem Gesamtinteresse ist das durch Ermittlung der Interessen der verschiedenen Kammerzugehörigen und Ausgleich derselben festgestellte, idealisierte Gruppeninteresse der Kammerzugehörigen zu verstehen.[17]

Die jeweilige IHK hat also nicht primär die Einzelinteressen jedes einzelnen Kammerzugehörigen wahrzunehmen, sondern es kann auch nach bisheriger Kammerpraxis das Gesamtinteresse der Kammerzugehörigen im Einzelfall durchaus dem Interesse einzelner Kammerzugehöriger oder einzelner Gruppen von Kammerzugehörigen entgegenstehen, ohne dass dem das einschlägige Kammerrecht des IHK entgegengestanden hätte bzw. entgegensteht.[18]

Schon aus dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 IHKG folgt, dass die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen sind.[19] Gesamtinteresse ist letztlich das, was der Gesamtheit der Kammerzugehörigen am meisten Nutzen verspricht.[20]

Genau im Hinblick auf diesen Aspekt der Gesamtinteressenvertretung verdichtet sich nunmehr im Zuge der „Kammerwerdung“ des DIHK der Konflikt, der bereits in den oben referierten Revisionsentscheidungen, die bekanntlich denselben Fall betrafen, deutlich zum Ausdruck kommt: Dass nämlich der rechtliche Konflikt, der aus einer weit gefassten Aufgabenzuweisung wie der Gesamtinteressenvertretung geradezu zwangsläufig herrührt, kaum allein durch eine Überführung in die Rechtsform einer (bundesunmittelbaren) Körperschaft des öffentlichen Rechts verwaltungsorganisationsrechtlich gelöst werden kann. Denn das in den Revisionsentscheidungen zum Ausdruck kommenden Unbehagen an der privatrechtlichen Lösung dürfte sich letztlich auch in der neuen öffentlich-rechtlichen Rechtsform verstetigen.

Denn die Aufgabe der Gesamtinteressenvertretung ist auch den regionalen IHKn weiter nach Maßgabe des – im Zuge der Novelle modifizierten – § 1 Abs. 1 Nr. 1 IHKGF n. F. zugewiesen. Das insoweit bereits in der Vergangenheit zum DIHK e.V. bestehende Konkurrenzverhältnis ist in Ansehung der „globalen“ Aufgabenzuweisung der Gesamtinteressenwahrnehmung letztlich unter der nunmehr öffentlich- rechtlichen Organisation der DIHK nur dorthin verlagert. Dies verdeutlicht auch der Gesetzeswortlaut, wonach eine Aufgabenüberschneidung nach wie vor darin zu erkennen ist, dass auch die regionalen IHKn übergeordnete Aufgaben wahrnehmen können. Insoweit lautet § 1 Abs. 1 Nr. 1 IHKG in der aktuellen Fassung wie folgt (Hervorhebungen durch den Verfasser):

§ 1

(1) Die Industrie- und Handelskammern haben, soweit nicht die Zuständigkeit der Organisationen des Handwerks nach Maßgabe der Handwerksordnung oder die Zuständigkeit der Kammern der freien Berufe in Bezug auf die Berufspflichten ihrer Mitglieder gegeben ist, die Aufgaben:

  1. das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks, einschließlich der Gesamtverantwortung der gewerblichen Wirtschaft, die auch Ziele einer nachhaltigen Entwicklung umfassen kann, auf regionaler, nationaler, europäischer und internationaler Ebene wahrzunehmen,
  2. für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft ihres Bezirks zu wirken,
  3. (…) Nur bedingt kontrastierend hierzu lautet die Aufgabenzuweisung an die neue öffentlich-rechtliche Deutsche Industrie- und Handelskammer in § 10 a IHKG n. F. wie folgt:

§ 10 a

(1) Die Deutsche Industrie- und Handelskammer hat die Aufgabe,

  1. das Gesamtinteresse der den Industrie- und Handelskammern zugehörigen Gewerbetreibenden in der Bundesrepublik Deutschland auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene wahrzunehmen,
  2. für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken,
  3. (…).

Gleichwohl zeigt sich gerade im Hinblick darauf, dass auch den regionalen Kammern gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 IHKG neben der regionalen auch die übergeordnete Gesamtinteressenvertretung auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene obliegt, dass hier eine Perpetuierung des bestehenden Aufgabenkonkurrenzverhältnisses vorgezeichnet ist. Jedenfalls dürften sich in Streitfällen wiederum die seit jeher bestehenden, nun aber durch die zuständigen Aufsichtsbehörden im Bund (gemäß § 11 a IHKG n. F. dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie) und in den Ländern (den Landeswirtschaftsministerien nach Maßgabe der IHKG-Ausführungsgesetze) zu lösende Konflikte lediglich in neuem rechtlichem Gewande auftun.

