03.08.2023

Bedarfe für Unterkunft und Heizung

Beschluss des Landessozialgerichts

Bedarfe für Unterkunft und Heizung

Beschluss des Landessozialgerichts

„Sonstige Unterkünfte“ dienen, anders als Wohnungen, nur einer kurzfristigen Unterbringung.  | © MQ-Illustrations - stock.adobe.com
„Sonstige Unterkünfte“ dienen, anders als Wohnungen, nur einer kurzfristigen Unterbringung. | © MQ-Illustrations - stock.adobe.com

§ 141 Abs. 3 Satz 1 SGB XII erfasst nur Wohnungen, nicht jedoch „sonstige Unterkünfte“ i. S. v. §§ 35 Abs. 5 Satz 2, 42a Abs. 7 SGB XII, da bei „sonstigen Unterkünften“ nicht die Angemessenheit der Aufwendungen maßgeblich ist, sondern höchstens die durchschnittlichen angemessenen Aufwendungen.

Die Beschwerde richtet sich auf die Gewährung von Leistungen für die Kosten der Unterkunft

Der ledige Antragsteller, ein gelernter Maler und Lackierer, arbeitete zuletzt als Trockenbauer und bezog bis zum 30.9.2017 Arbeitslosengeld II. Ab dem 1.10.2017 erhielt er, ergänzend zu einer Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung, Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom Landkreis F. Bei der erstmaligen Antragstellung legte der Antragsteller einen am 1.3.2007 geschlossenen Mietvertrag über eine Wohnung in A, L-Straße, vor, in dem als Vermieter sein Vater genannt war, und gab an, seine Eltern hätten ihren Wohnsitz in Kroatien, wenn sie aber nach Deutschland kämen, lebten sie mit ihm zusammen in der Wohnung. Diese Wohnung gehört dem Antragsteller und seinen Eltern je zu einem Drittel (E-Mail v. 11.10.2019).

Anlässlich eines beabsichtigten Hausbesuchs am 25.10.2019 erfuhr das Sozialamt von der Mutter des Antragstellers, dass dieser bei seinem Vater in Kroatien lebe. Mit Bescheid v.28.2.2020 entschied der Landkreis F, dass die dem Antragsteller gewährten Leistungen zum 30.9.2019 eingestellt würden; weiterhin lehnte er die Gewährung von Leistungen für die Zeit vom 1.10.2019 bis 30.9.2020 ab. Der Bescheid wurde an die bekannte Anschrift des Antragstellers in Deutschland übersandt; ein Widerspruch wurde seitens des Antragstellers nicht erhoben.


Ab dem 8.3.2021 lebte der Antragsteller in einem möblierten Appartement im Hotel S in M zu einem Preis von zunächst 45,– €, ab dem 7.4.2021 von 50,– € und ab dem 26.4.2021 von 55,– € täglich. Die Antragsgegnerin bewilligte dem Antragsteller mit Bescheid v. 24.3.2021 im Wege einer vorläufigen Entscheidung für die Zeit vom 1.3.2021 bis zum 31.5.2021 Leistungen der Grundsicherung unter Berücksichtigung sozialhilferechtlich angemessener Unterkunftskosten (600,– € monatlich); dagegen erhob der Antragsteller Widerspruch. Am 17.5.2021 rief er das SG an, mit dem Antrag, die Antragsgegnerin zur einstweiligen Übernahme seiner tatsächlichen Wohnkosten zu verpflichten. Das SG lehnte den Antrag ab.

Zum 5.8.2021 zog der Antragsteller in ein Zimmer in einem Flexi-Heim in der B Straße in M; die monatlichen Kosten hierfür betrugen 636,– €. Auf die Beschwerde des Antragstellers änderte der Senat die Entscheidung des SG dahingehend, dass er die Antragsgegnerin zur einstweiligen Gewährung von Leistungen i. H. v. 582,63 € für die Zeit vom 5.8.2021 bis zum 30.9.2021, unter Berücksichtigung monatlicher Wohnkosten i. H. v. 636,– € – verpflichtete.

