Zulässigkeit einer Versammlung auf privaten Flächen
Verwaltungsgericht Schleswig, Beschl. v. 16.4.2021 – 3 B 39/21
Zulässigkeit einer Versammlung auf privaten Flächen
Verwaltungsgericht Schleswig, Beschl. v. 16.4.2021 – 3 B 39/21
Privatflächen können von der Durchführung von Versammlungen nicht ausgenommen werden, soweit eine unmittelbare Grundrechtsbindung besteht oder Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten in Anspruch genommen werden können. Dazu muss der beabsichtigte Versammlungsort für den Publikumsverkehr offenstehen und einen Raum des Flanierens, des Verweilens und der Begegnung schaffen, der dem Leitbild des öffentlichen Forums entspricht.
Sachverhalt
Zum 17.4.2021 wurde ein Aufzug der sog. „Querdenken-Bewegung“ in K angezeigt, durch den insbesondere gegen die Beschränkungen während der Corona-Pandemie protestiert werden sollte. Die Aufzugsroute führte unter anderem über ein im Privateigentum befindliches, aber der Allgemeinheit frei zugängliches Sportgelände. Dagegen wandte sich der Eigentümer und beantragte, die zuständige Versammlungsbehörde im Wege einer einstweiligen Verfügung zu verpflichten, die Route durch eine beschränkende Verfügung dahingehend zu ändern, dass diese nicht über das Privatgelände oder direkt an diesem entlangführt.
Zum Beschluss
Der am 16.4.2021 gestellte Antrag, die Versammlungsbehörde im Wege einer einstweiligen Verfügung zu verpflichten, die Route der Versammlung der „Querdenken-Bewegung“ dahingehend zu ändern, dass diese nicht über das Gelände des Antragstellers oder direkt an diesem Gelände entlangführt, bleibt ohne Erfolg. Zweifel bestehen bereits an der Zulässigkeit des Eilantrags, da der Antragsteller schon keine ihn exklusiv begünstigende dingliche Berechtigung hinsichtlich der Flächen, auf denen die Versammlung stattfinden soll, geltend machen kann. Der Antrag ist aber jedenfalls unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Erforderlich ist danach zum einen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Notwendigkeit einer Eilentscheidung, und zum anderen ein Anordnungsanspruch, also ein rechtlicher Anspruch auf die begehrte Maßnahme. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen. Dem Wesen und Zweck einer einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht im einstweiligen Anordnungsverfahren grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und einem Antragssteller nicht schon das zusprechen, was er – sofern ein Anspruch besteht – nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Dieser Grundsatz des Verbotes einer Vorweg- nahme der Hauptsacheentscheidung gilt jedoch im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten wirksamen Rechtschutz dann nicht, wenn die erwarteten Nachteile bei einem Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch dahingehend, dass der Demonstrationszug der sog. „Querdenken-Bewegung“ am 17.4.2021 ab 14.30 Uhr nicht auf dem Professor-Peters-Platz in K beginnen und enden darf bzw. dessen Route nicht an seinem Vereinsgelände vorbeiführen darf, nicht dargelegt. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fernzubleiben, sondern zugleich ein Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten wie Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung. Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen am Wirksamsten zur Geltung bringen können. Gleichwohl verschafft die Versammlungsfreiheit kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Insbesondere gewährt sie dem Bürger keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Die Durchführung von Versammlungen etwa in Verwaltungsgebäuden oder in eingefriedeten, der Allgemeinheit nicht geöffneten Anlagen ist von Art. 8 Abs. 1 GG ebenso wenig geschützt wie etwa in einem öffentlichen Schwimmbad oder Krankenhaus.
Von der Versammlungsfreiheit ausgenommen sind auch Orte, zu denen der Zugang individuell kontrolliert oder nur für einzelne, begrenzte Zwecke gestattet wird. Demgegenüber verbürgt die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen aber dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Wenn heute die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze zunehmend durch weitere Foren wie Einkaufszentren, Ladenpassagen oder durch private Investoren geschaffene und betriebene Plätze als Orte des Verweilens, der Begegnung, des Flanierens, des Konsums und der Freizeitgestaltung ergänzt wird, kann die Versammlungsfreiheit für die Verkehrsflächen solcher Einrichtungen nicht ausgenommen werden, soweit eine unmittelbare Grundrechtsbindung besteht oder Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung in Anspruch genommen werden können. Dazu muss der beabsichtigte Ort der Versammlung für den Publikumsverkehr offenstehen und einen Raum des Flanierens, des Verweilens und der Begegnung schaffen, der dem Leitbild des öffentlichen Forums entspricht. Dies gilt auch für Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraumes, an denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen. Ausschlaggebend ist die tatsächliche Bereitstellung des Ortes und ob nach diesen Umständen ein allgemeines öffentliches Forum eröffnet ist.