So hat Will[21] bereits zur alten Rechtslage zutreffend festgestellt, dass „die potentiell effektivste Interessenwahrnehmung gegenüber dem Bundesgesetzgeber und der Bundeslegislative nicht primär von den einzelnen IHK, sondern vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), als privatem Zusammenschluss der heute 80 deutschen IHK in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins, wahrgenommen (werde)“.[22]

Darin angelegt war seit jeher aber auch das in den Revisionsentscheidungen besonders deutlich zutage getretene Spannungsverhältnis bei der Gesamtinteressenvertretung zwischen DIHK e.V. und regionalen Kammern bzw. deren Pflichtmitgliedern. Insofern verlagert sich nunmehr die Frage der Auflösung entsprechender Konfliktlagen auf die Aufsichtsbehörden. Somit ist also auch unter der neuen öffentlich-rechtlichen Dachorganisation im Hinblick auf die Gesamtinteressenwahrnehmung die Aufgabenkonkurrenz zwischen regionalen IHKn und DIHK als künftiger Bundeskammer alles andere als aufgehoben. Im Gegenteil: Es dürfte sich schon im Hinblick auf die notorischen Abgrenzungsunschärfen, wie sie auch bei den Aufgabenzuweisungen nach dem neuen IHKG deutlich werden (s. o.), weitere Folgeprobleme insoweit auftun, als die Aufgabenzuweisung stets die Reichweite der Aufsicht bestimmt.

Etwaige Kompetenzüberschreitungen mit Blick auf die Gesamtinteressenwahrnehmung haben künftig die jeweils zuständigen Rechtsaufsichtsbehörden einzelfallbezogen untereinander zu lösen. Dass dies im Bund-Länder-Verhältnis zu einem Aufsichtskonkurrenzverhältnis führt, liegt auf der Hand. Mangels rechtlicher Einwirkungsbefugnisse der Bundesaufsicht nach § 11 a Abs. 1 IHKG n. F. gegenüber den Landeswirtschaftswirtschaftsministerien als Rechtsaufsichtsbehörden über die regionalen Kammern bleibt auch im vertikalen Verbund nur, auf das Prinzip der kooperativen Staatsaufsicht zu setzen, um Konfliktlagen bei der Gesamtinteressenvertretung aufsichtlich zu lösen.[23]

V. Fazit und Ausblick

Das gesetzgeberische Unterfangen, den bislang privatrechtlich organisierten DIHK e.V. als Dachverband der wirtschaftlichen Selbstverwaltung infolge der hier kurz referierten Revisionsentscheidungen des BVerwG aus den Jahren 2016 und 2020 mit Wirkung vom 01.01.2023 in eine Körperschaft des öffentlichen Rechts zu überführen, ist vor dem Hintergrund der drohenden Auflösungstendenzen dieses Dachverbandes durch weitere Austritte regionaler Kammern als Rettungsanker zu werten, um die wichtige Organisation dauerhaft zu sichern.

Auch wenn dieser Beitrag nicht als Unkenruf verstanden werden möchte, bleiben die bereits in der bisherigen Organisationsstruktur bestehenden Konfliktlagen gerade im Hinblick auf die weit gefasste Aufgabe der Gesamtinteressenvertretung auch unter der neuen öffentlich-rechtlichen Organisationsstruktur aller Voraussicht nach bestehen.

Ihre rechtliche Lösung verlagert sich künftig auf das dann bestehende Aufsichtskonkurrenzverhältnis von Bundesrechtsaufsicht über die Aufgabenwahrnehmung durch die neue Deutsche Industrie- und Handelskammer gegenüber der bestehenden Landesrechtsaufsicht über die regionalen Kammern, deren Aufgabenbereiche sich gerade bei der Gesamtinteressenvertretung weiterhin partiell überschneiden und dann weitgehend in der kooperativen Wahrnehmung der Aufsicht im Bund- Länder-Verhältnis zu lösen sind. Auch dies ist kein leichtes Unterfangen.

 

Entnommen aus den Verwaltungsblättern Baden-Württemberg, 9/2022, S. 362

[1] Zur Geschichte des DIHK als privatrechtlicher Dachorganisation der Selbstverwaltung der Wirtschaft eingehend Hardach, Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag 1861−2011, 2011, S. 18 ff.

