27.04.2022

Gemeinsam statt einsam Jura lernen

kooperativ, kollaborativ und digital

Gemeinsam statt einsam Jura lernen

kooperativ, kollaborativ und digital

Gruppenarbeit hat viele Vorteile: Es fördert das autonome Lernen und trainiert Teamfähigkeit sowie kommunikative Kompetenzen. | © siraanamwong - stock.adobe.com
Gruppenarbeit hat viele Vorteile: Es fördert das autonome Lernen und trainiert Teamfähigkeit sowie kommunikative Kompetenzen. | © siraanamwong - stock.adobe.com

Besonders während der Corona-Pandemie wurden Studierende der Rechtswissenschaft vielfach zu Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfern. Der Beitrag zeigt Mehrwerte gemeinsamen Lernens in der Rechtswissenschaft auf und stellt Methoden und Tools für das digitale Gruppenlernen vor.

Mehrwerte und Gelingen gemeinsamen Lernens

Warum sollte ich mich mit gemeinsamem juristischen Lernen und Arbeiten aufhalten, wenn ich doch das Staatsexamen allein ablegen muss? Diese Frage wird mir nicht nur von Studienanfängerinnen und Studienanfängern vielfach gestellt.

Es darf aber mittlerweile als belegt gelten, dass das Lernen in sozialen Gruppen mehrere positive Effekte aufweisen kann:[1]


– Im Studium der Rechtswissenschaft ist – da es keine „echten“ Zwischen-abschnitte gibt – oft ein langer Atem gefragt. Gemeinsames Lernen kann zu einem höheren Selbstvertrauen, zu positiver Verstärkung des eigenen Lernfortschritts und damit zu Motivation führen.

– Gemeinsam Lernende überprüfen ihr Wissen im Hinblick auf die Wissens-strukturen der Mitlernenden (Revision) und erhalten dadurch Feedback zu ihrem eigenen Lernstand.

– Das Gruppenlernen führt zu einer Übernahme positiven Lern- und Arbeitsverhaltens der anderen Studierenden.

– Das Lernen in Gruppen ermöglicht den Erwerb von über die eigentlichen Lehr-/Lernziele hinausgehenden Komptenzen. Das Lernen in einer Peer-Group schult Schlüsselqualifikationen wie etwa Studienorganisations-kompetenz, Teamfähigkeit, Lehrkompetenz und Kommunikationsfertigkeit.

Evtl. Nachteile, wie z. B. Trittbrettfahren, Zurückbleiben der Gruppe hinter ihrer Leistungsfähigkeit oder übertriebenes Führungsverhalten lassen sich durch folgende Instrumente verhindern:

– eine angemessene Mitgliederzahl, zwei bis vier Personen,

– eine gute Vorbereitung,

– klare Absprachen, in denen Aufgaben, Rollen und Tätigkeiten der Lernen-den sowie die Lernziele festgeschrieben werden (sog. Scripting[2] oder AG-Vertrag[3]).

Sind Sie nach diesen Ausführungen auch von der Effektivität des Lernens in kleinen Gruppen überzeugt? Dann steht nur noch an, das gemeinsame Lernen einmal auszuprobieren.

Gemeinsames digitales Lernen:  Tools und Methoden

Wie kann gemeinsames Lernen aber in Zeiten von durch die Corona-Pandemie ausgelösten Kontaktverboten und -beschränkungen funktionieren? Viele Jura-Lerngruppen haben ihre Tätigkeit zunächst einstellen müssen. Im Folgenden wird daher, im Stile einer nicht abschließenden Ideensammlung, nach Lernzielen, Tools und Methoden für rechtswissenschaftliches Peer-Learning im digitalen Raum gesucht.

Dabei geht es nicht nur darum, die herkömmliche Lerngruppe in den digitalen Raum zu verlagern. Gefragt sind vielmehr Ideen, die das nun digital stattfindende Gruppenlernen durch Computerunterstützung (noch) effektiver machen können.

Im Jurastudium spielen drei Kompetenzen eine besonders bedeutende Rolle: Erstens ist, wie in jedem anderen Studium auch, für das erfolgreiche Schreiben juristischer Klausuren Fachwissen erforderlich (Kompetenz Wissensmanagement). Fast noch bedeutender ist es, vorhandenes Wissen auch in Klausuren unterbringen zu können. Damit ist, als zweiter Punkt, die juristische Methoden-kompetenz angesprochen. Drittens gehört zum Jurastudium auch eine gehörige Portion an Studier- und (Selbst-)Organisationskompetenz.