Grundrechtlich ist es unerheblich, ob der in Rede stehende Kommunikationsraum mit den Mitteln des öffentlichen Straßen- und Wegerechts oder des Zivilrechts geschaffen wird. Die Kammer hat vorliegend keine Zweifel daran, dass auf dem Professor- Peters-Platz in K ein allgemeiner Verkehr im vorstehend beschriebenen Sinne eröffnet ist und insoweit ein Forum der öffentlichen Kommunikation besteht, das dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG unterfällt. Der Professor-Peters-Platz als Versammlungsort wurde im Rahmen des Kooperationsgesprächs ausgehandelt und festgelegt. Die Fläche, auf der die Versammlung stattfinden soll, steht – ebenso wie der Weg dorthin – im Privateigentum. Der vom Antragsteller in der Antragsschrift in Bezug genommene „Erbpachtvertrag“ steht insoweit nicht entgegen, da ein Erbbaurecht offenbar nur hinsichtlich des Vereinsgebäudes und nicht hinsichtlich der sonstigen Flächen besteht. Auf einer Fläche, an der der Antragsteller in irgendeiner Weise exklusiv dinglich berechtigt ist, soll die Veranstaltung gar nicht stattfinden. Ein darüber hinaus bestehender Anspruch Dritter, dass ein Demonstrationszug, der sich auf einer allgemein zugänglichen Strecke zu einem allgemein zugänglichen Ort bewegt, nicht an einer bestimmten Fläche bzw. einem bestimmten Gebäude, die diesem Dritten zuzuordnen ist, vorbeiführen darf, ist – sofern er überhaupt bestehen kann – unter der Maßgabe zu betrachten, ob dort ein allgemeiner Verkehr eröffnet ist. Dies ist hier der Fall. Bei dem Professor-Peters-Platz und den Sportanlagen auf dem Gelände zwischen Gutenbergstraße, Westring und der Eckernförder Straße handelt es sich bei lebensnaher Betrachtung – und soweit dies für die Kammer im summarischen Verfahren in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit erkennbar ist – ebenso wie bei dem vom Westring dorthin führenden Fußweg um einen allgemein zugänglichen Ort.
Dafür spricht, dass das Gelände nicht eingefriedet, sondern für jedermann frei zugänglich ist. Weder wird der Zugang zu den Sportflächen individuell kontrolliert noch ist der erlaubte Zugang auf begrenzte Zwecke reduziert. Zwar verfügen anscheinend zwei Sportvereine, darunter der Antragsteller, über besondere Nutzungsrechte an den Sportanlagen bzw. dem Professor- Peters-Platz selbst. Es finden aber durchaus auch andere Aktivitäten auf dem Gelände statt. Zum einen trainieren dort neben den beiden auf dem Gelände ansässigen Sportvereinen weitere Sportgruppen für ganz unterschiedliche Sportarten. Dies geschieht sowohl auf Vereinsebene als auch im Rahmen privater sportlicher Zusammenschlüsse, die außerhalb etwaiger Vereinstrainingszeiten dort z.B. Fußball spielen. Auf dem Gelände befindet sich zum anderen ein Outdoor-Trainingspark, der außerhalb der gebuchten Trainingszeiten auch anderen Vereinen und Individualsportlern offensteht. Ein Zuschauen bei den Fußballspielen der dort ansässigen Vereine oder anderen Sportereignissen ist ebenso zwanglos möglich. Auch fand beispielsweise bereits mehrfach ein Fußball- und Familienfest (das sog. „Fufafest“) auf dem Professor-Peters-Platz statt, bei dem es sich um eine Art Nachbarschaftsfest handelt, bei welchem nicht lediglich Fußball gespielt wurde, sondern auch Zirkuskünstler und kommunikative Formate vertreten waren. Durch die Anbringung der Schilder mit den Statements „Kein Ort für Neonazis“ und „Sport gegen Gewalt, Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit“ an seinem Vereinsgebäude, scheint im Übrigen auch der Antragsteller dem Gelände eine gewisse kommunikative Relevanz zuzuschreiben.
