13.06.2022

Befristete Übernahme der Kosten für ein Pensionszimmer

Hessisches LSG, Beschl. v. 24.01.2022 – L 4 SO 262/21 B ER

Befristete Übernahme der Kosten für ein Pensionszimmer

Hessisches LSG, Beschl. v. 24.01.2022 – L 4 SO 262/21 B ER

Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Baden-Württemberg« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Baden-Württemberg« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hatte sich mit der Frage zu befassen, inwieweit die Übergangsregelung aus Anlass der COVID-19-Pandemie des § 141 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) einer Leistungsempfängerin zugutekommt, die vorübergehend zur Vermeidung von Obdachlosigkeit ein Pensionszimmer angemietet hat.

Corona-Gesetzgebung führt zu vereinfachtem Zugang zu Sozialhilfeleistungen

Die Vorschrift des § 141 SGB XII wurde durch das Sozialschutz-Paket eingeführt. Ihr Geltungszeitraum wurde wiederholt verlängert. Für alle nach dem 01.03.2020 beginnenden Bewilligungszeiträume gelten nach § 141 Abs. 3 SGB XII die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die Dauer von sechs Monaten als angemessen und sind daher in voller Höhe als Bedarf zu berücksichtigen.

Dies gilt ohne jegliche Begrenzung und erfasst auch sehr hohe Unterkunftskosten einschl. Luxusimmobilien. Die Regelung entspricht inhaltlich weitgehend § 67 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).


Leistungsberechtigte hatte ein Pensionszimmer vorübergehend und unbefristet angemietet

Die Leistungsberechtigte hat mit Mietvertrag vom 01.07.2020 ein möbliertes Pensionszimmer bei einem Hostel angemietet. In § 1 des Mietvertrags ist geregelt, dass ein voll eingerichtetes Zimmer nebst Badezimmer/Toilette vermietet wird nebst Möglichkeit der Mitnutzung einer Gemeinschaftsküche, eines Waschmaschinenraums und eines Gemeinschaft-Aufenthaltsraums. In § 2 wird ausgeführt, dass der Mietvertrag zum vorübergehenden Gebrauch abgeschlossen wurde, da die Frau derzeit ohne Wohnung sei und eine Zwischenlösung bis zum Finden einer neuen Wohnung benötige. Die Miete betrage 21 € pro Tag. In § 5 ist ein regelmäßiger Bettwäsche- und Handtuchwechsel vereinbart.

Kosten für das Zimmer wurden zunächst vom Sozialhilfeträger voll übernommen

Der Sozialhilfeträger hat zunächst in der Zeit von Juli 2020 bis Mai 2021 die vollen Unterkunftskosten i. H. v. insgesamt 630 € monatlich übernommen. Mit Schreiben vom 17.11.2020 wies das Sozialamt die Frau darauf hin, dass die von ihr zu entrichtende Miete die angemessene Höchstmiete übersteige. Sie werde daher aufgefordert, sich umgehend intensiv und kontinuierlich um eine Kostensenkung zu bemühen. Ohne Vorliegen eines besonderen Grundes würden die Unterkunftskosten ab dem 01.06.2021 nur noch in angemessener Höhe von 540 € anerkannt werden. In der Folge wurden die im Rahmen der Sozialhilfe übernommenen monatlichen Unterkunftskosten entsprechend ab 01.06.2020 um 90 € jauf 540 € gesenkt.

LSG bestätigte die Kürzung der Unterkunftskosten

Die Frau wandte sich am 20.09.2021 an das Sozialgericht und beantragte, den Sozialhilfeträger im einstweiligen Rechtsschutz vorläufig zu verpflichten, die vollständigen Unterkunftskosten bis auf Weiteres zu gewähren.

