30.04.2021

Lernen lernen im Jurastudium

Was „Lernen“ im Studium bedeutet (Teil 1)

Lernen lernen im Jurastudium

Was „Lernen“ im Studium bedeutet (Teil 1)

Unsere Gehirne sind weder Kopierer noch Computer. | © zapp2photo - stock.adobe.com
Unsere Gehirne sind weder Kopierer noch Computer. | © zapp2photo - stock.adobe.com

Caroline Kröll: Viele sagen, dass man im Studium anders als in der Schule lernen muss. Was genau ist damit gemeint?

Barbara Lange: Lernen im Studium bedeutet – im Unterschied zum Lernen in der Schule –, Eigenverantwortung für den langfristigen Erwerb von Fachwissen und von Fachkompetenzen zu übernehmen. Je früher Sie eigenverantwortlich das Lernen lernen, desto gewinnbringender, effektiver und effizienter studieren Sie. Lernen im Studium erfordert Studierkompetenz. Studieren kommt von studere und heißt übersetzt etwas betreiben, sich um etwas bemühen. Kompetenz kommt von competere und heißt, zu etwas fähig sein. Jurastudierende müssen also die Fähigkeit lernen, Rechtswissenschaften zu betreiben. Dozentinnen und Dozenten geben ihnen dabei aufgrund ihres Wissensvorsprungs und ihrer Erfahrung Orientierung und können ihnen den Zugang zum Recht erleichtern. Aber anders als ein Handwerksmeister, der für seine Gesellen die Arbeit übernehmen kann, können Lehrende nicht für Studierende lernen, das müssen sie selbst. Konkret bedeutet eigenverantwortliches Lernen im Studium, sich mit zentralen W-Fragen des Lernens (Wozu lerne ich was wie womit und wann) selbständig und intensiv auseinanderzusetzen.

Wozu lernen

Caroline Kröll: Es herrscht große Unsicherheit, was genau im Studium erwartet wird. Es wird immer gesagt, auswendig lernen bringt nichts.


Barbara Lange: Erfolgreich lernen kann man nur, wenn man sich während des Lernens immer wieder bewusst macht, welche Ziele man mit dem Lernen verfolgt (Wozu). Ziel des Lernens im Jurastudium ist es – entgegen vieler Gerüchte – gerade nicht, große Stoffmengen auswendig zu lernen. Ziele des Lernens sind vielmehr das Verstehen des Rechts und die Fähigkeit, juristisch zu denken. Nur dann kann man rechtliche Probleme unter Abwägung der Interessen der Beteiligten methodisch überzeugend lösen. Diese Ziele werden zwar zu Beginn des Studiums häufig erwähnt, aber viele Studienanfänger verwechseln Lerntätigkeiten mit konkreten Lernzielen.

Es geht also grundsätzlich nicht um die Wiedergabe von Wissen aus Lehrbüchern oder Vorlesungsskripten oder um das Abspulen von Prüfungsschemata. Lernen heißt auch nicht, fertige Falllösungen nachzuahmen. Ziel ist es, auf der Basis des Verstehens eigenständig, überzeugend und vertretbar ein ganz konkretes rechtliches Problem zu lösen.

Was lernen

Caroline Kröll: Vielen Studierenden fehlt ein Überblick. Es ist es schwer, alle Veranstaltungen nachzuarbeiten oder sogar vorzubereiten – wie soll man das schaffen? In welcher Form soll man die vielen Informationen verarbeiten und sortieren? Exzerpte oder Karteikarten geraten häufig viel zu lang und werden unübersichtlich. Was ist wichtig, was nicht, was darf man weglassen?

Barbara Lange: Ihre Aufgabe ist es, die Rechtsgebiete systematisch zu erarbeiten – mit dem Ziel, dass Sie die Normen verstanden haben und das dazu erlangte Wissen im Langzeitgedächtnis verankert ist. Sehr vereinfacht gesagt, bedeutet Lernen für das Langzeitgedächtnis, dass sich im Gehirn dauerhaft Nervenzellen verknüpfen müssen, denn unsere Gehirne sind weder Kopierer noch Computer.

