01.06.2022

Anfeindungen und Gewalt gegen Bürgermeister (2)

Das Beispiel Südbaden – Teil 2

Anfeindungen und Gewalt gegen Bürgermeister (2)

Das Beispiel Südbaden – Teil 2

Welchen Bedrohungen sind Bürgermeister ausgesetzt? © Thomas Reimer – stock.adobe.com
Welchen Bedrohungen sind Bürgermeister ausgesetzt? © Thomas Reimer – stock.adobe.com

Anfeindungen und Gewalt gegen Bürgermeister sind in Deutschland mittlerweile an der Tagesordnung. Wer sich in der Gesellschaft politisch engagiert riskiert damit häufig zu einer Zielscheibe des Hasses zu werden. Aufgrund ihres Amtes sind Bürgermeister überdurchschnittlich häufig betroffen (Teil 2).

Werden von den BürgermeisterInnen Soziale Netzwerke genutzt?

Bei der Frage, ob die an der Umfrage teilgenommenen BürgermeisterInnen einen persönlichen Account in den sozialen Netzwerken nutzen, um über das Gemeinwesen und ihre Arbeit zu berichten, ergab sich, dass mehr als die Hälfte (54%) keinen Account nutzen, während immerhin 46% einen benutzen.

Welche Sozialen Netzwerke werden von den BürgermeisterInnen genutzt?

Diejenigen, die einen persönlichen Account besitzen, nutzen alle die Plattform „Facebook“, gefolgt von „Instagram“ mit neun Nutzern (41%) und „Twitter“ mit drei Nutzern (14%). Nur ein Bürgermeister nutzt „YouTube“, um sich und seine Arbeit als Bürgermeister zu repräsentieren.


Haben die Befragten bereits persönliche Anfeindungen erlebt?

Der Umfrage lässt sich entnehmen, dass von den Befragten mit persönlichem Account in den Sozialen Medien bereits 53%, somit mehr als die Hälfte, persönliche Anfeindungen erlebt haben. Doch das Phänomen von Hetze in Form von Beschimpfungen und Beleidigungen ist nicht nur in den Sozialen Medien aufzufinden.

Wurden die BürgermeisterInnen bereits selbst verbal/persönlich im Amt angegriffen?

Ebenfalls die Frage, ob die BürgermeisterInnen bereits selbst verbal im Amt angegriffen worden sind, bejahen 70% der Befragten. Nur 30% verneinen diese Frage. Dies untermauert die schon erwähnte repräsentative Umfrage der Zeitschrift „Kommunal“ mit Unterstützung des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Nach dieser wurden bereits zwei Drittel der deutschen Stadtoberhäupter Opfer von verbalen und körperlichen Attacken. Hier wird auch das Problem thematisiert, „dass die Gewalt das Internet verlässt“.1

Sehen die BürgermeisterInnen die Gefahr, körperliche Übergriffe auf AmtskollegInnen könnten auch sie treffen?

Geteilter Meinung (jeweils 50%) sind die Befragten bei der Äußerung, ob sie die Gefahr sehen, dass körperliche Übergriffe auf Amtskollegen und Amtskolleginnen auch sie treffen könnten.

Im Gegensatz zu verbalen Angriffen hat bisher keiner der Befragten echte körperliche Angriffe im Amt erlebt.

Haben die BürgermeisterInnen selbst schon körperliche Übergriffe im Amt erlebt?

Erfreulicherweise hat keiner der Befragten selbst körperliche Gewalt im Amt erlebt. Im Vergleich dazu geben in einer Umfrage im Auftrag des ARD-Politmagazins vom März 2020, 9% von insgesamt 2494 BürgermeisterInnen an (das sind etwa ein Fünftel der gesamten Rathauschefs in Deutschland), dass sie bereits körperliche Gewalt am eigenen Leib erfahren mussten. Laut Professor Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld ist dieses Ergebnis besorgniserregend, denn die Gewalt verlässt das Internet und rückt näher an die BürgermeisterInnen.

Bei welchen Gelegenheiten wurde verbale/körperliche Gewalt erlebt?

Wie in der untenstehenden Abbildung zu sehen ist, haben etwa nur knapp unter 5 der Befragten die verbale Gewalt zu Hause erlebt, knapp unter zehn der Befragten bei privaten Tätigkeiten. Die meisten gaben an, verbale Gewalt in den Diensträumen zu erleben (knapp unter 20), dicht gefolgt von den öffentlichen Veranstaltungen mit knapp über 15 der Befragten.

Von wem geht die verbale / körperliche Gewalt aus?

 Zunächst soll die Frage geklärt werden, wieso überhaupt Gewalt ausgeübt wird. „Oft sind es vermeintlich banale, alltägliche Entscheidungen, die Bürgermeister und andere Kommunalpolitiker zur Zielscheibe des Zorns ihrer Wähler werden lassen.“ – So der NDR-Fernsehsender über die Gewalt gegenüber den Rathauschefs.In einer Umfrage des Niedersächsischen Städtetags im Jahr 2019 gaben die befragten BürgermeisterInnen an, dass die Frustrationstoleranz der BürgerInnen und EinwohnerInnen geringer geworden ist. Hinzu kommen problematische Einstellungen und Werte, falsche Erwartungen und als unverständlich empfundene Entscheidungen, sowie fehlende Angst vor Konsequenzen der BürgerInnen und EinwohnerInnen. Und dies alles kann Auslöser von Gewalt sein.