Wie lassen sich diese drei Kompetenzen mit Computerunterstützung und gemein-sam mit anderen trainieren?

Wissensmanagement: Wie kann ich den Erwerb juristischen Wissens gemeinsam mit anderen Studierenden fördern?
Juristisches Wissen lässt sich mit Lernpartnern und -partnerinnen durch Kooperation bei der Nachbereitung von Lehrveranstaltungen und Kollaboration bei der Erschließung neuer Wissensbestände erwerben.

Kooperativer Wissenserwerb durch Nachbereitung von Vorlesungsaufzeichnungen und Online-Vorlesungen per Videokonferenz
Hauptausgangspunkt des Wissenserwerbs sollten, auch in Coronazeiten, die von den Dozierenden zur Verfügung gestellten Materialien sein. Besonders Onlinevorlesungen und lange Videoaufzeichnungen machen es aber für den Einzelnen schwierig, das ganze Semester über am Ball zu bleiben. Warum sollte man daher die Nachbereitung von Onlinevorlesungen oder Vorlesungsaufzeichnungen nicht auf mehrere Köpfe verteilen? Aussehen könnten solche, auf die eigenen Lehrveranstaltungen aufbau-enden Lernszenarien wie folgt:

– Eine Person aus der Gruppe sieht sich eine Vorlesungseinheit ganz intensiv an und erstellt dazu eine Online-Mitschrift. Diese Mitschrift kann auch ungeklärte Fragen beinhalten. Die anderen Gruppenmitglieder können dieses Exzerpt entweder asynchron kommentieren oder die Online-Mit-schrift per Videokonferenz besprechen. Technisch eignet sich für diese Methode besonders gut ein so genanntes Wiki, das Universitäten und Hochschulen oft in ihren Lernmanagementsystemen zur Verfügung stellen. Alternativ gibt es dafür auch kostenfreie Lösungen im Internet[4] sowie kommerzielle Angebote zum Teilen von Lerninhalten.[5]

– Je ein Mitglied erstellt eine Grafik oder eine Mindmap[6] zu einer Vorlesungs-/Veranstaltungseinheit und teilt diese dann mit den anderen Gruppenmitgliedern.

– Ein Gruppenmitglied wird damit beauftragt, Karteikarten mit Wissensbestandteilen aus der Lehrveranstaltung zu erstellen und digital zur Verfügung zu stellen. Die anderen Gruppenmitglieder können dann mit diesen Karteikarten trainieren. Da-für gibt es verschiedene (teils auch mobil nutzbare) Cloud-Karteikarten-anwendungen.[7]

Kollaborativer Wissenserwerb:  Verbreiterung des Wissens über die Lehrveranstaltungen hinaus
Ähnliche digitale Tools lassen sich für einen echten kollaborativen Wissenserwerb, d. h. für eine Verbreiterung der Wissensbasis über die spezifischen Lehrveranstaltungsinhalte hinaus, nutzen. Eignen dürfte sich ein derartiges Vorgehen insbesondere für fortgeschrittene Studierende in der Examensvorbereitung. Im juristischen Bereich bieten sich zwei Quellen für die Weiterarbeit besonders an:

– Aktuelle Rechtsprechung: Im Studi-um findet eher wenig Befassung mit aktueller Rechtsprechung statt. In vielen Jura-Lerngruppen wurden daher gute Erfahrungen mit der gegenseitigen Vorstellung aktueller Gerichtsentscheidungen gemacht.[8] Einen guten Fundus über studienrelevante Themen dürften juristische Newsseiten,[9] digitale Ausbildungszeitschriften[10] oder Datenbanken zu examensrelevanter Rechtsprechung bieten.[11] Noch größere Lernerfolge können in einem solchen Peer-Teaching-Setting zu erzielen sein, wenn es eng angeleitet wird.[12] Eine derartige Anleitung bieten Projekte wie z. B. jura-see.de,[13] in denen Studierende selbst Videos zu einer aktuellen Entscheidung erstellen und Mitstudierenden auf einer Online-Plattform zur Verfügung stellen können. Im digitalen Raum können von einzelnen Mitgliedern aber auch selbständig Kurzvideos/Podcasts[14] zu einzelnen, interessanten höchstgerichtlichen Entscheidungen aufgenommen und geteilt werden oder kurze schriftliche Entscheidungsanalysen erarbeitet werden. Wichtig erscheint dabei stets die Verdeutlichung des Problemstandorts im Prüfungsaufbau einer Klausur.

