04.09.2023

Ausgangsbeschränkungen während der Coronapandemie

Urteil des Verwaltungsgerichts Köln

Ausgangsbeschränkungen während der Coronapandemie

Urteil des Verwaltungsgerichts Köln

Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV

Im Nachgang der Coronapandemie erhebt ein Kölner Kläger Vorwürfe auf Rechtswidrigkeit gegen die von der Stadt erlassenen nächtlichen Ausgangsbeschränkungen. Das Verwaltungsgericht Köln beurteilte die Allgemeinverfügung der Stadt Köln im Gefolge der Coronapandemie vom 02.10.2020 einschließlich deren Änderung vom 16.04.2021 als rechtmäßig.

Infektionsschutzgesetz (IfSG) – § 28, 28a

Leitsatz

Die Allgemeinverfügung der Stadt Köln im Gefolge der Coronapandemie vom 02.10.2020 einschließlich deren Änderung vom 16.04.2021 war rechtmäßig (nicht amtlicher Leitsatz).


Verwaltungsgericht Köln (Urt. v. 29.11.2022 – 7 K 2143/21 – Verlags-Archiv Nr. 2023-07-07)

Sachverhalt

Der Kläger lebt in Köln-O. Er begehrt die nachträgliche Feststellung, dass die in einer Allgemeinverfügung der Beklagten im Gefolge der Coronapandemie getroffene Anordnung einer nächtlichen Ausgangsbeschränkung rechtswidrig gewesen ist.

Seit dem 15.03.2021 überstieg die 7-Tages-Inzidenz in der Stadt Köln den Wert von 100, seit dem 26.03. den Wert von 130. Am 16.04.2021 lag die 7-Tages-Inzidenz in der Stadt Köln bei einem Wert von 162,7. Die Beklagte erließ am 16.04.2021 die streitgegenständliche Änderung der Allgemeinverfügung vom 02.10.2020.

§ 1 der Allgemeinverfügung enthielt daraufhin die folgende Regelung:

Nr. 1a Ausgangsbeschränkung

In der Zeit von 21 Uhr bis 5 Uhr des Folgetags gilt eine Ausgangsbeschränkung. Der Aufenthalt außerhalb der Wohnung oder sonstigen Unterkunft und dem jeweils dazugehörigen befriedeten Besitztum ist in dieser Zeit bei Vorliegen folgender triftiger Gründe gestattet:

  1. Abwendung einer konkreten Gefahr für Leib, Leben und Eigentum,
  2. Ausübung beruflicher und dienstlicher Tätigkeiten, einschließlich der unaufschiebbaren beruflichen, dienstlichen oder akademischen Ausbildung sowie der Teilnahme ehrenamtlich tätiger Personen an Übungen und Einsätzen von Feuerwehr, Katastrophenschutz und Rettungsdienst, jeweils die An- und Abreise auf direktem Weg zu diesen Tätigkeiten eingeschlossen,
  3. Inanspruchnahme medizinischer, pflegerischer, therapeutischer und veterinärmedizinischer Leistungen,
  4. Begleitung und Betreuung von unterstützungsbedürftigen Personen und Minderjährigen, insbesondere die Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts im jeweiligen privaten Bereich,
  5. Begleitung und Betreuung von sterbenden Personen und von Personen in akut lebensbedrohlichen Zuständen,
  6. unaufschiebbare Handlungen zur Versorgung von Tieren sowie Maßnahmen der Tierseuchenprävention und zur Vermeidung von Wildschäden,
  7. sonstige vergleichbar gewichtige und unabweisbare Gründe.

Ziffer III. der Änderung der Allgemeinverfügung ist zu entnehmen, dass diese am Tage nach der öffentlichen Bekanntmachung in und unter Änderung des § 2 mit Ablauf des 03.05.2021 außer Kraft trete.

Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Anordnung der Ausgangsbeschränkung zulässig sei, da auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erheblich gefährdet sei.

Am 03.05.2021 verlängerte die Beklagte die Geltungsdauer der in der Allgemeinverfügung geregelten Ausgangsbeschränkung bis zum Ablauf des 17.05.2022.

Der Begründung ist zu entnehmen, dass die Voraussetzungen für eine Verschärfung der CoronaSchVO nach § 16 Abs. 2 vorlägen, da der Inzidenzwert in Köln nachhaltig und signifikant über 100 liege (03.05.2021: 188,8). Zudem habe sich nichts an der angespannten medizinischen Versorgungslage geändert. Auch die Ausgangsbeschränkung durch die sogenannte Bundesnotbremse mache die städtische Regelung nicht entbehrlich. Man halte eine ab 22.00 Uhr geltende Ausgangsbeschränkung für deutlich weniger effektiv, da sie erheblich weniger Kontakte unterbinde.

