21.04.2022

Ernährung als kommunales Thema

Leutkirch im Allgäu geht bei der Ausschreibung der Schulverpflegung neue Wege

Ernährung als kommunales Thema

Leutkirch im Allgäu geht bei der Ausschreibung der Schulverpflegung neue Wege

Im Zuge des KERNiG-Projekts entwickelte die Stadt Leutkirch im Jahr 2021 gemeinsam mit der Universität Freiburg neue Kriterien für die Ausschreibung der Schulverpflegung. © Alexander Raths – stock.adobe.com
Im Zuge des KERNiG-Projekts entwickelte die Stadt Leutkirch im Jahr 2021 gemeinsam mit der Universität Freiburg neue Kriterien für die Ausschreibung der Schulverpflegung. © Alexander Raths – stock.adobe.com

Bereits seit 2016 widmet sich die Stadt Leutkirch im Allgäu gemeinsam mit der Universität Freiburg im Forschungsprojekt KERNiG der Frage, wie Ernährung als Thema einer nachhaltigen Stadtentwicklung bearbeitet werden kann. Dabei sollen Instrumente identifiziert und erprobt werden, die dazu beitragen, den Ernährungsbereich auf kommunaler Ebene nachhaltiger zu gestalten. Hierzu zählt auch die (Neu-)Ausschreibung der Schulverpflegung. Im Rahmen des Projekts wurden hierfür spezifische Nachhaltigkeitskriterien erarbeitet und erfolgreich umgesetzt.

Ernährung ist für rund ein Drittel unseres ökologischen Fußabdrucks verantwortlich. Daraus ergibt sich großes Potenzial für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Die Förderung nachhaltiger Ernährungssysteme auf kommunaler Ebene kann daher einen wichtigen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz leisten. Ein übergeordnetes Ziel muss dabei sein, die lokale Nachfrage nach nachhaltiger Ernährung zu stärken. Nachhaltige Ernährung wird von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) wie folgt definiert: „Eine nachhaltige und gesunde Ernährung besteht aus Ernährungsmustern, die alle Aspekte der Gesundheit und des Wohlbefindens einer Person fördern; geringe Auswirkungen auf die Umwelt haben; verfügbar, bezahlbar, sicher und fair sind und kulturell akzeptiert werden.“ Zudem beschreibt die DGE umsetzungsorientierte Leitlinien in Form der „DGE-Qualitätsstandards für die Gemeinschaftsverpflegung“ sowie die „10 Regeln der DGE“. Diese zielen auf den vermehrten Einsatz bio-zertifizierter, saisonaler und fair gehandelter Produkte sowie die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung ab.

Die Betriebe der lokalen Ernährungswirtschaft als zentrale Akteursgruppe

Die Nachfrage nach Ernährung in Kommunen geht hauptsächlich von Privathaushalten aus. Dementsprechend sind Ernährungsstile stark von den individuellen Gewohnheiten, Motivationen und vom Wissen der Bevölkerung geprägt. Bisher zielt daher die Mehrheit politischer Initiativen und wissenschaftlicher Projekte bezüglicher nachhaltiger Ernährung auf die Ebene individueller Verhaltensänderungen ab. Dabei wird vernachlässigt, dass eine solche Adressierung der individuellen Verhaltensmuster sehr zeit- und ressourcenintensiv ist. Ergebnisse aus dem Projekt KERNiG zeigen, dass die Betriebe der ortsansässigen Ernährungswirtschaft auf kommunaler Ebene wirksame Hebelpunkte bezüglich des Ernährungsbereichs bieten. Die Ernährungswirtschaft besteht auf lokaler Ebene aus einer verhältnismäßig überschaubaren Zahl an Betrieben der Ernährungsindustrie, des Lebensmittelhandwerks, des Lebensmitteleinzelhandels und -großhandels sowie der Außer-Haus-Verpflegung.


Auch Kommunen können zu den Akteurinnen der Ernährungswirtschaft gezählt werden. Beispielsweise fungieren sie bei der Schulverpflegung als Nachfragerinnen und Anbieterinnen. Gerade Ersteres verschafft ihnen einen direkten Zugriff auf den Anteil nachhaltiger Ernährung an der lokalen Nachfrage. Über Ausschreibungskriterien können Kommunen ein nachhaltigeres Speisenangebot in der Schulverpflegung etablieren. Ein solches wird über ein erhöhtes oder vollständiges Angebot biozertifizierter und/oder saisonaler und/oder fair gehandelter Produkte erreicht. Hierbei können Kommunen eine Vorbildrolle einnehmen und ortsansässige Unternehmen, soziale Träger und auch Privathaushalte zur Nachahmung anregen.