Der Antrag hatte keinen Erfolg. Das LSG als Beschwerdegericht ging davon aus, dass der Sozialhilfeträger die angemessenen Unterkunftskosten mit 540 € nachvollziehbar berechnet hat. Nach seinem vorhandenen schlüssigen Konzept betragen diese für den Vergleichsraum für einen Einpersonenhaushalt in einer Wohnung 420 € (sog. Kaltmiete) nebst 90 € Betriebskosten. Für Pensionen wurde ein Betrag von 540 € als angemessen ermittelt. Die Frau wurde auch ordnungsgemäß auf die unangemessen hohen Unterkunftskosten hingewiesen und zur Kostensenkung aufgefordert. Es ist weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich, dass die Frau daraufhin Aktivitäten zur Reduzierung der Unterkunftskosten entfaltet hätte.

Die Übergangsregelung gilt nur für „Wohnungen“

Die Frau kann sich auch nicht auf die Übergangsregelung des § 141 Abs. 3 SGB XII berufen. Denn sie bewohnt keine Wohnung i. S. dieser Bestimmung, sondern ein Pensionszimmer und damit lediglich eine sonstige Unterkunft, für die diese Sonderregelung nicht gilt. Nach der gesetzlichen Regelung gelten die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung abweichend vom „Normalfall“ für die Dauer von 6 Monaten als angemessen. Danach ist § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII so anzuwenden, dass der Zeitraum nach Satz 1 nicht auf die in § 35 Abs. 2 Satz 2 genannte Frist anzurechnen ist. Nach den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 19/18107, Seite 28) regelt § 141 Abs. 3 SGB XII die Anerkennung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung bzgl. der Bewilligungszeiträume ab 01.03.2020. Dabei entfällt für Wohnungen die Prüfung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die Dauer von 6 Monaten.

Sonstige Unterkünfte sind von der Privilegierung ausgeschlossen

Die von den Auswirkungen der Pandemie Betroffenen sollen sich in dieser Zeit keine Sorgen um den Erhalt ihrer Wohnungen machen müssen. Während dieser 6 Monate erfolgen keine neuen Kostensenkungsaufforderungen. Der Gesetzgeber hat aber in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich an dem Wohnungsbegriff des § 42 a Abs. 2 Satz 2 SGB XII angeknüpft und die weiteren Unterkünfte ausgeschlossen.

Für diese „weiteren Unterkünfte“ soll die Regelung nicht gelten. Nach dem Wortlaut wird nur die Angemessenheit der Aufwendungen i. S. v. § 35 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB XII fiktiv i. H. d. tatsächlichen Aufwendungen bestimmt, während bei den „sonstigen Unterkünften“ eine besondere Obergrenze gilt. Bedenken hinsichtlich eines Gleichheitsverstoßes bestehen nicht, da „sonstige Unterkünfte“ anders als Wohnungen nur einer kurzfristigen Unterbringung dienen, sodass eine Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist.

Gesamtumstände sprachen gegen Einstufung als Wohnung

Die Leistungsberechtigte bewohnt lediglich eine „sonstige Unterkunft“ i. S. d. § 42 a Abs. 7 SGB XII. Nach der gesetzlichen Definition ist eine Wohnung die Zusammenfassung mehrerer Räume, die von anderen Wohnungen oder Wohnräumen baulich getrennt sind und die in ihrer Gesamtheit alle für die Führung eines Haushalts notwendigen Einrichtungen, Ausstattungen und Räumlichkeiten umfasst. Bei dem hier fraglichen Pensionszimmer handelt es sich dagegen nur um eine sonstige Unterkunft. So wird die Miete tagesgenau mit 21 € abgerechnet und im Mietvertrag ist der Bettwäsche- und Handtuchwechsel vereinbart. Dies ist für Hotels und Pensionen üblich, nicht jedoch bei einer Vermietung von Wohnungen. Aus dem Mietvertrag und dem festgelegten begrenzten Zeitraum zur Überwindung einer Notlage der ansonsten wohnungslosen Frau wird deutlich, dass das Pensionszimmer nicht unter den Schutzzweck des § 141 Abs. 3 SGB XII fallen kann.

 

Hessisches LSG, Beschluss vom 24.01.2022 – L 4 SO 262/21 B ER –.

Entnommen aus FstBW 2022 Heft 11, Rn. 166

 

Dr. Martin Kellner

Richter am Sozialgericht Freiburg i. Br.
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