Mit Ablauf des 17.05.2022 trat die in § 1 Nr. 1a der Allgemeinverfügung geregelte Ausgangsbeschränkung außer Kraft. Der Begründung der Beklagten war zu entnehmen, dass sich aufgrund der gesunkenen 7-Tages-Inzidenzen (Stand 17.05.2022: 105,3) die gegenüber der Bundesnotbremse verschärfte Ausgangsbeschränkung als nicht erforderlich, jedenfalls nicht mehr als verhältnismäßig darstelle.

Der Kläger hat bereits am 18.04.2021 Klage gegen die in § 1 Nr. 1a der Allgemeinverfügung geregelte Ausgangsbeschränkung erhoben. Seinen Antrag, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Änderung der Allgemeinverfügung vom 16.04.2021 bezüglich des § 1 Nr. 1a anzuordnen, hat die Kammer abgelehnt.

Zur Begründung seiner Klage trägt er vor, dass die Ausgangsbeschränkungen vor dem Hintergrund divergierender Inzidenzen in den verschiedenen Stadtteilen Kölns auf einzelne Stadtteile zu begrenzen seien. Die Inzidenzzahlen seien insbesondere in den sozial schwierigen Hotspots deutlich angestiegen. Die Maßnahme verstoße insbesondere gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Aus den Gründen

Ausgangsbeschränkung ist schwerwiegender Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Handlungsfreiheit

Die Ausgangsbeschränkung war lediglich für einen kurzen Zeitraum angelegt. Die am 16.04.2021 geänderte Allgemeinverfügung war zunächst bis zum Ablauf des 02.05.2021 gültig und wurde am 03.05.2021 einmalig bis Ablauf des 17.05.2021 verlängert. Die streitgegenständliche Ausgangsbeschränkung stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die von Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Handlungsfreiheit des Klägers dar. Die Klage ist allerdings unbegründet. Die Änderung der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 16.04.2021 zur regionalen Anpassung der Coronaschutzverordnung NRW an das Infektionsschutzgeschehen in der Stadt Köln vom 02.10.2020 war hinsichtlich der in § 1 Nr. 1a geregelten Ausgangsbeschränkung rechtmäßig und hat den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.

Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung der Ausgangsbeschränkung war § 28 Abs. 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in der Fassung vom 18.11.2020 i. V. m. §§ 28a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG in der Fassung vom 29.03.2021.

Die Beklagte verfolgte mit der angeordneten Ausgangsbeschränkung legitime Zwecke. Ziele waren die Verhinderung der weiteren Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 und vor allem die Eindämmung seiner Verbreitungsgeschwindigkeit zum Schutz der Bevölkerung vor von einem massenhaften Infektionsgeschehen ausgehenden Gefahren, insbesondere zur Verhinderung einer Überlastung des Gesundheitswesens.

Maßnahme war Mittel zur Zielerreichung

Entgegen der klägerischen Auffassung war das angeordnete Mittel – aus der allein maßgeblichen Ex-ante-Perspektive – zur Erreichung dieser Ziele auch geeignet. Denn der Begründung der Beklagten ist zu entnehmen, dass die Maßnahme nicht auf die Kontaktreduzierung im Freien, sondern vielmehr auf die Beschränkung der abendlichen privaten Kontakte in Innenräumen gerichtet war. Angestrebt war danach eine weitere Reduzierung privater Kontakte. Es sollte verhindert werden, dass abends und nachts Häuser und Wohnungen verlassen werden, um andere Häuser und Wohnungen aufzusuchen und dort soziale Kontakte zu pflegen. Die Beklagte hat nachvollziehbar unter der Berücksichtigung ihr vorliegender Mobilitätsdaten ausgeführt, dass die Ausgangsbeschränkung in dem gewählten Zeitraum zu einer Einschränkung der Kontakte um etwa 10 %, bezogen auf den gesamten Tag, führte. Die Ausgangsbeschränkung zwang betroffene Personen auch nicht zum Verweilen in fremden Haushalten, sodass ihre Anordnung hinsichtlich der Verhinderung einer weiteren Verbreitung des Virus auch nicht ungeeignet war. Denn der Regelung war unmissverständlich zu entnehmen, dass sich Betroffene bereits um 21.00 Uhr in ihrer eigenen Wohnung oder ihrem eigenen Haus aufhalten sollten. Die Argumentation des Klägers, dass die Ausgangsbeschränkung insoweit das Infektionsrisiko nicht verringere, sondern erhöhe, überzeugt danach nicht.