Die Neuausschreibung der Schulverpflegung in Leutkirch im Allgäu

Im Zuge des KERNiG-Projekts entwickelte die Stadt Leutkirch im Jahr 2021 gemeinsam mit der Universität Freiburg neue Kriterien für die Ausschreibung der Schulverpflegung. Aktuell erfolgt die Schulverpflegung in Leutkirch in zwei Mensen. Der Bedarf liegt bei rund 100 Essen täglich. Aufgrund der Höhe des Auftragswertes ergibt sich die Notwendigkeit einer EU-weiten Ausschreibung (aktueller Schwellenwert: 215.000€) (§ 106 GWB; Richtlinie 2014/24/EU). Die vom Leutkircher Gemeinderat verabschiedete und erfolgreiche Ausschreibung der Schulverpflegung beinhaltete folgende Nachhaltigkeitskriterien:

  • Der Bio-Anteil des Gesamtwareneinsatzes muss mindestens 40 Prozent betragen. Die Produkte müssen nach der EG-Bio-Verordnung zertifiziert sein und zusätzlich die Vorgaben eines Bio-Verbandes erfüllen (Bioland, Naturland, Demeter etc.).
  • Das saisonale Angebot bei Obst, Gemüse und Salat wird im Speiseplan berücksichtigt. Zur Bewertung wird der Saisonkalender des Bundeszentrums für Ernährung der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) herangezogen.
  • Bananen, Tee, Kakaoprodukte und Reis, die außerhalb des europäischen Wirtschaftsraums angebaut oder verarbeitet wurden, müssen Fairtrade-zertifiziert sein (Leutkirch ist als sog. „Fairtrade-Town“ zertifiziert). Siehe zur Kampagne Fairtrade Towns.
  • Es dürfen keine Einzelverpackungen in Form von Fertigdesserts und Aluminium-Menüschalen verwendet werden.

Besonderheiten der Ausschreibung nach Nachhaltigkeitskriterien

Grundsätzlich sollte bei der Ausschreibung und Vergabe der Schulverpflegung beachtet werden, dass regelmäßige Neuausschreibungen zwar die Chancen auf gleichbleibend hohe Qualitäten und die Erprobung innovativer Konzepte erhöhen, gleichzeitig jedoch den Aufbau stabiler und vertrauensvoller Geschäftsbeziehungen erschweren. Aus rechtlicher Perspektive müssen Ausschreibungskriterien sachlich hinreichend begründet sein, um nicht gegen das sog. „Diskriminierungsverbot“ zu verstoßen (§ 97 Abs. 2 GWB n.F.).

Die regionale Herkunft von Produkten stellt beispielsweise kein eindeutig definierbares und auch sachlich schwer begründbares Kriterium dar. Regionen können anhand unterschiedlichster Kriterien abgegrenzt werden, wie u. a. politisch-administrativer Grenzen (Landkreis, Regierungsbezirk oder Bundesland) oder auch über die Homogenität (gemeinsame Merkmale wie Landschaft, Dialekt, Traditionen etc.). Aus ökologischer Perspektive ist es zudem äußerst fragwürdig, ob regionale Produkte generell nachhaltiger sind.

Weitere Projekte zur Förderung einer nachhaltigen Ernährungswirtschaft vor Ort

Neben der Neuausschreibung der Schulverpflegung hat die Stadt Leutkirch im Zuge des KERNiG-Projekts weitere Maßnahmen und Projekte umgesetzt. Diese konzentrieren sich hauptsächlich auf die Unterstützung einer nachhaltigen Ernährungswirtschaft vor Ort. Hierzu zählt u. a. der Erlass der Standgebühren auf dem Leutkirch Bauernmarkt, die Bevorzugung ökologisch wirtschaftender Betriebe bei der Neuverpachtung städtischer Landwirtschaftsflächen sowie die Virtual Reality Plattform „Eat Me Up“. Letztere ermöglicht virtuelle Betriebsführungen und so authentische Einblicke in den Alltag der Leutkircher Bauernhöfe, Metzgereien und Bäckereien sowie bürgerschaftlicher Ernährungsinitiativen.

Mehr Informationen zu KERNiG finden Sie unter: www.kernig.uni-freiburg.de. Das Forschungsprojekt wird vom Bundesministerium für Bildung- und Forschung (BMBF) gefördert (Förderkennzeichen: 01UR2014A-B).

 

David Sipple

Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Environmental Governance der Universität Freiburg
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