Am 11.10.2021 rief der Antragsteller erneut das SG an. Im persönlich abgegebenen Antrag gab er die Adresse „L-Straße, A“ an. Er habe seine letzte Unterkunft aus gesundheitlichen Gründen verlassen müssen und lebe nun „bei Vater im Auto“. Ausweislich der von ihm vorgelegten Atteste benötige er eine „barrierefreie und allergiefreie Unterkunft“. Er legte einen Kostenvoranschlag des Hotel S in M v. 8.10.2021 (monatlich 1 150,– € zuzüglich 10,– € pro Nacht für den Hund) vor.

Die Antragsgegnerin führte aus, der Antragsteller habe seinen Wohnsitz aktuell in A, sodass das Landratsamt F zuständig sei. Sie sei für den Antragsteller, der offenbar derzeit in A lebe, örtlich nicht zuständig. Für die Zuweisung einer barrierefreien Wohnung bzw. die Beantragung einer Sozialwohnung sei der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.

Das SG lehnte den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ab. Gem. § 42a Abs. 1 SGB XII i. V. m. § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII würden Bedarfe für die Unterkunft grundsätzlich i. H. d. tatsächlichen Aufwendungen anerkannt. Überstiegen die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang, seien sie gem. § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII insoweit als Bedarf der leistungsberechtigten Personen anzuerkennen. Dies gelte nach § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII so lange, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten sei, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.

Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft hätten Leistungsberechtigte gem. § 35 Abs. 2 Satz 3 SGB XII den dort zuständigen Träger der Sozialhilfe über die nach § 35 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB XII maßgeblichen Umstände in Kenntnis zu setzen. Seien die Aufwendungen für die neue Unterkunft unangemessen hoch, sei der Träger der Sozialhilfe gem. § 35 Abs. 2 Satz 4 SGB XII nur zur Übernahme angemessener Aufwendungen verpflichtet, es sei denn, er habe den darüber hinausgehenden Aufwendungen vorher zugestimmt. Im vorliegenden Fall sei die Antragsgegnerin nicht zur Abgabe einer solchen Zusicherung verpflichtet, da die Wohnkosten laut Kostenvoranschlag v. 8.10.2021 sozialhilferechtlich offensichtlich unangemessen seien. Etwas anderes folge auch nicht aus § 42a Abs. 7 Satz 3 SGB XII.

Lebe eine leistungsberechtigte Person in einer „sonstigen Unterkunft“ nach § 42a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB XII, so seien gem. § 42a Abs. 7 Satz 1 SGB XII grundsätzlich höchstens die durchschnittlichen angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für die Warmmiete eines Einpersonenhaushaltes im örtlichen Zuständigkeitsbereich des für die Ausführung des Gesetzes nach diesem Kapitel zuständigen Trägers als Bedarf anzuerkennen. Hierzu zählen ein Pensionszimmer, eine Ferienwohnung, ein Notquartier oder eine Gemeinschaftsunterkunft. Höhere als diese Aufwendungen könnten im Einzelfall als Bedarf anerkannt werden, wenn eine leistungsberechtigte Person voraussichtlich innerhalb von sechs Monaten ab der erstmaligen Anerkennung von Bedarfen nach § 42a Abs. 7 Satz 1 SGB XII in einer angemessenen Wohnung untergebracht werden könne oder, sofern dies als nicht möglich erscheine, voraussichtlich auch keine hinsichtlich Ausstattung und Größe sowie Höhe der Aufwendungen angemessene Unterbringung in einer sonstigen Unterkunft verfügbar sei oder die Aufwendungen zusätzliche haushaltsbezogene Aufwendungen beinhalten würden, die ansonsten über die Regelbedarfe abzudecken wären.

