04.03.2021

Data-Mining: Antiterrordateigesetz teilweise verfassungswidrig

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Data-Mining: Antiterrordateigesetz teilweise verfassungswidrig

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Durch das Antiterrordateigesetz vom 22.12.2006 sollte der Informationsaustausch zwischen Polizeien und Nachrichtendiensten weiter verbessert werden. ©Shashkin – stock.adobe.com
Durch das Antiterrordateigesetz vom 22.12.2006 sollte der Informationsaustausch zwischen Polizeien und Nachrichtendiensten weiter verbessert werden. ©Shashkin – stock.adobe.com

Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 10.11.2020, Az.: 1 BvR 3214/15, wurde die theoretische Möglichkeit für Sicherheitsbehörden des Bundes eingeschränkt, aus der Antiterrordatei mit spezieller Software Erkenntnisse auch für andere Verfahren aus dem Terrorismusbereich zu schöpfen. Nach den Entscheidungsgründen ist für einen derartigen Eingriff ein erhöhter Verdachtsgrad im Sinne eines „verdichteten Tatverdachts“ notwendig. Die aktuellen in § 6a Abs. 2 Satz 1 Antiterrordateigesetz (ATDG) geregelten Anforderungen genügen hierfür nicht. Gleichwohl bleibt der Entscheidung eine praktische Auswirkung versagt, da die Regelung aufgrund fehlender Softwarelösungen ohnehin bisher keine Anwendung finden konnte.

Zielsetzung der Antiterrordatei

Durch das Antiterrordateigesetz vom 22.12.2006 (BGBl. I S. 3409) sollte angesichts der Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus der Informationsaustausch zwischen Polizeien und Nachrichtendiensten weiter verbessert werden. Zentraler Punkt des Gesetzes war die Schaffung der Antiterrordatei, um den polizeilichen und nachrichtendienstlichen Kenntnisstand verwerten zu können. Hierdurch sollten die Erkenntnisse von Bundeskriminalamt, der Bundespolizei, den Landeskriminalämtern, den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, dem Militärischen Abschirmdienst, dem Bundesnachrichtendienst und dem Zollkriminalamt im Sinne einer Verknüpfung nutzbar gemacht werden. Durch Datenabrufe aus der Antiterrordatei mit dort eingepflegten Daten sollte der Datenaustausch optimiert werden (BT-Drucksache 16/2950, Seiten 1 und 12).

Erweiterte projektbezogene Datennutzung, § 6a ATDG

Nachdem das BVerfG bereits am 24.04.2013 (Az. 1 BvR 1215/07) die Regelungen des ATDG grundsätzlich als mit der Verfassung in Einklang zu bringen befand, wurden sie zum 01.01.2015 durch das Gesetz vom 18.12.2014 (BGBl. I S. 2318) § 6a ATDG in das Gesetz eingefügt. Damit sollte auch künftig eine sogenannte erweiterte projektbezogene Datennutzung möglich sein.


Der Gesetzgeber wollte mit § 6a ATDG Möglichkeiten zur erweiterten Datennutzung für Zwecke der Aufklärung internationaler terroristischer Bestrebungen sowie zur Verfolgung oder Verhütung entsprechender terroristischer Straftaten schaffen. Hierbei sah er im Lichte der Entscheidung des BVerfG vom 24.04.2013 es als zulässig an, Inverssuchen den beteiligten Behörden zu ermöglichen. Innerhalb von § 6a Abs. 2 Satz 1 ATDG wurde als Voraussetzung hierfür festgelegt, dass dies möglich ist, „soweit dies im Rahmen eines bestimmten einzelfallbezogenen Projekts für die Verfolgung qualifizierter Straftaten des internationalen Terrorismus im Einzelfall erforderlich ist, um weitere Zusammenhänge des Einzelfalls aufzuklären.“ Nach der Gesetzesbegründung sollte ein Einzelfallprojekt zur Sammlung und Auswertung nur dann möglich erscheinen, wenn zu einer internationalen terroristischen Bestrebung Tatsachen bekannt sind, welche die Annahme rechtfertigen, dass bestimmte Straftaten des internationalen Terrorismus begangen werden sollen und hierdurch bestimmte Gefahren drohen (BT-Drucksache 18/1565, Seite 19).

Das avisierte Vorgehen nach dieser Vorschrift fand mit dem Stichwort des sogenannten Data-Minings seine Betitelung.

BVerfG: § 6a Abs. 2 Satz 1 ATDG mit der Verfassung unvereinbar – keine hinreichend konkretisierte Gefahr

Mit dem Beschluss des BVerfG vom 10.11.2020 wurde festgestellt, dass § 6a Abs. 2 Satz 1 ATDG nicht mit der Verfassung vereinbar ist. Als zentrales Argument hob das Gericht hervor, dass jedenfalls angesichts der Eingriffsintensität eine wenigstens hinreichend konkretisierte Gefahr vorliegen müsse, um entsprechende Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen.