Für eine Art vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutz wegen der vom Antragsteller befürchteten Sachbeschädigungen durch Versammlungsteilnehmer, die sich durch die Statements am Vereinsgebäude provoziert sehen könnten, fehlt es hier an einer Grundlage. Dass derartige Überschreitungen der Versammlungsfreiheit durch Teilnehmer der hier in Rede stehenden Versammlung tatsächlich bevorstehen, hat der Antragsteller nicht im Ansatz dargelegt. Es handelt sich um reine Spekulation. Für die Antragsgegnerin bestand kein Anlass, dies im Wege ihrer Gefahrenprognose derart zu werten, dass der Demonstrationszug nicht am Vereinsgebäude des Antragstellers vorbeiführen darf. Vor diesem Hintergrund ist bereits ein Rechtsschutzinteresse nicht zu erkennen. Wenn der Antragsteller derartige Befürchtungen hegt und es der zuständigen Ordnungsbehörde und der Polizei nicht zutraut, während der Versammlung die Integrität von Rechtsgütern Dritter sicherzustellen, ist es ihm unbenommen, eigene Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Falls es – worauf zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nichts hindeutet – zu Sachbeschädigungen kommen sollte, ist im Anschluss hiergegen vorzugehen. Anme r k u n g : Für eine fundierte Rechtslagebeurteilung bei Versammlungslagen auf Flächen in privater Trägerschaft sind die durch das Bundesverfassungsgericht über die „Public Forum-Doktrin“ entwickelten Regeln zu berücksichtigen (BVerfG v. 22.2.2011, Az. 1 BvR 699/06-juris; v. 18.7.2015, Az. 1 BvQ 25/15-juris). Danach zeichnet sich ein öffentliches Forum vor allem dadurch aus, dass auf ihm verschiedene Tätigkeiten und Anliegen verfolgt werden können und hierdurch ein vielseitiges und offenes Kommunikationsgeflecht entsteht.
Abzugrenzen ist dies von Orten wie eintrittsgeldpflichtige Schwimmbäder, Theater oder Tierparks, die in tatsächlicher Hinsicht nur begrenzten Funktionen dienen. Diesen Stätten kann – außerhalb der jeweiligen Nutzungsrechte – die Durchführung von Versammlungen nicht zugestanden werden. Dies gilt aber nicht für Örtlichkeiten, an denen die Verbindung von Dienstleistungsbereichen, Restaurationsbetrieben und Erholungsflächen einen Raum des Flanierens schafft und so Orte des Verweilens und der Begegnung entstehen. Werden private Räume oder Flächen in dieser Weise für ein Nebeneinander verschiedener Nutzungen geöffnet und dadurch zum öffentlichen Forum, kann aus ihnen gemäß Art. 8 Abs. 1 GG auch die politische Auseinandersetzung in Form von kollektiven Meinungskundgaben durch Versammlungen nicht herausgehalten werden. Die Verfassungsnorm gewährleistet für solche Orte vielmehr das Recht, das Publikum mit politischen Fragen und Auseinandersetzungen, gesellschaftlichen Konflikten oder sonstigen Themen zu konfrontieren. Gleichwohl müssen widerstreitende Grundrechte gebührende Berücksichtigung finden. Soweit die zuständigen Behörden Entscheidungen treffen, haben sie die Privatrechtsinhaber – unter Berücksichtigung der unmittelbaren oder mittelbaren Grundrechtsbindung – grundsätzlich mit einzubeziehen und deren Einschätzungen, wie sie beispielsweise in Benutzungsordnungen zum Ausdruck kommen können, zu berücksichtigen. Öffentliche Foren haben auf Grund einer autonomen Entscheidung des jeweiligen Eigentümers eine besondere soziale Funktion, auch wenn im Einzelfall eine neue Form der Sozialbindung kritisiert wird. Je weiter ein Grundrechtsträger sein Eigentum zu seinem eigenen Vorteil für die Nutzung durch die Allgemeinheit öffnet, desto stärker werden seine Rechte durch die gesetzlichen und verfassungsmäßigen Rechte der Benutzer beschränkt. Mit den kommerziellen Vorteilen einer öffentlichen Verkehrsfunktion sind auch die kommunikativen Auswirkungen zu übernehmen (vgl. umfassend Brenneisen/Wilksen/Staack/Martins, 2020, Versammlungsrecht, 5. Auflage, S. 119 ff.).
Verwaltungsgericht Schleswig, Beschl. v. 16.4.2021 – 3 B 39/21.
NPA 2021 Heft 9