Die streitgegenständliche Ausgangsbeschränkung war erforderlich

Erforderlich ist ein Eingriff in grundrechtliche Schutzgüter grundsätzlich, wenn kein anderes, für die Zielerreichung gleich wirksames, aber das Schutzgut nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte eingesetzt werden können. Insbesondere waren mit Blick auf die Effektivität der Gefahrenabwehr auf einzelne Stadtteile begrenzte Ausgangsbeschränkungen nicht in gleicher Weise geeignet wie eine stadtweit geltende Beschränkung. Die Kammer hält an ihrer Auffassung fest, dass solche Ausgangsbeschränkungen vor dem Hintergrund fließend ineinander übergehender Stadtviertelgrenzen nicht praktikabel waren.

Der Effektivität der Gefahrenabwehr liegt zudem der Gedanke zugrunde, dass Maßnahmen freiwillig befolgt und auch akzeptiert werden. Es bestehen erhebliche Zweifel daran, dass eine auf einzelne Stadtviertel beschränkte Ausgangsbeschränkung diese Akzeptanz gefunden hätte. Die Anordnung der Ausgangsbeschränkung war auch unter Berücksichtigung der besonderen Vorgaben des § 28a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG erforderlich. Danach ist die Anordnung einer Ausgangsbeschränkung nur dann zulässig, wenn auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung der Coronavirus- Krankheit-2019 erheblich gefährdet wäre.

Gefährdung der Pandemieeindämmung unter Berücksichtigung laufender Schutzmaßnahmen

Normativer Bezugspunkt von Ausgangsbeschränkungen ist allein die erhebliche Gefährdung der Pandemieeindämmung unter Berücksichtigung der bisherigen Schutzmaßnahmen. Zu Ausgangsbeschränkungen darf es danach kommen, wenn sich das Infektionsgeschehen trotz bisheriger Maßnahmen erheblich verschärft. Die Anordnung der Ausgangsbeschränkung genügte diesen strengen Anforderungen an die Erforderlichkeit (wird ausgeführt). Die angeordnete Ausgangsbeschränkung war zudem angemessen. Angemessen ist eine Freiheitseinschränkung nur dann, wenn das Maß der Belastung des Einzelnen noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen steht. Um dies feststellen zu können, ist eine Abwägung zwischen den Gemeinwohlbelangen, deren Wahrnehmung der Eingriff in Grundrechte dient, und den Auswirkungen auf die Rechtsgüter der davon Betroffenen notwendig.

Hierbei müssen die Interessen des Gemeinwohls umso gewichtiger sein, je empfindlicher der Einzelne in seiner Freiheit beeinträchtigt wird. Andererseits wird der Gemeinschaftsschutz umso dringlicher je größer die Nachteile und Gefahren sind, die aus gänzlich freier Grundrechtsausübung erwachsen können.

Schutz von Leben und Gesundheit

Die durch die Ausgangsbeschränkung beschränkte allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG trat hinter dem Schutz von Leben und Gesundheit zurück.

Zwar wird die allgemeine Handlungsfreiheit in einem umfassenden Sinne gewährleistet. Dieser Schutz besteht danach auch hinsichtlich des Rechts, abends und nachts das Haus zu verlassen, um zu joggen oder spazieren zu gehen, andere zu besuchen oder jeder anderen denkbaren legalen Tätigkeit nachzugehen. Dieser Schutz steht jedoch unter dem Vorbehalt der verfassungsrechtlichen Ordnung, der mit Blick auf die von der Ausgangsbeschränkungen verfolgten legitimen Ziele dem Lebensschutz dienen, der sich grundrechtlich in Art. 2 Abs. 2 GG widerspiegelt.

Im Rahmen der Abwägung war zu berücksichtigen, dass die Ausgangbeschränkung für den Zeitraum von 21.00 Uhr bis 05.00 Uhr etwa 10 %, mithin einen verhältnismäßig geringen Anteil der Gesamtmobilität der Bevölkerung, betraf.

Schließlich waren die erstmalige Anordnung und auch die spätere Verlängerung der Maßnahme auf einen Geltungszeitraum von jeweils knapp zwei Wochen befristet.

Auch im Fall der streitgegenständlichen Ausgangsbeschränkung ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte durch die Regelung der Ausnahmetatbestände in § 1 Nr. 1a Satz 2 der Allgemeinverfügung die entgegenstehenden Belange berücksichtigt hat. Dieser Katalog war mit Blick auf § 1 Nr. 1a Satz 2g zudem auch nicht abschließend geregelt, sodass die Intensität der Grundrechtseingriffe gemildert war.

 

Entnommen aus dem Neuen Polizeiarchiv 7/2023, Lz. 700.

 

Norbert Klapper

Kriminalhauptkommissar a. D., Steinfurt/W.
n/a