[2] Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern vom 07.08.2021, BGBl. I S. 3306.

[3] Die Zuständigkeit liegt nach Maßgabe der Landesausführungsgesetze zum IHKG bei den Landeswirtschaftsministerien als aufsichtsführenden obersten Landesbehörden, vgl. etwa § 2 Abs. 1 IHKG BW; Art. 1 Abs. 1 BayAGIHKG; § 2 Abs. 1 BrbAGIHKG; § 2 Abs. 1 HessAGIHKG; § 6 Abs. 1 Nds. AG IHKG; § 2 Abs. 1 IHKG NRW; § 6 Abs. 1 SächsIHKG.

[4] Erste Revisionsentscheidung: BVerwG, Urt. v. 23.03.2016, NVwZ 2017, 70; zweite Revisionsentscheidung: BVerwG, Urt. v. 14.10.2020, NJW 2021, 406 ff. (mit Anmerkung Heyne); insbesondere zur zweiten Revisionsentscheidung eingehend Kluth, NVwZ 2021, 345 ff.

[5] BVerwG, Urt. v. 23.03.2016, NVwZ 2017, 70 Rn. 24.

[6] OVG NRW, Urt. v. 12.04.2019, NVwZ 2019, 1688 (mit Anm. Kluth).

[7] BVerwG, Urt. v. 14.10.2020, NJW 2021, 406, 409 (Rn. 38) und Ls. 1.

[8] Kluth, NVwZ 2021, 345, 350 f., spricht insoweit von einem „Aufbruch in eine neue Verwaltungskultur“.

[9] So offenbar Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 26, mit Blick auf die freiwilligen Kammerzusammenschlüsse in Privatrechtsform. Folgte man dieser Sichtweise, wäre die damit angesprochene Problematik etwa auch im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung mit Blick auf die ebenfalls privatrechtlich organisierten kommunalen Spitzenverbände denkbar, wenngleich sich insoweit bezüglich der Dachverbandsorganisation der Rückgriff auf Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG (siehe dazu sogleich noch unter IV.2.) wegen Fehlens einer Bundesgesetzgebungskompetenz verbietet.

[10] Vgl. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 281 f.

[11] So zutreffend Will (Fn. 9), S. 26; a. A. Kluth, Handbuch des Kammerrechts, 3. Aufl. 2020, § 5 Rn. 68, der die privatrechtliche Organisation des DIHK e.V. dem Verwaltungsprivatrecht zurechnet, da sich die Mitgliederstruktur ausschließlich aus öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern – den regionalen IHKn – zusammensetzt.

[12] Broß/Mayer, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. 2, 7. Aufl. 2021, Art. 87 Rn. 30; Burgi, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 87 Rn. 92; Hermes, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 87 Rn. 89; Ibler, in: Dürig/Herzog/Scholz (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar (Lsbl.), Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 87 Rn. 232 ff.; Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Art. 87 Rn. 61.

[13] Broß/Mayer (Fn. 12), Art. 87 Rn. 30; Burgi (Fn. 12), Art. 87 Rn. 92.

[14] Hermes (Fn. 12), Art. 87 Rn. 85.

[15] Vgl. aus der Rechtsprechung BVerfGE 14, 197, 211; 110, 33, 49; s. auch Britz, DVBl. 1998, 1167, 1168 f.; Hermes (Fn. 12), Art. 87 Rn. 85; Ibler (Fn. 12), Art. 87 Rn. 245.

[16] Optimistischer Jahn, NWB 2021, 2129 ff.

[17] Will (Fn. 9), S. 282; siehe auch Wernicke, in: Junge/Jahn/Wernicke (Hrsg.), IHKG, Kommentar, § 1 Rn. 31 ff.

[18] Will (Fn. 9), S. 282.

[19] Will (Fn. 9), S. 282.

[20] Will (Fn. 9), S. 282.

[21] Will (Fn. 9), S. 282.

[22] Will (Fn. 9), S. 282.

[23] Zur kooperativen Staatsaufsicht in der funktionalen Selbstverwaltung Pautsch, Das Kooperationsprinzip im Bereich der Kammeraufsicht, in: Kluth (Hrsg.), Jahrbuch des Kammer- und Berufsrechts 2017, 2018, S. 173 ff.

 

Prof. Dr. Arne Pautsch

Professur für Öffentliches Recht und Kommunalwissenschaften, Direktor des Instituts für Bürgerbeteiligung und Direkte Demokratie, Ludwigsburg
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