Damit sich Nervenzellen verknüpfen können, braucht das Gehirn Überblick und Strukturen. Zunächst müssen die Grundstrukturen und Anknüpfungspunkte im Gehirn geschaffen werden, an die dann das Wissen angedockt werden kann. Ausgangspunkt für den Überblick ist immer das Gesetz und die Gesetzessystematik, das heißt konkret, der Aufbau des Gesetzesabschnitts und die Rechtsnormen, die gerade erarbeitet werden sollen. Zu diesen Rechtsnormen benötigen Sie zunächst ein solides Grundlagenwissen. Dieses Wissen kann dann den notwendigen Anknüpfungspunkt für vertieftes Wissen bilden. Je mehr solcher Basispunkte in den ersten Semestern im Gehirn verankert werden, desto besser kann man Wissen aus den weiteren Semestern daran anknüpfen. Wenn Sie mit Lernmaterialien arbeiten, die sehr detailliert sind, müssen Sie sich immer vergegenwärtigen, dass Sie nicht alles gleichzeitig behalten können. Die Details können Ihnen helfen, das Basiswissen zu verstehen und haben daher ihre Berechtigung. Sie können aber nicht gleichzeitig Basiswissen und Detailwissen im Gehirn speichern. Ziel der erstmaligen Erarbeitung eines Rechtsgebiets ist es, ein grundlegendes Verständnis zu erhalten und zu lernen, mit den Rechtsnormen umzugehen. Mit diesem Verständnis können Sie einfache und mittelschwere Fälle lösen. Legen Sie daher in den ersten Semestern den Fokus auf die Grundlagen und die Zusammenhänge. Die Details werden Sie später im Studium viel besser verstehen und zuordnen können.

Diese Vorgehensweise hilft Ihnen auch, sich später in der Berufspraxis in solchen Rechtsgebieten zurechtzufinden, die nicht Gegenstand des Studiums waren. Denn es gibt neben dem Prüfungsstoff viele andere Rechtsgebiete, denen Sie erst in der Praxis begegnen oder die sich aufgrund des Fortschritts zukünftig erst entwickeln werden. Daher ist es der systematische Umgang mit dem Gesetz, der vor allem zu lernen ist.

Es ist eine große Herausforderung im ersten Studienjahr, die vielen Informationen zu sichten, zu sortieren, zuzuordnen oder auch vorerst einfach zu vernachlässigen. Diese Schwierigkeit liegt in der Natur der Sache und nicht an persönlichem Unvermögen. Denn es fehlen noch die Vorkenntnisse und die Erfahrung, mit dem großen Wissensberg richtig umzugehen. Aber die Ziele des Lernens und die Vorgehensweise beim Erarbeiten eines Rechtsgebiets können helfen, den maßgeblichen Stoff herauszuarbeiten und damit die Informationsmenge zu reduzieren. Das bedeutet konkret wieder, den Fokus auf das Grundlagenwissen und auf das Verständnis der einzelnen Rechtsnormen einschließlich der Definitionen und Zusammenhänge zu legen. Hilfreich ist auch, schon beim Wissenserwerb zu überlegen, inwiefern Sie das Wissen bei der Bearbeitung eines konkreten Problems methodisch richtig einsetzen können. Denn Ziel des Lernens ist – wie schon gesagt – die Anwendung des Wissens in einer Fallbearbeitung (und später in der Berufspraxis auf rechtliche Probleme aller Art).

Wie effektiv und effizient lernen

Caroline Kröll: Man hört immer wieder von der Stofffülle im Jurastudium und der Sorge, nicht zu wissen, ob man eigentlich richtig lernt.

Barbara Lange: Die Frage, wie man effektiv und effizient lernt, wird allgemein von der Lernforschung beantwortet. Danach kann Wissen nicht von Lehrenden auf Lernende übertragen werden, sondern Wissen wird im Gehirn der Lernenden konstruiert.