Ein solcher Fall liege hier nicht vor, weil es dem Antragsteller über zwei Jahre hinweg nicht gelungen sei, eine für ihn passende kostenangemessene Unterkunft zu finden. Der Antragsteller habe überdies nicht glaubhaft gemacht, dass dieser Umstand entscheidend auf seine gesundheitlichen Einschränkungen zurückzuführen sei. Weshalb der Antragsteller, der nach der Aktenlage in seiner Mobilität nicht eingeschränkt sei, auf eine „barrierefreie“ Wohnung angewiesen sein solle, sei aufgrund der vorgelegten Atteste nicht zu erkennen. Im Übrigen sei der Antragsteller als Miteigentümer der Eigentumswohnung in A grundsätzlich zur Nutzung dieser Wohnung berechtigt, erst recht im Falle der ansonsten drohenden Wohnungslosigkeit. Auch der Hilfsantrag habe keinen Erfolg. Denn es gehöre nicht zu den Aufgaben des Sozialhilfeträgers, (potenziell) leistungsberechtigten Personen eine Wohnung zu verschaffen. Der Antragsteller könne hierbei ggf. durch die bei der Antragsgegnerin eingerichtete Fachstelle zur Vermeidung von Obdachlosigkeit Unterstützung erhalten. Seinen Regelbedarf (§ 42 Nr. 1 SGB XII) könne der Antragsteller mit seiner Erwerbsminderungsrente i. H. v. 521,37 € (St. Mai 2021) decken.

Hiergegen legte der Antragsteller Beschwerde ein.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Beklagte

Im Beschwerdeverfahren trifft das Beschwerdegericht unter erneuter summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage eine neue Entscheidung, ohne auf die Überprüfung der Ausgangsentscheidung beschränkt zu sein (jurisPK-SGG, § 176 Rn. 11). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der Regelungsanordnung wie bei der Anfechtungs- und Leistungsklage der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. § 86b Rn. 42).

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer sogenannten Regelungsanordnung ist, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG, § 920 Abs. 1 und 2 ZPO). Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf den materiell-rechtlichen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, also auf ein subjektives öffentliches Recht des Antragstellers. Er entspricht dem Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens. Der Anordnungsgrund bezieht sich auf die Eilbedürftigkeit; er liegt bei einer Regelungsanordnung vor, wenn die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist. Der Antragsteller muss also darlegen, welche Nachteile zu erwarten sind, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen wird. Er muss auch plausibel vortragen, dass er keine anderen zumutbaren Möglichkeiten hat, die Nachteile einstweilen zu vermeiden oder zu kompensieren.

Die dem Anordnungsanspruch und dem Anordnungsgrund zugrundeliegenden Tatsachen müssen glaubhaft gemacht werden, wobei als Beweismittel auch eine eidesstattliche Versicherung möglich ist (§ 294 Abs. 1 ZPO). Hinsichtlich des Beweismaßes genügt also überwiegende Wahrscheinlichkeit, verbleibende Zweifel sind unschädlich (jurisPK-SGG, § 86b Rn. 415).

Der Senat hält einen Anordnungsanspruch des Antragstellers auf die beantragten Kosten der Unterkunft bzw. eine Zustimmung (§§ 42 Abs. 1, 35 Abs. 2 SGB XII) wie das SG nicht für überwiegend wahrscheinlich im Sinne einer Glaubhaftmachung und verweist zur weiteren Begründung auf den Beschluss des SG (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Ergänzend weist er darauf hin, dass § 141 Abs. 3 Satz 1 SGB XII i. d. aktuellen F. v. 22.11.2021 wie auch i. d. gleichlautenden F. vom 25.6.2021 nicht zu einem anderen Ergebnis führt. Diese Sondervorschrift erfasst nur Wohnungen, nicht jedoch „sonstige Unterkünfte“ i. S. d. §§ 35 Abs. 5 Satz 2, 42a Abs. 7 SGB XII (siehe die Gesetzesbegründung BTDrs. 19/18107, S. 28), da nach dem Wortlaut nur die Angemessenheit der Aufwendungen im Sinne von § 35 Abs. 2 Satz 1und 2 SGB XII fiktiv („gelten als“) i. H. d. tatsächlichen Aufwendungen bestimmt wird, während bei den „sonstigen Unterkünften“ eine besondere Obergrenze gilt, die regelmäßig unter der üblichen Angemessenheitsgrenze nach § 35 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB XII liegt, weil höchstens die durchschnittlichen angemessenen Aufwendungen berücksichtigt werden (vgl. LPK-SGB XII, § 42a Rn. 25). Bedenken hinsichtlich eines Gleichheitsverstoßes sieht der Senat nicht, da „sonstige Unterkünfte“ anders als Wohnungen nur einer kurzfristigen Unterbringung dienen, sodass eine Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist.

Entnommen aus der FEVS 2022/12 S. 558.

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