03.07.2023

Anordnung einer Tempo-30-Zone

Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein

Anordnung einer Tempo-30-Zone

Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein

Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV

Eine Tempo-30-Zone kann durch die Straßenverkehrsbehörde nur im Einvernehmen mit der Gemeinde angeordnet werden. Einvernehmen bedeutet, dass die Gemeinde der Maßnahme förmlich zustimmen muss. § 45 Abs. 1c Satz 1 StVO enthält zum Schutz der Gemeinde als Selbstverwaltungskörperschaft ein Vetorecht mit Abwehr- und Sperrwirkung gegenüber bestimmten, ihr nicht erwünschten Anordnungen der (staatlichen) Straßenverkehrsbehörde.

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Anordnung einer Tempo-30-Zone. Der Kläger ist Anlieger dieser Straße, in der die zulässige Höchstgeschwindigkeit 50 Stundenkilometer beträgt. Mit Bescheid lehnte der Beklagte die Anordnung einer Tempo-30-Zone ab. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde abgelehnt. Der Klage blieb der Erfolg versagt.

StVO – § 45 Abs. 1c Satz 1


Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein (Urt. v. 18.10.2022 – 3 A 228/20 – Verlags-Archiv Nr. 2023-03-10)

Aus den Gründen

Die Ablehnung der Anordnung einer Tempo-30-Zone durch den Beklagten ist rechtmäßig und der Kläger deshalb nicht in seinen Rechten verletzt (…). Der Kläger hat keinen Anspruch auf diese Anordnung. Nach § 45 Abs. 1c StVO ordnen die Straßenverkehrsbehörden innerhalb geschlossener Ortschaften, insbesondere in Wohngebieten und Gebieten mit hoher Fußgänger- und Fahrradverkehrsdichte sowie hohem Querungsbedarf, Tempo-30-Zonen im Einvernehmen mit der Gemeinde an.

Hier liegen bereits die Tatbestandsvoraussetzungen für die Anordnung einer Tempo-30-Zone nicht vor, sodass es auf die Rechtmäßigkeit einer etwaigen Ermessensausübung (…) des Beklagten nicht ankommt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich bei der Straße um ein Wohngebiet im Sinne der Vorschrift handelt. Ebenso kann dahinstehen, ob die Anordnung einer Tempo-30-Zone für eine einzelne Straße überhaupt möglich ist, wogegen die Bezeichnung als „Zone“ und die Anordnung für „Gebiete“ spricht (…).

Eine Tempo-30-Zone kann durch die Straßenverkehrsbehörde nur im Einvernehmen mit der Gemeinde angeordnet werden, d. h. dass die Gemeinde der Maßnahme förmlich zustimmen muss. Insofern verhält es sich hier ebenso wie im Falle des notwendigen gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 BauGB. Dort verhindert die Versagung der Zustimmung der Gemeinde die Erteilung einer Baugenehmigung. § 45 Abs. 1c Satz 1 StVO enthält zum Schutz der Gemeinde als Selbstverwaltungskörperschaft ein Vetorecht mit Abwehr- und Sperrwirkung gegenüber bestimmten, ihr nicht erwünschten Anordnungen der (staatlichen) Straßenverkehrsbehörde (…).

Gegen eine Übertragung dieser insbesondere zu § 45 Abs. 1b Satz 2 StVO ergangenen Rechtsprechung auf das Einvernehmen bezüglich der Anordnung einer Tempo-30-Zone spricht nicht, wie von der Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vertreten, dass eine solche Anordnung auch dem Schutz der Verkehrsteilnehmer dienen kann. Zum einen enthält § 45 Abs. 1b Satz 2 StVO ebenfalls eine solche drittschützende Komponente („zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm und Abgasen“).

Zum anderen haben Betroffene die Möglichkeit, bei tatsächlich bestehenden Gefahren die Anordnung geeigneter Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen unter Berufung auf § 45 Abs. 9 StVO zu erstreiten. Eine (Rechts-) Schutzlücke besteht deshalb auch dann nicht, wenn die Entscheidung der Gemeinde, ihr Einvernehmen im Rahmen des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO zu verweigern, gerichtlich nicht überprüfbar ist.

Das demnach konstitutive Einvernehmen zwischen Beklagtem und Beigeladener besteht vorliegend nicht. Das hat die Beigeladene mehrfach erklärt. Anders als § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB sieht § 45 Abs. 1c StVO auch keine Möglichkeit vor, ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen durch die Straßenverkehrsbehörde zu ersetzen. Auch andere Möglichkeiten zur Überprüfung der gemeindlichen Entscheidung bestehen nicht (…). Das folgt auch daraus, dass § 45 Abs. 1c StVO – anders als § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB – keine materiellen Vorgaben macht, woran die Gemeinde ihre Entscheidung auszurichten hat.

Angesichts dessen kommt es auf die Frage der Qualität der vom Beklagten durchgeführten Geschwindigkeitsmessungen nicht an. Auch ob sich aus der örtlichen Situation eine Gefährdungslage ergibt, ist angesichts des Fehlens des Einvernehmens für die Frage eines Anspruchs auf Anordnung einer Tempo-30-Zone unerheblich. Selbst wenn trotz des Fehlens gesetzlicher Anhaltspunkte davon auszugehen wäre, dass eine gerichtliche Überprüfung der Verweigerung des Einvernehmens durch die Beigeladene möglich ist (…), wäre vorliegend nicht ersichtlich, woraus sich die Rechtswidrigkeit der Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens durch die Beigeladene ergeben sollte.

Die Beigeladene ist nicht an das Entscheidungsprogramm des § 45 Abs. 1c, Abs. 9 Satz 1 StVO gebunden; dieses richtet sich an die Straßenverkehrsbehörde. Die Entscheidung der Gemeinde richtet sich hingegen nach ihrer Verkehrsplanung (…). Dabei handelt es sich um eine Entscheidung im Rahmen der durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Planungshoheit der Gemeinde (…). Eine Rechtswidrigkeit der Entscheidung wäre deshalb nur dann denkbar, wenn die Gemeinde durch die Verweigerung des Einvernehmens ihre staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.

Eine solche Verletzung kann nur dann festgestellt werden, wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen sind, wenn die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben (…).

Dass davon auch der Kläger nicht ausgeht, zeigt sich bereits daran, dass er stets (und trotz des Eingehens des Beklagten auf die Möglichkeit der Anordnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung) nur die Anordnung einer Tempo-30-Zone beantragt hat, für die wegen § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 4 StVO das in § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO enthaltene Erfordernis einer Gefahrenlage aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung von Rechtsgütern erheblich übersteigt, nicht gilt.

 

Entnommen aus dem Neuen Polizeiarchiv 3/2023, Lz. 928.

 

Dr. Matthias Goers

Vorsitzender Richter am Landgericht, Hof
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