Die Leitsätze der BVerfG-Entscheidung

„1. Regelungen, die den Datenaustausch zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten ermöglichen, müssen den besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen der hypothetischen Datenneuerhebung genügen („informationelles Trennungsprinzip“).

2. Das Eingriffsgewicht der gemeinsamen Nutzung einer Verbunddatei der Polizeibehörden und Nachrichtendienste ist bei der „erweiterten Nutzung“ (Data-mining) weiter erhöht.

3. Die erweiterte Nutzung einer Verbunddatei der Polizeibehörden und Nachrichtendienste muss dem Schutz von besonders gewichtigen Rechtsgütern dienen und auf der Grundlage präzise bestimmter und normenklarer Regelungen an hinreichende Eingriffsschwellen gebunden sein.

  • a. Für die erweiterte Nutzung zur Informationsauswertung muss diese zur Aufklärung einer bestimmten, nachrichtendienstlich beobachtungsbedürftigen Aktion oder Gruppierung im Einzelfall geboten sein; damit wird ein wenigstens der Art nach konkretisiertes und absehbares Geschehen vorausgesetzt.
  • b. Für die erweiterte Nutzung zur Gefahrenabwehr muss eine wenigstens hinreichend konkretisierte Gefahr gegeben sein.
  • c. Für die erweiterte Nutzung zur Verfolgung einer Straftat muss ein durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht vorliegen, für den konkrete und verdichtete Umstände als Tatsachenbasis vorhanden sind.“

Die Entscheidung des BVerfG vom 10.11.2020, Az.: 1 BvR 3214/15, im Einzelnen

Das BVerfG hat auf die Verfassungsbeschwerde diese insoweit teilweise für begründet erachtet, als die erweiterte projektbezogene Datennutzung nach § 6a ATDG in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG eingreift. Zwar sei die Regelung formell verfassungsgemäß, aber ihre Ausgestaltung in § 6a Abs. 2 S. 1 ATDG sei unverhältnismäßig (Rn. 70).

Im Einzelnen hielt das BVerfG hierzu Folgendes fest: § 6a Abs. 2 Satz 1 ATDG genügt im Hinblick auf seine Angemessenheit nicht den verfassungsgerichtlichen Anforderungen (Rn. 94). Bei der Nutzung existierender Datenbestände durch eine Stelle, die die Daten nicht selbst erhoben hat, ist die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne nach den Kriterien der hypothetischen Datenneuerhebung zu bestimmen (Rn. 97). Aufgrund des ausgestalteten informationellen Trennungsprinzips mit einhergehenden unterschiedlichen Aufgabenzuschreibungen gelten gesteigerte verfassungsrechtliche Anforderungen für Vorschriften, welche die Nutzung nachrichtendienstlicher Informationen durch Polizei- und Sicherheitsbehörden ermöglichen (Rn. 101 ff.). Durch das Data-mining wird das Eingriffsgewicht mit der Nutzung sowohl durch Polizei- und Sicherheitsbehörden als auch durch Nachrichtendienste mit entsprechender Belastungswirkung erhöht (Rn. 109). Um auf entsprechende Daten zurückgreifen zu können, sind die Anforderungen des § 152 Abs. 2 StPO nicht hinreichend, welcher für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens allein zureichende tatsächliche Anhaltspunkte erfordert. Vielmehr hat der Gesetzgeber als Eingriffsschwelle festzulegen, dass bestimmte, den Verdacht begründende Tatsachen vorliegen müssen. Insoweit sind konkrete und in gewissem Umfang verdichtete Umstände als Tatsachenbasis für den Verdacht notwendig (Rn. 120).

Folgen der Entscheidung – keine praktischen Auswirkungen

Aufgrund der Entscheidung des BVerfG folgt für § 6a Abs. 2 Satz 1 ATDG dessen Nichtigkeit.

Praktische Auswirkungen folgen hieraus gleichwohl nicht. Aufgrund fehlender technischer Parameter konnte die Regelung des § 6a Abs. 2 Satz 1 ATDG in der Praxis ohnehin noch nicht umgesetzt werden, vgl. etwa die Stellungnahme des BfDI sowie BT-Drucksache 19/26367, Seite 2.

Die Bundesregierung kann in Folge der Entscheidung bei Bedarf die für nichtig erachtete Regelung mit entsprechend erhöhte Eingriffsschwelle nachschärfen und nach Softwarebereitstellung auch in die Praxis umsetzen.

 

Dr. Matthias Goers

Vorsitzender Richter am Landgericht, Hof
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