– Zeitschriftenauswertung: Ähnlich lässt sich im Rahmen einer juristischen Zeitschriftenanalyse vorgehen. Diese hat die Auswertung wichtiger Inhalte von Ausbildungszeitschriften (nicht nur von Rechtsprechung, sondern auch von Aufsätzen) zum Gegenstand. Derartige Inhalte können dann z. B. in ein Forum oder ein Wiki gepostet und den anderen Gruppenmitgliedern zugänglich gemacht oder per Videokonferenz besprochen werden.

Juristische Methodenkompetenz:  Wie kann ich juristisches Arbeiten kollaborativ mit anderen trainieren?
Sehr gut lässt sich digital auch die juristische Arbeitsmethodik, d. h. v. a. die Gutachten- und Klausurtechnik, trainieren.

Training der Argumentationsfähigkeit
Besonders für die mündlichen Prüfungen im Jura-Studium kann ein digitales Training der Argumentationsfähigkeit weiterhelfen. Den inhaltlichen Ausgangspunkt einer solchen Trainingssession können die über die Erarbeitung von Rechtsprechung und Zeitschriftenauswertung gewonnenen Wissensbestandteile bilden. Ist eine klassische Wissensabfrage durch andere Gruppenmitglieder nicht gewünscht, trifft sich die Gruppe in einem beliebigen Videokonferenzraum und teilt zwei Personen zur Diskussion der Problematik in einer Pro-/Contra-Argumentation ein. Dabei sind Zeit und ggf. auch Anzahl der Argumente zu begrenzen.

Gemeinsame Erarbeitung/Perfektionierung der Klausurbearbeitungstechnik
Die gemeinsame Erarbeitung bzw. Perfektionierung der Klausurbearbeitungstechnik kann der Förderung von zwei unterschiedlichen Kompetenzen dienen. Zum einen kann die Falllösungskompetenz mit digitalen Mitteln geschult werden. Zum anderen können digitale Lerngruppen der Einübung des Schreibens im so genannten Gutachten-stil dienen.

Training der Falllösungskompetenz
Für Lerngruppen wird vielfach empfohlen, Fälle zu bearbeiten, ist die Falllösung doch in aller Regel Gegenstand der juristischen Klausuren in Studium und Examen. Die Gesprächssituation in einer Präsenz-Lerngruppe lässt sich gut mittels synchroner Kommunikation (per Videokonferenz) simulieren. Oftmals bietet es sich zusätzlich an, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeitgleich an dem Dokument arbeiten zu lassen, in dem die Gliederung des Falles entsteht. Für die gemeinsame Arbeit an juristischen Gliederungen eignen sich digitale Whiteboards[15] (teilweise auch mit Video-konferenz-Funktionen) sehr gut. Jeder Gliederungspunkt bzw. Aspekt, der in die Lösungsskizze hineinsoll, kann dann auf eine Karte (Sticky Note) notiert werden. Diese Haftnotizen können dann im Rahmen der weiteren Besprechung von den Gruppenmitgliedern passend verschoben/umgeordnet werden. Es ist genau dieser Schritt, der zu einer vertieften Auseinandersetzung aller Teilnehmen-den mit der geplanten Gliederung führt. Anschließend kann dann – zur Kontrolle – die Musterlösung neben die Gliederung der Gruppe gelegt werden.

Training der Fähigkeit zur Text-produktion

Weniger geeignet sind digitale Whiteboards aber für größere Textmengen, wie sie in vollständigen juristischen Gutachten auftreten. Soll das Schreiben im Gutachtenstil trainiert werden, kann man das über ein sog. Etherpad lösen,[16] in dem von allen Gruppenmitgliedern gleichzeitig geschrieben werden kann.

Die denkbare Gliederung für die Falllösung kann im Chatbereich oder per Videokonferenz diskutiert werden. In den Textbereich wird dann die Gliederung geschrieben. Die Ausformulierung der endgültigen Falllösung erfolgt dann ebenfalls im Textbereich des Etherpad-Dokuments. Gute Erfahrungen hat das abwechselnde Schreiben je eines Satzes des juristischen Gutachtens durch die Teilnehmer/-innen erbracht.[17] Zentrales Element einer solchen gemeinsamen Live-Falllösung ist das sofortige Feedback bei Fehlern durch die anderen Gruppenmitglieder.

Selbst- und Studienorganisation: Welche digitalen Tools können das gemeinsame Lernen im digitalen Raum erleichtern?