Über 20 der befragten BürgermeisterInnen gaben an, Gewalt von BürgerInnen und EinwohnerInnen erlebt zu haben. Mit knapp jeweils unter 5 ging die Gewalt gegenüber den BürgermeisterInnen von Gemeinderat/Stadtrat, sowie von völlig fremden Personen aus. Deutlich weniger der Befragten gaben an, dass die Gewalt gegenüber ihnen durch sonstige Personen ausging und mit dem geringsten Wert von den MitarbeiterInnen der Verwaltung. Auch gaben knapp über 20 der Befragten an, keine Gewalt erlebt zu haben.

Erleben die Familienangehörigen der AmtsinhaberInnen auch Gewalt?

„Bürgermeister der Stadt Kerpen bei Köln, Dieter Spürck (CDU), wird aufgrund von Drohungen gegen seine Familie auf eine erneute Kandidatur verzichten. Er habe in seinem Briefkasten die Nachricht gefunden, dass seine „Kinder es zu spüren“ bekämen, wenn er sich nicht „intensiver für den Hambacher Wald einsetzen“ würde.“3

Anhand dieses Beispiels zeigt sich deutlich, dass die BürgerInnen und EinwohnerInnen auch so weit gehen, dass die ganze Familie des Amtsinhabers bedroht bzw. angefeindet wird. In der vorliegenden Umfrage gab die Mehrheit von 35 der Befragten an, dass ihre Familie aufgrund ihres Amtes noch keine Gewalt erlebt hat. Dies ist ein sehr positiver Befund. Knapp unter 10 der Befragten gaben an, dass ihre Familienmitglieder verbale/persönliche Anfeindungen erleben mussten. Jeweils knapp unter 5 gaben an, dass ihre Familie online angefeindet wurde bzw. Drohungen erhielt.

Kandidieren die bisherigen AmtsinhaberInnen trotz steigender Raten der Übergriffe auf BürgermeisterInnen wieder?

„Mehrere Bürgermeister sind seit Anfang des Jahres wegen Anfeindungen zurückgetreten oder haben angekündigt, sich zur nächsten Wahl zurückzuziehen. Regiert in Städten und Gemeinden jetzt die Angst? Ist die politische Diskussionskultur in Städten und Gemeinden in Gefahr?“4 – so berichtete der Fernsehsender NDR, im März 2020.

Obwohl das Stimmungsbild der BürgermeisterInnen angekratzt ist, gaben in der Umfrage 96% der Befragten an, nochmals für das Bürgermeisteramt zu kandidieren. Lediglich 4% würden aufgrund der steigenden Rate der Übergriffe auf die Rathauschefs nicht mehr kandidieren. Dies zeigt zumindest schon einmal, dass hierzulande die Angst, zumindest bis jetzt, noch nicht regiert.

Fazit und Ausblick

Trotz aller dieser Feststellungen und aller Probleme mit und in den sozialen Netzwerken ist der Verzicht auf diese nach Auffassung des Verfassers keine Lösung für Bürgermeister. Die Bürgermeister erreichen mit Hilfe der sozialen Netzwerke andere Wählerschichten und andere Schichten der Bevölkerung. Sie können ihre Politik und die Politik der Gemeinde mit Hilfe der sozialen Netzwerke besser und an einen größeren Adressatenkreis verbreiten.

Allerdings müssen Bürgermeister im Umgang mit den sozialen Netzwerken ein „dickes Fell“ entwickeln. Der Beruf ist nichts für zartbesaitete Menschen. Das war er eigentlich noch nie, denn Anfeindungen gab es auch in der Vergangenheit schon. Allerdings die Hemmschwelle ist durch die sozialen Medien niedriger geworden. Dennoch ist der Verfasser der Auffassung, dass der Beruf der Bürgermeisterin/des Bürgermeisters der interessanteste und vielseitigste Beruf ist, den die Verwaltung zu bieten hat.

 

 

Lesen Sie mehr zum Thema im aktuellen Leitfaden „Karrierechance Bürgermeisteramt“, Herausgegeben von Prof. Paul Witt, Richard Boorberg Verlag, 2022, 3., neu bearbeitete Auflage, 296 Seiten, 48€.

 

  1. https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/45_min/Buergermeister-unter-Druck,sendung1004756.html
  2. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/gewalt-buergermeister-hass-hetze-100.html
  3.  https://www.welt.de/politik/deutschland/article205270073/NRW-Dreckiges-Geschaeft-Buergermeister-zieht-sich-nach-Drohungen-zurueck.html
  4. https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/45_min/Buergermeister-unter-Druck,sendung1004756.html

 

– ANZEIGE –

Die Serie: Einführung eines Nullsteuersatzes für Photovoltaikanlagen

 

 

 

 

Prof. Paul Witt

Ehemals Rektor der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl
n/a