Es gibt einige Faktoren, welche diese Wissenskonstruktion gut gelingen lassen. Dazu gehören Aufmerksamkeit, Strukturen, Ergebnissicherung nach dem Lernen, Wiederholungen, die aktive Verarbeitung von Lernstoff, begleitende grafische Darstellungen, eine gute Lernatmosphäre und regelmäßige Pausen. Diese Faktoren unterstützen das Lernen nachweisbar.

Die Umsetzung dieser Faktoren ist individuell. Es gibt daher viele unterschiedliche Lernstrategien, die zum Erfolg führen. Die früher übliche Einteilung von Lernenden in zum Beispiel auditive oder visuelle Lerntypen ist nach aktueller Lernforschung überholt. Je schneller man durch Ausprobieren und Selbstbeobachtung herausfindet, welche individuellen Lernstrategien zur Umsetzung der Faktoren funktionieren, desto besser lernt man lernen. Wenn man dann ein Rechtsgebiet nach dem anderen systematisch erarbeitet, verliert man die Angst vor der Stofffülle.

Warum regelmäßig wiederholen und vertiefen

Caroline Kröll: Viele sagen, dass sie zum Wiederholen überhaupt keine Zeit haben. Außerdem sei es interessanter, Neues zu lesen als schon Gelesenes zu wiederholen.

Barbara Lange: Eine dauerhafte Verankerung von Wissen erfordert zwingend regelmäßige Wiederholungen in bestimmten Abständen. Ansonsten hat man etwas nur kurzzeitig im Gedächtnis und vergisst es wieder. Lernpsychologen gehen von der Notwendigkeit von mehreren Wiederholungen in größer werdenden Abständen aus. Eine häufig genannte Faustregel lautet: Mindestens drei Mal wiederholen – nach ein bis zwei Tagen, nach einer Woche, nach einem Monat. Besonders wichtig ist die erneute Beschäftigung mit Gelerntem innerhalb der ersten 48 Stunden, da hier die Vergessenskurve am steilsten verläuft.

Die Zeit für Wiederholungen wird häufig als zusätzliche (im Zweifel überflüssige) Lernzeit begriffen. Wer jedoch nur Neues liest anstatt schon Erarbeitetes noch einmal zu wiederholen, vergisst Vieles und muss dann immer wieder von vorne anfangen. Hilfreich ist daher, Wiederholungszeit als feste Lernzeit einzuplanen. Ein sinnvolles Wiederholungsmanagement (wann wiederhole ich welchen Stoff) führt dazu, dass man nach und nach eine dauerhafte Wissensbasis aufbaut, auf die man sich verlassen kann. Aber auch hier muss jede(r) seine individuell passende Strategie finden. Wiederholungen gelingen besser, wenn man am Ende einer Lernphase Ergebnisse sichert. Viele Studierende hören nach dem Lernen einfach auf, weil die Lernzeit vorbei, ohne sich zu fragen, welche Erkenntnisse sie gewonnen haben.

Daher gewöhnen Sie sich an, immer zehn Minuten vor dem Ende des Lernens eine Ergebnissicherung durchzuführen: Mit was habe ich mich gerade beschäftigt? Welche Rechtsnormen habe ich kennengelernt/ vertieft/bearbeitet? Welche Definitionen muss ich mir merken? Welche Aussagen sind wichtig? Wie passt das heute Gelernte zu früheren Erkenntnissen? Wo bestehen noch Unsicherheiten? Welche offenen Fragen muss ich noch klären?

Der Beitrag wird fortgesetzt

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag entstammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.

Um den Wirtschaftsführer auch unterwegs bequem lesen zu können, finden Sie hier unsere »Wirtschaftsführer-App«.

 

Caroline Kröll

studiert Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln
 

Dr. iur. h. c. Barbara Lange LL.M.

Prüferin in der Ersten und Zweiten Juristischen Staatsprüfung, Dozentin in der Referendarausbildung sowie Referentin für Hochschuldidaktik und juristische Fachdidaktik.
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