Zu einem erfolgreichen Jura-Studium gehört auch eine gehörige Portion Selbst- und Studienorganisationskompetenz. Diese benötigt man insbesondere auch für das gemeinsame juristische Arbeiten, will eine effektive Lerngruppe doch gut organisiert sein.

Für „analoge“ Lerngruppen werden klare Vereinbarungen zu den Rahmenbedingungen, aber auch zu konkreten Aufgaben empfohlen.[18] Dies lässt sich, wie auch die Selbstorganisation im Jura-Studium, durch digitale Tools unterstützen. Zur Verwaltung von Aufgaben mit mehreren Teammitgliedern existieren neben Online-Kalendern mittlerweile zahlreiche gute, in der Basisversion kostenlose Projektmanagement-Tools.[19] Diese ermöglichen, das Projekt Lerngruppe gemeinsam terminlich zu planen, den einzelnen Mitgliedern der Lerngruppe Aufgaben zuzuweisen und diese als erledigt zu kennzeichnen. So lässt sich ein „AG-Vertrag“ rein digital abbilden.

In eine andere Richtung geht die gemein-same Arbeit an einem E-Lernportfolio, in dem nach einer digitalen Lerngruppensitzung von einem oder mehreren Mitgliedern kurz aus dem Gedächtnis notiert wird, welche Lernfortschritte erzielt wurden und welche zentralen Erkenntnisse festzuhalten sind.[20]

Fazit

Die vorstehenden Ausführungen zeigen zweierlei:

– Die Darstellung ließe sich endlos er-weitern. Es gibt eine enorme Vielzahl an Tools und Ideen für das computer-unterstützte kollaborative und kooperative Jura-Lernen.

– Auch für die Zeit nach der Corona-Pandemie, wenn Lerngruppen wieder in Präsenzform stattfinden können, können die vorgestellten Methoden computerunterstützten Lernens zusätzlichen Nutzen entfalten.

Gemeinsam statt einsam – digital und/oder analog? – Sie haben die Wahl. Für das Ausprobieren Ihres individuellen Jura-Lerngruppensettings wünsche ich Ihnen viel Erfolg!

 

Dieser Beitrag stammt aus dem Wirtschaftsführer für junge Juristen, Ausgabe 2/2021.

 

[1] Lange, in: Griebel, Vom juristischen Lernen, 2018, S. 75 (81); McKenna/French, A step ahead: Teaching undergraduate students to be peer teachers. Nurse Education in Practice 2011, 141.

[2] Zumbach/Astleitner, Effektives Lehren an der Hochschule, 2016, S. 100 f.

[3] Lange, Jurastudium erfolgreich, 2015, S. 326.

[4] Z. B. über https://www.fandom.com/.

[5] Z. B. https://www.studysmarter.de/.

[6] Z. B. über https://www.juralib.de/.

[7] Z. B. https://www.repetico.de/, https://apps.anki-web.net/, https://www.studysmarter.de/, https://www.brainyoo.de/, https://www.goconqr.com/de/

[8] Sanders/Dauner-Lieb, Recht Aktiv – Erfolgreich durch das Examen, 2021, S. 52.

[9] www.lto.de; https://rsw.beck.de/aktuell.

[10] http://www.zjs- online.com/; http://www.juraexa-men.info/; https://www.hrr- strafrecht.de/hrr/;

[11] www.jura- see.de; https://www.jura.uni- han-nover.de/de/juronlinerep/; https://examensge-recht.de/.

[12] Zumbach/Astleitner (Fn. 2), S. 100.

[13] Sammlung examensrelevanter Entscheidungen (SEE) der FAU.

[14] Z. B. über https://anchor.fm/.

[15] Z. B. www.conceptboard.com oder https://www. mural.co/; https://explaineverything.com/; https://cryptpad.fr/.

[16] https://etherpad.wikimedia.org/ oder https://edu pad.ch/; eine brauchbare Alternative dazu stellt z.   B. GoogleDocs dar.

[17] https://bit.ly/ 3xdD18n.

[18] Lange (Fn. 3), S. 326 (AG-Vertrag); Zumbach/Ast-leitner (Fn. 2), S. 100 f. (Scripting).

[19] Z. B. https://trello.com/de; https://todoist.com/de; https://www.notion.so/.

[20] Zur E-Portfolioarbeit s. https://de.wikipedia.org/wiki/ E- Portfolio.

 

Dr. Martin Zwickel

Privatdozent, Maître en droit, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen - Nürnberg
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